Schuldruck heute?!

mritterIn der Kolumne für den Schuldruck ist ein neuer Beitrag erschienen: Schuldruck heute. Anlass war die Einrichtung einer Schuldruckerei an der Universität Bielefeld durch Juniorprofessor Dr. Michael Ritter. Im letzten Semester gab es mehrere Veranstaltungen, in denen Studierende mit andere Studierende und auch mit Kindern druckten.

Auch der Artikel in der Neuen Osnabrücker Zeitung von März 2012, in dem über Cristina Müllers c. mueller Masterarbeit: „Auf den Spuren Célestin Freinets – Eine Untersuchung über den Einsatz der Schuldruckerei in der Grundschule von heute“ berichtet wird, zeigt gegen den allgemeinen Trend, die Schuldruckerei als unzeitgemäß zurückzudrängen, wie begeistert das Drucken von Kindern angenommen wird.

Ein Geheimnis dabei scheint die Vorgabe kurzer Texte zu sein. Lange Texte schrecken die Kinder ab – die Setzerei ist ihnen wohl zu mühsam. Lange Texte schrecken aber auch LeserInnen ab. Wer kämpft sich schon gerne durch eine Textwüste.

schreger100x144 Christian Schreger aus Wien hat in seinem Projekt „Kleine Bücher“ erstmals gute Erfahrungen mit diesem Ansatz gemacht. Er hat auch eine kleine Beschreibung des Druckens in 10 Schritten ins Netz auf den Seiten seiner Schule in der Ortnergasse gestellt.

 in der Ortnergasse in Wien in der M2

in der Ortnergasse in Wien in der M2

Schuldruckwerkstatt an der Uni in Bielefeld eröffnet

In der Lernwerkstatt der AG3 der Uni Bielefeld – Fakultät für Erziehungswissenschaften – ist schon seit November 2012 eine Druckwerkstatt eingerichtet. Die kann man auch über das Internet besuchen: ag3/lernwerkstatt/Schuldruckerei. AnsprechpartnerInnen sind JProf. Dr. Michael Ritter und Dr. Brigitte Kottmann. Michael Ritter war vorher an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und hat dort im Archiv für Kindertexte bei Prof. Dr. Eva Maria Kohl geforscht.

Lesenswert dazu auch der Vortrag von Michael Ritter: Drucken von gestern in der Schule der Zukunft

    Man bedenke, zu dieser Zeit war das gedruckte Wort etwas Besonderes; seine Herstellung dem einfachen Menschen nicht möglich. Es verband sich dadurch eine Autorität und ein Herrschaftsanspruch damit, den Freinet in seiner freiheitlichen Pädagogik aufzulösen versuchte. Für ihn war das Drucken einerseits eine Möglichkeit, die Texte der Kinder aufzuwerten und dem eigenen Tun damit nachhaltig Bedeutung zu verleihen; was wiederum positiven Einfluss auf die Haltung der Kinder dem Lernen gegenüber ausüben sollte. Andererseits verstand er in dieser Arbeit jedoch auch eine aktive Demokratieerziehung, denn er wollte Kindern die Machart des Gedruckten vor Augen führen und damit ihren formimmanenten Geltungsanspruch in Frage stellen. Kinder sollten sich als Träger einer äußerbaren Meinung erleben, die sich in den Formen der Herrschenden, im gedruckten Wort kommunizieren lassen.“

Die Druckerei ist also bei Célestin Freinet keine reformpädagogische Mode gewesen, sondern war Mittel zur Demokratieerziehung. Ziel war nicht eine handwerkliche Ausbildung im Drucken, sondern die Möglichkeit eigenen Texten den Status von Gedrucktem zu verleihen. Sie sollten selbst erleben, wie sich die Wertigkeit ihre eigenen Texte in der Wahrnehmung veränderte, wenn Handschriftliches – noch ungelenke Kinderschrift – sich in einen ordentlichen, offiziell wirkenden Text wandelte. Gleichzeitig konnten die Kinder selbst die Wirkung des Textes durch die Gestaltung des Textes: Schriftgröße, Verzierungen, Anordnung des Textes auf dem Blatt, Verwendung von farbigem Papier oder Variation der Druckfarbe usw. beeinflussen.

Ganz nebenbei wurde in gemeinsamen Gesprächen in der Klasse am Text gefeilt. Es wurde an der Verständlichkeit und am Ausdruck gearbeitet: Was war gemeint, was wollte der Autor sagen, worauf kam es ihm an? Der Text wurde zugespitzt, die wesentliche Aussage auf den Punkt gebracht, Fehler wurden verbessert, über die Gestaltung diskutiert.

Dieser intensive Umgang mit dem Text ‚entschleunigte‘ den Weg an die Öffentlichkeit. Die Textmenge reduzierte sich alleine schon dadurch, dass jeder Buchstabe einzeln gesetzt werden musste – so wurden ‚Bleiwüsten‘ wirkungsvoll eingedämmt. Die Diskussion um die Aussage eines Textes erzwang es, genau hinzuhören. Vorschläge zur Verbesserung mussten vom Autor akzeptiert werden – es ging ja um seinen Text. Ungereimtheiten oder Denkfehler hatten kaum eine Chance, diesen Prozess unerkannt zu durchlaufen. Statt: ‚Warum schreibst Du nicht …“ lautete die Frage: ‚Könnte man das so ausdrücken …‘. Hinterher wusste auch der Autor genauer, wie er seine ‚Meinung‘ formulieren wollte – nicht weil jemand ihm diese übergestülpt, sondern weil er sich mit ihr gründlich auseinandergesetzt hatte.