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Erfurt .. und kein Ende

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Veröffentlicht am Dienstag 30 April 2002 06:51:56 von juergen
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paedcom.jpgErfurt und kein Ende So schlimm Erfurt ist, so unerträglich sind manche Reaktionen. LehrerInnen werden beschuldigt, die Situation durch den Verweis von der Schule provoziert zu haben. Schülern wird im Gegenzug vorgeworfen, die eigene Verantwortung für schlechte Leistungen nicht zu sehen und den Lehrern zuzuschieben. Eltern wird vorgeworfen, der Schule das Erziehungsgeschäft zu überlassen und sich herauszuhalten.
Auch das Fernsehen und die Videospiele bekommen ihren Teil ab: Ihnen wird das Training 'mörderischer Selbstjustiz', ja die 'tägliche Ausbildung zur Killerbestie' angelastet. So fragwürdig 'Ballerspiele' sind und die tägliche Dosis von Gewalt im TV auf den Prüfstand gehört - wenn der Zusammenhang so einfach wäre, müßte es von Killerbestien nur so wimmeln.

Eines darf auch nicht fehlen: Die permanente Verunglimpfung der LehrerInnen in den Medien: "faule Säcke" - um nur ein Urteil aus prominentem Mund zu zitieren. Die LehrerInnen im Fadenkreuz jugendlicher Aggression! Zum Abschuß freigegeben. Die ganze Verbitterung eines verkannten Berufsstandes bricht sich da Bahn.

Lehrer sind in Wirklichkeit doch ganz anders!?

Seit Jahr und Tag schweigen sie - die Faust in der Tasche geballt - zu dem pädagogischen Ausleseprinzip, das unsere Schulen so unmenschlich macht. LAU hat es an den Tag gebracht: Die vollmundigen Bekenntnisse zur Chancengleichheit sind nur Lippenbekenntnisse. Man hat sich im System eingerichtet und kämpft um Gehaltsstufen und gegen den Abbau von Freistunden. Nicht für eine kindgerechte Schule, nicht gegen ein Auslesesystem, nicht für Chancengleichheit. Man schweigt.

  • Kürzung der Stundentafel - ja es sind halt zu wenig KollegInnen.
  • Reduzierung auf die Kernfächer: Deutsch/Mathe/Englisch zulasten von Musik, Sport, Religion, Zeichnen, ... - klar, Schule soll doch vermitteln was wirklich wichtig ist.
  • Gesamtschule - bloß nicht, da wird ja nix geleistet.
  • Projektarbeit - nee, da kommt man ja mit dem Stoff in Schwierigkeiten.
  • Klassenlehrerprinzip - auch nicht, ich bin doch kein Sozialarbeiter, sondern Fachlehrer.
  • Zusammenarbeit - da muß ich mir ja in die Karten schauen lassen.
Und Ministerien und Schulaufsicht mischen da kräftig mit:
  • Regelmäßige Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der LehrerInnen
  • Systematische Anhebung der Leistungsanforderungen ohne entsprechende Angebote an die SchülerInnen, wie sie diese Leistungen auch erreichen können
  • Systematische Abwertung der Erziehungsfunktion
  • Lähmung pädagogischer Initiativen durch aufwendigen Vorschriften-Apparat
  • Entmündigung der Lehrer durch straffe Hierarchie, Geringachtung von Mitbestimmung und Mitwirkung (Der Schulleiter leitet die Schule)

Beide Listen lassen sich sicherlich ergänzen und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

In der Industrie hat es sich längst herumgesprochen - nur zufriedene, selbst gut ausgebildete und weitergebildete MitarbeiterInnen, nur die, die das Gefühl haben, ihre Arbeit wird geschätzt, sind ein Gewinn für den Betrieb und liefern gute Arbeitsergebnisse ab. Vertrauensmanagement ist angesagt.

Der Schulbetrieb dagegen setzt immer noch auf Mißtrauen und Kontrolle. man stellt lieber Polizisten auf die Schulhöfe und versucht so das Symptom zu heilen statt das Übel an der Wurzel zu packen.

Vergessen sind die Erfolge der Reformpädagogik der Weimarer Zeit.

  • Die Leistungsfähigkeit wurde gefördert - heute wird sie erwartet.
  • Die Wege zum Können wurden geebnet - heute müssen SchülerInnen selbst damit klar kommen (sich halt eben auf den Hosenboden setzen)
  • Ziele wurden vereinbart - heute bekommen sie Schülerinnen vorgesetzt, Mitbestimmung über Unterricht findet so gut wie nicht statt.
  • SchülerInnen durften Ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen (damit sind nicht Klassenarbeiten und Tests gemeint, sondern öffentliche Theateraufführungen, Verantwortliche Besetzung einer Feuerwehrstation oder einer Lebensrettungsstation - nicht zum mal kucken, sondern anstatt anderer, die sonst den Dienst taten, ...) - heute dürfen noch nicht einmal die eigene Schule in Ordnung halten.

Der Schonraum Schule stranguliert jede Eigenaktivität - die von LehrerInnen und SchülerInnen. Erstickt sie in einem Wust von Paragraphen, in einem falschen bewahr-pädagogischen Ansatz, in der Reduzierung von jungen Menschen auf das Erfüllen von erwarteten Antworten - hauptsächlich in Deutsch/Mathe/Englisch.

Hier müssen sich auch die LehrerInnen an der eigenen Nase packen, warum sie die real-existierende Schule unterstützen, ihren Fortbestand durch ihren fehlenden Widerstand garantieren. Hier muß sich das Schulmanagement von der MinisterIn bis zur SchulleiterIn an der eigenen Nase packen, warum Schule solche Ergebnisse bringt.

Seit geraumer Zeit ist von Qualitätssicherung im Bildungsbereich die Rede. Es wird aber verwechselt, das Kinder keine Autos sind, wenn strenge Qualitätsprüfungen praktiziert werden. Der "Ausschuß" sind Menschen wie Du und ich, die auch schon vor der Qualitätsprüfung erleben, wie die Auslese in den Schulen funktioniert, die einer Gehirnwäsche gleich immer wieder erfahren - wie PISA herausgefunden hat - daß ihre Schulkarriere negativ ist: fast 10 Mio Sitzenbleiber in Deutschland + das graue Feld derer, die es gerade noch so mit "Hängen und Würgen" geschafft haben. Positive Rückmeldung bekommt nur die Leistungsspitze der Klasse und es scheint so, daß auch die vielzitierte Qualitätssicherung nur diese Gruppe im Blick hat.

So verfehlt Schule ihren Zweck. Ihr Auftrag ist es - oder sollte es sein - Kinder bestmöglich zu fördern, Bedingungen zu schaffen, daß sich Kinder und Jugendliche positiv entwickeln können, daß diese gestärkt werden. Schule wird schließlich als Gemeinschaftsaufgabe finanziert und nicht als Ausleseinstitut für eine vermeintliche Bildungselite, die in internationalen Rankings gut abschneidet und mit denen man sich (möglichst parteipolitisch) gut brüsten kann.

Jürgen Göndör



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