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Die Freinet's
in deutscher Übersetzung
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Vom Pferd, das keinen Durst hat Der junge Städter wollte sich
auf dem Bauernhof, der ihn beherbergte, nützlich machen.
Der erfahrene Bauer kommt dazu. Ironisch
sagt er: "Ach, du glaubst daß man so ein Pferd führen kann?
Weißt du, es ist nicht so dumm wie ein Mensch... Es hat keinen Durst!...
Du könntest es umbringen, aber trinken wird es nicht. Es wird vielleicht
so tun als ob, aber das Wasser, das es schluckt wird es dir wieder ausspucken...
Verlorene Liebesmüh, mein Lieber!"
So täuscht man sich immer, wenn man sich anmaßt, die Ordnung der Dinge zu ändern und jemanden zum Trinken zwingen zu wollen, der keinen Durst hat... Erzieher, ihr seid am Scheideweg. Verrennt euch nicht in den Irrtum einer "Pädagogik-des-Pferdes-das-nichttrinken-will", sondern geht kühn und weise auf eine Pädagogik zu, die die "Pädagogik-des-Pferdes-das-in-das-Kleefeld-und-zur-Tränke-läuft" nennen könnte. Das Pferd hat keinen Durst: Dann wechselt doch das Wasser in der Tränke! In der Geschichte vom Pferd, das keinen Durst hat, haben wir ein Kapitel vergessen. In dem Moment, als der frischgebackene Bauer die Schnauze des Pferdes-das-keinen-Durst-hat ins Wasser tauchte, und brr! der widerspenstige Atem des Tiers das Wasser in Kaskaden rund um den Brunnen versprühte, erschien ein Mann, der mit Nachdruck verkündete: "Aber so wechseln Sie doch den Inhalt der Tränke!" Was man sofort tat, denn auf Befehl von oben mußte man das Pferd-das-keinen-Durst-hat tränken. Umsonst. Das Pferd hatte keinen Durst, weder auf trübes noch auf klares Wasser. Es ... hatte ... keinen... Durst! Und es zeigte das auch, es riß nämlich die Zügel aus den Händen des jungen Mannes und lief schnell in das Kleefeld. Das bedeutet: das wesentliche Problem unserer Erziehung besteht keineswegs im "Inhalt" (wie man uns heute glauben machen möchte), sondern wir müssen unser Hauptaugenmerk darauf richten, unseren Kindern Durst zu machen. Ist deshalb die Qualität des Inhalts unwesentlich? Sie ist nur für die Schüler unwesentlich, die man in der alten Schule dazu abgerichtet hat, ohne Durst egal welche Brühe zu trinken. Wir haben die unseren daran gewöhnt, zunächst jedem Getränk zu mißtrauen, es zuerst auszuprobieren und zu klären, was es ist; sie sollen sich ein eigenes Urteil bilden und überall eine Wahrheit fordern, die eben nicht in Worten liegt, sondern im Wissen um das richtige Verhältnis zwischen Fakten, Personen und Ereignissen. Wir wollen keine Menschen heranziehen, die passiv einen Inhalt - sei er nun richtig oder nicht - akzeptieren, sondern Bürger, die später erfolgreich und mutig ihr Leben in die Hand nehmen, und die verlangen, daß im Becken das klare und reine Wasser der Wahrheit fließt. Dem Kind Durst machen Haben Sie schon einmal diese Gluckenmütter gesehen, wenn sie ihr Kind füttern, sie warten, mit dem Löffel in der Hand, daß das Opfer den noch vollen Mund ein bißchen öffnet, um die nächste Portion Brei hineinzustopfen... noch einen für Papa!... und einen fürs Kätzchen! ... Schließlich läuft es über. Das Kind spuckt seinen Brei wieder aus, damit es wenigstens keine Verdauungsstörungen bekommt. Bringen Sie dieses Kind in eine lebendige Umgebung, zu der möglichst eine Gemeinschaft von Menschen gehört, wo es die Möglichkeit hat, sich den Aktivitäten hinzugeben, die in seiner Natur liegen. Es wird zu den Mahlzeiten - oder vorher - mit großem Hunger erscheinen. Das Ernährungsproblem ändert seinen Sinn und seinen Gehalt. Sie müssen nicht mehr einen zunächst abgelehnten Brei mehr oder weniger trickreich einfuhren, sondern nur noch genügend wertvolle Nahrungsmittel bereitstellen. Der Vorgang des Schluckens und Verdauens ist nicht mehr ihr Problem. Kann man das Pferd, das keinen Durst hat, gar nicht tränken? Aber wenn es sich übersatt gefressen oder schwer den Pflug gezogen hat, wird es von selbst zur gewohnten Wasserstelle zurückkehren - und dann können Sie am Zügel ziehen, schreien oder schlagen... das Pferd wird trinken, bis es keinen Durst mehr hat und dann zufrieden wegtrotten. Es sei denn, der Zwang, den Sie ausgeübt, und die Schläge, die Sie ihm versetzt haben, damit es an diesem Brunnen trinkt, haben eine Art physiologischen Ekel vor dem Brunnen ausgelöst, und das Pferd weigert sich von nun an, das Wasser zu trinken, das Sie ihm anbieten, und zieht es vor, anderswo, aber frei, die Pfütze zu suchen, die seinen Durst löscht. Wenn Ihr Kind keinen Wissensdurst hat, keinerlei Appetit verspürt auf die Arbeit, die Sie ihm anbieten, dann wäre es auch vergeblich, ihm die Ohren vollzudröhnen mit noch so beredten Beweisführungen. Sie würden wie nüt einem Tauben reden. Sie könnten schmeicheln, streicheln, alles versprechen oder schla-gen, das Pferd hat keinen Durst. Und: nehmen Sie sich in acht! Mit Ihrer Hartnäckigkeit oder Ihrer brutalen Autorität riskieren Sie es, bei Ihren Schülern eine Art physischen Ekels der intellektuellen Nahrung gegenüber hervorzurufen - und damit verschließen Sie ein für allemal die königlichen Wege, die zu den fruchtbaren Tiefen des Seins führen. Machen Sie durstig, auf welchen Umwegen auch immer. Stellen Sie Kreisläufe her. Entlocken Sie dem Kind den inneren Wunsch nach der ersehnten Nahrung. Dann werden sich die Augen beleben, die Münder öffnen, die Muskeln bewegen. Verlangen entsteht und nicht Langeweile oder Widerwillen. Lernfortschritte ergeben sich von nun an ohne unnormales Einschreiten Ihrerseits in einem Rhythmus, der nichts mehr mit dem herkömmlichen Vorgehen der Schule gemein hat. Jede Methode, die vorhat, das Pferd, das keinen Durst hat, zu tränken, ist bedauerlich. Jede Methode, die den Appetit auf Wissen anregt und das starke Bedürfnis nach Arbeit verstärkt, ist gut. aus: Célestin Freinet: Les dits
de Mathieu
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