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Die Freinet's
in deutscher Übersetzung
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Die
auf den Händen gehen
Als Kinder hat es euch wohl auch Spaß gemacht, auf den Händen zu gehen, und zwar weniger, um eine besondere Leistung zu vollbringen, sondern um die Welt unter einem anderen Blickwinkel, in anderem Licht und aus einer anderen Perspektive zu sehen. Wenn ihr lange genug so gehen würdet und es um euch herum zudem üblich wäre, sich auf den Händen fortzubewegen, würdet ihr euch an den Eindruck gewöhnen, dass die Bäume in den Himmel stürzen, der Zutritt zu den Häusern oben ist und auch die Tiere in einer irrealen Welt umher gehen, in der man die Füße nicht mehr auf dem Boden hat. Und da die Gewohnheit um so mehr zur zweiten Natur wird, als deren Erwerb viel Zeit und Mühe gekostet hat, könntet ihr euch jetzt übrigens durchaus ehrlich und pflichtbewusst fragen, wie geistig und körperlich gesunde Menschen senkrecht auf den Füßen stehen können, und ihr kämt manchmal in Versuchung, sie zu verurteilen, damit eure Normen von Menschen, die auf den Händen gehen gerechtfertigt wären. Es gibt Schulen, in denen man sich seit Jahrhunderten bemüht, auf den Händen zu gehen. Das Lernen ist dort langwierig und mühsam. Diejenigen, die sich verweigern oder nicht die Muße dazu haben oder die sich als ungeeignet herausstellen, sind für immer von der Welt, in der man auf den Händen geht, ausgeschlossen. Die anderen werden zu um so größeren Ehren und Privilegien gelangen, je mehr sie ihre unmenschliche Dressur vorangetrieben haben. Wenn sie darin Meister geworden sind, werden sie die Zunft der Leute, die auf den Händen gehen, unerschütterlich verteidigen. Sie werden niemals in die Welt der Menschen zurückkehren, die den Kopf oben und die Füße auf den Boden haben. Das Schlimmste daran ist, dass sie behaupten normal zu gehen. Wenn wir ihnen sagen und beweisen, dass wir schneller und sicherer vorankommen, indem wir die normalen Gesetze der menschlichen Natur beachten, werden sie uns antworten: - Aber in der Schule geht man doch nicht so! Stellt euch zuerst auf die Hände! Wir eröffnen hier den
Prozess der Menschen, die wie jedermann gehen, gegen die Zukunft derjenigen,
die das Vorrecht genießen, auf den Händen zu gehen.
Text aus: J. Hering u W. Hövel (Hrsg): Immer
noch der Zeit voraus, 19961, Bremen
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