Lernwerkstätten

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    Kolumne 2.2015 -

    Lernwerkstätten?!!

    Autor: Jürgen Göndör, 2.2015
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    Wer bei Google den Begriff 'Lernwerkstatt' eingibt, erhält fast eine halbe Million Treffer. Aber ist da auch überall eine 'Lernwerkstatt' drin, dort wo 'Lernwerkstatt' draufsteht?

    Und was soll denn überhaupt drin sein?

    Der Begriff 'Lernen' wird in der Mainstreampädagogik vorzugsweise im Zusammenhang mit 'Lehren' benutzt. Es ist in der Regel vom 'Lehr-Lernen' die Rede. Unterricht ist ein Unternehmen, in dem Kinder bzw. SchülerInnen möglichst selbständig und effektiv das lernen, was sie nach Lehrplan oder LehrerInnenvorgabe lernen sollen.

    Dieser Zusammenhang hat einen Haken: Niemand hat die Kinder, bzw. SchülerInnen gefragt, ob sie gerade jetzt überhaupt lernen möchten, geschweige denn, was sie denn lernen wollen.

    Aber halt: Das ist doch die Aufgabe der Motivation, bei den Kindern bzw. SchülerInnen das Interesse an dem zu wecken, was gerade dran ist!

    Und wer überprüft das? Wird durch die 'Motivation' wirklich das Interesse der Kinder, bzw. der SchülerInnen geweckt? Oder klappt das nur, wenn da der Schulrat - oder der Seminarleiter, oder wer auch immer - hinten sitzt und zuhört.

    Es gibt natürlich auch noch andere Helferlein, wie zum Beispiel die Note, oder das Gelächter der MitschülerInnen, wenn man eine Frage nicht richtig beantworten kann - um nur zwei Möglichkeiten zu nennen.

    So wird ein übles Spiel gespielt: Wer nicht mitspielen will oder kann, wird aussortiert, abgeschult, bleibt sitzen, erhält schlechte Noten. Übel ist das Spiel deshalb, weil das System Schule auf das wirkliche Leben vorbereitet und Berechtigungen vergibt, die nicht nur Lebenswege ermöglichen oder verbauen und den Kindern, bzw. SchülerInnen den Schwarzen Peter zuschiebt. Und das so gekonnt, dass diejenigen, die das nicht gelernt haben, was sie doch lernen sollten, sich am Ende selbst für dumm und unfähig halten.

    Ab und zu fällt das auf. Bei den Migrantinnen z.B., oder bei den bildungsfernen Schichten, früher bei den katholischen Arbeitermädchen vom Lande, heute bei den Jungens, in Amerika bei den Farbigen, ...

    Oder auch bei Untersuchungen zum Leistungsstand der Kinder, wie TIMMS oder PISA.

    Ändern tut das nix. Unser Schulsystem ist nach wie vor streng hierarchisch, immer noch eines der selektivsten in Europa. Immer noch glauben fast alle Eltern, Lehrer, Kinder, Politiker, ... dass das Schulsystem gerecht sei und dass dort die Leistung, das Können gemessen werde. Wer gute Leistungen abliefert - das gelernt hat, was er lernen sollte - und das auch in Prüfungen zeigen kann, der bekommt auch gute Noten, einen guten Schulabschluss, vielleicht einen guten Beruf und verdient vielleicht auch viel Geld.

    Pech, wenn man den falschen Vornamen hat oder im falschen Schulbezirk wohnt - aber was hat das alles mit Lernwerkstätten zu tun?

    Zitat: "In der modernen Pädagogik ist mit diesem Begriff eine Lernumgebung gemeint, die eine umfassende Sammlung didaktischer Materialien und Literatur für den Schulunterricht bietet und somit für praktisches und eigenaktives Lernen sorgt."
    http://www.paedagogik.uni-osnabrueck.de/index.php/de/einrichtungen/lern-und-forschungswerkstatt/didaktische-lernwerkstatt

    Eine Lernumgebung, die zum Lernstoff passt und nicht zum Kind, didaktische Materialien, Literatur, die auf den Lernstoff zugeschnitten sind und nicht auf die Lernbedürfnisse des Kindes. Und so dürfen SchülerInnen und KinderInnen dann selbständig lernen was sie sollen.

    Kurz gesagt: Es gibt solche Lernwerkstätten, die sich am Fächerplan und Schulstufen orientieren. Im Vordergrund stehen die Lernanforderungen der Schule und die Lernwerkstatt ist der Ort, an dem die Kinder sich selbst beibringen, was sie lernen sollen.

    Und es gibt solche Lernwerkstätten, die die Interessen und Lernbedürfnisse der Kindern in den Mittelpunkt stellen, die Kindern dabei behilflich sind, das erfolgreich zu tun, was diese selbst tun wollen. Die Lernwerkstatt ist der Ort, an dem Kinder ihren eigenen Lerninteressen nachgehen können und dabei von der LehrerIn unterstützt werden.

    "...hier lerne ich was ich will!" - wer sich die Mühe macht, die Kommentare zu einer solchen Aussage zu lesen, stößt bei sehr vielen Menschen auf Unverständnis:

    "Da lernen die ja gar nix mehr ... Wir müssen das später teuer bezahlen ... das Leben ist halt anders ... "
    Ähnlich: Hövel, Walter (2014): Solche Schulen wollen wir nicht!

    Wenn man dann einen Blick in die pädagogische Literatur wirft, reibt man sich verwundert die Augen. Da liest man von 'selbstbestimmten Lernen', von 'Begeisterung', immer wieder wird die 'beste Schule des Jahres' gekürt.

    John Dewey hat vor 100 Jahren (1915) vier 'native impulses' beschrieben:
    • "das Bedürfnis, sich anderen Menschen mitzuteilen, eigene Erfahrungen auszutauschen, sich zu verständigen ('to comunicate'),
    • das Bedürfnis, sich kreativ zu betätigen, persönliche Empfindungen spielerisch oder künstlerisch auszudrücken ('to express'),
    • das Bedürfnis, unbekannte Dinge zu untersuchen, Neues auszuprobieren und zu hinterfragen ('to inquire' oder 'to explore') und schließlich
    • das Bedürfnis, etwas produktives zu tun etwas herzustellen, zu bauen, Werkstücke zu gestalten ('to construct')."
      Hagstedt, Herbert; Krauth, Ilse Marie (2014): Lernwerkstätten - Potentiale für Schulen von Morgen, Frankfurt/M, S. 9

    Eine Lernwerkstatt - im hier besprochenen Sinn - ist also nicht auf stillsitzen und zuhören, nicht auf beantworten von Lehrerfragen ausgelegt, sondern gibt dem Bedürfnis der Lernenden - egal ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene - Raum und Möglichkeit sich mitzuteilen, sich über eigene Erfahrungen auszutauschen und sich zu verständigen.

    Eine Lernwerkstatt - im hier besprochenen Sinn - ermöglicht es, dass Lernende mit ihrer eigenen Kreativität, mit ihrem eigenen Einfallsreichtum das was sie bewegt, interessiert, anspricht auf ihre Weise auszudrücken, die ihrer Sichtweise und ihrem Empfinden entspricht.

    Eine Lernwerkstatt - im hier besprochenen Sinn - ist darauf eingerichtet, dass das was Lernenden unbekannt ist, was neu für sie ist, auf ihre Weise untersuchen und hinterfragen können. Es geht dabei nicht um nachuntersuchen, nachexperimentieren, nach...

    Eine Lernwerkstatt - im hier besprochenen Sinn - erlaubt das Be- und Verarbeiten von Materialien, indem sie Materialien und Werkzeuge genauso zur Verfügung stellt, wie Platz zum arbeiten.

    Dazu gehören die 'Ideen der Forscherkinder': Wie kann es gelingen, Kinderfragen grundsätzlich als Lernressourcen zu nutzen (Walter Hövel), dazu gehören die Lernbegleiter, die sich immer wieder zurücknehmen müssen um Selbstbestimmung zu ermöglichen (Tanja Schedel).
    Vgl.: Hagstedt, Herbert; Krauth, Ilse Marie (2014): Lernwerkstätten - Potentiale für Schulen von Morgen, Frankfurt/M, S. 11