lit_db 0.2.2adev.0341a © by Xenon
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192 passende Datensätze gefunden!
title: Deutsche Pädagoginnen der Gegenwart by Kaiser, Astrid - Oubaid, Monika |
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Text:
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Schlagworte:
summary:
In diesem Band wird der Fokus auf die Leistung von Frauen in der Pädagogik gelegt. Nicht berühmte Männer und Wissenschaftler, sondern die ganze Breite der Kompetenz von Frauen wird hier vorgestellt. Einmal bekannte Frauen wie Hildegard Hamm-Brücher als Bildungspolitikerin oder Gertrud Beck als Didaktikerin werden in wesentlichen biografischen Grundzügen vorgestellt. Dann werden auch exemplarisch für bestimmte pädagogische Konzepte Frauen porträtiert, die in ihrer Praxis das Konzept wie Montessori-Pädagogik oder Freinet-Pädagogik oder Integrationspädagogik in besonderer Weise entfalten. <p>
Die Selbst- und Fremdbiografien zeigen eine große Vielfalt und Lebendigkeit, aber auch viele Brüche und Widersprüche in Leben und Werk von Pädagoginnen.
Notiz:
ISBN 3-89744-033-4
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ID: 2293 | hinzugefügt von Jürgen an 03:48 - 7.9.2005 |
title: Verbesserung des sozialen Klimas durch Interaktionen in einer wöchentlichen Klassenratstunde eines dritten Schuljahres by Kaiser, Silke |
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Titel: | Verbesserung des sozialen Klimas durch Interaktionen in einer wöchentlichen Klassenratstunde eines dritten Schuljahres |
Autor: | Kaiser, Silke | Sprache: | deutsch |
Quelle: | München, Grin | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | DD.MM.2008 | | |
url: | https://www.grin.com/document/119701 |
Text:
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Das soziale Lernen
2.2 Das „soziale Klima“ einer Lerngruppe
2.3 Die Klasse als zentraler Ort des sozialen Lernens
2.4 Der Klassenrat als interaktive Praxis
2.4.1 Reformpädagogische Wurzeln
2.4.2 Rahmenbedingungen und Voraussetzungen
2.4.3 Begründung und Zielsetzung
3. Entwicklung und Durchführung des Klassenrats in der Lerngruppe
3.1 Lerngruppenbeschreibung und Lernausgangslage
3.1.1 Allgemeine Lernbedingungen
3.1.2 Spezielle Lernbedingungen
3.1.2.1 Das „soziale Klima“ der Lerngruppe
3.2 Didaktische Begründungen des Vorhabens
3.2.1 Gegenwarts- und Zukunftsperspektive
3.2.2 Bezüge zum Rahmenplan, dem Bildungs- und Erziehungsplan von 0-10 Jahren sowie den Bildungsstandards im Fachbereich Deutsch
3.3 Gestaltung des Klassenrats und methodische Vorgehensweise
3.3.1 Regeln
3.3.2 Rolle der Lehrperson
3.3.3 Ämtervergabe
3.3.4 Interaktionen
3.4 Übersicht der geplanten Teilvorhaben
3.5 Lernziele des Vorhabens
3.6 Überprüfung der angestrebten Ziele
4. Reflektierende Dokumentation und Auswertung des Unterrichtsvorhabens
4.1 Durchführung des Klassenrats
4.1.1 Einführungsstunde
4.1.2 Weitere Durchführung
4.1.3 Zwischenreflexion und Ausblick
4.2 Auswirkungen auf die Lerngruppe
5. Resümee und Ausblick
Literatur Anhang
A1 Übersicht über die geplanten Teilvorhaben (Tabelle)
A2 Transkription einer Klassenratsitzung exemplarisch
A3 Dokumentation von Schülerergebnissen
- Protokoll der skizzierten Sitzung exemplarisch (vgl. A2)
- Anliegen aus der Gefühle-Box exemplarisch (vgl. teilweise A2)
A4 Fragebogen-Analyse
- Auswertung des Fragebogens zum Klassenklima
- Zwei ausgewählte Fragen in der graphischen Übersicht (Balkendiagramm)
- Schülerfragebogen exemplarisch
A5 Fragebogen-Analyse
- Auswertung des Fragebogens zur Klassenratstunde
- Schülerfragebogen exemplarisch (erste Seite)
- Schülerfragebogen exemplarisch (zweite Seite)
Schlagworte:
lit_2008-art, Examensarbeit (2. Staatsexamen),
kein Summary verfügbar
Notiz:
Studienseminar Korbach - Burken
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ID: 5354 | hinzugefügt von Jürgen an 21:19 - 18.4.2020 |
title: Die Arbeit mit Freinet-Pädagogik by Kalbfleisch, Tobias |
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Text:
Die Arbeit mit Freinet- Pädagogik in der Hauptschule<p>
Inhaltsverzeichnis:<p>
Einleitung S. 3<p>
1. Zur Situation der Hauptschule S. 4<p>
2. Elemente der Freinet- Pädagogik S. 5<p>
3. Arbeiten mit Freinet in der Hauptschule S. 7<p>
3.1. Beziehung zwischen Lehrern und Schülern S. 7<br>
3.2. Der Unterricht mit Freinet in der Hauptschule S. 9<p>
3.2.1. Die Arbeit mit Freinet im Sprachunterricht S. 9<br>
3.2.2. Konkrete Beispiele zum Deutschunterricht S. 10<p>
3.3. Der naturwissenschaftliche Unterricht S. 12<p>
3.3.1. Der Geographieunterricht S. 13<br>
3.3.2. Der Mathematikunterricht S. 14<p>
4. Resümee S. 16<p>
5. Literaturverzeichnis S. 18<p>
Schlagworte:
Seminararbeit, hausarbeiten.de
summary:
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Notiz:
Bewertung: 1, Kosten: 6,99 €
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ID: 1522 | hinzugefügt von Jürgen an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Schreib los Bild-Impulse fuer freie Schueler-Texte. Fuer Primarstufe, Sekundarstufe I by Kasper, Josef |
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Titel: | Schreib los Bild-Impulse fuer freie Schueler-Texte. Fuer Primarstufe, Sekundarstufe I |
Autor: | Kasper, Josef | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Bremen: Freinet-Kooperative | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | DD.MM.1985 | | |
url: | |
Text:
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Schlagworte:
lit_1985-art, Freinet-Pädagogik; Kreativität; Spontaneität; Bildergeschichte; Schuljahr 03; Schuljahr 04; Schuljahr 05; Schuljahr 07; Schuljahr 08; Schuljahr 09; Schuljahr 10; Sekundarstufe I; Grundschule; Primarbereich; Unterrichtsmaterial; Aufsatz; Deutschunterricht; Schreiben; Materialsammlung
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 4630 | hinzugefügt von Jürgen an 04:31 - 19.4.2014 |
title: Volksschule Steyerling by Keibinger, Edith |
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Text:
VOLKSSCHULE STEYERLING
EDITH KEIBLINGER
2 Klassen: insgesamt 33 SchülerInnen
1. - 2. Schulstufe: 18 Kinder
3. - 4. Schulstufe: 15 Kinder
Wir wollen die 1.Klasse näher vorstellen.
Werner Pölz und Edith Keiblinger teilen sich die Lehrverpflichtung.
Werner Pölz: Mathematik, Leibesübungen, Musikerziehung, Englisch, Flöte
Edith Keiblinger: Deutsch, Sachunterricht, Bildnerische Erziehung
Schlagworte:
atsch-h11
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 2730 | hinzugefügt von Jürgen an 21:08 - 15.12.2005 |
title: Neue Medien in der Freinet-Pädagogik by Kellner, Michael |
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Text:
Neue Medien in der Freinet-Pädagogik
Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
Freinet im modernen elektronischen Zeitalter
Gefahren und Potentiale des Computers in der Freinet-Pädagogik
"Frei-NET-P@dagogik": Das Internet und seine Auswirkungen auf die "moderne Schule"
Konkrete Möglichkeiten für den freinet-pädagogischen Unterricht
Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
Einleitung
Es ist noch nicht lange her, dass Politiker Deutsche Elite-Universitäten gefordert haben. Der Drang nach Bildung ist groß. Dies ist vielleicht eine verzweifelte Reaktion auf den PISA-Schock, der uns durch Mark und Bein gefahren ist und uns immer noch verunsichert. Es muss sich etwas tun im Bildungswesen meinen viele Politiker. Forderungen nach radikalen Veränderungen des Schulwesens kommen von allen Seiten. Ist jedoch die Amerikanisierung der Deutschen Hochschulen hier der richtige Ansatz? Werden die Elite-Pädagogen von morgen Deutsche Schüler wieder auf die richtige Bahn leiten? Ist es nicht vielmehr das Schulsystem im Primarbereich, das effektives pädagogisches Handeln erschwert? Lehrer haben heutzutage nicht viele Freiräume für Erziehungsexperimente und somit kaum Potential für eine pädagogische Effizienzsteigerung. Vor allem in Regelschulen stehen die Chancen schlecht für innovative Lernkonzepte wie zum Beispiel die Freinet-Pädagogik. Die Schulstruktur fesselt die Lehrer eng an sich und will sie nicht freigeben für neue, kreative Ideen. Zeit- und Stundenplanstaffelung lässt kaum Platz für intensives Arbeiten. Klassenkonstellationen von weit über 20 Schülern pro Lehrkraft überfordern diese Tag für Tag. Vielleicht sollte man die Probleme bei der Wurzel packen und vor Allem Grundschulen einer radikalen Neustrukturierung unterziehen. Vielleicht kann man die Gesellschaft so vor einer nächsten PISA-Krise und vor weiteren fehlgeleiteten Verzweiflungsentscheidungen der Bildungspolitiker bewahren und vielleicht kann die Freinet-Pädagogik hiefür eine Schlüsselfunktion übernehmen. Noch vor gar nicht langer Zeit veröffentlichte die Zeitschrift „Spiegel“ den Artikel: „Besser lernen mit Multikulti?“ (Spiegel 25/04). „Multikulti? - Da gab es doch einen Begriff, der so ähnlich klingt und alle Kulturen der Welt miteinander verbindet: Ach ja, Multimedia!“ Somit ergibt sich auch die Fragestellung: „Besser lernen mit Multimedia?“ - Also mit Computer Internet & Co. Den Neuen Medien wird nachgesagt, sie würden in sich neue Lernchancen beherbergen. Wenn die Gesellschaft nach moderner Erziehung für unsere Kinder verlangt, ist die Forderung nach Integration neuer Technologien oftmals nicht weit. Allein schon die Lebensumwelt der Kinder fordert den Einbezug Neuer Medien in den Unterricht.
Stellen wir also fest: Wir haben eine Bildungsmisere auf der einen Seite und schulische Neustrukturierungsgedanken, sowie Neue Medien auf der anderen Seite. Da lässt sich doch eins und eins zusammenzählen: Eine reformpädagogische Medienar-
beit muss her! Sieht man in der Reformpädagogik die Ideen Célestin Freinets, so ist die Mischung komplett: Freinet-Pädagogische Bildungsarbeit gepaart mit dem Einsatz Neuer Medien. Ist dies vielleicht das Geheimrezept für eine optimale Erziehung? Gefragt werden muss, inwiefern eine freinet’ische Medienpädagogik überhaupt realisierbar ist. Augenscheinlich bietet die Pädagogik Freinets mit ihren technischen Veranlagungen und Eigenschaften wie z.B. Korrespondenz, freier Text oder Druckerei einen idealen Nährboden für den Einsatz Neuer Medien. Noch mehr scheint sie mit ihrer didaktischen Grundlegung und Struktur erst einen sinnvollen Einsatz moderner Technologien zu ermöglichen. Vielleicht hat die Regelschule Neue Medien gar nicht richtig einsetzen können und deswegen versagt. Möglicherweise verlangt Medienpädagogik nach einem gänzlich anderen Schulsystem. Hier gilt es mögliche Zugänge oder Hindernisse aufzuspüren. Was kann die Medienpädagogik für die Freinet-Pädagogik tun bzw. nicht tun und umgekehrt?
Um diese Fragestellungen zu beantworten, sollen zunächst theoretische Aspekte der Freinet-Pädagogik verschiedenen Erkenntnissen der Medienpädagogik gegenübergestellt werden. Im weiteren Verlauf werden Einstellungen und Ideale Freinets in Bezug auf Technologie und Innovation betrachtet und Neue Medien intensiv beleuchtet. Mögliche Potentiale und Gefahren von Neuen Medien für die Freinet-Pädagogik spielen durchgängig eine bedeutende Rolle zur Meinungsfindung, bis abschließend praxisnahe Beispiele für eine mögliche Freinet-Medienpädagogik erörtert werden sollen.
1. Die historische Idee Freinets und moderne Ansätze der Medienpä-dagogik
Im Wandel der Zeit unterzieht sich Pädagogik vielen Veränderungen und Neuerungen. Neue Erkenntnisse kommen hinzu und ergänzen die bisherige Wissenssammlung oder befördern manch ältere Auffassung in die Schublade „Alt und pädagogisch nicht mehr tragbar“. Ein moderner und relativ junger Ansatz ist die Idee Neue Medientechnik aktiv in den Unterricht einzubeziehen. Hier passt man sich neuen technischen Gegebenheiten unter pädagogischen Gesichtspunkten an, um so mit dem Wandel der Gesellschaftstechniken Schritt zu halten und die pädagogische Wirklichkeit auf dem neusten Stand zu halten. Doch zeigt sich auch, dass ältere Erkenntnisse heute noch eine erstaunliche Aktualität aufweisen können. So sieht man es in der Freinet Pädagogik, welche nach wie vor in nahezu unveränderter Form die heutige Erziehungswissenschaft beeinflusst. Nachfolgend sollen nun ältere Ideen Freinets und moderne Ansätze der Medienpädagogik dargestellt werden, um im weiteren Verlauf dieser Arbeit Parallelen, Überschneidungen, Differenzen und Möglichkeiten zur Verbindung dieser zwei Bereiche darstellen zu können.
1.1 Zum Grundverständnis der Freinet-Pädagogik
1.1.1 Kerngedanken der Freinet-Pädagogik
Verfolgt man die Wurzeln der Freinet Pädagogik zurück bis hin zu den Anfängen, so gelangt man in das französische Dorf Bar-sur-Loup, um Mitte der zwanziger Jahre. Hier hat die Entwicklung einer einflussreichen pädagogischen Konzeption und die Idee einer grundlegenden Schulreform ihren Ursprung (Zehrfeld 1977, S. 16). Die Intention alt eingesessene Unterrichtsmethoden abzuschaffen und die Schule grundlegend zu verändern, rührte aus den Kindheitserinnerungen Célestin Freinets. Er berichtete, sich noch sehr gut an seine frühen Schuljahre erinnern zu können. Bei pädagogischen Fragestellungen versetzte er sich in seine eigene Kindheit zurück und erkannte für sich die Fehler einer alt eingesessenen Form der Schulpädagogik. Diese betitelte er aufgrund seiner meist negativen Schulerfahrung als „Kasernenschule“ (Eichelberger, Filice 2003, S. 13). Freinet bemängelte das unangemessene Eingehen auf kindliche Interessen beruhend auf der zu sehr rationalen und kapitalistischen
Sichtweise der Verantwortlichen, die nicht die Kindesentwicklung selbst, sondern die notwendigen Lerninhalte zum Bestehen der Examina in den Vordergrund stellten (Freinet 1979, S. 14f.).
Erste Inspiration für neue Unterrichtskonzeptionen erhielt er durch Erfahrungen mit den „classes promenades“, die eine Art Lebensweltpädagogik darstellten (Zehrfeld 1977, S.16). Es entwickelte sich die Vision einer modernen Schule, die eigene und gesellschaftliche Bedürfnisse der Kinder in den erzieherischen Mittelpunkt stellt, es ihnen ermöglichte ihre Persönlichkeit optimal zu entfalten und ein gefestigtes Individuum in der Gesellschaft zu werden. Über diese Bedürfnisse sollten Lerninhalte und die Art der Erziehung abgeleitet werden (Freinet 1979, S. 15.). Nach Célestin Freinet stellte das Erfassen der gesellschaftlichen Bedürfnisse von Kindern kein besonders großes Problem dar, weil diese mehr oder weniger deutlich im Lehrplan festgelegt waren. Eine größere Herausforderung war für Freinet, das Individuum Kind differenziert in seiner physischen und psychischen Natur mit all seinen Neigungen und Fähigkeiten zu erkennen, um hieraus eine angemessene pädagogische Konzeption zu entwickeln. Es war jedoch nicht möglich jedem einzelnen Kind einen individuellen Erziehungsplan zu bieten. Zumindest wollte man ihm eine interessenfördernde Umgebung schaffen, kindgemäße Techniken zur Unterstützung der intellektuellen Entwicklung finden und entsprechende Arbeitsmaterialien zur Verfügung stellen. So war es möglich dem Kind verschiedene Perspektiven für die Zukunft zu bieten, welche es je nach Veranlagung, Neigung und Bedürfnis nutzen konnte (Freinet 1979, S. 15f.).
Im Sinn des „Lebendigseins“ betonte Freinet immer wieder, dass die Schule nicht nur eine Lernwelt, sondern auch eine Lebenswelt der Kinder sein sollte. Die Akzente setzte Freinet nicht mehr auf eine einseitige Überlieferung von Wissen. Er wollte sich vielmehr den natürlichen Lerntrieb und die schöpferischen Kräfte von Kindern für den Unterricht zu nutze machen. Hierbei kann die Freinet-Pädagogik die breite Palette an Bildungsmöglichkeiten nutzen, die die Erziehungswirklichkeit zur Verfügung stellt und mit seinen Arbeitsmaterialien und Techniken eine natürliche, lebendige und in seinen Augen vollkommene Erziehung ermöglichen. Dazu soll die Arbeit Motor und Philosophie sein (Freinet 1979, S. 16).
In einer Arbeitergesellschaft sah Freinet die Arbeitsschule, die sich in den Prozess der Lebenswirklichkeit integriert. Bildungserwerb sollte vor allem durch Selbsttätigkeit zustande kommen, was nach heutiger Sicht der Kerngedanke aller reformpäda-
gogischen Bereiche ist (Eichelberger, Laner 2003, S. 7). Um den Gedanken der „Arbeitsschule“ realisieren zu können forderte er, der passiven und formellen Pädagogik den Rücken zu kehren. Er kritisierte das gesamte System dieser Pädagogik mit all seinen Ausleseverfahren, Klassenarbeiten und Examina. Weiterhin verurteilte er das Bestreben Kinder heranzuziehen, deren Hirne mit Wissen vollgestopft wurden und diese dann als „optimales Endprodukt“ anzusehen, während Kinder mit einem „wachen Kopf“ und „geschickten Händen“ ins Abseits gerieten (Freinet 1979, S. 17). Freinet war oftmals der Kritik ausgesetzt, seinem Konzept würde es an nötigen Or-ganisationsformen mangeln und eine Schule nach seiner Beschreibung würde im Chaos versinken, da keine ausreichende Disziplin der Schüler zu erwarten sei. Er widerspricht jedoch diesen Aussagen und beschreibt eine schulische Harmonie, welche in seiner pädagogischen und sozialen Reform enthalten sei. Aus dieser Harmonie solle sich die Disziplin der Schüler entwickeln, die auf natürliche Art und Weise, nämlich durch die Ordnung der organisierten Schüleraktivität, zustande käme. Er beschreibt diesen Vorgang als eine Kraft, die durch die rationelle menschliche Gestaltung des Schullebens geweckt werde. Damit sei die Disziplin eine andere, als die zu seiner Zeit an Schulen vorherrschende. Nach seiner Auffassung solle es keine oberflächliche und förmliche Disziplin mehr geben. Vielmehr sieht er in ihr den natürlichen Ausdruck und die Folge einer funktionierenden Organisation der Schüleraktivität und des schulischen Gemeinschaftslebens. Seine Konzeption aus materieller, technischer und pädagogischer Arbeitsorganisation solle entscheidendes Kriterium eines ausgeglichenen Schullebens sein (Freinet 1979, S. 17f.). Freinet spricht in diesem Zusammenhang von einem neuen Arbeitsklima in den Schulklassen. Er beschreibt dies als ein „Klima des Vertrauens“, in dem Kinder sowohl Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit, als auch in die Mitschüler haben. Kinder sollen in einer Gruppe zusammenhalten und sich akzeptierend und weiterhelfend gegenübertreten und nicht etwa kontrahierend oder gehässig. Dieses Klima darf jedoch nicht dadurch zustande kommen, dass der Lehrer sämtliche Konflikte unterbindet, sondern soll vielmehr durch seine eigene funktionelle pädagogische Planung herbeigeführt werden (Zehrfeld 1977, S. 20f.).
Nach Freinet erfordert ein solch umfangreicher Paradigmenwechsel radikale Veränderungen. Er beschreibt, dass nicht nur Unterrichtsräume, Lehrpläne und Stundenpläne an das neue Schulmodell angepasst werden müssten, sondern auch Arbeitsmittel und Unterrichtstechniken. Er verurteilt vor allem den Frontalunterricht, der zum
größten Teil aus verbaler Aktivität des Lehrers besteht, den Unterricht nach Handbüchern, die schriftlichen Arbeiten, das sture Auswendiglernen und das streng an die Vorschriften gebundene Schönschreiben. Seine Reform- und Modernisierungsideen sollen jedoch nicht in radikaler Form die alte Schule ablösen. Freinet will die Anpassungen harmonisch und ausgeglichen in der Form vollzogen sehen, dass weder soziale Notwendigkeiten der Schule, noch finanzielle Aspekte der Lehrerumschulung ig-noriert werden (Freinet 1979, S. 18f.).
Freinet hat erkannt, dass nicht nur neue Lehr-, Lernmethoden im Mittelpunkt einer Reform stehen soll, sondern auch die individuelle Entwicklung des Kindes in der Gesellschaft. Er setzt bereits hier ein deutliches Zeichen für die Notwendigkeit grundlegender Veränderungen am Schulsystem. Diesbezüglich erstellt er kein Förder- und Lernkonzept, sondern eher ein Entwicklungskonzept für Kinder. Es soll den Kindern genau das gegeben werden, was sie in gegenwärtigen Entwicklungsstufen benötigen (Eichelberger, Filice 2003, S. 16). Hierfür hält Freinet eine umfangreiche Planung bereit, bei dem vom Aufbau der Klassenräume über Arbeits- und Erziehungstechniken bis hin zur finanziellen Durchsetzbarkeit der Reform alles bedacht wird.
Im nächsten Abschnitt soll nun die Entstehung praxisnaher Ideen Freinets genauer beschrieben werden.
1.1.2 Zur Entwicklung der Freinet-Unterrichtspraxis
Wie schon erwähnt, entwickelten sich erste Ideen für neue konkrete Unterrichtspraktiken durch Freinets Kontakt mit den so genannten „classes promenades“, einer Art Lebensweltpädagogik. Er nutzte diesen Ansatz für seine Zwecke und entwickelte ihn Schritt für Schritt weiter.
Einen motivierenden und lebensnahen Unterricht erhielt Célestin Freinet nicht nur durch die typischen Erkundungsgänge der „classes promenades“, sondern auch durch die schriftliche Nachbereitung des Erlebten und Gelernten, direkt nach Rückkehr in den Klassenraum. Als Mittel zur Vergegenwärtigung nutzte er anfangs die Wandtafel, an der jeder seinen eigenen Text einfügen konnte, um nachher einen Gesamttext aller Schüler zu erhalten. Es tauchten jedoch Konflikte zwischen dieser Unterrichtsidee und den Richtlinien der Lehrpläne auf, welche das Arbeiten mit Lehrbüchern nahezu unumgänglich machten. Um diesen Konflikt zu lösen, nutzte er die Möglichkeit, eigene Berichte, Aufsätze und Gedichte der Kinder zu drucken und mit anderen
Schulen auszutauschen, um diese dann als eine neue Generation von Schulbuchliteratur zu verwenden. Es entstand die Idee der Klassendruckerei, welche in Form von Druckstock und Setzkasten in einer Ecke der Klasse aufgebaut wurde (Zehrfeld 1977, S. 17f.).
Auf diesen grundlegenden Gedanken baute Freinet weiter auf und es entwickelten sich spezielle Unterrichtstechniken, welche die Freinet Pädagogik heute auszeichnen. Schüler erstellten freie Texte, welche in dem so genannten „Klassenjournal“ zusammengestellt wurden und dann im Sinn einer zwischenschulischen Korrespondenz untereinander verschickt wurden. Insbesondere bildete der „freie Text“ den Ausgangspunkt zur Weiterentwicklung der pädagogischen Konzeption und der Unter-richtsorganisation. Freinet war es wichtig, den Kindern die Möglichkeit zu geben, zu jeder Zeit, zu jedem Anlass und in beliebiger Form Texte schreiben zu können, sei es mit der Schreibmaschine (heute wäre es wohl der Computer) oder mit Bleistift auf ein Papierfetzen - Die Form war Freinet hierbei egal. Wichtig war ihm, dass das Schriftstück zum Gegenstand eines Arbeitsprozesses wurde. Das Vorlesen bzw. Präsentieren des eigenen Textes in der Klasse war erster Teil des Arbeitsprozesses. Hierdurch sollten Kinder sehr viel motivierter lesen und schreiben lernen. In einem weiteren Arbeitsschritt sollte der Text in mühevoller Handarbeit gedruckt werden, wodurch die Kinder, neben sozialen Kompetenzen, sehr viel über Buchstaben, Schrift und Rechtschreibung lernen sollten. Um demotivierende Frustrationen hierbei so gering wie möglich zu halten, hielt es Freinet für wichtig, eine Lehrerkorrektur der Texte anfangs auszulassen. Eine Korrektur erfolgte erfahrungsgemäß vielmehr durch die Mitschüler, welche Probleme beim Weiterarbeiten mit den fehlerdurchsetzten Texten hatten. Hieraus und durch später wohldosiert einzusetzende Korrekturhilfen des Lehrers, sollte sich die Motivation zum gemeinsamen Überarbeiten der Texte entwickeln (Zehrfeld 1977, S. 18f.).
Freinet legte viel Wert darauf, Kinder in ihrem Neugierverhalten zu ermutigen und das Erfahrungslernen zu unterstützen. Hierzu entwickelte er verschiedene weitere Arbeitsmittel und Organisationsformen, die es jedem Kind erlaubten, gemäß eigener Interessen und Talente, einen individuellen Lernrhythmus zu erhalten. Er kam zu der Auffassung, dass es hierfür nötig war, den Aufbau des Klassenraumes grundlegend umzugestalten, um aus ihm einen Erlebnisraum zu schaffen, in dem entdeckendes und forschendes Lernen möglich war und eine freundliche und angenehme Atmosphäre herrschte (Eichelberger, Filice 2003, S. 18).
Auf die beschriebene Art und Weise entwickelten sich die Gedanken Freinets Schritt für Schritt weiter zu einer fein ausdifferenzierten und durchdachten Konzeption für einen neuen Unterricht.
Es ist jedoch erwähnenswert, dass Freinet nicht in allen Punkten als Pionier anzusehen ist. Er setzte sich intensiv mit anderen reformpädagogischen Bereichen ausein-ander, besonders mit der Arbeitschulbewegung 1 , und bediente sich hier und dort an dem, was ihm für seine Zwecke von Nutzen erschien. Im Laufe der Jahre reiste er viel herum, sammelte Erfahrungen mit verschiedensten Unterrichtspraktiken und Methoden und ließ sich dabei für seine eigenen Ideen inspirieren. Pädagogen, die Freinet besonders beeinflussten waren unter Anderem Georg Kerschensteiner, Hugo Gandig, Pawel Petrowitsch Blonskij, John Dewey, Ovide Decroly und Maria Mon-tessori. Auch seine Frau, Elise Freinet, übte Einfluss auf die sich entwickelnde Pädagogik aus, besonders im Bezug auf Aspekte wie „freier Ausdruck“, Kunst und Ästhetik (Hering, Hövel 1996, S. 233). Stück für Stück ergab sich am Ende schließlich das daraus, was wir heute als Freinet-Pädagogik bezeichnen, mit all ihren grundlegenden Techniken und Methoden.
Im Folgenden sollen nun fundamentale Prinzipien und Techniken, welche Freinet im Laufe der Jahre erarbeitete oder in sein Konzept integrierte, genauer dargestellt werden.
1.1.3 Wesentliche Unterrichtsprinzipien und Techniken der Freinet-Pädagogik
Fragt man heute danach, worum es in der Freinet-Pädagogik geht, stößt man häufig auf Begriffe wie „Korrespondenz“, „Druckerei“ oder „Freie Arbeit“. Dies sind nur einige der Eigenschaften, welche die Pädagogik Freinets heute besonders kennzeichnen. Er stellt spezifische Arbeitsprinzipien und Techniken sehr deutlich und übersichtlich dar und ermöglicht es so, eine Vorstellung davon zu erhalten, wie die Freinet-Pädagogik in der Praxis funktionieren kann. Im folgendem soll nun ein Überblick über die wichtigsten Unterrichtsprinzipien, Freinet-Techniken und Mittel geschaffen werden, um abschließend ein möglichst genaues Bild von der tatsächlichen Form dieser Pädagogik in der Unterrichtswirklichkeit zu erhalten. Die Freinet-Schule soll stets einen Bezug zum Leben der Kinder herstellen. Das alltägliche Leben soll in der Schule weitergehen und mit in den Unterricht hineinflie-
1 DieArbeitschulbewegung nach Kerschensteiner
ßen. Dazu gehört auch, eigene Erfahrungen zu machen, aktiv zu handeln und Dinge dieser Welt zu erproben. Nach Freinet ist das Lebenspotential des Menschen die positive Kraft, die die eigene Entwicklung vorantreibt (Laun 1938, S. 38). Um diesem Prinzip gerecht zu werden, schlägt Freinet verschiedene Mittel und Techniken vor. Hierbei ist zu erwähnen, dass Célestin Freinet nicht Erfinder, sondern Sammler dieser Techniken war. Er hat Vorschläge der Reformpädagogen seiner Zeit übernommen und für seine pädagogischen Zwecke verwendet. Ein Bezug zum Leben kann unter anderem durch Berichte, Untersuchungen oder Arbeitsateliers hergestellt werden (Eichelberger, Filice 2003, S. 18f.) 2 .
Auch in der Freinet-Schule ist man auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Es ist nicht nur wichtig, dass die in der Schule gelernten Inhalte sinnvoll sind, sondern auch, dass das Lernen und Leben in der Schule dazu beiträgt einen Lebenssinn finden zu können. Ein Lernen, bei dem man Erfahrungen mit dem eigenen Lebenssinn macht, kann nur ein selbst bestimmtes Lernen sein, bei dem Freiheit und Selbsttätigkeit eine große Rolle spielen (Eichelberger, Filice 2003, S. 19f.). Ein sinnvolles Lernen kann nach Freinet nur ein Lernen in Freiheit sein. In diesem Zusammenhang spielen vor Allem die freie Wahl der Arbeitsschwerpunkte, der freie Ausdruck und der freie Text eine wichtige Rolle. Kinder haben die Freiheit ihren Gefühlen, Träumen, Wünschen und Meinungen Ausdruck zu verleihen. Auch freie Untersuchungen oder freies Experimentieren sind für das Prinzip der Freiheit von Nutzen (Eichelberger, Filice 2003, S. 20). Die Schüler sind jedoch dazu angehalten, selbst ausgewählte Tätigkeiten auch zu Ende zu bringen. Freiheit ist also nicht gleichzusetzen mit Zügellosigkeit (Baillet 1983, S. 15). Um einer Arbeiterschule gerecht zu werden darf es nicht an der nötigen Arbeit und Selbsttätigkeit fehlen. Das selbstständige Arbeiten findet vorwiegend in den Arbeitsateliers statt. Als Mittel und Techniken empfiehlt Freinet unter Anderem Feldarbeit, Kochen, Mechanik, Dokumentensammeln oder künstlerisches Schaffen, wie zum Beispiel graphische Gestaltung. Einen Großteil der selbsttätigen Arbeiten übernehmen die Schüler eigenverantwortlich. Das Übernehmen von Verantwortung ist in einer Freinet-Klasse nicht wegzudenken. Gerade das Mitspracherecht bei der Gestaltung des Schulalltags setzt verantwortliches Handeln und Denken voraus. Damit das Prinzip der Verantwortung funktioniert, ist es wichtig den Kindern Aufgaben in aller Deutlichkeit zu übergeben. Sie können „Ämter“ übernehmen, Arbeitspläne erstellen
2 Siehe 1.1.2, Seite 12
oder im Rahmen einer Klassenversammlung zusammen mit allen Anderen die Ver-antwortlichkeit über das Schulleben tragen (Eichelberger, Filice 2003, S. 19 f.). Dabei entstehen im Laufe der Zeit wahrscheinlich Regeln der Zusammenarbeit auf natürliche Weise. Es sollte darauf geachtet werden das keine Regeln zum Selbstzweck entstehen und nicht vom Lehrer auferlegt werden, ohne dass die Kinder deren Notwendigkeit akzeptiert haben (Paulhiès, Barré 1977, S. 66). Ein weiteres grundlegendes Prinzip der Freinet-Pädagogik ist die Kooperation der Kinder untereinander und miteinander. Dieses Prinzip steht dem oft beobachteten Konkurrenzverhalten der Kinder gegenüber und soll diesem durch seine sozialen Förderungseigenschaften entgegenwirken. Die Kinder erleben die Kooperation ganz besonders bei Tätigkeiten wie z.B. dem Schuldrucken, der Korrespondenz unterein-ander, dem Abhalten des Klassenrates, das Arbeiten in Gruppen oder dem Experimentieren (Eichelberger, Filice 2003, S. 20).
Mit diesen Prinzipien zielt Freinet vor Allem auf eine offene und befreiende Erziehung ab, die sich im Unterricht manifestieren soll. Kinder sitzen also nicht mehr passiv auf den Bänken und warten auf Instruktionen des Lehrers, sondern gehen selbständig in Gruppen zusammen (zu zweit oder mehr) und Arbeiten an Aufgaben, welche sie selbst gewählt haben. Diese Arbeiten können verschiedenartig sein, vom Textdrucken über Mathematiklehrgängen bis hin zu Experimenten oder technischem Handwerk. Durch die freie Arbeitswahl ist die herkömmliche Fächertrennung meist aufgehoben. Die Unterrichtsplanung geht von den Interessen und Bedürfnissen der Kinder aus, was jedoch nicht die Vorgaben des Lehrplans entkräften darf. Die Rolle des Lehrers ist vorwiegend helfend, koordinierend und beratend. Sicherlich kommt man aber auch in der Freinet-Pädagogik nicht immer um das Korrigieren herum. Die Kinder sollen das Gefühl haben, dass der Lehrer stets für sie präsent ist und für jede einzelne Tätigkeit reges Interesse zeigt. Diese Form von Wertschätzung und Anteilnahme des Lehrers ist grundlegend für das Gelingen des Prinzips der selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Arbeit, welche ein zentrales Element der Freinet Pädagogik bildet. Die Arbeitsmittel, die im Unterricht verwendet werden, gehen über Schulbücher hinaus. Schüler arbeiten mit der Druckerpresse, dem Schreibcomputer, der Bibliothek, verschiedenartigen Werkzeugen etc. Sie lernen mit Kopf, Herz und Hand. Der Wahl der Arbeitsmittel ist kaum eine Grenze gesetzt, solange es für die Kinder sinnvoll ist. Zur Strukturierung des Unterrichts dienen Rituale wie die Wochenplanung, Tagesplanung, der Morgenkreis und der Klassenrat. Neben allgemein-
gültigen Prinzipien bietet Freinet eine Fülle von solchen Mitteln, Techniken und Unterrichtselementen, die er in genauer Form darstellt, womit er seine Pädagogik einfach zugänglich, verständlich und durchführbar macht (Eichelberger, Filice 2003, S. 21f.).
Der Klassenrat ist ein wichtiges demokratisches Element in der Freinet-Klasse. Hier lernen die Kinder durch Kommunikation und Kooperation, besonders in Bezug auf ihre sozialen Kompetenzen. Der Klassenrat hat die Aufgabe, die Verantwortung der einzelnen Kinder für die unterschiedlichen Bereiche der Gemeinschaft festzulegen. Aufgaben werden definiert und verteilt und auf deren Durchführung geachtet. Berichte über gelungene oder vernachlässigte Dienste werden zur Sprache gebracht. Aber auch für Probleme anderer Art findet man hier Rat. Für das gemeinschaftliche Zusammenleben werden im Klassenrat Regeln festgelegt und für Konflikte werden gemeinschaftlich Lösungen gesucht. Von den Schülern geleitet, findet er in der Regel ein Mal in der Woche statt. Man hat jedoch die Möglichkeit in besonderen Fällen weitere Sitzungen einzuberufen (Rohrwasser, Vesper 1976, S. 149). Weitere wichtige Funktionen des Klassenrates sind das Beschließen der Unterrichtsplanung, das Erstellen des Wochenplans, die Diskussion der „Klassenratspräsidenten“ und die Festlegung derer Amtszeit (z.B. einen Monat). Der Klassenrat hat einen großen erzieherischen Einfluss auf die Kinder. Sie erfahren, dass Zuhören ein wichtiger Teil des Dialogs ist, dass es nötig ist sich auf das Thema zu beziehen, dass man der Reihe nach zum Wort kommt, dass Fehler einen qualitativen Wert haben, dass die eigene Meinung behutsam vertreten werden kann und dass man auf Minderheiten Rücksicht nehmen soll. Der Lehrer ist im Klassenrat ebenfalls ein Teilnehmer, hilft bei der Organisation und Moderation, hat aber genau wie die Kinder auch nur eine Stimme bei den Abstimmungen. Beschlüsse des Klassenrates sind auch für ihn verbindlich (Eichelberger, Filice 2003, S. 25f.).
Im Gegensatz zum Klassenrat wird der Morgenkreis täglich durchgeführt. Er ist ebenfalls ein fester Bestandteil in den meisten Freinet-Klassen. Hier führen die Schüler freie Gespräche unter der Anleitung eines Kindes, welches vorher bestimmt wird. Hier hat auch der Lehrer die Möglichkeit mehr über das Leben und die Interessen der Kinder zu erfahren, was er sich später wiederum für den Unterricht zu Nutze machen kann. Die freien Gespräche im Morgenkreis sind eine notwendige Grundlage für das Zusammenleben und letztendlich auch für das Erlernen von Regeln. Es können Gefühle, Emotionen und private Angelegenheiten mitgeteilt werden, wofür eine vertrau-
te Atmosphäre zwingend notwendig ist, in welcher sich die Kinder geborgen fühlen. Der Morgenkreis bietet den Kindern die Möglichkeit der emotionalen und intellektuellen Teilnahme am Leben der Mitschüler. Die Schüler bekommen das Gefühl nicht alleine mit ihren Problemen dazustehen. Diese sozial-erzieherischen Effekte können sowohl das schulische als auch das private Gemeinschaftsleben stark beeinflussen (Eichelberger, Filice 2003, S. 26f.).
Viele Aktivitäten in der Freinet-Pädagogik wie z.B. das Schreiben, Malen, Tanzen oder Singen stehen unter dem Prinzip des freien Ausdrucks. Dies schafft Freiheit für individuelle Lerninteressen. Sämtliche Aktivitäten, wie z.B. das Tanzen sind nicht Fächergebunden, sondern können jederzeit in den Unterricht einbezogen werden. Der freie Ausdruck verhilft den Kindern zu wichtigen Selbsterfahrungen. Im gleichen Zusammenhang steht der freie Text. Er beginnt bereits mit dem Malen und Zeichnen, welches die erste schriftliche Ausdrucksform der Kinder ist, in denen sie sich ihrer Umwelt mitteilen. Sie stellen wahrgenommenes dar, drücken Empfindungen in Schrift oder Schriftähnlichem aus und können somit ihren Mitteilungsdrang ausleben. Das Verlangen nach einer kommunikativen Ausdrucksform findet also ein Ventil im freien Text. Diesem kann man eine therapeutische und politische Funktion zuordnen. Hinsichtlich der therapeutischen Funktion lässt sich sagen, dass der freie Text den Kindern durch das Ausdrücken von Erfahrungen oder Problemen helfen kann, Schwierigkeiten zu überwinden und/oder davon Abstand zu nehmen. Wenn Kinder frei von Sorgen sind, können sie sich besser auf ihr eigentliches Leben und die Schule konzentrieren. Der politische Sinn ist, dass die Schüler das Wort haben und frei bestimmen können was sie ausdrücken möchten. (Rohrwasser, Vesper 1976, S. 15). Die freien Texte benötigen keinerlei Korrektur, da die Texte nur ohne jegliche Einengung als frei empfunden werden. Die Aufgabe des Lehrers besteht darin, den Lernprozess zu unterstützen und gegebenenfalls Impulse für Gestaltungsmöglichkeiten und Hilfestellungen zu geben, um so die Vielfalt des schriftlichen Ausdrucks zu fördern. Eine gute Anwendungsmöglichkeit findet man in der Korrespondenz mit Partnerklassen per Brief oder E-Mail, im Gestalten einer Klassenzeitung oder einer Homepage (Eichelberger, Filice 2003, S. 30ff.). Oft wird mit der Freinet-Pädagogik das Schuldrucken in einem Atemzug erwähnt. Sie hat einen besonders hohen Stellenwert in der „modernen Schule“ 3 , was Freinet 1935 dazu veranlasste ein ganzes Buch zu diesem Thema zu veröffentlichen. Er be-
3 DieFreinet Bewegung wurde oftmals als die Bewegung der modernen Schule bezeichnet.
tont, dass durch die Einführung der Klassendruckerei in der Schulklasse ein neues Klima einkehre, welches das Schulleben intensiver mache (Freinet 1995, S.16). Die Druckerei dient der Vervielfältigung von freien Texten, aber auch als Kommunikationsmittel und Hilfe zur Orthographie. Die verfassten Texte werden nach vereinbarter Korrektur gedruckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Von eigenen Texten bis hin zu politischen Flugblättern zur freien Meinungsäußerung kann alles gedruckt werden. Die Kinder lernen so, dass ihr Leben durch eigene Initiative gestaltbar ist und sie hierfür selbst die Verantwortung tragen. So präsentiert die Druckerei die Dimension des politischen Handelns und der Eigenverantwortung, wodurch sie unter Anderem zum Symbol der Freinet Bewegung geworden ist. Sie hat jedoch auch einen großen didaktisch-methodischen Wert beim Erlernen der Schriftsprache und des Lesens. Sie ermöglicht es Buchstaben zu greifen und zu begreifen, sie zu ordnen und zusammenzustellen. So befassen sich die Schüler intensiv mit dem ABC in einem aufwendigen Arbeitsverfahren, in dem die Eigenerfahrung des Kindes eine große Rolle spielt. Das Gefühl, etwas aus eigener Kraft geleistet zu haben, stärkt das Selbstbewusstsein der Kinder. Aber durch das gemeinsame Arbeiten werden auch soziale Kompetenzen geschult. Sie lernen sich untereinander zu arrangieren und erfahren Rücksichtnahme sowie Toleranz. Oftmals wird aus verschiedenen Artikeln zuletzt eine Klassenzeitung erstellt und veröffentlicht. Die Schuldruckerei und das freie Schreiben sind eine gute didaktische Gelegenheit, um den „Kindern das Wort zu geben“ (Eichelberger, Filice 2003, S. 33f.).
Die Klassenzeitung bringt viele Vorteile mit sich. Sie steigert den Wert der selbst verfassten Texte, bietet Sozialisierungsmöglichkeiten und ist ein Mittel des Austausches. Darüber hinaus dient sie der Entmystifizierung von Printmedien und ist letztendlich eine respektable Geldquelle. Die Klassenzeitung spiegelt das Geschehen in der Klasse und in der Umwelt der Kinder wieder. Die Kinder sollen die Verantwortung über veröffentlichte Texte übernehmen. Aber auch ganz wie bei einer „echten“ Zeitung sollte die Qualität des Produktes einwandfrei und die Inhalte für die Leser von Interesse sein (Barré, Beaugrand, 1977, S. 59ff.).
Es sollte ein Anliegen von jeder Freinet-Klasse sein, eine Korrespondenzklasse zu finden, mit der sie Erfahrungen aus ihrer Unterrichts- und Lebenswelt austauschen können. Ideen für gemeinsame Projekte, wie zum Beispiel einer gemeinsamen Zeitung, sind keine Grenzen gesetzt. Ein internationaler und interkultureller Austausch ist von besonders hohem Wert. Kinder können voneinander lernen und sich weiträu-
mig orientieren, was eine weltoffene Sichtweise fördert (Eichelberger, Filice 2003, S. 33f.). Jeder Schüler hat einen eigenen Korrespondenten in der jeweiligen Klasse. Es besteht also die Möglichkeit individuelle oder kollektive Briefe mit der Korrespondenzklasse auszutauschen. Dies hat den Vorteil, dass auch ungenutzte Texte noch eine sinnvolle Verwendung finden (Henning 1976, S. 16). Wenn Kinder die Möglichkeit haben Lerninteressen persönlich zu gestalten, ist es ratsam eine Dokumentation über durchgeführte Schülerarbeiten zu führen, was in der Freinet-Pädagogik häufig in Form von Klassentagebüchern geschieht. Diese verschaffen einen Überblick über vergangene Lerninhalte und fördern die Selbstorganisation und das kontinuierliche Lerngeschehen in der Klasse (Eichelberger, Filice 2003, S. 33f.).
Für Freinet ist nicht das Wissen an sich wichtig, sondern vielmehr der Weg der zum Wissen führt. Er spricht oftmals vom forschenden und entdeckenden Lernen, welches direkt aus dem Prinzip der eigenständigen Unterrichtsplanung und des freien Ausdrucks entsprießt. Um ein solches Lernen zu ermöglichen, ist es notwendig den Unterricht in die Natur oder außerschulische Einrichtungen zu verlegen. Hier können Erkundungen durchgeführt und später deren Ergebnisse dokumentiert und verwendet werden, zum Beispiel in der Klassenzeitung. Des Weiteren bedarf es für das entdeckende Lernen einer Anpassung in der Klasse. Freinet hat aus diesem Grund die Klasse in Ateliers, in Arbeitsräume, eingeteilt (Eichelberger, Filice 2003, S. 35). Die praktische Arbeit in den erwähnten Ateliers hat in der Freinet-Pädagogik einen hohen Stellenwert. Sie dienen den verschiedensten individuelle Tätigkeiten, Rollenspiele, aber auch dem Experimentieren und dem Umgang mit technischen Medien. Ein festes Atelier in der Freinet-Klasse ist häufig ein Lesebereich, bestehend aus einer Dokumentensammlung und einer Bibliothek (Jörg 1995, S. 25f.). Nachdem ein grober Einblick in die Entstehungsgeschichte und methodischdidaktische Konzeption der Freinet-Pädagogik gegeben wurde, gilt es nun den zweiten Teilbereich des Themas in den Mittelpunkt der Betrachtungen zu stellen. Im Folgenden sollen grundlegende Ideen, Inhalte und Ziele der Mediendidaktik in allgemeiner Form dargestellt werden.
1.2 „Moderne Mediendidaktik“ und „Moderne Medienerziehung“ als medienpädagogische Disziplinen
1.2.1 Begriffsbestimmung
„Mediendidaktik“ ist ein in der Literatur häufig verwendeter Begriff. Das Anliegen der Mediendidaktik ist die geplante, gezielte und reflektierte Verwendung von nichtpersonalen Medien (z.B. die Tafel, Lehrbücher oder Computer) zu pädagogischen Zielen und Zwecken (Hoffmann 2003, S. 346). Das Feld der nicht-personalen Medien ist groß und soll im Rahmen dieser Arbeit eingegrenzt werden. Im weiteren Verlauf der Betrachtungen sollen lediglich die Neuen Medien im engeren Blickfeld stehen. Aber auch diese gilt es genau einzukreisen. Den Begriff “Neue Medien“ verwendet man bereits seit dem Beginn der 70er Jahre für Kommunikationsmittel und Verfahren der Informationsübertragung und -speicherung, die durch die Entwicklung neuer Technologien entstanden sind. Von daher werden auch in die Jahre gekommenen Medien, welche schon längst in den Unterrichtsalltag integriert sind, in der Literatur zu den „neuen“ Medien gezählt, wie z.B. der Fernseher und der Videorekorder. Es ist fragwürdig, ob die Bezeichnung „neu“ hier noch gerechtfertigt ist. Gerade der Videorekorder ist inzwischen fast ganz vom Markt verdrängt und im Begriff von moderner DVD-Technologie ersetzt zu werden. Medien des „mittleren Alters“ sollen hier nicht weiter thematisiert werden, da es hierzu bereits einen reichhaltigen literarischen Fundus gibt. Als Neue Medien 4 sollen im Verlauf dieser Arbeit nur jene bezeichnet werden, die tatsächlich eine gewisse Aktualität in ihrem Lebensalter, technischen Standards und/oder gesellschaftlicher Verwendung aufweisen. Mit den Begriffen Computer, Internet, Webserver, CD/DVD, MP3-Player, Lern- und Kreativsoftware, Digitalkamera/Digitale Camcorder, Beamer und interaktive Präsentationssoftware (z.B. PowerPoint) sind die wichtigsten davon genannt. Auch sämtliche multimediale Angebote sollen dazu gezählt werden. Um Missverständnisse zu vermeiden, soll die Bezeichnung des zugehörigen wissenschaftlichen Bereiches dieser Definition von Neuen Medien angepasst werden. Es bietet sich in diesem Sinn an „Mediendidaktik“ fortan als „Moderne Mediendidaktik“ zu bezeichnen, da sie sich ausschließlich auf Medien mit einer gewissen Modernität fokussiert. Im Gegensatz zur Freinet-Pädagogik hat die „Moderne Mediendidaktik“ als eine pädagogische Form keinen revolutionären Kerngedanken oder einschlägige Reform-
4 Sieheauch S. 43 „Alte Medien versus Neue Medien“
absichten des Bildungswesens. Natürlich geht es auch hier um Veränderung und Neuerung, doch wird dies vielmehr in einem ergänzendem Rahmen gesehen. „Moderne Mediendidaktik“ ist als eine Teildisziplin der Medienpädagogik anzusehen, die sich wiederum der allgemeinen pädagogischen Wissenschaft unterordnet. Sie ist ein Teil eines Ganzen, da sie von allgemeindidaktischen Theorien, gesellschaftlichen/bildungspolitischen Vorgaben und Erkenntnissen aus anderen Wissenschaften bzw. Nachbardisziplinen (z.B. Medienkunde, Medienforschung) beeinflusst wird. Die Funktionen und Wirkungen von Neuen Medien in Lehr- und Lernprozessen sind der zentrale Ausgangspunkt dieses wissenschaftlichen Bereiches. Ihre Intention als Frage formuliert könnte lauten: „Wie kann sich Pädagogik Neue Medien zunutze machen?“ und nicht etwa „Wie können Neue Medien die Allgemeinpädagogik grundlegend verändern?“ (Kron, Sofos 2003 S. 47f.).
Während es die Aufgabe der „Modernen Mediendidaktik“ ist, Neue Medien für eigene pädagogische Ziele zu benutzen, sind in der „Medienerziehung“ Neue Medien an sich das angestrebte Ziel. Der Blick ist darauf gerichtet Heranwachsende zu einem bewussten, kritischen und reflektierten Umgang mit Neuen Medien zu erziehen. Medienerziehung ist daher auch ein sehr praxisbezogenes Gebiet. Deshalb ist es sinnvoll, die beschriebene Definition der Medienerziehung der Begrifflichkeit der Neuen Medien anzupassen, indem man sie als „Moderne Medienerziehung“ bezeichnet. In dieser medienpädagogischen Disziplin kommen sowohl Erkenntnisse aus Forschung und Theorie, als auch gesellschaftliche, politische und Organisatorische Faktoren zum tragen. Diese werden dann im Blickwinkel von Handlungsnormen, beispielsweise in der Form von Zielen, Methoden, Medienauswahl oder Medienkontrolle gesehen. Im Vergleich beider Bereiche kann man feststellen, dass „Moderne Mediendidaktik“ versucht Lernziele durch Neue Medien zu erreichen, während „Moderne Medienerziehung“ nach Lernzielen für Neue Medien sucht (Kron, Sofos 2003 S. 47f., Tulodziecki 1997a, S.30). Oft wird das tatsächliche praktische Handeln mit Medien im Unterricht weiteren Begriffen, der „medienpädagogischen Arbeit“ oder der „Medienpraxis“ zugeordnet. Somit wären beide Bereiche als reine Theoriedisziplinen deklariert. Da in der Fragestellung dieser Arbeit Theorie und Praxis eng mit-einander verbunden sind, soll praxisbezogenes Medienhandeln im weitern Verlauf als ein Bestandteil der „Modernen Mediendidaktik/Medienerziehung“ gesehen und nicht weiter unterschieden werden (Sacher 2000, S. 14, Tulodziecki 1997b, S. 45).
Schlagworte:
lit_2006-buch, Examensarbeit_allgemeine_Pädagogik
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title: Der aktuelle Bildungsdiskurs im Spiegel der Reggio-Pädagogik by Kempmann, Ann-Kathrin |
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Titel: | Der aktuelle Bildungsdiskurs im Spiegel der Reggio-Pädagogik |
Autor: | Kempmann, Ann-Kathrin | Sprache: | deutsch |
Quelle: | München, Grin | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | DD.MM.2017 | | |
url: | https://www.grin.com/document/432691 |
Text:
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Frühkindliche Bildung
2.1 Das Trias Erziehung – Bildung – Betreuung
2.2 Der Bildungsauftrag in der Frühpädagogik
2.3 Frühe Kindheit
2.4 Frühkindliche Bildungsforschung in Deutschland
2.5 Bildungspläne der Bundesländer
3. Die Kindertagesbetreuung in Deutschland
3.1 Die Kindertagesstätte als institutionelle Betreuungsform
3.2 Die Kindertagespflege als private Betreuungsform
4. Reggio-Pädagogik
4.1 Die konzeptionelle Entwicklung der Reggio-Pädagogik
4.2 Die Biografie von Loris Malaguzzi
4.3 Das Menschenbild der Reggio-Pädagogik
4.3.1 Das Bild vom Kind
4.3.2 Die Rolle Erwachsener: Eltern und Erzieher
4.4 Besonderheiten und Grundsätze der Reggio-Pädagogik
4.4.1 Die Bedeutung von Identität und Gemeinschaft
4.4.2 Die Vorstellung von Bildung und Lernen
4.4.3 Die Bedeutung von Projekten
4.4.4 Beobachtung und Dokumentation
4.4.5 Der Raum als dritter Erzieher
4.5 Kritik an der Reggio-Pädagogik
5. Vergleich des Bildungsverständnisses des frühkindlichen Bildungs-diskurses mit dem Bildungsverständnis im Konzept der Reggio- Pädagogik
6. Resümee
7. Anhang
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Das Thema Bildung hat seit der Aufklärung in allen historischen Epochen zu kontroversen Diskussionen geführt. Immer wieder wurden Bildungsreformen gefordert und Änderungen eingeleitet (...) Die aktuelle Bildungsdebatte in Deutschland wird von den Ergebnissen der PISA-Studie angestoßen“ (Thesing 2004, S. 13).
Die Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse 2001 hat bis heute erheblichen Einfluss auf den frühkindlichen Bildungsdiskurs, der in der vorliegenden Arbeit thematisiert wird. Die Ursache für das schlechte Abschneiden in der PISA-Studie wurde nicht ausschließlich in der Schule gesucht, sondern ebenso im vorschulischen Bereich. Es wurden vielfältige Vorschläge zur Reform der Kindertageseinrichtungen unterbreitet. Unter anderem wurde ein früherer Schuleintritt, eine stärkere schulische Ausrichtung des Kindergartens[1], der Ausbau der Angebote für unter 3-Jährige, eine gesonderte Sprachförderung für Kinder mit Migrationshintergrund und der Ausbau der Ganztagesbetreuung gefordert (vgl. Otto / Rauschenbach 2008, S. 14; Fthenakis 2003, S. 13). Die PISA-Studie war einer der zentralen Auslöser dafür, dass die frühkindliche Bildungsdebatte so intensiv in Medien, Wissenschaft und Politik diskutiert wurde. Es ist darauf hinzuweisen, dass die PISA-Studie zwar die Defizite der 15-jährigen Schüler[2] feststellt, jedoch gibt es keinen Beleg dafür, dass diese in irgendeinem Zusammenhang mit der frühen Kindheit stehen (vgl. ebd., S. 14; ebd., S. 13). Umso erstaunlicher ist es, dass die damals vorgebrachten politischen Forderungen genau auf diesen Bereich abzielen. 2004 reagierten die Bundesländer mit der Veröffentlichung ihrer Bildungspläne auf die frühkindliche Bildungsdebatte[3] (vgl. Textor 2016). Diese werden unter anderem in dieser Abschlussarbeit hinsichtlich der Bildungsverständnisse sowie der Vorstellung vom Kind thematisiert.
Die vorliegende Arbeit thematisiert den frühkindlichen Bildungsdiskurs in der institutionellen Kindertagesbetreuung. Die an diesen Diskurs herangetragenen Forderungen und Vorstellungen von Bildung werden mit dem Bildungsverständnis des pädagogischen Konzeptes der Reggio-Pädagogik verglichen. Schaut man sich die pädagogischen Konzepte der institutionellen Kindertagesbetreuung in Luxemburg an, dann wird deutlich, dass die großen Maison Relais-Trägerorganisationen Arcus, Elisabeth und Caritas Jeunes & Familles mit ihrer Konzeption auf die inhaltlichen Bestandteile der Reggio-Pädagogik zurückgreifen. Das pädagogische Welt-Atelier-Konzept wurde aus der Reggio-Pädagogik abgeleitet und beinhaltet das Bild vom kompetenten Kind sowie das Bildungsverständnis der Reggio-Pädagogik. Maison Relais existieren seit dem Jahr 2005 und ergänzen als außerschulisches Betreuungsangebot das Bildungssystem in Luxemburg[4] (vgl. Horn et al. 2011, S. 5 ff.). Durch meine Arbeit als Educatrice graduée an einer Maison Relais in Luxemburg hat sich das Interesse an der frühkindlichen Bildung sowie an der Reggio-Pädagogik intensiviert. Die vorliegende rein literaturgestützte Masterarbeit vereint beide Themen, behandelt jedoch gezielt die frühkindliche Bildungsdebatte in Deutschland. Die an diesen Diskurs herangetragenen Forderungen sowie Vorstellungen vom Bildungsverständnis werden mit der Vorstellung von Bildung in der Reggio-Pädagogik in Kapitel 5 bezugnehmend auf die Forschungsfrage: „Welche wichtigen Bildungsaspekte werden in der Reggio-Pädagogik benannt, die im aktuellen Bildungsdiskurs nicht oder nur am Rande auftauchen?“ verglichen.
Dazu wird im ersten thematischen Kapitel der frühkindliche Bildungsdiskurs thematisiert. Es wird unter anderem auf das Trias Erziehung, Bildung und Betreuung sowie auf den Bildungsauftrag in der Frühpädagogik eingegangen. Danach wird die frühe Kindheit thematisch behandelt. Anschließend wird der derzeitige Stand der frühkindlichen Bildungsforschung aufgezeigt, um sodann mit den Bildungsplänen der Bundesländer fortzufahren. Kapitel 3 legt die Rahmenbedingungen der Kindertagesbetreuung in Deutschland dar, die neben der Kindertagesstätte als institutionelle Betreuungsform, auch die Kindertagespflege beinhaltet. Im Anschluss daran thematisiert Kapitel 4 ausführlich die Reggio-Pädagogik. Es wird die konzeptionelle Entwicklung beschrieben sowie die Besonderheiten der Reggio-Pädagogik aufgeführt. Des Weiteren werden wichtige Grundsätze, das Bild vom Kind und die Vorstellung von Bildung und Lernen dargelegt. Darüber hinaus werden die Rollen der Erzieher und die der Eltern in Bezug zum Kind untersucht. Kapitel 5 vergleicht die Bildungsverständnisse des frühkindlichen Bildungsdiskurses mit dem Bildungsverständnis im Konzept der Reggio-Pädagogik. Die Arbeit wird durch ein Resümee abgerundet.
2. Frühkindliche Bildung
Die länderübergreifenden Schulleistungsstudien wie TIMMS (Trends in International Mathematics and Science Study) und PISA (Programme for International Student Assessment) haben dazu geführt, dass viele Länder ihre Bildungssysteme neu überprüft und reguliert haben. In diesem Zusammenhang und im Zuge von neuen Forschungserkenntnissen aus den Neurowissenschaften sowie Bereichen der Psychologie wird die frühe Kindheit als bedeutsame Phase der individuellen Bildung begriffen und als erster Schritt im lebenslangen Lernen angesehen (vgl. Stamm 2010, S. 11). Die Autorin Stamm betont, dass diese Entwicklung die Pädagogik unvorbereitet trifft und dass die frühe Kindheit ein vernachlässigtes Thema darstelle. Es gibt ihrer Meinung nach nur wenige Antworten darauf, was frühkindliche Bildung ist, in welchem Zusammenhang sie mit der Betreuung und Erziehung stehe und was sie beinhalte bzw. wozu sie dient (vgl. ebd.). Schäfer kritisiert, dass „(...) in der gegenwärtigen Debatte um frühkindliche Bildung wahllos alles als Bildung bezeichnet wird – gleichgültig ob es sich um eine spezifische Förderung (zum Beispiel der Muttersprache) handelt, um eine Technik, die Kinder beherrschen sollten (vielleicht den Umgang mit Computern), um soziales Einfühlungsvermögen oder ‚Kompetenzen’ in einem Lernbereich“ (Schäfer 2011a, S. 29).
Die Bedeutung der frühkindlichen Bildung lässt sich zudem nur indirekt aus der PISA-Studie ableiten, dadurch, dass diese sich auf den Leistungsstand von Schülern bezieht. Weigl geht auf den Aspekt ein, dass die PISA-Studie zwar zu der Ansicht führe, dass Bildungsprozesse bei Kindern bereits vor Schuleintritt gefördert werden sollten, dennoch fehle der konkrete Zusammenhang zur frühkindlichen Bildung (vgl. Weigl 2010, S. 1). Die Autoren Otto und Rauschenbach bestätigen ebenso, dass bei der PISA-Studie hinsichtlich der schulischen Leistung kein Zusammenhang zum vorschulischen Bereich festgestellt wurde (vgl. Otto / Rauschenbach 2008, S. 14). Fthenakis betont, dass die PISA-Studie eine Reflexion der Pädagogik der frühen Kindheit erforderlich mache. Dennoch kritisiert er vorschnelle bildungspolitische Maßnahmen, die zum Beispiel eine frühe Einschulung sowie den verstärkten Deutschunterricht vor dem Übergang in die Grundschule als Reaktion auf die PISA-Studie fordern (vgl. Fthenakis 2003, S. 13). Der Autor Weigl kritisiert, dass in bildungspolitischer Hinsicht der Eindruck entstehe, die Schuld für das Versagen des Schulbetriebs bei der Frühpädagogik zu suchen (vgl. Weigl 2010, S. 2). Das ist insofern problematisch, weil sich als Konsequenz hieraus ergeben würde, dass schulisches Lernen bereits im Kindergarten, in Kindertagesstätten und ähnlichen Betreuungssettings durchgeführt werden müsse. Der Autor Schäfer positioniert sich für eine frühkindliche Pädagogik, die eine Kultur des Lernens gestaltet. Er führt aus: „(...) Bildungsprozesse können nur da dauerhaft initiiert und gesichert werden, wo die Aktivität des Kindes durch soziale Bedingungen getragen und unterstützt, durch sachliche Anregungen herausgefordert und durch strukturelle Bedingungen dauerhaft gesichert wird“ (Schäfer 2011b, S. 11). Die Grundlage dieser Kultur besteht nach Schäfer in der Beteiligung des Kindes an den dargebotenen Möglichkeiten, die von der Pädagogik aus geschaffen werden sollten (vgl. ebd.).
In der Fachliteratur stehen sich laut Gisbert grundsätzlich zwei unterschiedliche Anschauungen frühkindlicher Bildung gegenüber:
1. „Bildung richtet sich (...) auf Aspekte wie Motivation und Interesse oder ganz allgemein auf eine positive Lerndisposition.“
2. Bildung richtet sich auf die „(...) gezielte Vorbereitung auf die Schule (...) der Erwerb schulbezogener Kompetenzen (ist) das erklärte Ziel“ (Gisbert 2003, S. 87).
Carle und Wenzel nennen ebenfalls die zwei Anschauungen, die den frühkindlichen Bildungsdiskurs kennzeichnen. Die vorschulische Bildung, in anderen Worten frühkindliche Bildung, beinhaltet zum Einen das Verständnis der schulvorbereitenden Funktion der Kindertageseinrichtungen. Andererseits betonen gerade die Kindertagesstätten als Ort frühkindlicher Bildung in ihrem Selbstverständnis den eigenen Bildungsbeitrag unabhängig von schulischen Kriterien (vgl. Carle / Wenzel 2007, S. 186). Die Autoren Sieber und Wittmann unterscheiden zwischen Bildung als Selbstbildung und Bildung als instrumentellen Kompetenzerwerb. Die instrumentelle Bildung ist ihrer Meinung nach ein Prozess „(...) durch den Menschen personale (Schlüssel-)Qualifikationen und eine deutliche Orientierung an der Arbeits- und Berufswelt erhalten“ (Siebel / Wittmann 2014, S. 39). Die Lerninhalte sind bei diesem Bildungsverständnis in Lehrplänen festgeschrieben und werden mittels didaktischer Methoden vom Lehrpersonal gestaltet und dokumentiert, in anderen Worten benotet (vgl. ebd.). Unter selbstreferentieller Bildung verstehen die Autoren die Bildung als „(...) Prozess der Entwicklung von Fähigkeiten, die es einem Menschen erlauben zu lernen, sein eigenes Leistungspotenzial zu entwickeln, eigenständig und –verantwortlich zu handeln, Probleme zu lösen und Beziehungen einzugehen“ (ebd.). Hierbei geht es nicht darum festgelegtes Wissen vermittelt zu bekommen, sondern vielfältige Kompetenzen zu entwickeln. Als Kompetenzen nennen die Autoren:
- Personale Kompetenz: Entwicklung der Identität
- Soziale Kompetenz: Entwicklung der Beziehungsfähigkeit
- Lernmethodische Kompetenz: das Lernen lernen
- Inhaltliche Kompetenz: Aufnahme von Basiswissen, damit sind grundlegende Zusammenhänge gemeint
- Orientierungskompetenz: Unterscheiden, bewerten und entscheiden können (vgl. ebd., S. 38 f.).
Der Autor Weigl spricht sich dafür aus, das bisherige Bildungsverständnis zu erweitern. Es geht darum alle Lern- und Bildungsprozesse in den Vordergrund zu rücken unabhängig von Bildungsinstanzen und vorgegebenen Lehrplänen. Er kritisiert, dass es immer wieder zu Vermischungen von schulischer Problematik und frühpädagogischen Ansätzen in der Bildungsdebatte kommt. Es ist somit durchaus ratsam, die frühkindliche Bildung und die schulische Bildung voneinander zu differenzieren und sich die Unterschiede bewusst zu machen (vgl. Weigl 2010, S. 3 f.).
Bisher wurde die Entwicklung des frühkindlichen Bildungsdiskurses ausgehend von der Veröffentlichung schulischer Bildungsstudien beschrieben. Es handelt sich hierbei um den Ausgangspunkt dieser Arbeit. Obwohl es sich um schulische Bildungsstudien handelt, wirkte sich die Veröffentlichung der Studie auch auf den vorschulischen Bereich aus und ihre Institutionen aus. Dies führte unter anderem zu unterschiedlichen Auffassungen von Bildung. In der nachfolgenden Darstellung des frühkindlichen Bildungsdiskurses werden bestimmte, für die Ausarbeitung relevante thematische Schwerpunkte gewählt, da die Tragweite des Diskurses zu groß ist und infolgedessen im Rahmen dieser Masterarbeit nicht umzusetzen wäre. Der frühkindliche Bildungsdiskurs wird dabei hinsichtlich seiner Auffassungen von Bildung untersucht. Das erste Unterkapitel beschäftigt sich zunächst mit dem Trias Erziehung, Bildung und Betreuung, welches insbesondere den rechtlichen Förderungsauftrag widerspiegelt. Verschiedene Positionen werden zu dem Trias dargelegt, um aufzuzeigen, wie die drei Begriffe zueinanderstehen und was darunter verstanden werden kann. Danach werden die Entwicklungen in Deutschland aufgezeigt, die zu dem offiziellen Bildungsauftrag in der Frühpädagogik geführt haben. Schließlich wird die frühe Kindheit dargelegt, die Vorstellung des Kindes, die in direkter Verbindung zu der pädagogischen Haltung des Erziehers steht und dementsprechend Einfluss auf die Bildungsprozesse des Kindes nimmt, hinsichtlich selbstinitiierter bzw. fremdinitiierter Lernprozesse. Im Anschluss daran wird die frühkindliche Bildungsforschung und ihre Entwicklung in Deutschland prägnant wiedergegeben, da die Forschungsergebnisse zu dem „neuen“ Bild vom Kind beigetragen haben und dementsprechend relevant für die vorliegende Masterarbeit sind. Der Zusammenhang zwischen den Forschungsergebnissen und diesem Diskurs wird aufgezeigt. Daran anschließend werden die Bildungspläne der Bundesländer thematisiert bezugnehmend auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Hierzu wird in erster Linie Sekundärliteratur herangezogen, die sich auf verschiedene Analysen unterschiedlicher Autoren bezieht.
2.1 Das Trias Erziehung – Bildung - Betreuung
„Kindertagesstätten hatten schon immer einen offiziellen Bildungsauftrag, allerdings verbunden mit Erziehung und Betreuung, wobei in der Diskussion der vergangenen Jahre vielfach die Betreuung und speziell die erweiterten und flexiblen Öffnungszeiten mehr Gewicht hatten als die Intention Bildung“ (Thesing 2004, S. 45).
Thesing geht in seinem Zitat auf den festgeschriebenen Förderauftrag der Kindertagesbetreuung in Deutschland ein und kritisiert zugleich, dass die Betreuung bisher im Vordergrund stand. Der § 22 SGB VIII beinhaltet für Tageseinrichtungen und Kindertagespflege in gleichermaßen einen Förderungsauftrag:
„(3) Der Förderungsauftrag umfasst Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes. Er schließt die Vermittlung orientierender Werte und Regeln ein. Die Förderung soll sich am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethnische Herkunft berücksichtigen“ (§ 22 SGB VIII Absatz 3).
Es gibt eine große Anzahl verschiedener Sichtweisen über den Bedeutungsgehalt des Bildungsbegriffs. Der Autor Fichtner empfiehlt, „(...) dass der Begriff nur aus gesellschaftlichen Zusammenhängen der jeweiligen Zeit heraus zu verstehen ist und seine Deutung darüber hinaus vom subjektiven Standpunkt des Benutzers abhängt“ (Fichtner 2007, S. 23). Allgemein wird unter dem Bildungsbegriff der Erwerb von Wissen und Kenntnissen verstanden. Fichtner betont allerdings, dass Bildung vielmehr ein umfassender Prozess der Selbstbildung jedes einzelnen Menschen sei. Der Begriff dürfe nicht ausschließlich auf schulisches Wissen und gesellschaftliche Verwertung reduziert werden (vgl. ebd., S. 24 f.). Der zwölfte Kinder- und Jugendbericht unterstützt diese Auffassung: „Bildung ist mehr als das, was Institutionen bei jenen hervorbringen, die sie besuchen, ist mehr als ein messbares Ergebnis an abfragbaren Wissensbeständen. Bildung ist ein offener und unabschließbarer Prozess, der von den Menschen selbst gestaltet wird[5] “ (BMFSFJ 2005, S. 103). Betreuung und Erziehung werden hierbei als Bedingungen von Bildung angesehen. Der Bericht geht darauf ein, dass eine eindeutige Abgrenzung der Begriffe schlichtweg nicht möglich ist. Bei den Begriffen Erziehung und Bildung handelt es sich um Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft, hingegen wird Betreuung als abgeleiteter Begriff gesehen. Betreuung beinhaltet jedoch Funktionen, die für Erziehungs- und Bildungsprozesse unabdingbar sind (vgl. ebd., S. 105 f.). Berg-Winkels differenziert das Trias wie folgt, unter Bildung versteht sie die „(...) aktive Aneignung der Welt, der Kultur und der Natur von Geburt an. Erziehung beschreibt die Gesamtheit der Verhaltensweisen und Aktivitäten von Erwachsenen im verantwortlichen Umgang mit Kindern. Unter Betreuung versteht man die umfassende Sorge für das leibliche und seelische Wohlbefinden der Kinder“ (Berg-Winkels 2010, S. 25).
Schäfer unterscheidet den Erziehungs- von dem Bildungsbegriff folgendermaßen: „Während unter Erziehung die Reaktionen einer Gesellschaft auf die Entwicklungstatsache verstanden wird, rückt der Bildungsbegriff eher das eigenwillige und selbständige Handeln des Individuums bei seinen Lernprozessen in den Mittelpunkt sowie deren Beziehungen zu einem übergreifenden soziokulturellen Zusammenhang“ (vgl. Schäfer 2014, S. 13). Fichtner sieht in der Erziehung ein „(...) absichtsvolles Einwirken des Erwachsenen auf den Entwicklungsprozess und damit eben auch auf Bildungsprozesse des Kindes“ (Fichtner 2007, S. 29). Bildung als Aneignung betont hingegen die eigenständige Tätigkeit des Kindes. Die Erziehung hat das Ziel, diese Aneignungsprozesse zu unterstützen bzw. zu ermöglichen (vgl. ebd.). Thesing beschreibt Erziehung und Selbstbildung des Kindes ebenfalls als Dialog: „Erziehung vermittelt zwischen dem kulturellen Anliegen und den Selbstbildungsaktivitäten des Kindes. Sie kann nicht verstanden werden als ein einseitiges Durchsetzen von erzieherischen Intentionen. Somit sind Erziehung und Selbstbildung kein Widerspruch, sondern bedingen sich gegenseitig“ (Thesing 2004, S. 54). Liegles Bildungsverständnis kommt dem von Thesing sehr nah. Liegle definiert die Erziehung als Aufforderung zur Bildung: „Bildung als Aneignungstätigkeit hätte keinen Gegenstand und keine Entfaltungschancen ohne die unterstützende und stimulierende Vermittlung von Seiten der Umwelt; Erziehung als vermittelnde Tätigkeit müsste ins Leere laufen, könnte sie nicht auf die Aneignungsfähigkeit und Aneignungsbereitschaft der Kinder setzen“ (Liegle 2008, S. 99). Erziehung und Bildung sind seiner Meinung nach komplementär und beinhalten eine Relation von vermittelnder und aneignender Tätigkeit (vgl. ebd., S. 99 f.).
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass es bis heute keine einheitliche Definition des Bildungsbegriffs gibt. Graichen konstatiert:
„Der Bildungsbegriff ist der Begriff in der deutschen Pädagogik, dem im Laufe der Zeit häufig mehr unterschiedliche Bedeutungen und Inhalte zugeschrieben wurden als irgend einem anderen Fachausdruck. Das heißt, es existiert keine einheitliche Definition darüber, was Bildung ist, und dies macht den Bildungsbegriff zu einem der ungenauesten Termini in der Pädagogik“ (Graichen 2002, S. 16).
Bildung ist und bleibt ein unklarer Begriff, der seit dem Erscheinen der PISA-Studie zu einem öffentlichen Begriff geworden ist, „(...) mit dem unterschiedliche Deutungen, Forderungen und Hoffnungen verbunden werden“ (Fichtner 2007, S. 26). Bevor der Bildungsauftrag der frühen Kindheit im nachfolgenden Kapitel thematisiert wird, sollen vorab noch einige Perspektiven der Bildung dargelegt werden. Harring et al. beschreiben die Entwicklung, dass „(...) im Mainstream der Bildungsdiskussion ein Einvernehmen darin zu erkennen [ist], dass Bildung keineswegs nur etwas darstellt, das ausschließlich in der Schule stattfindet. Dies ist dahingehend als eine neue Perspektive zu verstehen, da die bisherige auf Kinder und Jugendliche bezogene empirische Bildungsforschung vornehmlich von der Schulforschung geprägt war“ (Harring et al. 2007, S. 8). In der heutigen Bildungsdebatte hat die Institution Schule nach wie vor eine dominierende Stellung, dennoch widmet sich die Bildungsforschung nun zunehmend den Lernprozessen in außerschulischen Kontexten (vgl. ebd.). Verschiedene Arbeiten haben zur Diskussion von verschiedenen Bildungsorten geführt und darüber hinaus zu einer Ausweitung des Bildungsbegriffs (vgl. Furtner-Kallmünzer et al. 2002, Dohmen 2001, BMFSFJ 2005, Otto / Rauschenbach 2004, Rauschenbach / Düx / Sass 2006, Tully 2006). Die Orte, an denen Bildungsprozesse stattfinden, gliedern sich nun in drei Bereiche:
- Formelle Bildung
- Nicht-formelle Bildung
- Informelle Bildung (Harring et al. 2007, S. 8).
Unter formaler Bildung versteht man Lernprozesse, die in eigens dafür errichteten Institutionen erfolgen, d.h. Schule, Ausbildung und Hochschule sind Orte formalen Lernens (vgl. BMFSFJ 2005, S. 127). Formales Lernen ist zielgerichtet und mit einer bestimmten formalen Qualifizierung bzw. Zertifizierung verbunden (vgl Overwien 2006, S. 46). Die Schule als Ort formaler Bildung weist aufgrund ihres streng reglementierten Organisationscharakters und hinsichtlich der Selektionsgewalt einen hohen Grad an Formalisierung auf (vgl. BMFSFJ 2005, S. 128). Nicht-formelle Bildungsorte sind zwar durch eine klare institutionelle Strukturiertheit und Rechtslage gekennzeichnet, sie stellen jedoch eine andere Form von Lerngelegenheiten bereit. Die Lernprozesse zeichnen sich durch eine offene Angebotslage und freiwillige Nutzung bzw. Inanspruchnahme aus. Im Fokus stehen hier die Vermittlung von sozialen und personalen Kompetenzen sowie die Förderung und Beteiligung an politischen und gesellschaftlichen Prozessen. Die Bildungsziele dieser Einrichtungen sind nicht streng festgeschrieben und die erworbenen Kompetenzen werden auch nicht zertifiziert (vgl. Rauschenbach et al. 2004, S. 32 f.; Harring et al. 2007, S. 9). Harring et al. erläutert: „Vor allem die Kinder- und Jugendhilfe sowie die Institutionen der vorschulischen Bildung können nach diesem Verständnis als Orte der nicht-formalen Bildung gesehen werden“ (Harring et al. 2007, S. 9). Unter informeller Bildung versteht Dohmen alle bewussten als auch unbewussten Lernprozesse, die abseits von organisierten, strukturierten und kontrollierten Lernarrangements fernab von öffentlichen Bildungsinstitutionen stattfinden (vgl. Dohmen 2001, S. 18 ff.). Das situative Lernen, welches ungeplant stattfindet und beiläufig, vielleicht auch unbemerkt geschieht, steht hier im Vordergrund. Familie, Peer Group sowie die Medien sind klassische informelle Bildungsorte (vgl. ebd., Harring et al. 2007 S. 9; Rauschenbach et al. 2006, S. 7). Rauschenbach et al. sieht die Orte des informellen Lernens als Voraussetzung und zugleich Fortsetzung formeller und nicht-formeller Bildungsprozesse (vgl. Rauschenbach et al. 2006, S. 7).
Das nächste Kapitel widmet sich nun dem Bildungsauftrag der frühen Kindheit. Es werden unter anderem die Entwicklungen in Deutschland aufgezeigt, die zu dem Bildungsauftrag in der Frühpädagogik geführt haben.
2.2 Der Bildungsauftrag in der Frühpädagogik
Es wird fortwährend darüber diskutiert, inwieweit Kindertageseinrichtungen als erste Stufe des Bildungswesens gesehen werden können. Laut Liegle kann die Geschichte der Frühpädagogik in Deutschland als „(...) eine Geschichte der Trennung zwischen (‚sozialpädagogisch’ orientiertem) Kindergarten und Schule“ aufgefasst werden (Liegle 2008, S. 86). Was hat sich in der Zwischenzeit getan? Wie hat sich diese Auffassung geändert? Die damalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan erläutert: „Lange Zeit herrschte die Auffassung vor, Bildung beginne in der Schule, der Kindergarten sei zum Spielen da. Das hat sich geändert. Heute verstehen wir den Kindergarten als Lernort, alle Bundesländer haben entsprechende Bildungspläne erlassen. Deshalb ist es sinnvoll, dass beide Einrichtungen sich stärker abstimmen“ (Schavan 2007, S. 35). Die Perspektive auf die institutionelle Kindertagesbetreuung hat sich somit geändert. Die Kindertagesstätte wird nun als Ort der Bildung aufgefasst. Liegle geht des Weiteren auf den Aspekt ein, dass Spielen und Lernen gar kein Widerspruch in sich ist (vgl. Liegle 2008, S. 87). Der Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für die baden-württembergischen Kindergärten enthält sogar ein eigenes Kapitel zum Thema Spielen und Lernen. Es wird dargelegt, dass Spielen und Lernen für Kinder ein und dasselbe ist und trotzdem viele Erwachsene hierin einen Widerspruch sehen:
„Im Spiel verwirklichen sich sowohl die allgemein menschlichen Lerngrundsätze wie auch die spezifischen Bedingungen des kindlichen Lernens auf ideale Weise (...) Ist es wirklich so, dass im Kindergarten nicht gelernt wird, dass das Spielen mit der Kindergartenzeit aufhört, dass in der Schule kein Platz fürs Spielen ist, dass Spielen und Lernen Gegensätze sind? Spielen ist die dem Kind eigene Art, sich mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen, sie zu erforschen, zu begreifen, zu ‚erobern’ (...) Spiel, Lernen und Entwicklung sind also untrennbar verbunden[6] “ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport 2011).
Nach dem Verständnis des Orientierungsplans kann es keine strikte Trennung von Spielen und Lernen bei Kindern geben. Sie bedingen sich gegenseitig. Ebenso kritisch wird die räumliche Trennung gesehen, in der das Spielen dem Kindergarten und der Schule das Lernen zugeschrieben wird. Bereits in den sechziger Jahren erfuhr die Kindertagesstätte eine deutliche Aufwertung, dadurch, dass Sozialisationsforscher einen Zusammenhang zwischen vorschulischer Förderung und späterem Schulerfolg feststellten. Infolgedessen wurden mehr Kindergartenplätze gefordert (vgl. Aden-Grossmann 2002, S. 164). Der Blick auf die Kindertagesstätte als Einrichtung änderte sich: „Er galt nicht mehr primär als eine soziale Einrichtung für Kinder, deren Mütter berufstätig sein mußten, sondern als eine familienergänzende Bildungseinrichtung, durch deren Besuch auch Kinder aus dem Bildungsbürgertum profitieren konnten“ (ebd.).
Die Kindertagesstätte hat sich von einer sozialfürsorgerischen Notfalleinrichtung für Kinder berufstätiger Mütter zu einer anerkannten Bildungsstätte entwickelt. Bereits 1970 erkannte der Bildungsrat die Kindertagesstätte als Teil des Bildungswesens an. Aden-Grossmann merkt an, dass diese Entscheidung jedoch keine politischen Konsequenzen nach sich zog (vgl. ebd., S. 316). Das Bestreben lag ausschließlich in den kompensatorischen Angeboten für Kinder aus bildungsfernen Schichten. Schließlich wurde dieses Bestreben in den darauffolgenden Jahren durch die Ausweitung des Betreuungsangebots überlagert. Seit 1996 haben alle Kinder vom dritten Lebensjahr an einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergartenplatz (vgl. ebd., S. 317). Dies hat unter anderem zu „(...) einer Erhöhung der Versorgungsquote für drei- bis sechsjährige Kinder geführt“ (Fthenakis 2004, S. 388). Als Nebeneffekte führt Fthenakis des Weiteren die teilweise verschlechterten Rahmenbedingungen und Vernachlässigung der Weiterentwicklung des Betreuungssystems dieser Altersgruppe an (vgl. ebd.). 2001 wurde schließlich die von der OECD durchgeführte internationale Vergleichsstudie veröffentlicht und löste einen nachhaltig wirkenden Schock über den Bildungsstand deutscher Schüler aus. Die Studie ergab, dass in Deutschland nach wie vor die soziale Herkunft ausschlaggebend für den Bildungserfolg ist[7] (OECD 2001). Die Studie führte dazu, das Schulsystem kritisch zu hinterfragen und darüber hinaus wurde die vorschulische Erziehung in den Blick genommen. Laut Fthenakis haben die Berichte der Delphi-Befragungen 1998, die Resultate der PISA-Studie sowie die Empfehlungen des Forum Bildung im Jahr 2001 zu einer anhaltenden politischen Debatte hinsichtlich der Bildungsqualität in Tageseinrichtungen geführt (vgl. Fthenakis 2004, S. 389). Er führt weiter aus: „Ausgehend von einer Neubewertung der Bedeutung früher Lernprozesse begann man in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre international den Bildungsauftrag der Tageseinrichtungen neu zu konzeptualisieren (...) In Deutschland begann Mitte der neunziger Jahre eine Auseinandersetzung bezüglich der Konzeptualisierung von frühkindlicher Bildung und der Bedeutung, die frühen Bildungsprozessen in der kindlichen Entwicklung zukommt“ (ebd., S. 389 f.). Während in anderen europäischen wie zum Beispiel England, Norwegen und Schweden viele Fragen zur Bildung in den frühen Kindheitsjahren bereits seit Jahren diskutiert und Ansätze erfolgreich umgesetzt werden, fängt die Diskussion hierzulande jetzt erst richtig an (vgl. Oberhuemer 2003, S. 38 ff.). Das dritte Kapitel dieser Arbeit ergänzt dieses Unterkapitel, indem es den gesetzlich verankerten Bildungsauftrag der Frühpädagogik thematisiert. Im nachfolgenden Kapitel wird nun der Perspektivenwechsel der frühen Kindheit behandelt, indem das bisherige Verständnis von Kindheit dem aktuellen gegenüber gestellt wird.
2.3 Frühe Kindheit
„Der Lebensabschnitt ab der Geburt bis zum Eintritt in die Schule wird als Frühe Kindheit (Early Childhood) bezeichnet. Diese in etwa ersten sechs Lebensjahre unterteilen sich in die Phasen des Säuglingsalters (1. Lebensjahr), des Kleinkindalters (2. und 3. Lebensjahr) und des Kindergarten- bzw. Vorschulalters (4. bis 6. Lebensjahr)“[8] (Wagner o.A.).
Durch die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen hat sich heutzutage die Erkenntnis durchgesetzt, dass Kinder schon von Geburt an eigenständige Subjekte mit spezifischen Kompetenzen sind (vgl. Maywald 2002, S. 39). Die Erkenntnisse der Säuglings- und Kleinkindforschung, der Hirn- und Sprachforschung und der Entwicklungspsychologie haben schließlich zu diesem Perspektivenwechsel der frühen Kindheit geführt. Die neuen Erkenntnisse führen „(...) zu einem Kind, das zunehmend eigenständiger die Welt erforscht, zu einem Kind also, das Fragen stellt und sich Hypothesen ausdenkt, die sich aus seinen vergangenen Erfahrungen herleiten; zu einem Kind, das Antworten sucht und dafür die sozialen und kulturellen Instrumentarien zu nutzen lernt, die ihm sein Umfeld zur Verfügung stellt“ (Schäfer 2012, S. 157). Fthenakis führt aus, dass das Kind nicht länger als Objekt der Bildungsbemühungen anderer gesehen wird, sondern als „(...) Subjekt im Bildungsprozess behandelt, als kompetent handelndes Wesen, das seine Entwicklung, sein Lernen und seine Bildung ko-konstruiert“ (Fthenakis 2003, S. 26). Darüber hinaus ändert sich auch die Rolle der Erwachsenen, sowohl der Erziehungsberechtigten als auch der Erzieher im kindlichen Bildungsprozess. Schäfer formuliert ihre Aufgabe wie folgt: „Sie werden heute weniger dazu gebraucht, den Kindern das Wissen vorzuordnen, das sie für die Bewältigung ihrer Zukunft zu benötigen scheinen, als dafür, dass sie ihnen den Rahmen vorstrukturieren, innerhalb dessen sie selbständig handeln und denken können“ (Schäfer 2012, S. 157).
Laut der Autorin Oberhuemer verschiebt sich das Bild des Kindes „(...) von einem unreifen, hilfsbedürftigen und erwachsenenabhängigen Wesen hin zu einer Sichtweise von Kindern als eigenständige Individuen mit großem Entwicklungspotenzial und als Träger eigener Rechte“ (Oberhuemer 2004, S. 370). Oberhuemer und Dahlberg geben einige Beispiele der früheren Verständnisse von Kindern wieder:
- Das Kind als „tabula rasa“, insofern als Rezipient und Reproduzent von Wissen und Kultur nach John Locke
- Das „unschuldige“ Kind nach Jean Jacques Rousseau
- Das biologische, „sich entwickelnde“ Kind, ohne Bezug zum jeweiligen sozialen und kulturellen Kontext nach Jean Piaget
- Das „objektivierte“ Kind der Entwicklungsdiagnostik
- Das „sozialisierungsbedürftige“ Kind der Sozialwissenschaften (vgl. ebd., S. 371; Dahlberg 2004, S. 18 ff.).
All diese Vorstellungen spiegeln das Kind als Objekt von Bildungsbemühungen seitens der Erwachsenen wieder. Dahlberg fasst zusammen: „Die bisherigen Bilder über Kinder (...) beschreiben ein sehr ‚armes’ Kind, schwach und passiv, unfähig und unterentwickelt, abhängig und isoliert“ (Dahlberg 2004, S. 27). Die Autorin sieht die Kinder und Pädagogen als „(...) aktive Co-Konstrukteure von Wissen und Kultur und als Bürger mit Rechten, Pflichten und Möglichkeiten“ (ebd.). Laut Oberhuemer besteht die Rolle des Pädagogen nun mehr „(...) in einer partnerschaftlichen Haltung, in der Erwachsene und Kinder mit Hilfe von relevanten Situationen, Ereignissen und Dingen gemeinsam Verständnis und Wissen konstruieren“ (Oberhuemer 2004., S. 373). Die Autorin Smith vertritt das Verständnis der Kindheitssoziologie: „Die Kindheitssoziologie betrachtet Kinder als unabhängige soziale Akteure, nicht als Noch-nicht-Erwachsene, die erst durch einen Prozess von Sozialisierung und Erziehung zum Erwachsenen werden (...) Der Blick richtet sich darauf, wie das individuelle Kind die Welt erlebt und versteht. Als Folge werden nun Kinder eher als Menschen verstanden, man begegnet ihnen mit Achtung und Anerkennung ihrer Fähigkeiten“ (Smith 2004, S. 76). Vertreter der Kindheitssoziologie hinterfragen normative Modelle, die darlegen, was Kinder wann können sollen und was nicht (vgl. ebd.). Kindheitssoziologen sowie Befürworter der Kinderrechte sehen die Kinder als eigentliche Akteure. Kinder sollen ihre eigene soziale Welt konstruieren und darüber hinaus als Personen geachtet werden, als Subjekte und nicht passiv von außen geprägte Objekte sozialer Überlegung bzw. Kontrolle. Die Kinder sind als Teilnehmer der sozialen Prozesse zu sehen (vgl. Freeman 1998, S. 436). Sowohl die Kindheitssoziologen als auch die Befürworter der Kinderrechte behandeln Kinder als Individuen und nicht als kollektive undifferenzierte Gruppe. Faktoren wie Geschlecht, Rasse und Ethnizität sowie die sexuelle Orientierung, Behinderung und weitere Faktoren sind somit von großer Bedeutung (vgl. Smith 2004, S. 77).
Abschließend bleibt festzuhalten, dass Kindheit weltweit sehr verschieden gesehen und bewertet wird und somit eine kulturelle und gesellschaftliche Konstruktion darstellt. Laut Nutbrown gibt es „(...) eine ganze Reihe von Perspektiven über Kindheiten, Kinder und die Rechte der Kinder in unterschiedlichen sozialen Kontexten. Diese haben ihren Ursprung in individuellen Erfahrungen, Glaubens- und Wertesystemen. Weltweit wird Kindheit je nach Gesellschaft anders konstruiert“ (Nutbrown 2004, S. 121). Die Perspektive der frühen Kindheit bzw. das Bild des Kindes findet Beachtung in den Bildungsplänen der Bundesrepublik Deutschland und wird in Kapitel 2.5 erneut aufgegriffen und hinsichtlich des Bildungsverständnisses dargelegt. Das folgende Kapitel widmet sich dem Zusammenhang zwischen der frühkindlichen Bildungsforschung und der derzeitigen Bildungsdebatte.
2.4 Frühkindliche Bildungsforschung in Deutschland
„Durch die Erkenntnisse der Säuglings- und Kleinkindforschung, Entwicklungspsychologie, Hirnforschung und Sprachforschung hat die Idee vom Kind, das etwas kann und das seine Entwicklung, eingebettet in soziale und kulturelle Bezüge, in hohem Maße mitbestimmt, seit den 1990er Jahren neue Unterstützung bekommen“ (Schäfer 2014, S. 20).
Verschiedene Forschungsdisziplinen haben somit erheblich zu dem in Kapitel 2.3 behandelten Perspektivenwechsel der frühen Kindheit beigetragen. Im Folgenden sollen nun einige Erkenntnisse der Bildungsforschung in Deutschland erwähnt werden. Die Autorinnen Biedinger und Becker untersuchen in ihrer Studie den Einfluss des Vorschulbesuchs auf die Entwicklung und den langfristigen Bildungserfolg von Kindern. Dabei ließen sich mehrheitlich positive Einflüsse auf die Entwicklung feststellen, die teilweise mit langfristigen Bildungserfolgen einhergingen. Sie betonen allerdings den Aspekt, dass die Wirkung nicht unerheblich von der Qualität der vorschulischen Einrichtungen abhängig zu sein scheint[9] (vgl. Biedinger / Becker 2006). Es existieren laut Biedinger und Becker kaum Studien über den deutschen Vorschulbereich und dessen Wirkung, deswegen wurden hierzu Sekundärdaten herangezogen (vgl. ebd.). Laut den Autoren Fried und Voss besteht allgemein Einigkeit darüber, dass sowohl die Entwicklung als auch die Bildung von Kindern erheblich durch die Quantität und Qualität vorschulischer Erziehung geprägt ist (vgl. Fried / Voss 2010, S. 199 ff.). Internationale Wirkungsstudien belegen zudem empirisch konsistent die positive Wirkung der institutionellen Vorschulerziehung (vgl. Bergs-Winkels 2010, S. 18)[10]. Der Autor Nagel konstatiert: „Es gilt inzwischen als gesichert, dass eine längere institutionelle Kindbetreuung die Entwicklungschancen der Kinder und damit ihre Bildungsbiografie positiv beeinflusst“ (Nagel 2009, S. 12).
An dieser Stelle sollte man jedoch hinterfragen, an welchen Kriterien die Autoren die positive Wirkung festmachen. Wie wird Bildungserfolg in den vorliegenden Studien definiert bzw. woran wird dieser gewertet? Welches Bildungsverständnis vertreten die Studien? Diese und viele weitere Fragen können in Hinblick auf den Bildungsdiskurs gestellt werden. Der Bildungsdiskurs hat eine unglaubliche Tragweite in viele Richtungen. Zur Beantwortung dieser Fragen müssen die Studien näher betrachtet und daraufhin untersucht werden. Dies ist jedoch nicht Bestandteil dieser Abschlussarbeit. Dieses Kapitel soll lediglich den Zusammenhang zwischen Bildungsforschung und der derzeitigen Bildungsdebatte aufzeigen. Es soll die Reaktionen betrachten, die durch die Bildungsforschung ausgelöst wurden.
Die Autorin Berg-Winkels führt aus, dass die Bildungspläne der Bundesländer als Reaktion auf die eben genannten Forschungsergebnisse zu deuten sind: „Als Reaktion auf diese Forschungsergebnisse werden mittlerweile in allen Bundesländern Deutschlands Bildungsvereinbarungen getroffen, die auf die Verbesserung von Bildungsinstitutionen oder –programmen zielen und Inhalte der Förderungen im Elementarbereich festschreiben. Der Bildungsauftrag von vorschulischen Bildungsinstitutionen umfasst dabei die gesamte frühkindliche Phase, also die Bildung von Geburt an“ (Berg-Winkels 2010, S. 18). Die Bildungspläne der Bundesländer werden im nachfolgenden Kapitel 2.5 thematisiert. Als weitere Reaktion auf die vorliegenden Forschungsergebnisse, insbesondere von den internationalen Vergleichsstudien TIMSS, PISA und IGLU (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung), wurden 2003 die Bildungsberichte in Auftrag gegeben[11] (vgl. KMK 2003).
„Die Ergebnisse von PISA wirkten wie ein Schock: Fünfzehnjährige in Deutschland schneiden im internationalen Leistungsvergleich beim Lesen, in mathematischer und naturwissenschaftlicher Grundbildung schlecht ab, Deutschland liegt im internationalen Vergleich im unteren Mittelfeld (...) Diese wenig schmeichelhaften Ergebnisse der PISA-Studie haben eine intensive Bildungsdebatte ausgelöst, die längst überfällig war. Sie bezieht sich in einem umfassenden Sinne sowohl auf Bildung als auch auf die Institutionen der Bildung – das ist das Neue an dieser Debatte und darin liegt ein wichtiger Fortschritt im Vergleich zu früheren bildungspolitischen Debatten. Schule hat dabei einen prominenten, doch keineswegs exklusiven Stellenwert. Andere Orte der Bildung von Kindern und Jugendlichen sind längst genauso zu einem Thema und Gegenstand dieser Debatte geworden“[12] (Rauschenbach et al. 2004).
Die Institutionen von Bildung, zu denen auch mittlerweile die Kindertagesstätte durch ihren offiziellen Bildungsauftrag gezählt wird, wurden durch die Forschungsergebnisse zunehmend in den Fokus gerückt. Bei der Kindertagesstätte handelt es sich zwar um nicht-formelle Bildungsprozesse, dennoch sind die Institutionen der vorschulischen Bildung als Orte von Bildung anzusehen. Der rechtlich festgeschriebene Förderungsauftrag § 22 SGB VIII bestätigt dies (siehe Kapitel 2.1, 2.2, 3.1). Laut Fröhlich-Gildhoff gibt es in der Bildungsforschung „(...) einen Widerspruch zwischen innovativer, engagierter Praxis- und Programmimplementierung einerseits und einer fehlenden empirischen Absicherung der Wirkungen in der Praxis andererseits“ (Fröhlich-Gildhoff 2012, S. 39). Das Problem liegt zum Einen in der großen Komplexität des Gegenstandes, welches ein Grundproblem der Wirkungsforschung im sozialen Bereich ist. Zum Anderen bestand die frühpädagogische Bildungsforschung aus drei klassischen Forschungstraditionen:
- die entwicklungspsychologische Grundlagenforschung,
- die soziologische Kindheitsforschung
- und die elementarpädagogische Forschung, die sich jedoch vermehrt mit der Weiterentwicklung von pädagogischen Grundlagenkonzepten beschäftigte (vgl. ebd.).
Die Problematik lag darin, dass die drei Forschungstraditionen unverbunden nebeneinander standen. Es gab keine systematische empirische Bildungsforschung für den Bereich der Kinder unter sechs Jahren (vgl. ebd., S. 39 f). Mittlerweile hat sich in diesem Bereich etwas getan. Drei große large-scale-Studien, NEPS[13], NUBBEK[14] und BIKS[15] wurden in Deutschland realisiert, um diese Wissenslücke zu schließen. Nachfolgend sollen nun die Bildungspläne der Bundesländer hinsichtlich ihrer Bildungsverständnisse thematisiert werden, um sich anschließend den Rahmenbedingungen der Kindertagesbetreuung in Deutschland zu widmen.
2.5 Bildungspläne der Bundesländer
„Die bundesweite Einführung von Bildungs- und Erziehungsplänen im Elementarbereich stellt eine fundamentale Neuerung im Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland dar und ist der Bildungs- und Leistungsdebatte nach PISA geschuldet“ (Röhner 2014, S. 601). Der Beschluss der Kultus- und Jugendministerkonferenz zum „Gemeinsamen Rahmen für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen“ schaffte 2004 die Voraussetzungen für die Bildungs- und Erziehungspläne auf Bundesebene (vgl. JMK 2004, S. 39 ff.). Laut der Autorin Röhner wurde mit diesem Beschluss der maßgebliche politische Impuls gesetzt, der die Entwicklung von Kindertagesstätten zu Bildungseinrichtungen ermöglichte. Darüber hinaus wurde laut Röhner durch die Einführung der Erziehungs- und Bildungspläne die Bedeutung des Elementarbereichs als erste Bildungsstufe anerkannt (vgl. Röhner 2014, S, 601). Die Autorin führt aus: „Erstmals wurde in der Bundesrepublik Deutschland damit zwischen allen Bundesländern sowie zwischen dem Jugendhilfe- und Schulbereich eine verbindliche Vereinbarung über die Aufgaben der vorschulischen Bildung und Förderung getroffen“ (ebd.). Der gemeinsame Rahmen der Kultus- und Jugendministerkonferenz beinhaltet die Grundsätze der Bildungsarbeit in den vorschulischen Kindertageseinrichtungen, „(...) der durch Bildungspläne auf Länderebene konkretisiert, ausgefüllt und erweitert wird. Innerhalb des gemeinsamen Rahmens gehen die Länder eigene, den jeweiligen Situationen angemessene Wege der Ausdifferenzierung und Umsetzung“ (JMK 2004, S. 39).
Grundsätzlich lassen sich unterscheiden:
- Bildungspläne der ersten Generation, bei denen es um die Konkretisierung des Bildungs- und Erziehungsauftrages von Kindertageseinrichtungen ging - mit dem Ziel, eine höhere Bildungsqualität zu erreichen und bisher vernachlässigte Bildungsbereiche (z.B. mathematisch-naturwissenschaftliche und technische Bildung, Sprachförderung) zu beleben.
- Bildungspläne der zweiten Generation, bei denen eine größere Altersspanne (z.B. 0 bis 10 Jahre) und die in diesem Zeitraum bedeutsamen Übergänge beachtet werden und in denen nicht mehr auf die Kindertageseinrichtungen fokussiert wird, sondern alle Lernorte (Familie, Kindertagespflege, Schule, Medien, Peergroup usw.) Berücksichtigung finden[16] (Textor 2016).
Die Bildungspläne der ersten Generation konzentrieren sich darauf den Erziehungs- und Bildungsauftrag der Kindertageseinrichtungen für unter sechs Jahren zu konkretisieren und verbindlich festzulegen (vgl. Fthenakis 2007, S. 63 f.). Nach dem Beschluss der deutschen Jugendministerkonferenz sollten 2004 folgende sechs Bildungsbereiche einem vorschulischen Bildungsplan zugrunde gelegt werden:
a) Sprache, Schrift, Kommunikation
b) Personale und soziale Entwicklung
c) Mathematik, Naturwissenschaft, (Informations-)Technik
d) Musische Bildung – Umgang mit Medien
e) Körper, Bewegung, Gesundheit
f) Natur und kulturelle Umwelten (Nagel 2009a, S.15).
Ein Nachteil der Bildungspläne der ersten Generation besteht darin, dass diese sich zu sehr an der Struktur des Bildungssystems orientieren. Sie stellen die Kinder zwar in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen, jedoch bleibt eine Individualisierung ihrer Lernprozesse nahezu ausgeschlossen. Die Forderung der meisten deutschen Bildungspläne liegt weiterhin im Programmatischen. Es wird nicht zwischen Lernfeldern und den zu stärkenden Kompetenzen des Kindes unterschieden, dementsprechend bleiben informelle Bildungsprozesse unberücksichtigt (vgl. ebd., S. 15 f.). Es finden sich auch in der Namensgebung der Bildungspläne Unterschiede. An dieser Stelle sollen nur einige genannt werden. Es gibt den Bayerischen Erziehungs- und Bildungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung, die Bildungs- und Erziehungsempfehlungen für Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz, das Berliner Bildungsprogram für Kitas und Kindertagespflege sowie den Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in baden-württembergischen Kindergärten und weiteren Kindertageseinrichtungen etc.[17] (vgl. Bildungsserver 2017). Der Autor Nagel erklärt dies wie folgt: „Hinter diesen Bezeichnungen liegen unterschiedliche Vorstellungen bezüglich der Art der Steuerung dieses Bildungsbereichs“ (Nagel 2009a, S. 16). Nach Nagel dienen die Bildungspläne „(...) einmal als Instrument zur Sicherung von Bildungsqualität und/oder als Innovationsansatz, zum anderen als Instrument zur Steuerung des Bildungssystems und des Bildungsverlaufs“ (ebd.). Bodenburg und Kollmann begründen die verschiedenen Bezeichnungen der Bildungspläne wie folgt:
„Jedes Bundesland wählte für seine Richtlinien eine andere Bezeichnung, die auch auf seine besondere Charakteristik hinweist. So gibt es beispielsweise einen verbindlichen ‚Bildungs- und Erziehungsplan’ in Bayern, einen ‚Orientierungsplan für Bildung und Erziehung’ als Vereinbarung der Landesregierung mit Kommunalen Landesverbänden in Baden-Württemberg und Grundsätze zur verbindlichen Umsetzung mit einer ‚Qualitätsentwicklungsvereinbarung’ im Berliner Bildungsprogramm (...) Fünf Bundesländer erklären ihre Leitlinien mit der Einführung für verbindlich; in den anderen Bundesländern gibt es Angaben zur Selbstverpflichtung auf der Grundlage des jeweils gültigen Kindertagesgesetzes“ (Bodenburg / Kollmann 2009, S. 22).
Alle Bildungspläne der ersten Generation beschränken sich auf den institutionellen Rahmen hinsichtlich ihres Geltungsbereiches.
Die Bildungspläne der zweiten Generation stellen nicht die Bildungsinstitution, sondern das Kind in den Vordergrund. Darüber hinaus sind die Bildungspläne institutionenübergreifend, lernortorientiert und die Bildungsprozesse werden individuell auf das Kind hin ausgerichtet (vgl. Nagel 2009a, S. 17). Nagel betont, dass die Prinzipien der Pläne der zweiten Generation am konsequentesten in Hessen und Thüringen umgesetzt werden: „Sie sind institutionenübergreifend und für den vorschulischen und schulischen Bereich gültig (von 0 bis 10 Jahren), in Thüringen explizit auch für die Kindertagespflege“ (ebd., S. 17 f.). Die Pläne der zweiten Generation akzentuieren folgende Basiskompetenzen:
- Stärkung lernmethodischer Kompetenz: Kompetenzen, die den Erwerb von Wissen fördern. Hierzu werden Formen von Metakognition und Selbststeuerung eingesetzt sowie Reflexion.
- Stärkung der Widerstandsfähigkeit (Resilienz), in anderen Worten, die Stärkung der Kompetenz im Umgang mit Veränderung und Belastung.
- Positiver Umgang mit Diversität: beinhaltet das Verständnis von und den Umgang mit Differenz. Vielfalt wird als Chance und Gewinn betrachtet. Unterschiede, die sich aus einer erweiterten Altersmischung, Geschlecht, kulturellen bzw. sozialen Hintergründen sowie aus besonderen Bedürfnissen (Kinder mit Entwicklungsdefiziten sowie hochbegabte Kinder etc.) ergeben, werden für gemeinsame Lernerfahrungen genutzt.
- Stärken des Kindes betonen: bisher ging es um die Identifizierung und Beseitigung bzw. Kompensation kindlicher Schwächen. Im Gegensatz hierzu sollen nun in erster Linie die Stärken des Kindes hervorgehoben werden. Sie sollen erkannt und weiterführend gestärkt werden, damit das Kind ein positives Selbstbild entwickeln kann und in schwierigen Situationen weiß, seine Stärken gezielt einzusetzen (vgl. ebd., S. 18 ff.).
Bei den vorgetragenen Punkten handelt es sich um thematische Schwerpunkte der neuen Bildungspläne. Bodenburg und Kollmann äußern bezugnehmend auf die thematische Ausarbeitung der Bildungspläne folgende Kritik: „Obwohl es inzwischen selbstverständliches Wissen ist, dass die Grundlagen für das Lernen in der Zeit vor und in den ersten drei Jahren nach der Geburt entstehen, fehlt in allen Bildungsplänen ein differenziertes Eingehen auf den speziellen Arbeitsbereich der unter Dreijährigen und deren primäres soziales Umfeld“ (Bodenburg / Kollmann 2009, S. 23). Ein weiterer Kritikpunkt kann laut Nagel darin gesehen werden, dass die Bundesländer es nicht geschafft haben „(...) sich bundeseinheitlich bei der Umsetzung auf gemeinsame Grundlinien zu verständigen“ (Nagel 2009b, S. 195). Das führt zu verschiedenen Auffassungen darüber, wie Bildung und Bildungsprozesse stattfinden sowie zu Differenzen, was die Formulierung der Bildungsziele und der zugehörigen Altersspanne angeht. Gemeinsamkeiten finden sich im allgemeinen Verständnis von Kind bzw. Kindheit und in den gewählten Lern- und Erfahrungsbereichen. Allen Plänen liegt das Verständnis zugrunde, dass Entwicklungsfortschritte nicht im Vergleich mit anderen Kindern gesehen werden, sondern individuell betrachtet und bewertet werden (vgl. ebd.). Die Autorin Röhner betont die verschiedenen Ausrichtungen der Bildungspläne:
„Ein Teil der Bildungspläne richtet sich an einem modifizierten Situationsansatz aus (z.B. Berlin, Hamburg, Saarland) und betont das Lernen in sozialen Kontexten und Bezügen. Ein konkurrierendes Konzept, das die Bedeutung frühen Lernens in zentralen fachlichen Domänen akzentuiert, ist im Bayrischen Bildungs- und Erziehungsplan verwirklicht, der erstmals ein ko-konstruktives Verständnis frühkindlicher Bildung in Anlehnung an den internationalen frühpädagogischen Diskurs entwickelte (...) Neben dem modifizierten Situationsansatz und dem neuen ko-konstruktivistischen Ansatz frühkindlicher Bildung ist der Selbstbildungsansatz weiterhin in der curricularen Konzeption einzelner Bildungs- und Erziehungspläne repräsentiert“ (Röhner 2014, S. 603).
Die Autorin verweist darauf, dass je nach Autorengruppe unterschiedliche frühpädagogische Konzeptionen erkennbar und vielfach auch Mischformen vorhanden sind (vgl. ebd.). Der Autor Nagel erläutert zum Bildungsverständnis der Bildungspläne Folgendes: „Allen Bildungsplänen liegt ein Bildungsverständnis zugrunde, dass der Bildungsprozess des Kindes ein Selbstbildungsprozess ist, in dem das Kind sich seine Welt selbständig konstruiert. Kinder erwerben ihr Wissen von der Welt und ihre Fähigkeiten, indem sie die Welt neugierig erforschen“ (Nagel 2009b, S. 195). Unterschiede gibt es lediglich in der Ausrichtung und Gestaltung der Lern- und Bildungsprozesse. Der Autor führt aus: „Der kleinere Teil der Pläne betont das Eigenständige des selbständigen, konstruktiven Lernprozesses, der auf Beobachten, Erkunden und Erprobung beruht, der selbstgesteuert, aus eigener Sicht und Motivation geschieht, mit der freien Entscheidung, ob andere Personen einbezogen werden sollen oder nicht“ (ebd.). Andere Personen sollen so wenig wie möglich in den Bildungsprozess eingreifen. Diesem Ansatz steht der ko-konstruktivistische gegenüber, der laut Nagel in der Mehrzahl der Pläne vorhanden ist. Der ko-konstruktivistische Ansatz betont, „(...) dass kindliche Lernprozesse in den meisten Fällen im sozialen Kontext stattfinden und die Konstruktion der kindlichen Welt auch mit der Unterstützung von bzw. der Auseinandersetzung mit anderen Personen geschieht. Dem pädagogischen Personal bzw. den Erwachsenen kommt hier explizit eine pädagogische Verantwortung zu“ (ebd.). Der zentrale Unterschied zwischen dem Selbstbildungs- und dem ko-konstruktivistischem Ansatz liegt in der Haltung des pädagogischen Fachpersonal bzw. der Erziehungsberechtigten zum Kind. Der ko-konstruktivistische Ansatz spricht dem Erwachsenen Verantwortung zu.
Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, wie die Lern- und Bildungsprozesse aussehen bzw. vonstattengehen in Hinblick darauf, wie sie insbesondere von außen gestaltet werden sollen. Inwieweit sollen die Bildungsprozesse sich durch selbstinitiierte Aktivitäten des Kindes auszeichnen und fremd-initiierte Anregungen zugelassen bzw. bewusst genutzt werden, um den Bildungsprozess zu gestalten? Die zwei Ansätze präferieren jeweils eine unterschiedliche Vorstellung davon, wie die Bildungsprozesse gestaltet werden sollen. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei vielen Bildungsplänen um Mischformen der verschiedenen pädagogischen Ansätze. Einige Aspekte werden erneut in Kapitel 5 aufgegriffen und thematisiert.
Das dritte Kapitel wird nun die Rahmenbedingungen frühkindlicher Bildung darlegen, die neben der Kindertagesstätte als institutionelle Betreuungsform auch die Kindertagespflege als private Form beinhaltet. Es werden somit verschiedene Formen und Institutionen vorschulischer Erziehung, Bildung und Betreuung vorgestellt.
3. Die Kindertagesbetreuung in Deutschland
Eltern haben grundsätzlich das Recht, zwischen den verschiedenen Leistungen der Kinderbetreuung zu wählen, insofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist (vgl. § 5 SGB VIII). Das bedeutet, dass sie grundsätzlich zwischen Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege wählen dürfen. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) formuliert in § 22 die Grundsätze der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege und definiert beide Formen wie folgt:
„(1) Tageseinrichtungen sind Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden. Kindertagespflege wird von einer geeigneten Tagespflegeperson in ihrem Haushalt oder im Haushalt des Personensorgeberechtigten geleistet. Das Nähere über die Abgrenzung von Tageseinrichtungen und Kindertagespflege regelt das Landesrecht (...)“ (§ 22 SGB VIII Absatz 1).
Bereits durch den § 1 Absatz 1 SGB VIII hat jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und zudem auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (vgl. § 1 SGB VIII Ansatz 1). Dieser Leitsatz zieht sich durch das gesamte SGB VIII und formuliert demnach auch den Rechtsanspruch für die Kinder einer Kindertageseinrichtung. Die Förderung und Erziehung werden somit nicht nur von den Eltern übernommen, sondern auch von den jeweiligen Fachkräften der Einrichtung.
In den letzten Jahren wurden einige Änderungen im achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII) vorgenommen, bewirkt wurden diese durch die Verabschiedung vom Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG), dem Kinder- und Jugendhilfeerweiterungsgesetz (KICK) im Jahre 2005 sowie durch die Einführung des Kinderförderungsgesetzes (KiföG) im Dezember 2008. Der daraufhin neu formulierte § 22 SGB VIII beinhaltet für Tageseinrichtungen und Kindertagespflege in gleichermaßen einen Förderungsauftrag:
„(3) Der Förderungsauftrag umfasst Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes. Er schließt die Vermittlung orientierender Werte und Regeln ein. Die Förderung soll sich am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethnische Herkunft berücksichtigen“ (§ 22 SGB VIII Absatz 3).
Zudem ist der § 24 SGB VIII ab dem 1. August 2013 neu in Kraft getreten. Dieser regelt, wann ein Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege besteht. Aufgrund dieser Änderung besteht nun ein Rechtsanspruch auf frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung bereits ab dem vollendeten ersten Lebensjahr (vgl. § 24 SGB VIII Absatz 2). Zuvor richtete sich der Förderanspruch nach dem Bedarf des Kindes bzw. der Erziehungsberechtigten, wenn dieser für die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit erforderlich war und die Erziehungsberechtigten einer Erwerbstätigkeit nachgingen, diese aufnahmen bzw. arbeitssuchend waren (vgl. § 24 SGB VIII Absatz 3 bis zum 31.07.2013). Darüber hinaus gibt es den gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen. Der Beschluss der Kultus- und Jugendministerkonferenz am 03. und 04.06.2004 beinhaltet die Grundsätze der Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen und wird durch die Bildungspläne auf Landesebene konkretisiert, ausgefüllt und erweitert[18] (vgl. KMK 2004). Nachfolgend wird die Kindertagesstätte als institutionelle Form der Kindertagesbetreuung vorgestellt.
3.1 Die Kindertagesstätte als institutionelle Betreuungsform
Kindertageseinrichtungen sind Einrichtungen der freien und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe und gewährleisten ebenso wie die Kindertagespflege die Kindertagesbetreuung nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz. Die Kinder verbringen einen Teil des Tages oder den ganzen Tag in einer Kindertageseinrichtung und werden dort in Gruppen gefördert. Die in einer Kindertageseinrichtung tätigen Erzieherinnen und Erzieher arbeiten anhand von pädagogischen Konzepten und stehen bezüglich der Erziehung, Bildung und Betreuung in Austausch mit den Erziehungsberechtigten (vgl. Frühe Chancen 2016)[19].
Es gibt verschiedene Träger von Kindertageseinrichtungen. Dazu zählen öffentliche Träger, freie Träger mit gemeinnützigem Hintergrund, privatgewerbliche Träger und sogenannte Betriebs- bzw. Unternehmenskindertageseinrichtungen. Träger öffentlicher Kindertageseinrichtungen sind die jeweilige Kommune, also die Landkreise und kreisfreien Städte. Kindertageseinrichtungen freier Träger unterteilen sich hingegen in kirchliche Träger und Träger der freien Wohlfahrt (vgl. Textor o.A)[20]. Tageseinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft sind an eine Kirchengemeinde angebunden und arbeiten nach Erziehungskonzepten, die christliche Werte und Normen beinhalten. Zu den freien großen Wohlfahrtsverbänden zählen:
[...]
[1] Der vorliegende Begriff beinhaltet alle vorliegenden Formen der institutionellen Kindertagesbetreuung in Deutschland. Siehe hierzu auch Kapitel 3.
[2] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beide Geschlechter.
[3] vgl. http://www.kindergartenpaedagogik.de/1951.html, Stand: 2016, abgerufen am 31.01.17.
[4] https://issuu.com/caritas.luxembourg/docs/konzept_welt-atelier, Stand: 2011, abgerufen am 06.02.17.
[5] http://www.jugend.rlp.de/fileadmin/downloads/bildung/zwoelfter-kjb.pdf, Stand: 2005, abgerufen am 10.02.17.
[6] http://www.kindergaerten-bw.de/site/pbs-bw-new/get/documents/KULTUS.Dachmandant/KULTUS/Projekte/kindergaerten-bw/Oplan/Material/KM-KIGA_Orientierungsplan_2011.pdf, Stand: 2011, abgerufen am 27.02.17.
[7] https://www.oecd.org/germany/33684930.pdf, Stand: 2001, abgerufen am 02.03.17.
[8] http://www.kindergartenpaedagogik.de/2071.html, Stand: o.A., abgerufen am 03.04.17.
[9] http://www.mzes.uni-mannheim.de/publications/wp/wp-97.pdf, Stand: 2006, abgerufen am 23.03.17.
[10] Die Autorin bezieht sich hierbei auf folgende Studien: British Cohort Studies, Carolina Abecederian Study, Early Childhood Longitudinal Study, Effective Provition of Pre-School Education Project, European Child Care and Education Study, Head Start Family and Child Experiences Survey, High/ Scope Perry Preschool Project, National Longitudinal Survey of Children and Youth, NICHD Study of Early Child Care, Study of Cost, Quality and Child Outcomes in Child Care Centers.
[11] http://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2003/2003_01_01-Bildungsbericht-erste-Befunde.pdf, Stand: 2003, abgerufen am 10.04.17.
[12] http://www.akjstat.tu-dortmund.de/fileadmin/Weiterfuehrende_Links/nonformale_und_informelle_bildung_kindes_u_jugendalter.pdf, Stand: 2004, abgerufen am 07.04.17.
[13] https://www.neps-data.de/de-de/projektübersicht.aspx, Stand: o.A., abgerufen am 11.04.17.
[14] http://www.nubbek.de, Stand: o.A., abgerufen am 11.04.17.
[15] https://www.uni-bamberg.de/biks/, Stand: 2017, abgerufen am 11.04.17.
[16] http://www.kindergartenpaedagogik.de/1951.html, Stand: 2016, abgerufen am 06.04.17.
[17] http://www.bildungsserver.de/Bildungsplaene-der-Bundeslaender-fuer-die-fruehe-Bildung-in-Kindertageseinrichtungen-2027.html, Stand: 2017, abgerufen am 15.04.17.
[18] http://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_06_03-Fruehe-Bildung-Kindertageseinrichtungen.pdf, Stand: 2004, abgerufen am 01.12.16.
[19] vgl.http://www.fruehe-chancen.de/themen/kinderbetreuung-international/bildungs-und-betreuungssysteme/das-bundesdeutsche-system/das-bundesdeutsche-system/, Stand: 2016, abgerufen am: 01.12.16.
[20] vgl. http://www.kindertagesbetreuung.de/formen.html, Stand: o. A., abgerufen am 01.12.16.
Schlagworte:
lit-2017_buch, Masterarbeit,
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title: Kindheits- und Jugendprobleme als Herausforderung für alternative Konzepte in Erziehung und Bildung by Kerscher, Karl-Heinz Ignatz |
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Titel: | Kindheits- und Jugendprobleme als Herausforderung für alternative Konzepte in Erziehung und Bildung |
Autor: | Kerscher, Karl-Heinz Ignatz | Sprache: | deutsch |
Quelle: | München, Grin-Verlag | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | DD.MM.2011 | | |
url: | http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/165772.html |
Text:
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Kindheits- und Jugendprobleme
1.1 Weibliche Sozialisationsprobleme
1.2 Männliche Sozialisationsprobleme
1.3 Schulangst und Schülersuizid
1.4 Mobbing in der Schule
1.5 ADHS - moderne Zappelphilippe
1.6 Drogenmissbrauch
2. Alternative Konzepte der Pädagogik
2.1 Die Kunsterziehungsbewegung
2.2 Die Landerziehunhsheimbewegung
2.3 Das Lichtschulheim Lüneburger Land
2.4 Maria MONTESSORIs Pädagogik
2.5 Rudolf STEINERs Waldorf-Pädagogik
2.6 Alexander S. NEILLs Summerhill-Schule
2.7 Celestin FREINETs Pädagogik
2.8 Janusz KORCZAKs Rechte des Kinder
2.9 Paulo FREIREs Alphabetisierungs- und Bewusstseins-Bildung
3. Richtungsweisende Perspektiven
3.1 Die Indigo-Kinder
3.2 Multiple Intelligenzen
3.3 Konfliktlösung durch Mediation
3.4 Werte-Erziehung
3.5 Positive Erziehung
3.6 Bildung für die Zukunft
Ausblick :
F ächerübergreifende Bildungsaufgaben
Literaturverzeichnis
Einleitung
Kinder und Jugendliche in Deutschland können sich glücklich schätzen. Sie wachsen auf in einem der zehn wohlhabendsten Ländern der Erde in einer freiheitlich-demokratischen Zivilgesellschaft, einer fortgeschrittenen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft, in einer Situation der sozialen Sicherheit und im Frieden. Es ist zwar nicht alles vollkommen, aber krasse Ausbeutung, Sklaverei und völlige Chancenlosigkeit sind überwunden. Die Emanzipation und Gleichstellung der Mädchen und Frauen ist weiter fortgeschritten als in den überwiegenden, ärmeren und rückständigeren Ländern der Erde. Die Möglichkeiten der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der Talente sind größer als in der Mehrzahl aller Staaten des Erdballs. Die soziale Durchlässigkeit ist nicht absolut, aber doch besser als in Jahrtausenden zuvor.
Und dennoch ist ein größerer Teil der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland nicht glücklich. Zahlreiche Kindheits- und Jugendprobleme schmälern die Freude am Leben. Schulschwierigkeiten, wie psychische Störungen, Schulangst, Schulabsentismus,
Schülerselbstmord, Leistungs- oder Teilleistungs-Störungen oder Prüfungsängste sind weit verbreitet. Individuelle Gründe mögen Minderwertigkeitsgefühle, Schüchternheit oder mangelndes Selbstwertgefühl sein. Schulische Gründe können in Mobbing durch die lieben Mitschüler, Identifikationsschwierigkeiten mit der Lehrperson, Leistungsdruck oder entmutigenden Zensuren, ja sogar im Selektionssystem des Schulwesens und in mangelnder Förderung, quasi einer strukturellen Gewalt (GALTUNG) gesucht werden.
Durch eine Lese-Rechtschreib-Schwäche, eine Dyskalkulie, ein ADHS, ein Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom oder sogar eine verkannte Hochbegabung, ein unentdecktes Indigo-Phänomen weicht die ursprüngliche Freude an der Einschulung oft schnell einer krassen Ernüchterung.
Behinderte Kinder, Kinder mit Migrationshintergrund und von Armut betroffene Kinder haben ihre besonderen Schwierigkeiten.
Schülerinnen im jugendlichen Alter leiden an Identitätsfindungsstörungen wie Pubertäts-Magersucht, Fettsucht oder Ess-Brechsucht durch Schlankheitswahn, Schönheitsideal und Attraktivitätsklischees.
Die Identitätsfindungsschwierigkeiten der Knaben und männlicher Jugendlicher äußert sich zu oft in Aggression, Gewalt und Jugendkriminalität. Die Maskulinitäts-Klischees in den Massenmedien machen es zarten Jungen schwer, zu ihrer Sensibilität zu stehen.
Die Gefahr des Missbrauchs legaler Drogen, wie Alkohol und Nikotin, aber auch illegaler Drogen, wie Haschisch, Kokain und Extasy, wird im Jugendalter durch den sozialen Druck der Gleichaltrigengruppe gefördert.
Subkulturen der Jugendlichen bieten Zugehörigkeit und einen sozialen Uterus, bergen jedoch auch Gefahren der Desintergration. Skin-Heads, Grufties, Gothics bis hin zu religiösen Santanssekten und rechtsextremistischen Kameradschaften finden leicht begeisterbare Anhänger unter Schülern. Im vorliegenden Text sollen im ersten Kapitel exemplarisch einige der oben genannten Kindheits-und Jugendprobleme ausführlicher erörtert werden.
Im zweiten Kapitel wird die Frage erörtert, inwieweit alternative Konzepte der Erziehung und
Bildung zur Persönlichkeitsstabilisierung der heranwachsenden Kinder und Jugendlichen beitragen könnten.
Als reformpädagogische Bewegung bezeichnet man Reformen innerhalb der Pädagogik zwischen ca. 1900 und 1933, zum Teil bis in Gegenwart und Zukunft reichend. Es handelte sich um eine internationale Bewegung der fortgeschrittenen westlichen Industrieländer. Sie wurde vom damaligen Zeitgeist, von sozialen Strömungen wie der Französischen Revolution, der Arbeiterbewegung (Karl MARX), der Frauenbewegung, der Jugendbewegung und der Lebensreform beeinflusst.
Als Vordenker sind Jean-Jacques ROUSSEAU, Johann-Heinrich PESTALOZZI, CONDORCET, Paul de LAGARDE, Julius LANGBEHN („Rembrandt“) und Friedrich NIETZSCHE zu nennen. Charakteristika bestehen in der Ablehnung der Zuchtschule, von Zwang und Prügelstrafe. Beispiele für die damlas exzessiv verbreitete Prügelstrafe finden sich bei Lloyd de MAUSE: „Hört ihr die Kinder weinen?“ Gemeinsamkeiten der refpormpädagogischen Richtungen bestehen in der Ablehnung der Buchschule und der Wissens-Eintrichterung, der Ablehnung blasser Theorie, und der Praxisferne. Pädagogik solle vom Kinde ausgehen (Ellen KEY). Die Richtungen der Reformbestrebungen führten zur Landerziehungsheim-Bewegung, Arbeitsschul-Bewegung, Kunsterziehungs-Bewegung, zu Modellschulen, zur Erwachsenenbildung in Arbeiter- Bildungsvereine, Volkshochschulen, Ländlichen Heimvolkshochschulen. Prominenteste Vertreter der Landerziehungsheimbewegung waren Hermann LIETZ, Paul GEHEEB, Gustav WYNEKEN und Kurt HAHN.
An Internationalen Pädagogen sind John DEWEY („learning by doing“) und KILPATRICK ( Projektmethode) in den USA, Alexander S. NEILL (Repressionsarme Erziehung in Summerhill) in Groß-Britannien, Maria MONTESSORI aus Italien, Celestin FREINET in Frankreich, Janusz KORCZAK („Rechte des Kindes“) in Polen und MAKARENKO (Revolutionspädagogik) in der Sowjet-Union Russland zu nennen.
Nach dem II. Weltkrieg erlangten Paulo FREIRE (Alphabetisierung und Pädagogik der Unterdrückten in Brasilien) und Chris GRISCOM mit ihrem Konzept des Spirituellen Globalem Lernen in der Nizhoni-Schule in Neu-Mexiko Aufmerksamkeit. Einflussreiche Pädagogen in Deutschland waren Wilhelm LIEBKNECHT (Arbeiterbildung), Siegfried BERNFELD (Jüdisch- sozialistische Pädagogik), Otto Felix KANITZ (Sozialistische Pädagogik), Otto RÜHLE (Proletarische Erziehung), Helene LANGE (Mädchenbildung), August AICHHORN (Psychoanalytische Pädagogik ), Georg KERSCHENSTEINER (Berufsschulwesen), Peter PETERSEN (Jena-Plan- Schule), Hugo GAUDIG, Berthold OTTO (Modell-Schulen), Rudolf STEINER (Waldorf- Pädagogik aus Österreich, Deutschland und der Schweiz) , Kurt HAHN (Erlebnis-Pädagogik) aus Deutschland und England.
Einige Auswirkungen der Reformpädagogischen Bewegung sind bis in die Gegenwart erhalten: Offener Unterricht, Wochenplan, Freiarbeit, Handlungsorientierter Unterricht, Projektmethode, Epochen- Unterricht, Berichtszeugnisse, Bewegte Schule, Jahrgangsübergreifende Lerngruppen, Umwelt-Erziehung, Wald-Pädagogik, Zirkus-Pädagogik, Reit-Pädagogik, Tierschutz-Erziehung, tiergestützte Pädagogik, Internationale Schulen, Internationale Schülerbegegnungen, UNESCO-Modellschulen.
Das vorliegende Buch enthält ein drittes Kapitel, in dem exemplarisch einige ausgewählte neuartige Konzepte der erziehungswissenschaftlich relevanten Psychologie und Spiritualität sowie zukunftsweisende Gedanken der Erziehung und Bildung formuliert werden. Multiple Intelligenzen,
Werte-Erziehung und Indigo-Kinder stehen unter anderem im Fokus der Erörterungen. Zum Abschluss der Ausführungen werden mögliche Themen für ein zukunftsweisendes Curriculum in der Erzieher- und Lehrer-Ausbildung aufgelistet.
Mein Dank gilt den engagierten Studierenden der Leuphana Universität zu Lüneburg. Dieses Buch wäre ohne ihr in Seminaren, Vorlesungen, schriftlichen Referaten, Examensarbeiten und mündlichen Prüfungsthemen bekundetes Interesse nicht entstanden. Ich wünsche meinen ehemaligen Studenten und Studentinnen Kraft, Ausdauer und Optimismus bei der Erziehungs- und Bildungsarbeit.
1. Kindheits- und Jugendprobleme
1.1 Weibliche Sozialisationsprobleme
Die Identitätsfindungsschwierigkeiten jugendlicher Mädchen äußern sich in intrapsychischen Konflikten, die autoplastisch, introvertiert, sich gegen die eigne Person richten. Depressionen, Selbstschädigungen und Essstörungen sind die häufigsten Formen abweichenden Verhaltens bei weiblichen Jugendlichen. Beispiehaft sei hier die „Anorexia nervosa“(griech), Appetitlosigkeit angeführt. Die Magersucht gibt sich durch eine starke Abnahme des Körpergewichts aufgrund extremer Ablehnung der Nahrungsaufnahme zu erkennen. Es kann von einer Selbstaushungerung durch Unterdrückung von Appetit und Hungergefühlen gesprochen werden. Familiendynamische Einzelfallstudien untersuchen die familiären Einflüsse bei der Entstehung dieser Krankheit.Vorgetäuschte Harmonie oder Pseudo-Harmonie innerhalb der Familie lässt der weiblichen Heranwachsenden wenig Möglichkeit zur Abgrenzung. Es wird nicht über Gefühle und Gedanken gesprochen. Der Familienstil ist geprägt durch Leistungsorientierung, Ordnung und Perfektionismus. Die weiblichen Kinder unterliegen einem hohen Erwartungsdruck und versuchen, den Ansprüchen der Eltern gerecht zu werden. Oft lebt die Mutter die Wichtigkeit des Schlank-Seins vor und kritisiert die Figur des eigenen Kindes. Obwohl äußerlich alles intakt scheint, fehlt es an „Nestwärme“ an emotionaler Wärme und Verständnis.
Neben den familiären Einflussgrößen spielen auch soziokulturelle Faktoren eine große Rolle. Individuelle Vorstellungen einer Kultur und Epoche, was als schön und erstrebenswert gilt, können sehr unterschiedlich ausfallen. Man denke an die fülligen weiblichen Gestalten des Malers RUBENS. Westliche Überschussgesellschaften und deren Medien suggerieren jedoch seit 1960 zunehmend das Bild einer schlanken und sportlichen Frau als erstrebenswertes Ideal. Frauen werden von vielen Männern nach dem Aussehen beurteilt. Mit dem Begriff Schlankheit werden Begriffe wie Intelligenz, Erfolg oder Gesundheit assoziiert. Es scheint eine Forderung der Gesellschaft, ab der Pubertät das Kindsein abzulegen und sich schnell auf die Rolle als Frau einzustellen. Die Krankheit wird bei Magersüchtigen und anderen Essgestörten als ein Ausweg aus der geforderten Angepasstheit an die geschlechtsspezifische Rollenverteilung der Gesellschaft gesucht. Es besteht bei diesen jungen Menschen ein starker Wunsch, von allen geliebt zu werden. Sie erhalten aus ihrer Bedürftigkeit heraus zu wenig Bestätigung und Aufmerksamkeit vom sozialen Umfeld.
Geschlechtsspezifische Aspekte
Weibliche Geschlechtsrollenstereotype üben trotz allen Gleichstellungsbemühungen im letzten Viertel des Zwanzigsten Jahrhunderts immer noch eine gewichtigen Einfluss während er weiblichen Sozialisation aus. Immer noch werden Mädchen und Frauen als: - passiv,
- eher selbstschädigend als aggressiv, - angepasst, - unauffällig und - legal eingeschätzt.
Typische Mädchen sind demnach: - zärtlicher, - dankbarer, - hübsch und niedlich, - (früh) hilfsbereit, - spät selbständig und - häuslicher.
Frauen flüchten in psychische Störungen, um nicht aufzufallen. Problemlösungen erfolgen individuell und isoliert. Psychomotorische Störbilder weiblich devianten Verhaltens sind überwiegend intraversiv, introvertiert, internalisiert, also nach innen gekehrt. Typische psychische Störungen sind Anorexia nervosa, die Magersucht, und die Bulimia nervosa, die Ess-Brech-Sucht. Die Magersucht ist eine Erkrankung, die durch massive Angst vor Gewichtszunahme oder Fettleibigkeit gekennzeichnet ist. Die Magersucht äußert sich in Essunlust und übermäßigem Bewegungsdrang, was zu extremem Gewichtsverlust führt. Angst und ständige übermäßige Sorge um Gewicht und Figur führen bei der Bulimie zu Episoden, bei denen die betroffene Person in kurzer Zeit sehr viel isst und sich der Nahrung anschließend durch absichtliches Erbrechen, Abführmittel oder Fasten wieder entledigt oder mit starker körperlicher Anstrengung versucht, das Gewicht zu verringern.
Essstörungen sind Erkrankungen, bei denen es aufgrund von „krank machenden“ seelischen Belastungen zu körperlichen Schäden kommt. Hat während der letzten 20 Jahre an Häufigkeit zugenommen. Ursache v. a. das Schönheitsideal Dünnsein. Essstörungen werden entweder als Sucht oder als psychosomatische Erkrankung eingeordnet.
Engerer Sinn: Essgewohnheiten, die gesundheits- bzw. lebensgefährdend sind. Weiterer Sinn: Permanentes auf sein Gewicht achten, indem man nicht isst, wann, was und soviel man will und regelmäßig Diäten macht, um abzunehmen. Versuch, die Nahrungsaufnahme und damit den Körper zu manipulieren. Vordergründiges Ziel: Gewichtsabnahme bzw. -kontrolle „Esssucht“ stellt eine begriffliche Nähe zu anderen Süchten her.
Aber: Essstörungen sind etwas anderes als so genannte „stoffgebundene Süchte“ wie Drogensucht oder Alkoholabhängigkeit. Einige Verhaltensweisen Essgestörter können jedoch suchtartigen Charakter annehmen: Kontrollverlust, Wiederholungszwang, soziale Isolation. Häufig treten Essstörungen gleichzeitig mit anderen körperlichen Folgeerkrankungen oder psychischen Begleiterkrankungen und Abhängigkeiten auf, wie z.B. Bluthockdruck, Diabetes mellitus, Depressionen, Ängsten, Medikamentenmissbrauch, Alkoholabhängigkeit. Essstörungen können auch in Kombination mit einer Selbstverletzungsproblematik wie z.B. Schneiden mit Messern, Klingen oder Scherben, Zufügen von Brandwunden, Beißen, Haare ausreißen usw. auftreten.
Essstörungen scheinen Lösungsversuche für tiefer liegende seelische Probleme, Ausweg, Flucht oder Ersatz für verdrängte Gefühle und Bedürfnisse, stummen Protest oder Ablehnung zu sein.
Befriedigung durch Essen bzw. Hungern ergibt scheinbar eine schnelle Erleichterung, Erleben von Sicherheit und Selbständigkeit. Kurzzeitbefriedigung: Betroffene brauchen Wiederholungen. Eigendynamik der Essstörung. Betroffene verlieren die Kontrolle über das wahllose In- sich-Hineinstopfen großer Nahrungsmengen oder über die Verweigerung von Nahrungsaufnahme. Ergebnis: Sie fühlen sich ausgeliefert.
Bei den Essstörungen unterscheidet man drei verschiedene Krankheitsbilder: die Anorexia nervosa (Magersucht), die Bulimia Nervosa (Ess- und Brechsucht), sowie die Adipositas (Fettsucht)
Essstörungen galten früher als „typisch weibliche“ Erkrankung. Heute erkranken auch Jungen und Männer. Häufiger sind jedoch immer noch Mädchen und Frauen in ihrem Essverhalten gestört. Essstörungen treten über die gesamte Altersspanne auf. Im Jugendalter, vor allem in der Pubertät, besteht eine größere Gefahr, eine Essstörung zu entwickeln. Vor allem im Alter zwischen 14 und 18 Jahren. Es gibt auch Ersterkrankungen vor dem 10. und nach dem 25. Lebensjahr. Im Durchschnitt erkranken die Patienten an Bulimie zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr. Etwa 5 Millionen Männer und mehrheitlich Frauen in Deutschland leiden an Essstörungen. Diäten können Vorläufer, und auch "Einstiegsdroge" für ein gestörtes Essverhalten oder eine Essstörung sein. Neben Diäten versuchen viele Menschen durch exzessiven Sport, Hungern,einseitige, eingeschränkte Ernährung (restriktives Essverhalten), die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln und den Missbrauch von Medikamenten, wie beispielsweise Appetitzügler, Abführmittel und Entwässerungsmittel, zu ihrem Wunschgewicht zu gelangen. Auch chirurgische Eingriffe wie z. B. Fettabsaugen werden immer häufiger von jungen Frauen in Betracht gezogen, trotz gesundheitlicher Risiken. 8% der 6-17-jährigen Mädchen wiegen zu wenig.
50% aller Mädchen unter 15 Jahren halten sich zu dick, bei Normal- oder Untergewicht. 90% der weiblichen Teenager wollen abnehmen. 66% aller 11-19-jährigen Jungen und Mädchen möchten dünner sein. 73% der Frauen finden ein Gewicht unterhalb des Normalgewichts am attraktivsten.
Magersucht, Anorexia nervosa
“Hungern gab mir Halt und Sicherheit. Hungern half mir, meine Angst vor dem Leben zu bewältigen, meine Angst vor dem Selbständigwerden, der Verantwortung, dem Aufgeben meines Kindseins, meine Angst vor dem Erwachsenwerden. Hungern half mir, die Rolle des hilflosen, bedauernswerten Kindes aufrechtzuerhalten.” reflektiert eine Betroffene. ”Asketischer Typ”: Gewichtsreduzierung durch Hungern.
”Hyperorektischer Typ”: Gewichtsreduzierung durch Hungern, Essen von kalorienarmen Speisen, Einnahme von Abführmitteln. Herbeiführen von Erbrechen ähnlich wie bei der Bulimie: Erbrechen infolge eines Heißhungeranfalls.
Magersucht- Symptome: Gewichtsverlust und intensive Furcht vor einer Gewichtszunahme.
Störung in der Art und Weise, wie das eigene Körpergewicht oder die eigene Figur erlebt wird. Übermäßiger Einfluss von Körpergewicht oder Figur auf die Bewertung der eigenen Person oder Leugnung des Ernstes des gegenwärtigen niedrigen Körpergewichts. Äußeres Erscheinungsbild: auffallend dünn. Magersüchtige sind oftmals hoch sensibel für die Bedürfnisse anderer. Sie können sich verbal gut mit Freunden, Bekannten und Verwandten auseinander setzen. Der Zugang zu ihrer eigenen Gefühlswelt ist ihnen jedoch sehr schwer möglich.
Typisch für Magersucht ist die Abwehr der Introspektion. Fehlender Kontakt zum eigenen Körper und dessen Bedürfnissen. Der Körper wird als Feind erlebt und bekämpft. Ständiges Wiegen und sich zu dick fühlen herrschen vor. Der Kopf kontrolliert und steuert. Die Kontrolle vermittelt das Gefühl, autonom und selbständig zu sein. Manchmal übertriebene Sparsamkeit und extremer Reinlichkeitssinn, Ablehnung jeglicher lustbetonter Betätigung, eine ausgesprochen spartanische Lebensweise. Rückzugsverhalten. Schwarzweißdenken und depressive Verstimmungen. Ritualisiertes Essverhalten. Extrem langsames Essen, extrem heiß oder kalt essen. Verzehr von Baby- oder Kindernahrung, breiiger Kost. Bevorzugung von kalorienarmen Nahrungsmitteln und Getränken, meist sehr einseitige Nahrungsauswahl. Essen vortäuschen, kauen und ausspucken. Kochen, backen, Rezepte sammeln und andere zum Essen animieren. Vieles im Stehen machen. Sich Kälte aussetzen. Exzessiv Sport treiben. Tragen von schweren Taschen/Rucksäcken. Die Betroffenen verweigern sich über lange Zeit, sich ihre Krankheit einzugestehen.
10-15% aller Magersüchtigen sterben an ihrer Magersucht! Es besteht die Gefahr, dass die Magersucht chronisch wird.
Bereits jede dritte Schülerin (zwischen 12 bis 20 Jahren) leidet an Frühformen von Essstörungen, bei 14% dieser Altersgruppe besteht bereits ein sehr hohes Risiko für die Entwicklung einer Magersucht.
Etwa 5 Millionen Menschen , davon die allermeisten weiblichen Geschlechts, in Deutschland leiden an Essstörungen.
3,7 Millionen davon haben gefährliches Untergewicht. 100 000 Menschen, insbesondere Frauen, leiden demnach an Magersucht. Die Zahl der Magersüchtigen verdreifachte sich in den letzten zehn Jahren. 30% der Magersüchtigen sind chronisch krank. 30% der Magersüchtigen sind nach einer Behandlung geheilt. 30% der Magersüchtigen erfahren eine Spontanheilung. 10% aller Magersüchtigen sterben an ihrer Magersucht.
Folgeschäden:
Absinken des Stoffwechsels, des Pulses, des Blutdrucks und der Körpertemperatur. (-> Müdigkeit, Frieren und Verstopfung). Hormonelle Veränderungen (Trockene Haut, brüchige Haare, Ausbleiben der Menstruation, Veränderung der Körperbehaarung, Osteoporose (Verringerung der Knochendichte). Mangel an lebensnotwendigen Elektrolyten (Kochsalz, Magnesium oder Kalium) durch Fasten und den Gebrauch von harntreibenden Medikamenten oder Abführmitteln. Verschiebungen des Säuregehaltes im Blut (Kaliummangel + Säuremangel führen zu schweren Herzrhythmusstörungen). Verkrampfungen und eine schnelle Ermüdbarkeit der Muskulatur. Anstieg des Harnsäurespiegels durch zu wenig Flüssigkeitsaufnahme -> Nierenstörungen. Langjähriger Kaliummangel kann die Nierenfunktion dauerhaft schädigen. Durchblutungsstörungen mit Kältegefühlen an den Händen und Füßen, bis hin zu Erfrierungen. Veränderungen der Sexualhormone treten schon nach einer Gewichtsabnahme von wenigen Kilogramm ein und können zu Unregelmäßigkeiten des Zyklus und zu einer Einschränkung der Fruchtbarkeit führen (unerfüllter Kinderwunsch).
Psychische Folgen:
Ständiger zwanghafter Vergleich mit anderen Menschen. Starkes Kontrollbedürfnis. Schuldgefühle, wenn etwas schmeckt. Angst vor eigenen Bedürfnissen. Selbsthass, Geiz, Zwanghaftes Verhalten (Waschen/Putzen), Sozialer Rückzug , Depressive Verstimmungen. Teilweise selbstverletzendes Verhalten. Abnahme der Konzentrationsfähigkeit.
Adipositas, Fettsucht, Übergewicht
Fettsucht ist ein körperlicher Zustand, bei dem im Fettgewebe unter der Haut und in anderen Organen zu viel Fett eingelagert ist.
Übergewicht entsteht, wenn dem Körper ständig mehr Nährstoffe zugeführt werden, als er verbraucht. Diese werden dann in Form von Fett deponiert.
Die optimalen Körperfettanteile bei Männer liegen zwischen 11-17% und bei Frauen zwischen 19 und 22%. Werte unter 3% bei Männern und unter 11% bei Frauen sind genauso ungesund, wie Fettanteile über 30%. Tabelle BMI (Body Measurement Index) - Werte Normalgewicht 20,0 - 24,9 Übergewicht 25,0 - 29,9 Adipositas Grad I 30,0 - 34,9 Adipositas Grad II 35,0 - 39,9 Adipositas Grad III > 40
Formel BMI:
„Gewicht in Kilogramm (Kg) / Körpergröße (m2)“
Ca. 10% der Fettsüchtigen (hauptsächlich Frauen) zeigen das Syndrom nächtlichen Essens (nighteating syndrom).
Bei ca. 5% der Fettsüchtigen findet sich das Syndrom der Fressorgien (binge eating). Sie leiden unter einem gestörtem Sättigungsgefühl.
Zusatzerkrankungen:
Hoher Blutdruck, Erhöhung der Blutfette, Schlafstörungen, Arthrose der großen Gelenke, Schlaganfall, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemnot, Diabetes, Gallensteine. Das Risiko Krebs zu bekommen steigt und ist höher als bei Alkohol- und Tabakgenuss. Fettsucht kann das Leben verkürzen und zu einem vorzeitigem Tod führen.
Selbstbild: Fettsüchtige empfinden ihre Körper als ekelerregend. Sie haben das Gefühl, von anderen mit Feindseligkeit und Verachtung betrachtet zu werden.
Grund: extreme Unsicherheit, geringes Selbstvertrauen und gestörtes Sozialverhalten, soziale Isolation.
Psychosomatische Ursachen (z.B. Depressionen, Einsamkeit).
Krankheitsbedingte Fettsucht wird durch eine Unterfunktion bestimmter Hormondrüsen erzeugt. Dies gilt für ca. 10% der Fettleibigen.
Genetische Ursachen: Erbanlagen können zu einer vermehrten Nahrungsaufnahme, zu einem verminderten Energieumsatz oder einer bevorzugten Energiespeicherung in Form von Fett führen.
Behandlungsmethoden
Mehr körperliche Bewegung (z.B. in einer Gruppe). Ernährungsumstellung mit Hilfe eines Ernährungsberaters. Emotionale Unterstützung. Stärkung des Selbstwertgefühls.
Operationsmethoden: Magenverkleinerung: Durch den kleineren Magen stellt sich schnell ein Sättigungsgefühl ein.
Magenballon: Der Ballon füllt den Magen partiell. Der Fettleibige verspürt ein Gefühl der Sättigung. Der Ballon kann bis zu sechs Monaten im Magen verbleiben. Magenschrittmacher: Es werden elektrische Impulse in den Magen sendet. Dieser elektrische Stimulus beeinflusst die Wirkung der Muskeln des Magens. Beim Essen empfinden der Fettleibige
schneller ein Gefühl der Sättigung. Fettsucht eine Wohlstandskrankheit?
Der zunehmende Wohlstand hat einen wesentlichen Einfluss auf unsere Essgewohnheiten: unausgewogene Ernährung, fettreiche Fast- Food- Snacks, zu üppige Portionen, sowie stark gesüßte Erfrischungsgetränke.
Früher war es für den Körper überlebensnotwendig, Energiereserven in Form von Fettdepots zu haben, um die Zeiten der Nahrungsknappheit zu überstehen.
Die Anteile von Fett in Lebensmitteln sind in den letzten 30 Jahren von 20% auf 43% gestiegen.
Bulimie, Ess-Brech-Sucht
Bulimia nervosa , griech. “bulimos“ - Ochsenhunger. einzelne Berichte bereits in der Antike. RUSSEL (1979) - Eigenschaften wissenschaftlich beschrieben. Zuwachs in der letzten 20 Jahren. hohe Dunkelziffer. 2-4 % bei den 18 bis 35jährigen Frauen. 95% aller Erkrankten sind weiblich.
Alter bei Erkrankungsbeginn etwas höher als bei Anorexia nervosa. auch Folge der Magersucht. Symptome:
wiederholte Attacken von Heißhunger gefolgt von selbst herbeigeführtem Erbrechen. Fressattacken: Nahrungsmittel, die sonst tabu sind, bis zu 50.000 Kalorien pro Attacke. Frequenz der Attacken: 1-2 pro Woche bis 20 pro Tag. heimlich; tiefes Schamgefühl. Mundraub, Schulden,
auch Erbrechen einer normalen Mahlzeit. andere Mittel: Abführmittel, Appetitzügler etc. ständige Beschäftigung mit Essen. Unter - oder Übergewicht schlankes Körperideal
Hintergrund: individuelle Leidensgeschichte. sehr kontrolliert, Lebensbereich gut im Griff. Frauen: schlechte Erfahrung im Bereich der Sexualität. entwickelt aus Magersucht. Beeinträchtigung der Gefühlswelt. niedriges Selbstwertgefühl. Folgen: emotionale Einsamkeit. Teufelskreis durch “Effektivität“.
Entwicklung einer Suchterkrankung oder Borderline-Persönlichkeit. Elektrolytentgleisung, Kreislaufprobleme, Abführmittelmissbrauch, Vergrößerung der Speicheldrüsen, Zahnschmelzeffekte, Durchfall und Verstopfung, Verhornungsmale am Handrücken.
Schönheitsideale und Attraktivitätsklischees
Amerikanische Schauspielerinnen früher BMI von 20-25, heute 18,5. 18,5 eigentlich unterernährt. Modelgewicht früher 8% unter Durchschnitt, heute 20%. Körperfettanteil bei Models & Schauspielerinnen bei 10%, normal sind 25%. Schaufensterpuppe heute 10 cm weniger Hüftumfang und 5 cm dünnere Oberschenkel. Im Vergleich zu lebendigen Frau 13,5 cm weniger Hüfte und 10 cm dünnere Oberschenkel. Barbie-Puppen!
„Gewinner“: Mode - und Kosmetikbranche, Schönheitschirurgie, Pharmaindustrie mit Appetitzüglern, Lebensmittelindustrie mit Lightprodukten. Brigitte Umfrage bei Frauen
gutes Aussehen von deutschen Frauen höher bewertet als in den 70ern. 57 % glauben gutes Aussehen fördert Chancen im Berufsleben. 32 % - gutes Aussehen fördert Chancen im Privatleben (1978: 51 %). 94 % machen sich schön für Wohlbefinden und Selbstsicherheit. 3 % (1978: 14 %) für sich selbst.
Schönheit Frage des Alters - NEIN 41 % zufrieden mit Aussehen ( 1978: 56 %). 25 % halten sich für schöner als Durchschnitt (1978: 17 %). gesünder leben = gutes Aussehen: 85 %. gutes Aussehen leichter, weil weniger Kinder: 79 %. viele mit Körper nicht zufriedena ) gesellschaftliche Norm b) eigene Schönheitsvorstellungen Modeschöpfer, Werbefachleute, Showstars. Opfer unserer eigenen Einstellung.
Entwicklung von Scham, Hemmungen, Ängsten und ernsten psychischen Störungen. Schönheitsideale vergänglich. relativer Begriff. Geringes Selbstwertgefühl. Körper annehmen Unser Körper ist der einzige Ort, in dem wir leben können. Behandeln Sie ihn deshalb gut und vor allem: Nehmen Sie ihn an.
Wandel des Schönheitsideals:
Steinzeit: Dickleibigkeit als Schönheitsideal, weil Garant für die „Aufzucht“ der nächsten Generation. Die Venus von Willendorf als „Traumfrau“.
Griechische Klassik: Ausgewogene Proportionen: Körper und Geist harmonisch im Einklang. Aus heutiger Sicht wirkt dieses Ideal eher mollig und stämmig. Renaissance: Wie schwanger erscheinender Bauch, Arme, Beine und Brust zeigten sich eher unscheinbar und mager.
Barock: Üppig, doch kristallisierte sich das Ideal „schmale Taille“ heraus. Die Frauen zwangen sich ins Korsetts, um dem Ideal zu entsprechen.
Im 20. Jahrhundert änderte sich das Schönheitsideal grundlegend. Was bis dahin das Korsett geleistet hatte, musste nun am Körper selbst abgespeckt werden. Die erste Schlankheitswelle kam ins Rollen.
2. Weltkrieg: Weibliche Formen wieder gefragt. Mütterlichkeit wurde propagiert. Die gut genährten, vollbusigen Damen galten auch noch in der Nachkriegszeit als schön, denn die Fülle zeugte von Reichtum.
In den 60ern: das Schlanksein setzte sich wieder durch. Marilyn Monroe und Liz Taylor: lange Beine, schmale Taille und großer Busen. Später Model Twiggy: knabenhafte, magersüchtig erscheinende Frauen. Prominente mit Essstörungen: Johanna von Orleans Kaiserin Sissi Kronprinzessin Victoria Heather Locklear Matt Damon Sven Hannawald Tom Hanks Franz Kafka Franziska van Almsick Geri Halliwell Paula Abdul Lady Diana Elton John Jane Fonda
Therapeutische und pädagogische Interventionsmöglichkeiten
Therapieziele: eigene Gefühle ausdrücken. Eigene Verantwortung übernehmen können. Übermäßigen Leistungsdruck und Perfektionismus abbauen. Abbau von Hemmungen und Ängsten im Umgang mit dem Essen. Normales Einkaufen. Erfahrung von Hunger und Sättigung. Grundkenntnisse über eine gesunde Ernährung. Den eigenen Körper wieder spüren lernen. Selbstvertrauen erlangen.
Ambulante und stationäre Therapie.
Gewichtskontrolle: Minimumgewicht und Maximumgewicht vereinbaren. Essprotokoll, was wann, wo, wie und aus welchem Grund gegessen wurde. Über Gefühle während und nach dem Essen sprechen und einen anderen Umgang mit dem Essen erlernen.Einüben von Veränderungsstrategien. Entwicklung von Strategien mit dem Essen besser umzugehen. Auslösesituationen für den negativen Umgang mit dem Essen finden, damit das Essen wieder ein positives Erlebnis werden kann.
Musiktherapie und Musikpädagogik: Rezeptives Musikhören oder aktives Musizieren. Allgemeine Förderung der Kommunikationsbereitschaft und der emotionalen Äußerung In der Kunsttherapie und Kunstpädagogik wird die Kunst genutzt, um Menschen bei ihren persönlichen Schwierigkeiten zu helfen. Malen, Bildhauerei und das Gestalten mit Ton sind dabei Techniken, die zum Einsatz kommen können.
Erlebnistherapie und Erlebnispädagogik: Klettergarten, Canyoning, Streichelzoo, Kinobesuche,
Konzertbesuche und Besuche diverser Veranstaltungen. Freizeitaktivitäten / Vergnüglichkeiten, Radfahren / Schwimmen etc., Ausflüge und Teilnahme an Workshops, Segelschiff-Törns auf Traditionsseglern.
Reittherapie, Hippotherapie, oder tiergestützte Pädagogik mit Pferden: Ziel ist, den eigenen Körper wieder spüren zu lernen und einen besseren Bezug zu ihm zu bekommen. Therapeutisches Schwimmen und Schwimmpädagogik, zum Beispiel Schwimmen mit Delfinen, hat den gleichen Nutzen wie auch die Reittherapie. Die Wahrnehmungsfähigkeit für den eigenen Körper soll verbessert werden. Man fühlt sich im Wasser leichter und einfach schwerelos. Ernährungsberatung: gesunde Ernährung, Fehlernährung und deren Folgen kennen lernen. Lebensmittel einkaufen, zubereiten und diese dann in „normale“ Portionen einteilen und gemeinsam verzehren. Einen realistischen Blick in Bezug auf das Essen gewinnen.
Gesundheitserziehung
Aufgabe der Gesundheitserziehung ist es Menschen zu unterstützen, sich gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen bewusst zu werden, selbstbestimmte gesundheitsbewusste Entscheidungen treffen zu können, Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen und sich aktiv an der Gestaltung einer gesundheitsförderlichen Umwelt zu beteiligen.
Aufgaben der Schule ergeben sich aus dem hohen Anteil überernährter Kinder und Jugendlicher, der steigenden Aggressivität und Gewaltbereitschaft, der besonderen Gefährdungen durch Nikotin, Alkohol und illegale Drogen sowie der steigenden Zahl allergiekranker Kinder und Jugendlicher. Auf diese Probleme und Aufgaben kann die Schule oft nur unzureichend reagieren! Frühere Konzepte zur Gesundheitserziehung bestanden aus Wissensvermittlung und Abschreckung, Appelle an die Vernunft, strikte kognitive Unterweisung und stereotype Abschreckung, Drohungen, Angst und Schock. Diese Konzepte waren weitgehend erfolglos und verfehlten ihr Ziel. Es ist eine Diskrepanz zwischen Wissen und Verhalten festzustellen.
Gegenwärtige Konzepte zur Gesundheitserziehung sind ganzheitliche Konzepte. Es geht um die Anleitung und Einübung von Verhaltensweisen, die die psychische, physische und soziale Gesundheit des Menschen erhalten und fördern können.„Lernen durch aktives Tun“, „Lernen an beispielhaftem Verhalten“.
Gefördert werden sollen die Handlungskompetenz, die Sozialkompetenz und die Entscheidungskompetenz.
Ziele der Gesundheitserziehung
Die Schüler sollen Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebensbedingungen erkennen, entwickeln und erproben, Kenntnisse und Einsichten über eine gesunde Lebensführung gewinnen und für Belange individuellen Wohlbefindens sensibel werden und Selbstwertgefühl entwickeln und ihr physisches wie psychisches Selbst-Bewusstsein stärken.
Themenfelder der Gesundheitserziehung Grundkenntnisse über den eigenen Körper und die Psyche; Gesunderhaltung des Körpers; Richtige Ernährung; Seelische Gesundheit; Sexualerziehung; Suchtprävention; Körperpflege; Unfallverhütung; Krankheiten und Behinderungen.
Mögliche Erfahrungsfelder könnten die Anlage eines Schulgartens und der biologische Anbau von Obst und Gemüse, die Gestaltung gemeinsamer Frühstückspausen und die gemeinsame Zubereitung von Mahlzeiten aus vollwertigen Lebensmitteln werden. Eine Rhythmisierung des Schulvormittags, bei der Phasen der Arbeit und Entspannung gleichermaßen zur Geltung kommen, wäre sinnvoll. Die Umgestaltung des Klassenraums im Sinne einer "Schule zum Wohlfühlen" wäre durchaus einen Versuch wert.
1.2 Zur Sozialisation der Jungen
SCHNACK und NEUTZLING beschreiben in ihrem viel diskutierten Buch „Kleine Helden in Not - Jungen auf der Suche nach Männlichkeit“ (1990 ) die Schwierigkeiten der Jungen bei ihrer Identitätsfindung. Den Autoren zufolge kann man sagen, dass es keine ausschließlich glückliche Kindheit gibt. Diese existiert nur in den Wünschen liebender Eltern und in den sentimentalen Erinnerungen erwachsener Menschen, denn : Jeder Säugling empfinde schon Gefühle wie Angst, Verlassenheit, Enttäuschung, etc. Jedes Kind müsse irgendwann Gefühle von Abhängigkeit und Selbstbehauptung erleben. Jeder wird irgendwann auch den liebendsten Vater als Konkurrenten und Rivalen in Bezug zur Liebe zur Mutter erleben.
Der ständige Wunsch nach immer glücklichen Kindern kann negative Auswirkungen haben. Laut SCHNACK und NEUTZLING versuchen Kinder immer den Erwartungen der Erwachsenen zu entsprechen und haben dann das Problem, dass sie, wenn sie stets nur immerzu glücklich sein sollen, nicht mehr wissen, an wen sie sich mit ihrem Unglück wenden sollen. „Eltern können ihre Kinder nicht vor den Dramen der ersten Lebensjahre bewahren, sie können ihnen nur helfen, sie durchzustehen.“( SCHNACK/NEUTZLING 1990, S.15 )
Zur Bedeutung der Mutter in der Kleinkindzeit
Die erste Person, die jeder Mensch in seinem Leben liebt, ist die Mutter, also weiblich. Kinder werden von einer Frau ausgetragen, geboren und meistens auch gestillt. Die ersten Gefühle, positive wie negative, schon im Mutterleib und bei der Geburt, die ein Mensch erfährt, sind mit dem weiblichen Körper und der Persönlichkeit der Mutter verbunden. Die Mutter-Kind-Beziehung ist eine besondere Beziehung. Auch ein Vater, der sich sehr bemüht, hat gegen die enge Mutter-Kind-Beziehung keine Chance.
Die Mutter-Sohn-Beziehung: Laut SCHNACK und NEUTZLING kann man schon im Kleinkindalter einen bestimmten Unterschied zwischen der Mutter-Sohn-Beziehung und der Mutter-Tochter-Beziehung erkennen: Es besteht bei der Mutter-Sohn-Beziehung eine Asymmetrie der Geschlechter. Der Junge hat von Anfang an in der Mutter ein adäquates Sexualobjekt. Beim Heranwachsen stellen Jungen fest, dass sie anders sind als die Mutter. Dies führt bei den Jungen schon sehr früh zu einem Identitätsbruch und der Junge ist gezwungen, sich eine neue Identität zu suchen. Dabei orientiert er sich an den Rollenangeboten, die ihm unsere Gesellschaft anbietet. Ein Junge kann seine Identität aber nur finden, wenn er sich von seiner Mutter abgrenzt. Dies ist wiederum für die Jungen sehr schmerzhaft, da er sich aus der „paradiesischen“ innigen Mutter-Kind-Symbiose der ersten Lebensjahre lösen muss. Dabei muss er akzeptieren dass die Mutter groß ist und bestimmt und er klein ist. Er muss lernen, dass eine dominante, aber auch sehr anziehende Mutter ihm seine noch unsichere geschlechtliche und personale Identität nicht wegnimmt.
Problematische Mutter-Rollen
1. Die stolze Mutter hält ihre Kinder für etwas Besonderes und hat Angst, dass man deren Gewöhnlichkeit erkennt. Sie „managed“ ihren Sohn, lobt ihn oft, um ihn zu Höchstleistungen anzuspornen. Sie kümmert sich nur um ihren Sohn, nie um ihre eigenen Belange. Sie projiziert ihre eigenen Omnipotenzwünsche auf ihren Sohn. Sie vermittelt ihrem Sohn, dass er ein außergewöhnlicher Mensch ist, aber nur mit Hilfe seiner Mutter. Als Erwachsene bleiben die Söhne
oft unter den Fittichen der Mutter.
Die stolze Mutter sieht den Sohn als Konkurrenten zu ihrem Ehemann oder Lebenspartner.
2. Die kontrollierende Mutter bestimmt immer, was für ihren Sohn das Beste ist. Der Vater, Ehemann oder männliche Lebenspartner hat keine Chance, bei der Erziehung des Sohnes mitzuwirken. Sie erledigt die Haushaltspflichten perfekt. Sie pflegt die Kontakte zu den Lehrern ihres Sohnes und zu den Eltern der Spielkameraden ihres Sohnes. Der Sohn kann vor seiner Mutter eigentlich nichts geheim halten. Sie hört ihrem Sohn immer zu, wenn er Probleme hat. Diese Mutter verplant die Nachmittage ihres Sohnes mit Aktivitäten, wie Fußballtraining, Klavierüben, Nachhilfestunden etc.. Sie selten offen streng, aber hat ihren Sohn dennoch unter Kontrolle. 3. Die kämpfende Mutter hat positive wie negative Aggressivität. Sie hat immer das Gefühl, dass sie ihren Sohn verteidigen muss.
„Die Söhne kämpfender Mütter haben grundsätzlich schlechte Lehrerinnen. Schon im Sandkasten werden sie von ungezogenen Bälgern malträtiert. Sie bekommen entweder viel zu viel oder zu wenig Schulaufgaben auf. Werden Sie krank, dann geraten sie an einen inkompetenten Arzt“ (SCHNACK/NEUTZLING 1990, S.109 ).
Die Söhne werden auch oft aggressiv. Die Sozialkompetenz des Sohnes ist oft wenig entwickelt, weil ihm immer gezeigt wird, dass er eigentlich im Recht sei. Diese Mutter müsste eigentlich für sich selbstkämpfen, da sie bei genauerem Hinsehen eine äußerst schutzbedürftige Frau ist. 4. Die Mitmach-Mutter engagiert sich sehr für ihren Sohn, so sehr, dass sie ihm keinen eigenen Freiraum lässt. Sie ist eine „gute“ Mutter, bastelt, malt, spielt, etc., und unterhält den Sohn den ganzen Tag lang. Sie unternimmt die Aktivitäten mit dem Sohn aber nur, weil sie mit sich selbst und ihrer Zeit nichts anzufangen weiß. Die Mutter beschäftigt sich mehr mit ihren Kindern als mit ihrem Mann. Als Erwachsene können die Söhne sich nur schwer aus der engen Mutter-Sohn-Beziehung lösen. Die Söhne haben als Erwachsene oft das Gefühl, dass sie ihrer Mutter etwas schuldig sind und mögen sie deshalb nicht „allein“ lassen. 5. Die Mutter als Putze
„Die Putze lässt sich gefallen, dass sie und ihre Arbeit abgewertet werden. Meistens ist sie mit einem Mann verheiratet, dem die Angst aus dem Hemdkragen kriecht; der um sich haut, weil er sich sonst wehrlos fühlen würde, und der bedient werden will“. (SCHNACK/NEUTZLING 1990, S. 112)
Sie hat oft einen dominanten und brutalen Mann. Sie putzt aus Leidenschaft gern. Der Sohn leidet darunter, dass die Mutter vom Vater immer wieder „heruntergeputzt wird.
„ Die Ablösung von einer so oder anders abgewerteten Mutter ist schwieriger, als sie auf den ersten Blick erscheint, denn weder für liebevolle noch für Abhängigkeitsgefühle des Sohnes ist Platz genug vorhanden. Wie kann er die Mutter heiß lieben, wenn sie so wenig Achtung erfährt? Wie kann er sich klein und abhängig von der Putze fühlen? Er verdrängt, was er tun müsste - anstatt groß zu werden, lernt er dreckige Witze.“ (SCHNACK/NEUTZLING 1990, S. 113)
Die Rolle des Vaters
Väter sind schon im Kleinkindalter wichtig für Jungen. Ein Vater kann vom ersten Tag an seinem Kind Wärme, Liebe und Befriedigung geben. Ein Baby kann sehr früh zwischen Vater und Mutter unterscheiden.
Nach SCHNACK und NEUTZLING soll ein Vater am Anfang nicht so sein wollen wie die Mutter, sondern er soll einfach nur dazu beitragen, der Mutter und dem Kind eine glückliche Anfangszeit zu ermöglichen. Wenn ein Junge auch zarten und liebevollen Körperkontakt von dem Vater erfährt, fällt ihm der Ablöseprozess von der Mutter leichter. Wenn ein Baby die Mutter negativ erlebt, z.B. wenn sie weggeht, wird der Vater von dem Kind besonders gebraucht. Der Vater kann hier also helfen, die Beziehung zur Mutter zu lockern.
Der Vater zeigt dem Sohn ein „Modell“, dass man einer Frau, der Mutter, sehr nah sein kann, obwohl man eine eigene Identität und Autonomie besitzt. Wenn ein Vater zu Hause im Haushalt mithilft, wird auch aus dem Sohn kein Pascha werden. Im Gegenzug aber , wenn ein Vater sich zu Hause nur bedienen lässt, wird auch der Sohn nicht lernen, ein eigenes Leben zu führen. Wenn der Vater sich mit der Mutter streitet, wieder verträgt und mit ihr zusammen Entscheidungen trifft, dann wird der Sohn auch als Erwachsener nicht der Meinung sein, dass man „Weiber“ klein halten muss, um zu bestehen, und er sieht, dass das Bemühen um Selbstständigkeit, nichts mit einem Geschlechterkampf zu tun hat.
Im Normalfall ist in der heutigen Gesellschaft der Vater bereit, alles zu bezahlen , aber ansonsten hält er sich auch heute noch gern von den Kindern fern. Nach der Geburt eines Kindes konzentrieren sich die meisten Männer stärker auf den Beruf. Jungen spüren, dass Männer Macht haben, dass der Vater „draußen“ etwas wichtiges macht. Im Normalfall wird , so vermittelt uns es die Gesellschaft unterbewusst, die Arbeit des Vaters als wichtiger betrachtet als die Arbeit der Mutter zu Hause. Die Macht des Vaters ist aber abstrakt, da sich seine Wichtigkeit außerhalb abspielt. Zu Hause wird der Vater oft als schwach erlebt.
Die Zeit , die ein Junge in der heutigen Zeit mit seinem Vater verbringt, ist in der heutigen Zeit zwar sehr gering, aber von großer Bedeutung. Der Vater hilft dem Jungen, sich aus der Symbiose mit der Mutter zu lösen. Der Junge kann sich mit dem Vater identifizieren und identifiziert sich somit mit dem männlichen Geschlecht.
Problematische Rollen als Vater
1. Der Große-Bruder-Vater konkurriert mit seinen Kindern um die Fürsorge seiner Frau. Er fühlt sich benachteiligt. Er empfindet seine Frau als zu mächtig. Manchmal lehnt er sich gegen sie auf, aber schließlich gibt er bei Entscheidungen immer nach. Er kann seine Kinder beim Spielen nicht gewinnen lassen. Er ist oft nörgelig mit seinen Kindern, und korrigiert diese ständig. Er kann seinen Kindern ein guter Spielkamerad sein, und hat dadurch auch manchmal Kontakt mit den weichen Charaktereigenschaften seines Sohnes. Er nimmt keine Erwachsenenposition in der Familie ein. Er vermittelt dem Sohn unbewusst, dass man als Mann in der Nähe einer Frau nicht bestehen kann. Er bringt mit seinem Verhalten seinen Sohn in Loyalitätskonflikte, entweder der Mutter gegenüber, wenn er den Gefühlen seines Vaters folgt, oder seinem Vater gegenüber, denn die Versuchung ist groß, an Stelle des Vaters, der Mann im Haus zu sein.
2. Der bedeutende Vater meint, er mache alles richtig und wisse alles. Seine Familie erreicht materiell mehr als andere Familien. Er hat Angst vor den weichen Seiten seines Sohnes und reagiert auf diese aggressiv und abschätzig. Auf die Dauer nervt er seine Familie mit seinem Verhalten. Seine Söhne haben es schwer, denn sie müssen akzeptieren, dass sie zur Zeit alles schlechter machen als der Vater.
„Sein Sohn lernt, dass Mann sich dicke tun muss, um gegenüber Frauen zu bestehen.“ (SCHNACK/NEUTZLING 1990, S.93).
Der Sohn erlebt seinen Vater sehr widersprüchlich: Entweder zu mächtig oder zu schwach. Der bedeutende Vater hat oft „missratene“ Söhne.
3. Der alternative Vater hat sich vom traditionellen Rollenbild gelöst und kümmert sich sehr fürsorglich um seine Kinder. Aber es existiert ein Konkurrenzverhältnis zwischen ihm und seiner Frau. Er ist ein braver angepasster Mann, der wenig Wert auf sein sein äußeres Erscheinungsbild legt. Er ist der Ansicht, dass Frauen besser sind als Männer. Er grenzt sich anderen Männern gegenüber stark ab. Er ist im geheimen ein sehr machtorientierter Mensch.
„Seinen Verzicht auf eine (ihm an sich zustehende) erfolgreiche Rolle in der Männerwelt hält er für sehr edelmütig, wodurch ihm entgeht, wie viel Furcht er davor hat, dass er dort versagen könnte.“ ( SCHNACK/NEUTZLING 1990, S. 98).
Er hat ein sehr enges Verhältnis zu seinem Sohn. Seine Söhne sind im sozialen Leben oft sehr schüchtern, zu Hause hingegen frech und aufmüpfig. Öfters beenden alternative Väter ihr Engagement zu Hause nach geraumer Zeit und stürzen sich ins Berufsleben. 4. Der Frauen-verachtende-Vater meint, seine Frau sei ein Dummchen oder eine Schlampe. Er liebt Männergesellschaften und dreckige Witze. Er kommt abends immer sehr spät nach Hause. Er ist der Meinung, dass seine Frau alles falsch macht und sagt ihr das auch ständig. „Sein Sohn, der den ganzen Tag mit dieser blöden Frau, die seine Mutter ist, zusammenlebt und von ihr versorgt wird, gerät in unüberbrückbare schwere Loyalitätskonflikte, die ihn oft dazu bringen, die Familiendynamik zu übernehmen und so viel Unfug oder Mist zu produzieren, dass seine Eltern gar nicht anders können, als sich zusammenzutun.“ ( SCHNACK/NEUTZLING 1990, S. 96) Die Söhne spüren oft, dass ihr Vater eigentlich sehr viel Angst hat.
Der Mythos der männlichen Überlegenheit
„ Jungen müssen überlegen sein und sich durchsetzen können. Sie dürfen keine Angst zeigen, nicht zaghaft oder vorsichtig sein. Ihre Körper sollen gut funktionieren und ständig über sich hinauswachsen.“ ( SCHNACK/NEUTZLING 1990, S.75 )
Die Autoren werten dies als den Mythos der männlichen Überlegenheit. Jungen müssen demnach körperlich stärker sein als die Mädchen, und deswegen schlägt man Mädchen nicht. Unsere ganze Kultur ist insgesamt davon geprägt, dass Jungen bzw. Männer stärker und mächtiger sind. Für Jungen steht von vornherein fest, dass sie besser und mächtiger sind. Alle Erfahrungen, die an der grundsätzlichen Überlegenheit zweifeln lassen, müssen Jungen verdrängen oder umwerten. Gefühle ,die Schwäche zeigen, werden von Jungen bzw. Männern überkompensiert und dies wird als normales männliches Verhalten dargestellt. Männer und Jungen müssen sich immer „cool“ und stark geben, damit man ihre Schwäche niemals erkennen kann. Wie die Gesellschaft die Jungen sieht, zeigen auch die Spielzeuge, die Jungen angeboten werden und nach denen sie verrückt sind, z.B. Pokemon, HeMan, etc..
Schlagworte:
lit-2011_buch, e-book, examensarbeit,
kein Summary verfügbar
Notiz:
Titel: Kindheits- und Jugendprobleme als Herausforderung für alternative Konzepte in Erziehung und Bildung
Veranstaltung: Keine
Autor:Professor Dr. phil. Karl-Heinz Ignatz KerscherJahr: 2011
Seiten: 115
Archivnummer: V165772
ISBN (eBook): 978-3-640-81742-9
ISBN (Buch): 978-3-640-82089-4
DOI: 10.3239/9783640817429
Dateigröße: 1298 KB
Sprache: Deutsch
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ID: 4355 | hinzugefügt von Jürgen an 23:38 - 7.8.2012 |
title: Célestin Freinet - sein methodisches Vorgehen und seine pädagogischen Konzepte by Knecht, Tobias |
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Text:
1 Einleitung
Veränderung ist Fortschritt. Eine der größten Veränderungen in der europäischen Geschichte erfolgte im 19. Jahrhundert und beeinflusste die Gesellschaft grundlegend. Viele Menschen versprachen sich durch die neu entstandenen Fabriken ein besseres Leben in der Stadt als auf dem Lande. Es fand ein Übergang von der Land- zur Stadtbevölkerung statt. Da dieser Übergang ein anderes Leben mit sich zog, mussten die Kinder ebenfalls anders auf dieses Leben vorbereitet werden. Es galt die Menschen zu praktischer Arbeit und selbstständigem Denken zu erziehen. Doch wie sollte man diese neue Form von Erziehung umsetzen? Diese Frage stellten sich viele Reformer die eine Umstrukturierung der Bildung Anfang des 20. Jahrhunderts anstrebten. Ellen Key, John Dewey, Adolphe Ferrière, Georg Michael Kerschensteiner und Célestin Freinet sind nur einige dieser zahlreichen Reformer. Viele zu dieser Zeit entstandenen Ideen endeten als Utopie, andere wiederum sind heute fest in unser Schulsystem eingebettet. Ein sehr erfolgreiches Konzept für eine moderne Schule entwickelte Célestin Freinet, welches in dieser Arbeit beschrieben und untersucht werden soll.
2 Der Einfluss des Lebens Célestin Freinets auf seine Pädagogik
Célestin Freinet wurde 1896 als das fünfte von sechs Kindern in Gars geboren. Die Eltern führten einen einfachen Krämerladen und gehörten zur unteren Schicht der französischen Gesellschaft. Als er 1900 in eine einklassige Dorfschule eingeschult wurde, kam er bereits mit vier Jahren erstmalig in Kontakt mit den schlechten schulischen Verhältnissen, die in weiten Teilen Europas vorherrschten. Célestin Freinet erreichte 1908 den Volkschul- und vier Jahre später den Sekundarschulabschluss (Schlemminger, 2002, S.9).
Vielleicht von den eigenen Erfahrungen beflügelt und ausreichend motiviert die schlechte Schulsituation zu verbessern, begann er 1913 das Seminar, welches ihn zum Lehrer ausbilden sollte. Freinet legte das Abitur ab und begann bereits ein Jahr später das schulpraktische Jahr, das Bestandteil der Lehrerausbildung war. Nachdem im gleichen Jahr der erste Weltkrieg ausbrach, wurde Célestin Freinet zum Militärdienst eingezogen. Durch diese unglücklichen Umstände musste er zunächst seine Ausbildung zum Lehrer abbrechen und diente drei Jahre lang der französischen
Armee im Nordosten von Paris. Kurz vor Kriegsende 1918 wurde Freinet aufgrund eines Lungenschusses ausgemustert (Schlemminger, 2002, S.9). Die Erfahrungen des ersten Weltkrieges machten ihn nicht nur zum Pazifisten, sondern beeinflussten sein zukünftiges Leben maßgeblich. Im Jahr 1920 veröffentlicht Freinet sein erstes Buch mit dem Titel „Getroffen, Erinnerungen eines Kriegsversehrten“ indem er mit den schrecklichen Erinnerungen des ersten Weltkrieges abschloss (Schöningh, 1998, S.9). Er entschied trotz seines schlechten Gesundheitszustandes Lehrer zu werden und wurde zunächst als Aushilfslehrer eingestellt. Seine fortschrittlichen Ideen führten jedoch schnell zu einer Festanstellung im Lehrerberuf. Seine gesundheitlichen Defizite führten jedoch immer wieder zu Beurlaubungen aus dem Schuldienst. Die längste von ihnen erfolgte 1933 und dauerte 2 Jahre. Nachdem diese vom Gesetz vorgeschriebene Frist abgelaufen war, beantragten Célestin und seine Frau Élise Freinet 1935 die Frührente (Schlemminger, 2002, S.9).
Es war dem Paar nun möglich sich ihren zahlreichen Interessen zu widmen. Freinet, unter anderem Generalsekretär der Lehrergewerkschaft, trat im zweiten Weltkrieg der Widerstandsgruppe „Francs Tireurs et Partisans“ bei. Die Französische Widerstandorganisation stand unter kommunistischer Führung und versuchte sich mit Mitteln, wie zum Beispiel dem bewaffneten Widerstand und der Sabotage, gegen die deutsche Besatzung zu wehren.
Freinet gründete 1924 die „Cooperative de l´Enseignement Laic“ (C.E.L.), auf die im späteren Abschnitt noch genauer eingegangen werden soll. Nach dem 2. Weltkrieg gründete er die Pädagogik Kooperative ICEM 1 , welche für seine Pädagogik eintrat und sie der Öffentlichkeit präsentierte (Wichmann, 1999, S.210). Des Weiteren war er von 1926 bis 1946 Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs (P.C.F.), was sich maßgeblich auf seine Pädagogik auswirkte. Freinets gesellschaftliches Ideal war eine durch genossenschaftliche Organisation und Arbeitsweise bestimmte Gesellschaft in der Gestalt eines ländlichen Selbstverwaltungssozialismus 2 (Wichmann, 1999, S.211).
Diese Idee versuchte er nun auf den schulischen Bereich zu adaptieren. Die Schule sollte nach der Auffassung Freinets die Stätte des kindgemäßen und genossenschaftlichen Lernens, Arbeitens und Lebens sein (Wichmann, 1999, S.211).
1 ICEM ist die Abkürzung für Institut Coopératif de l´École Moderne und beschreibt die 1947 von Freinet
gegründete Pädagogik- Kooperative (Schlemminger, 2002, S.42).
2 Der Sozialismus ist eine im 19. Jahrhundert entstandene, von Arbeitern getragene Bewegung, die
eine auf Gleichheit, Solidarität und Gerechtigkeit beruhende Gesellschaft verwirklichen will und dem
Kapitalismus kritisch gegenübersteht (Brockhaus, 1988, Bd 20, S. 535).
Dieser Standpunkt bildete die Basis einer neuen Schule der „École Moderne Francaise“. Doch wie sah die Schule im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts aus und war bereits „ein Spatenstich“ für den Aufbau einer neuen Schule gemacht worden? Diese Fragen sollen im nun folgenden Abschnitt beantwortet werden.
3 Die Kritik an der alten Schule und die Vorläufer der Freinet Pädagogik in Frankreich
Wie bereits beschrieben, waren die Verhältnisse im Schulwesen katastrophal. Die Folgen des ersten Weltkrieges und die Umstrukturierung der Gesellschaft von einer Land- zu einer Stadtbevölkerung gaben der Schule eine neue Charakteristik. Das französische Volksschulwesen war in den zwanziger Jahren in einem sehr schlechten Zustand. Wie bereits beschrieben hatte dies Freinet in seiner Jugend am eigenen Leib erfahren müssen. Die Klassen waren mit vierzig Schülern maßlos überfüllt und die Schule selbst befand sich in einem sehr schlechten baulichen und hygienischen Zustand. Ein weiterer Grund für die angespannte Lage war die zwischen Kirche und Staat gespaltene Gemeinde, welche für den Unterhalt und den Bau der Schule verantwortlich war. Da die Volksvertreter weitestgehend auf der kirchlichen Seite standen, wurden privat- katholische Schulen mehr unterstützt als staatliche (Schlemminger, 2002, S.9).
Der Unterricht war lebensfremd und lehrerzentriert. Der Lehrer unterrichtete die Schüler durch Frontalunterricht, welches die Passivität der Schüler mit sich zog. Der Schulstoff wurde den Schülern diktiert. Freinet beschrieb diese Form der Schule mit dem Begriff „Bastardschule“ (Wichmann, 1999, S.210).
Er war jedoch nicht der erste, der diese Defizite erkannte und beseitigen wollte, denn Freinet zählte zur jüngeren Generation der Reformpädagogen (Schlemminger, 2002, S.13). Er knüpfte lediglich an die Ideen der ausländischen Reformpädagogen Lietz, Kerchensteiner, Dewey und Ferrière an, die das Konzept der Arbeitsschule vertraten. Dieses beinhaltete die Förderung der Selbsttätigkeit des Kindes im Unterricht, den Übergang vom theoretischen Frontalunterricht zur praktischen Handarbeit und die engere Verbindung zwischen Schule und Leben (Scheibe, 1994, S. 201). Auch in Frankreich gab es wichtige Vorläufer der „Freinet- Pädagogik“. So erarbeitete Réne Daniel bereits 1921 mit seinen 92 Schülern freie Texte und kopierte diese mit
Schlagworte:
lit-2012_buch, Hausarbeit,
summary:
Veränderung ist Fortschritt. Eine der größten Veränderungen in der europäischen Geschichte erfolgte im 19. Jahrhundert und beeinflusste die Gesellschaft grundlegend.
Viele Menschen versprachen sich durch die neu entstandenen Fabriken ein besseres Leben in der Stadt als auf dem Lande. Es fand ein Übergang von der Land- zur Stadtbevölkerung statt. Da dieser Übergang ein anderes Leben mit sich zog, mussten die Kinder ebenfalls anders auf dieses Leben vorbereitet werden. Es galt die Menschen zu praktischer Arbeit und selbstständigem Denken zu erziehen.
Doch wie sollte man diese neue Form von Erziehung umsetzen? Diese Frage stellten sich viele Reformer die eine Umstrukturierung der Bildung Anfang des 20. Jahrhunderts anstrebten. Ellen Key, John Dewey, Adolphe Ferrière, Georg Michael Kerschensteiner und Célestin Freinet sind nur einige dieser zahlreichen Reformer. Viele zu dieser Zeit entstandenen Ideen endeten als Utopie, andere wiederum sind heute fest in unser Schulsystem eingebettet. Ein sehr erfolgreiches Konzept für eine moderne Schule entwickelte Célestin Freinet, welches in dieser Arbeit beschrieben und untersucht werden soll.
Notiz:
4,99 €, PDF zum Download
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ID: 4341 | hinzugefügt von Jürgen an 19:40 - 4.8.2012 |
title: Die Modernität der Reformpädagogik by Kohlberg, Wolf Dieter |
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Text:
Die Modernität der Reformpädagogik – konstruktivistischneurophysiologisch begründet<p>
Traditionell ist das pädagogische Leitbild der Lehrer in Deutschland durch das Paradigma der
geisteswissenschaftlichen Pädagogik geprägt. Aus der Sicht der Didaktik – als Kernbereich
der Professionalisierung von Lehrern – ist ein vorherrschendes didaktisches Modell,
insbesondere geprägt durch die bildungstheoretische und die lehrlerntheoretische Didaktik,
entstanden, das ich als „ Objektives Modell“ ( Objektive Didaktik) bezeichnen möchte.
Dieses durch die bildungstheoretische und die lehrlerntheoretische Didaktik geformte Lehrerleitbild
ist einerseits durch einen hohen pädagogischen Anspruch – die dialektische Verknüpfung von
materialer Bildung und formaler Bildung bzw. die systemische Verknüpfung von Ziel, Inhalt,
Methode und Medium – andererseits aber durch zunehmende Überforderung der Lehrer
gekennzeichnet. Bedingt durch die allumfassende Verantwortung des den Lernenden (in bester
pädagogischer Absicht) verobjektivierenden Lehrers, und bedingt durch die zunehmende Divergenz
und Komplexität von Lerngruppen und –situationen kommt es in Unterrichtssituationen immer
häufiger zu einer völligen Überforderung des sich am objektiven DidaktikModell orientierenden
Lehrers.
Schlagworte:
tastver
summary:
Herkömmliche Didaktik wird der reformpädagogischen Didaktik gegenübergestellt
keine Notizen verfügbar
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ID: 2573 | hinzugefügt von Jürgen an 01:44 - 26.9.2005 |
title: Die Modernität der Reformpädagogik – konstruktivistisch neurophysiologisch begründet by Kohlberg, Wolf Dieter |
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Text:
Die Modernität der Reformpädagogik – konstruktivistisch neurophysiologisch begründet
„ Die gelebte Erfahrung dagegen gräbt sich in den Körper,
die Muskeln und das Verhalten ein; sie nimmt fast
physiologischen Charakter an, wird also tief und unauslöschlich. Diese Überlegung ist von zentraler Bedeutung
für die Pädagogik. Die tastende Erfahrung ist für ein
wirksames Leben und für den Kampf des Einzelnen um
die elementare Kraft absolut unverzichtbar. Man kann sie
unmöglich ausschalten, ohne dass dies Disharmonie,
Disintegration und Unzufriedenheit zur Folge hätte. Das ist
der Anfang des - bewussten oder unbewussten - kindlichen
Widerstands gegen schulische Vorgehensweisen“.
(Freinet 1980, S. 70)
Traditionell ist das pädagogische Leitbild der Lehrer in Deutschland durch das Paradigma der
geisteswissenschaftlichen Pädagogik geprägt. Aus der Sicht der Didaktik - als Kernbereich
der Professionalisierung von Lehrern - ist ein vorherrschendes didaktisches Modell,
insbesondere geprägt durch die bildungstheoretische und die lehr-lerntheoretische Didaktik,
entstanden, das ich als „Objektives Modell“ (Objektive Didaktik) bezeichnen möchte.
Dieses durch die bildungstheoretische und die lehrlerntheoretische Didaktik geformte Lehrerleitbild
ist einerseits durch einen hohen pädagogischen Anspruch - die dialektische Verknüpfung von
materialer Bildung und formaler Bildung bzw. die systemische Verknüpfung von Ziel, Inhalt,
Methode und Medium - andererseits aber durch zunehmende Überforderung der Lehrer
gekennzeichnet. Bedingt durch die allumfassende Verantwortung des den Lernenden (in bester
pädagogischer Absicht) verobjektivierenden Lehrers, und bedingt durch die zunehmende Divergenz
und Komplexität von Lerngruppen und -situationen kommt es in Unterrichtssituationen immer
häufiger zu einer völligen Überforderung des sich am objektiven Didaktik-Modell orientierenden
Lehrers.
...
Schlagworte:
Konstruktivismus,
kein Summary verfügbar
Notiz:
Kohlberg, W.D.: Die Modernität der Reformpädagogik - konstruktivistisch-neurophysiologisch begründet. In: PADB in der Steiermark (HG): Beiträge zur Dozentenmobilität 2003/04. pp 66-79.
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ID: 2986 | hinzugefügt von Jürgen an 20:41 - 1.7.2007 |
title: Anwendbarkeit der Freinet-Pädagogik im Mathematikunterricht by Konzok, Nadine |
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Text:
Inhalt
1 Ziel der Arbeit 3
2 Célestin Freinet und der Weg zur Reformpädagogik 3
3 Theoretische Grundlagen der Freinet-Pädagogik 7
3.1 Techniken der Freinet-Pädagogik 7
3.2 Die Freinet-Pädagogik im Mathematikunterricht 10
3.3 Die Umsetzung der Freinet-Pädagogik im Mathematikunterricht heute 10
4 Umsetzbarkeit der Freinet-Pädagogik in der Sekundarstufe 14
4.1 Meinungen und Praxisbeispiele 14
4.2 Umsetzbarkeit der Leitidee: 17
Raum und Form aus dem Rahmenlehrplan Brandenburg für die Klasse 9/ 10 17
5 Fazit und Schlussbemerkungen 19
Literaturverzeichnis 20
Anhang 1 22
Anhang 2 23
1 Ziel der Arbeit
Allzu oft hört man die Frage „Na, macht die Schule noch Spaß?“. Als stünde fest, dass nach einer bestimmten Zeit die Schule keinen Spaß mehr macht und die Kinder nur noch hingehen, weil die Schulpflicht das verlangt, die Eltern das so wollen, oder man das eben muss. Warum aber sollte Schule keinen Spaß machen? Schließlich ist jeder Mensch von Natur aus neugierig und möchte so viel wie möglich wissen. Und in der Schule kann man etwas lernen. Wie also kommt dieser Widerspruch zustande?
Das Problem liegt im Zwang. Die Kinder und Jugendlichen können nicht das lernen, was sie interessiert, sondern sie sollen lernen, was im Lehrplan vorgesehen ist. Und auch das nicht selbstständig, sondern im Regelfall bekommen sie es von dem Lehrer erzählt. Erst erklärt er ihnen die Thematik, dann übt man sie zusammen und dann übt es jeder noch einmal für sich allein. Wenn dann am Abend die Eltern fragen, was die Kinder in der Schule gelernt haben, zucken diese häufig mit den Schultern.
Die Freinet-Pädagogik ist eine selbstbestimmende Pädagogik, die das Lernen in die Hände der Kinder gibt. Diese Arbeit soll zeigen, wie dieses Konzept bereits umgesetzt wird und dass es auch auf die Sekundarstufe angewendet werden kann. Dazu wird in Kapitel 2 erläutert, wie es dazu kam, dass eine solche reformpädagogische Richtung entstand und wie sie sich von einer kleinen französischen Dorfschule aus zu einer internationalen Bewegung entwickelte. Im darauffolgenden Kapitel werden die Techniken der Freinet-Pädagogik vorgestellt und gezeigt, wie und wo diese heute im Mathematikunterricht angewendet werden. Zur Frage, ob diese
Unterrichtsweise auch in der Sekundarstufe sinnvoll wäre, beschäftigt sich die Arbeit erst einmal mit bereits vorhandenen Meinungen und Praxisbeispielen und gibt dann ein Anwendungsbeispiel zur möglichen Freiarbeit in der neunten Klasse.
2 Célestin Freinet und der Weg zur Reformpädagogik
Célestin Freinet selbst war sich keiner besonderen Befähigung bewusst, die ihn als Kopf des Ganzen prädestinieren könnte. 1 Und doch entstand eine Reformpädagogik, die mit seinem Namen in Verbindung steht und die nicht wie einige andere in Vergessenheit geriet, sondern heute stark diskutiert, vielseitig angewendet und weiterentwickelt wird.
1 Vgl. Jörg, H. 1981, 19
Célestin Freinet wurde am 15. 10. 1896 als fünftes von acht Kindern einer kleinbäuerlichen Familie in Frankreich geboren. Schon als kleiner Junge half er bei der Landarbeit und entwickelte so seine tiefe Verbundenheit mit der Natur und dem einfachen Leben der Bauern, Hirten und Arbeiter seiner Heimat. Als aufgeweckter und freiheitsliebender Schüler erlebte er seine Schulzeit, die ihm keinen Raum für freie Entfaltung gab, als Qual, was zu seiner späteren pädagogischen Sichtweise beigetragen hat.
Einen weiteren großen Einfluss auf seine spätere Unterrichtsweise hatte seine schwere Lungenverletzung, die er 1916 im Kriegsdienst erlitt. Nachdem vier Jahre Aufenthalte in Lazaretten und Sanatorien ihn nicht vollständig genesen ließen, nutzte Freinet die Naturheilkunde und schaffte es bis 1920 soweit gesund zu werden, dass er in der Lage war eine Stelle an der Grundschule Barsur-Loup anzunehmen. 2
Auch wenn viele Autoren dem Einfluss dieser Kriegsverletzung auf seinen Unterricht nicht all zu viel Gewicht beimessen wollen 3 , schrieb Freinet selbst dazu: „Wenn ich, wie so viele meiner Kollegen, einen genügend starken Atem gehabt hätte, um mit Stimme und Gestik die Passivität der Schüler zu überwinden, hätte ich mir eingeredet, dass meine Technik trotz allem annehmbar bliebe. Ich hätte weiter meine Stimme, das Hauptwerkzeug der traditionellen Schule, strapaziert, weshalb ich dann sehr früh mit meinen Erfahrungen am Ende gewesen wäre.“ 4
Erkenntnisse über die Möglichkeiten, seine Vorgehensweise im Unterricht an seine Gesundheit anzupassen, erhielt er aus unterschiedlichen Quellen. Er las Montaigne, Rousseau und Pestalozzi und wurde ebenso in Ferrière („Tatenschule“ bzw. „Praxis der Tatenschule“) fündig. Nebenbei las er auch noch Werke von Lenin und Marx und kam zu dem Schluss, dass nur eine Zusammenarbeit vieler Gleichgesinnter zu einem Ziel führen kann. Er wollte die Pauk- und Buchschule reformieren und gleichzeitig beziehungsweise dadurch eine sozialistische Neuordnung der Gesellschaft erkämpfen und somit die Arbeiterklasse befreien. 5
Besonders wichtig war ihm die Einführung einer einheitlichen Volksschule. Er machte mehrere Reisen nach Deutschland, wo er 1920 dabei war, als das Reichsgrundschulgesetz Kindern aller sozialer Schichten vom 6. bis zum 10. Lebensjahr die Schulpflicht auferlegte. Ebendies, nämlich allen Kindern unabhängig von dem sozialen Stand gleiche Ausbildungschancen zu bieten, war Freinets höchstes politisches Ziel. Weiterhin war er der Ansicht, dass die Interessen des Kindes im Mittelpunkt des Unterrichts stehen sollten. Die Aufgabe des Lehrers sollte es sein, den freien mündlichen, schriftlichen und künstlerischen Ausdruck des Kindes zu pflegen. 6
2 Vgl. Jörg, H. 1994, 93
3 Vgl. z. B. Dietrich, I. 1995, 14
4 Jörg, H. 1981, 19
5 Vgl. Dietrich, I. 1995, 15
6 Vgl. Jörg, H. 1994, 94f
Trotz umfangreicher Recherchen in der bereits vorhandenen Literatur anderer Reformer und der Teilnahme am Kongress in Montreux 1924, wo die Meister der Epoche Seite an Seite standen von Ferrière bis Pierre Bovet, von Claparède bis Cousinet und Coué, gelang es ihm nicht die Theorie in seiner Klasse in die Praxis umzusetzen. Er griff auf traditionelle Techniken zurück, die (so Freinet) für ein ermüdendes Klima sorgten, da der Unterricht ein einziges Wiederholen und Widerkäuen gewesen sei. 7 Erst mit dem Kauf seiner ersten kleinen Druckerpresse im gleichen Jahr konnte er den Schülern einen neuen Umgang mit Worten und Texten aufzeigen. Freinet machte die Erfahrung, dass der freie Text die Fähigkeit des Kindes zu denken und sich auszudrücken fördere und sie so in der Lage seien, eine Persönlichkeit aufgrund eigener Erfahrungen zu entwickeln. Er war selbst sehr überrascht, mit welcher Freude und Ausdauer die Kinder auf die Möglichkeit reagierten, Texte zu verfassen, in denen sie über sich selbst und ihre Erlebnisse berichten konnten, zumal der Umgang mit der Druckerpresse sehr mühselig war und nur sehr kleine Blätter zur Verfügung standen. Doch genau darin sah Freinet den entscheidenden Punkt. Die Arbeit mit freien Texten ermöglichte es den Schülern ihre eigenen Schriften zu verfassen und selbst zu entscheiden, worüber sie schreiben wollten. Zusätzlich baute er eine Verbindung zu einer Schule auf, an der ein Freund von ihm unterrichtete. Dieser führte in seiner Klasse ebenfalls das Drucken freier Texte ein und die Klassen schickten sich gegenseitig ihre Schriften. Durch diese Korrespondenz hatten die Schüler nie das Gefühl, ihre Arbeiten seien sinnlos. 8
Freinet war zwar bereits in einer politischen Gewerkschaft aktiv, gründete jedoch 1924 die C.E.L. - Coopérative de l’Enseignement Laïc (Kooperative für das unabhängige weltliche Schulwesen) - eine pädagogische Gewerkschaft, die aus Lehrern bestand, die Freinet gleichgesinnt waren. Freinet verkörperte immer beides, den politischen Kämpfer und den hingebungsvollen Lehrer. Er wehrte sich jedoch gegen den Missbrauch der Schule als politisches Instrument. Seiner Ansicht nach war er Pädagoge und kein Politiker. Er war der Meinung, wenn „die Politik in die Schule einzieht, zieht die Pädagogik aus“. Bei allen Nachforschungen sei er nie von politischen Gesichtspunkten ausgegangen, sondern es gehe ihm um das Kind und nur um das Kind. 9
Im darauffolgenden Jahr (1925) besuchte Freinet die 1923 gegründete „Einheits-Arbeitsschule“ in der Sowjetunion und traf in Brüssel Maria Montessori.
Als er 1926 Élise Lagier-Bruno heiratete, hatte sich seine Schuldruck-Korrespondenz bereits auf neun Schulen ausgeweitet. Élise Freinet war ebenfalls Lehrerin und künstlerisch engagiert. Sie war Célestin bis zu seinem
7 Vgl. Jörg, H. 1981, 21
8 Vgl. Jörg, H. 1981, 25f
9 Vgl. Jörg, H. 1981, 164
Tod eine treue Mitstreiterin, mit der er gern seine Ansichten diskutierte, da sie in Bezug auf die Aufgaben des Lehrers oft uneinig waren. Im Gegensatz zu ihrem Mann vertrat Élise durchaus die Meinung, dass der Lehrer Einfluss auf den Lernprozess der Schüler nehmen und diesen lenken müsse. 10 Im Jahr 1927 fand der erste Kongress der C.E.L. in Tours statt. Mittlerweile hatte die Kooperative schon 41 Mitstreiter.
Bei seiner Reise zum Kongress nach Leipzig 1928 ließ Freinet all seine mitgebrachten Druckerpressen in Deutschland, da er dort auf großes Interesse für diese neue Möglichkeit der Unterrichtsgestaltung stieß. In diesem Jahr startete er eine Kampagne gegen Schulbücher. Er war der Meinung, dass der Gebrauch von Lehrbüchern dazu führe, dass Schüler lernen, blind dem geschriebenen Wort zu vertrauen. Weiterhin seien Lehrer durch ihren Gebrauch daran gewöhnt immer nach dem gleichen Schema zu unterrichten. Lehrbücher dienen also nur der Verdummung, so Freinet. 11
Daher entwickelte er mit Hilfe der C.E.L. eigene Arbeitsmittel, nach Anregungen von Petersen, Dewey, Montessori und Decroly. Da die wachsende pädagogische Bewegung die bestehende Schule immer offener in Frage stellte, entstand ein heftiger Konflikt mit der Schulbürokratie, der in der Suspendierung Freinets am 21. Juni. 1933 gipfelte. 12 Daraufhin baute er mit seiner Frau ein Landerziehungsheim in Vence bei Cannes auf, das 1935 öffnete. Diese Schule entstand nach dem Vorbild von Lietz und Paul Geheeb, dem Begründer der Odenwaldschule (1910). Sie lag inmitten der Natur und war ausgestattet mit Spielplätzen, Gärten, einem Schwimmbecken, einer Werkstätte, etc. - also allem, was für die Verwirklichung der pädagogischen Ideale Freinets nötig war. 13
Wegen kommunistischer Propaganda wurde Célestin Freinet 1940 festgenommen und eineinhalb Jahre in verschiedenen Internierungslagern festgehalten. Während dieser Zeit musste die Schule geschlossen werden. Freinet hielt sich auch nach seiner Freilassung noch bis 1944 versteckt, um nicht wieder eingesperrt zu werden. In dieser Zeit verfasste er seine Hauptschriften, die dann nach dem Krieg veröffentlicht wurden. 14 Freinets Arbeiten spiegeln seine Aufgeschlossenheit und Vielseitigkeit wider. Zwar setzte er sich viel mit seinen Grundtechniken (Drucken, Selbstkorrektur, Korrespondenz, Arbeitsplanung,...) und ihren Verbesserungen auseinander, aber auch die für die Zeit jeweils neuen Technologien prüfte er auf ihre Tauglichkeit für einen aktiven Umgang in der Schule (z.B. Schalplatten, Radio,...). 15
10 Vgl. Barre, M. 1990
11 Vgl. Freinet, E. 1972
12 Vgl. Hecker, U. 1996
13 Vgl. Jörg, H. 1994, 98
14 Vgl. Schlemminger, G. 2002, 41
15 Vgl. Schlemminger, G. 2002, 20
Schlagworte:
lit_2009-buch, Bachelorarbeit, e-book,
kein Summary verfügbar
Notiz:
Uni Potsdam
Titel: Anwendbarkeit der Freinet-Pädagogik im Mathematikunterricht
Veranstaltung: Keine
Autor:Nadine KonzokJahr: 2009
Seiten: 24
Archivnummer: V162310
ISBN (eBook): 978-3-640-76714-4
ISBN (Buch): 978-3-640-76726-7
DOI: 10.3239/9783640767144
Dateigröße: 222 KB
Sprache: Deutsch
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ID: 4350 | hinzugefügt von Jürgen an 12:21 - 7.8.2012 |
title: Reformpädagogische Konzepte vom Kinde aus - Die Freinet- Pädagogik in Kindertagesstätten by Kouba, Denise |
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Text:
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG 3
1 DIE ENTWICKLUNG DER FREINET-PÄDAGOGIK. 4
1.1 DIE FREINET-BEWEGUNG UM CÉLESTIN FREINET. 4
1.2 PÄDAGOGISCHE GRUNDHALTUNG DER FREINET -PÄDAGOGIK. 5
1.3 DER WEG DER FREINET-PÄDAGOGIK IN KINDERTAGESSTÄTTEN 7
2 GRUNDZÜGE DER FREINET-PÄDAGOGIK. 8
2.1 KINDERZENTRIERUNG ALS GRUNDHALTUNG. 8
2.1.1 Das Kind als handelndes Objekt. 8
2.1.2 Achtung der persönlichen Eigenarten des Kindes. 9
2.2 KINDERN DAS WORT GEBEN. 9
2.2.1 Der freie Ausdruck. 9
2.2.2 Partizipation 10
2.3 DAS VERSTÄNDNIS VON LERNEN UND BILDUNG. 11
2.3.1 Tâtonnement experimental - tastender Versuch und endeckendes Lernen. 11
2.3.2 Sich selbst bilden. 12
2.3.3 Unterstützen und begleiten - die Rolle der Erzieher. 12
3 PRAXIS DER FREINET-PÄDAGOGIK IN KINDERTAGESSTÄTTEN 13
3.1 DER ALLTAG. 13
3.1.1 Aufbau der Kindertagestätte. 13
3.1.2 Handlungsspielräume 15
3.2 ARBEIT MIT KINDERN. 15
3.2.1 Arbeit in Werkstätten. 15
3.2.2 Arbeit in Projekten. 16
3.2.3 Formen der Selbstorganisation. 16
3.2.4 Formen der Partizipation. 17
3.3 ROLLE DER ERZIEHER. 18
3.3.1 Aufgaben der Erzieher. 18
3.3.2 Austausch unter den Erziehern. 19
SCHLUSSBETRACHTUNGEN 20
LITERATURVERZEICHNIS 21
Einleitung
„Mein einziges Talent als Pädagoge besteht darin, dass ich mich meiner eigenen Kindheit sehr gut erinnern kann. Ich fühle und begreife als Kind die Kinder, die ich erziehe und erkenne als Kind und Erwachsener zugleich die Irrtümer einer Wissenschaft, die ihren Ursprung vergessen hat.“ (Célestin Freinet) 1
Kinderzentrierung ist innerhalb der pädagogischen Diskussion nichts Neues. Sie steht für die vielfältige Suche nach der kindgerechten pädagogischen Haltung. Gerade im Rahmen der europäischen Reformpädagogen Adolphe Ferrière, Peter Petersen, Maria Montessori, Rudolf Steiner und Célestin Freinet kommt diesem Verständnis eine besondere Bedeutung zu.
Freinets Verdienst hierbei besteht darin, Kinderzentrierung als Würdigung und erzieherische Begleitung der subjektiven Gegenwart der Kinder praktisch gelebt zu haben. 2 Dies kommt in seinen Grundsätzen, wie „ Kindern das Wort geben“, „Das Kind ist hungrig nach Leben und Aktivität“ oder „Durch Selbständigkeit wird aller Bildungserwerb erzielt“ zum Ausdruck.
Auch kommt er der Forderung nach Selbständigkeit, Selbststeuerung und Eigen-verantwortlichkeit in Entwicklungs- und Bildungsprozessen von Kindern durch sein Konzept des „Entdeckenden Lernens“, des „freien Ausdrucks“ und des „entwicklungsförderlichen Milieus“ nach. 3
Die Freinet-Pädagogik gehört dabei jedoch nicht zu den bekanntesten Reformmodellen in deutschen Kindergärten. Sie verfügt aber über einen großen Fundus an praktischen Erfahrungen, wie der Alltag mit Kindern gemeinsam gestaltet werden kann. Die Pädagogik wurde und wird durch Erzieher im Dialog mit den Kindern selbst entwickelt und ihr Gelingen liegt somit in der konsequenten Kin-derorientierung und Mut zum tastenden Dialog mit den Kindern. 4
In dieser Arbeit soll im ersten Teil auf die Entwicklung der Freinet-Pädagogik und deren Weg in Kindertagesstätten eingegangen werden. Im zweiten Teil erfolgt eine Erläuterung der Grundzüge des pädagogischen Verständnisses, um im dritten Teil deren praktische Umsetzbarkeit in Kindergärten näher zu betrachten. Besonderer Augenmerk soll dabei darauf gelegt werden, ....(Fragen formulieren)
1 Freinet, E., 1981, Erziehung, S. 1 3
2 Vgl. Klein, L., Vogt, H., 1998, Kindertageseinrichtungen, S. 8f.
4 Vgl. Klein. L., 2002, Kindergarten, S. 7f.
3 Vgl. ebenda, S. 9
1 Die Entwicklung der Freinet-Pädagogik
1.1 Die Freinet-Bewegung um Célestin Freinet
Der Begründer der Freinet Pädagogik Célestin Freinet, ein Dorfschullehrer in Bar-sur-Loup in Frankreich, war aufgrund einer Verletzung aus dem ersten Weltkrieg den Anforderungen des üblichen Unterrichts in der Schule nicht mehr gewachsen und suchte nach einer entlastenden Alternative in der Unterrichtspraxis. 5 Er löste die gewohnte Unterrichtsform auf und bot seinen Schülern Möglichkeiten zur Selbständigkeit. Die Reformpädagogik der zwanziger Jahre und die politischen Veränderungen beeinflussten ihn in seiner Idee, den Kindern die Mö glichkeit zu geben ihre Lernprozesse selbst zu gestalten. 6 Er orientierte sich hierbei auch an den "classes promenades", in denen die Kinder das Schulgebäude verließen, um durch Berühren und Betrachten in der tatsächlichen Welt zu lernen. 7
Durch die Anregung des belgischen Pädagogen Decroly entwickelte er mit Hilfe einer Handdruckpresse seine Technik der Schuldruckerei und ließ die Schüler freie Texte schreiben und drucken. Diese Praxis begann allmählich die herkömmlichen Schulbücher zu ersetzen.
Freinet sammelte auf einer Europareise weitere Anregungen von Reformpädagogen, wie Leitz (Landerziehungsheim), Geheeb (Odenwaldschule), Petersen (Emanzipierte Schule) oder Ferrière (l École active), Kerschensteiner, Gansberg, Scharrelmann und weiteren. 8
1924 gründete er mit zahlreichen gleichgesinnten Kollegen die „Cooperative de l Enseignement Laic“ (CEL) aus der die Lehrerbewegung „l École Moderne“ her-vorging. Er hatte erkannt, dass eine Veränderung nur gelingen kann, wenn diese von der Schule und den Lehrern selbst ausgeht. Die Bewegung verstand sich als Pädagogik des Volkes, die Partei für die Unterprivilegierten erhob. Auch verstand Freinet Schule nicht als eigengesetzlichen Lernraum, sondern als Ort, der auf das Arbeiten in der Gesellschaft vorbereitet. 9
Beeinflusst durch Lietz und Geheeb gründete Freinet 1934 ein Landerziehungsheim in Vence. 10 Im Mittelpunkt der Schule stand die praktische, sinnvolle, schöpferische und das Kind entfaltende Arbeit. Freinets Pädagogik basierte dabei auf der Erkenntnis, dass Kinder lernen, arbeiten und Verantwortung tragen wollen.
5 Vgl. Jörg, H., 1992, Begegnung, S. 93; Klein, L., 2002, Kindergarten, S. 9; Freinet, E.,
1981, Erziehung, S. 170
6 Vgl. Freinet, E., 1981, Erziehung, S. 171; Zehrfeld, K., 1997, Praxis, S. 18; Jörg, H.,
1992, Begegnung, S. 96
7 Vgl. Zehrfeld, K., 1977, Praxis, S. 16
8 Vgl. Freinet, E., 1981, Erziehung, S. 172; Jörg, H., 1992, Begegnung, S. 94
9 Vgl. Zehrfeld, K., 1977, Praxis, S. 24
10 Vgl. Freinet, E., 1981, Erziehung, S. 174
Die faschistische Regierung und der zweite Weltkrieg setzten der Freinet Bewegung ein vorläufiges Ende. Nach dem Krieg begründete Freinet das „Institut Cooperative de l École Moderne“ (ICEM), das seinen Schwerpunkt in der Erprobung, Weiterentwicklung und dem Vertrieb von Arbeitsmitteln sah und gleichzeitig regionale Lehrertreffen koordinierte. Da die Anhänger der Bewegung „l École Moderne“ bis 1964 in circa 40 Ländern Arbeitsgruppen bildeten, wurde die „Féderation International des Mouvements de l École Moderne“ (FIMEM) ins Leben gerufen, die über die Grenzen Frankreichs hinaus die Freinet Bewegung koordinieren sollte. 11 Auch der deutsche „Arbeitskreis Schuldruckerei“ schloss sich der FIMEM an, was zu jährlichen Freinet Tagungen in Deutschland führte. Nach den Mai-Unruhen 1968 machte sich in der Freinet-Bewegung ein starker Einfluss links orientierter Gruppen bemerkbar, die zu einer Entfremdung zwischen den Absichten Freinets und der unter seinem Namen propagierten Pädagogik führt, da man versucht Freinets Ideen politisch auszulegen. Auch wenn Freinet als politischer Pädagoge bezeichnet wird und sowohl Kommunist, als auch Anarchist war, distanzierte er sich im Hinblick auf die Pädagogik von politischen Richtungen indem er erklärte: „Ich werde mich nicht einseitig irgendeiner politischen Richtung anschließen. Wenn die Politik sich der Schule bemächtigt, zieht die Pädagogik aus. Uns geht es um das Kind und nur um das Kind.“ 12 . Freinet selbst hat sich als Vordenker und Urheber der Freinet-Bewegung gesehen, aber was heute unter Freinet-Pädagogik verstanden wird, entstand in der Praxis und hat sich dort weiterentwickelt. 13 An diesem Prozess waren viele tausend Pädagogen aus 40 Ländern beteiligt, was zu einer der größten und wichtigsten französischen Reformbewegungen insbesondere innerhalb des Primarschulsystems führte.
Welche pädagogische Grundhaltung in der Freinet-Bewegung eingenommen wird und wie sich diese von Reformmodellen mit vergleichbaren Konzeptionen abgrenzen lassen, soll im Folgenden näher betrachtet werden.
1.2 Pädagogische Grundhaltung der Freinet-Pädagogik
Ebenso wie bei den Reformansätzen Montessories und Steiners handelt es sich bei der Freinet-Pädagogik um eine Pädagogik „vom Kinde aus“, wobei Freinet auf die Arbeit des Kindes, Montessorie auf dessen Bewegung und Steiner auf dessen Entwicklung abzielen. 14
11 Vgl. Freinet, E., 1981, Erziehung, S. 176
12 Jörg, H., 1992, Begegnung, S. 97
13 Vgl. Klein, L., 2002, Kindergarten, S. 12
14 Vgl. Schonig, B., 1992, Kontext, S. 21
Freinet stellte durch Beobachtungen 3 Stadien der psychischen Entwicklung des Kindes fest. 15 Die erste Phase bezeichnet er als „tastendes Ausschauhalten“ (bis 2 Jahre), bei der das Kind eine experimentelle Haltung einnimmt, seine Umwelt beobachtet und prüft, bis es allmählich größere Autonomie erreicht. 16 Die zweite Phase des „Sich-Einrichtens und Einordnens“ (bis 4 Jahre) ist von einem verstärkten Realitätsbezug geprägt, der jedoch noch einer egozentrischen Grundhaltung unterliegt. Und in der „Periode der Arbeit“ erobert das Kind die Welt und erprobt sich selbst durch Arbeit.
Freinet betont somit das selbständige Tätigsein der Kinder und rückt deren Leben, deren eigene Bedürfnisse und Möglichkeiten in den Focus, wobei Experimentieren und Ausprobieren im Mittelpunkt stehen. Nach Freinets Verständnis arbeiten Kinder, wenn dies die Umweltbedingungen erlauben. Ist dies nicht der Fall, so befassen sie sich mit Spielen, die einen Arbeitscharakter tragen. Das Spiel nimmt somit eine Ersatzfunktion für die Arbeit ein und bildet die Grundvoraussetzung der Entwicklung des Ichs. 17
Freinet unterscheidet dabei zwischen „travail-jeu“ der Arbeit mit Spielcharakter und „jeu-travail“ dem Spiel mit Arbeitscharakter. 18 Travail-jeu können alle möglichen Tätigkeiten im Alltag eines Kindes sein, wie z.B. das Malen eines Bildes, bei dem es ein bestimmtes Ziel verfolgt. Dieses Spiel des Kindes ist eigentlich Arbeit, deren Ziel von Erwachsenen nicht als Arbeit anerkannt wird, weil sie für diese weniger zweckgebunden ist. Auf das Kind wirkt diese Arbeit jedoch wie eine Entladung oder Befreiung. 19
Jeu-travail hingegen sind alle übrigen spielerischen Betätigungen, bei dem nicht das Endprodukt, sondern das Handeln selbst der Zweck ist. Dies kommt auch in der Ernsthaftigkeit der Kinder beim Spielen zum Ausdruck. Sie sind in ihrer Arbeit völlig bei der Sache und versunken. 20 Es kommt im Gegensatz zu anderen Modellen im Rahmen der Freinet-Pädagogik folglich zu einer Verbindung zwischen Spiel und Arbeit eines Kindes, was ihm die Gelegenheit geben soll, sich durch seine Tätigkeit selbst zu verwirklichen. Im Erleben der Kinder existiert somit keine Trennung zwischen Arbeit und Spiel, vielmehr nehmen sie auch ihr Spiel ernst. Durch ihre Aktivität baut sich ihr Wirklichkeitsverständnis auf, da sie im Spiel „als ob“ handeln und in der Arbeit wirklich tätig sind. Sie erleben hierbei ihre Kompetenzen und Grenzen. Ebenso lernen sie sich an realen Gegebenheiten auszurichten und eignen sich Wissen über Materialien, Werkzeuge und planvollem Verhalten an. 21 Somit sind Werkstätten in Kindertagestätten nach Freinet-Päda-
15Vgl. Freinet, C., 1979, Schule, S. 14
16 Vgl. Koch, S., 1996, Reformpädagogik, S. 182
17 Vgl. Klein, L., 2002, Kindergarten, S. 23; Koch, S., 1996, Reformpädagogik, S. 182f.
18 Vgl. E
19 Vgl. Freinet, C., 1980, Text, S. 79
20 Vgl. ebenda, S. 91
21 Vgl. Klein, L., 2002, Kindergarten, S. 24
Schlagworte:
lit_2005-buch, grin.de, e-book,
kein Summary verfügbar
Notiz:
FH-Jena
Titel: Reformpädagogische Konzepte vom Kinde aus - Die Freinet- Pädagogik in Kindertagesstätten
Veranstaltung: Reformpädagogik
Autor:Denise KoubaJahr: 2005
Seiten: 23
Archivnummer: V49259
ISBN (eBook): 978-3-638-45752-1
DOI: 10.3239/9783638457521
Dateigröße: 327 KB
Sprache: Deutsch
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ID: 4343 | hinzugefügt von Jürgen an 11:46 - 7.8.2012 |
title: Internationale Herausforderungen für das 21, Jahrhundert by Kovermann, Brigitta |
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Titel: | Internationale Herausforderungen für das 21, Jahrhundert |
Autor: | Kovermann, Brigitta | Sprache: | deutsch |
Quelle: | ?? / Herbert Hagstedt (Hrsg.): Freinet-Pädagogik Heute, Belz-Verlag, Deutscher Studien Verlag, | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | 1997 | | |
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Text:
-
Schlagworte:
summary:
Beiträge zum Interationalen Célestin Freinet-Symposion in Kassel, Schriftenreihe des Weltbundes für Erneuerung
der Erziehung
keine Notizen verfügbar
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ID: 110 | hinzugefügt von Jürgen an 11:19 - 11.2.2005 |
title: Gedanken einer Hauptschullehrerin zur Feinet-Pädagogik by Kraxner, R. Klaudia |
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Titel: | Gedanken einer Hauptschullehrerin zur Feinet-Pädagogik |
Autor: | Kraxner, R. Klaudia | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Viktring, in: Freinet-Kooperativ 4 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1998 | | |
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Text:
Gedanken einer Hauptschullehrerin zur Feinet-Pädagogik
Nach zweijährigem Karenzurlaub kehrte ich voll des Tatendranges zurück in meinen Lehrberuf und übernahm eine Integrationsklasse in den Fächern Deutsch und Englisch. Kein Problem, dachte ich als typische Frontal- und Alleinunterrichtende: Der Integrationslehrer übernimmt seine SchülerInnen und geht in eine andere Klasse. Gleich in den ersten Unterrichtsstunden wurde mir aber klar, dass damit I-SchülerInnen nicht integriert, sondern abgesondert würden. Herr Franz, unser I-Lehrer machte mich mit dem Wesentlichen der Integration vertraut. In kleinen Schritten zeigte er mir Wege und Möglichkeiten, gemeinsam als Team in unseren Gruppen aufzutreten und die SchülerInnen auf offenes und freies Arbeiten vorzubereiten. Erst in dieser Zeit hörte ich erstmals den Namen Freinet. Im Rahmen einer Konferenz besuchten wir Lehrer und Lehrerinnen der Hauptschule 1 in Klagenfurt Kollegin Mag. Pia-Maria Rabensteiner in ihrer Volksschulklasse und konnten ihre Arbeit nach den Grundsätzen Freinets kennenlernen. Neugierig geworden, meldete ich mich bei ihrem Seminar am Ossiachersee an und nach drei Tagen erweiterte und intensivierte ich mein Wissen über die Freinet-Pädagogik. Mein Selbstbewußtsein aber in die Praxis umzusetzen war ein langer Weg.
Ich mußte erst lernen, mich selbst als Lehrerin zurückzunehmen, um dann in entscheidenden Momenten wieder präsent zu sein. Auch unsere SchülerInnen waren es nicht gewohnt, selbständig nach Wochenplan zu arbeiten und ihre Zeit richtig einzuteilen. Im Sesselkreis, wenn auch nicht regelmäßig stattfindend, werden Erfreuliches, Probleme und auch neue Wochenpläne besprochen. Hier zeigt sich für mich, was Freinet erreichen wollte: Freude am Lernen, Selbständigkeit, Mitspracherecht, Entscheidungsfreiheit, Verantwortlichkeit.
Reformpädagogischer Unterricht bedeutet für uns LehrerInnen sehr viel Vorbereitungsarbeit (Erstellen von Wochen- oder Stationenplänen, Herstellen von Lern- und Arbeitsmaterialien, Auswahl von Arbeitsblättern u. v. m) Wenn ich aber sehe, mit welchem Eifer, mit welcher Freude und schließlich auch wesentlich - mit welchem Erfolg die Lernziele bearbeitet und erreicht werden - dann weiß ich: diese Arbeit lohnt sich. Nach den Grundsätzen Freinets zu unterrichten, bereitet schließlich nicht nur den Schülern sondern auch mir große Freude.
R. Klaudia Kraxner, HS 1 Klagenfurt
Schlagworte:
fr_koop_4
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 3093 | hinzugefügt von Jürgen an 02:37 - 22.11.2007 |
title: Unterrichtsprojekte - praktisches Lernen im Deutschunterricht by Krumm, Hans-Jürgen |
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Titel: | Unterrichtsprojekte - praktisches Lernen im Deutschunterricht |
Autor: | Krumm, Hans-Jürgen | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Fremdsprache Deutsch, Heft 4, S. 4-8 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1991 | | |
url: | |
Text:
-
Schlagworte:
lit_1991-art, Fremdsprache_Deutsch
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 3457 | hinzugefügt von Jürgen an 04:20 - 25.7.2009 |
title: Freinet-Pädagogik - Freinet-Bewegung kommentiertes Verzeichnis deutschsprachiger Literatur by Krüger-Potratz, Marianne |
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Titel: | Freinet-Pädagogik - Freinet-Bewegung kommentiertes Verzeichnis deutschsprachiger Literatur |
Autor: | Krüger-Potratz, Marianne | Sprache: | deutsch |
Quelle: | o.O. in: VE Rundbrief der Kommission für Vergleichende Erziehungswissenschaft der DGfE Informationen Nr. 8 S. 158 - 179 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1981 | | |
url: | |
Text:
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Schlagworte:
lit_1981-art,
kein Summary verfügbar
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ID: 4338 | hinzugefügt von Jürgen an 17:45 - 3.8.2012 |
title: Schlafende Texte ? Materialzentrale GREM aufgelöst, viele Freinet-Bücher auf französisch, wenige auf deutsch by Kuhn, Peter |
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Titel: | Schlafende Texte ? Materialzentrale GREM aufgelöst, viele Freinet-Bücher auf französisch, wenige auf deutsch |
Autor: | Kuhn, Peter | Sprache: | deutsch |
Quelle: | o.O., in: Bindestrich-08 p. 39 -41 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | 4.4.1991 | | |
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Schlagworte:
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ID: 307 | hinzugefügt von Peter an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Freinet konkret by Liesen, H. |
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Titel: | Freinet konkret |
Autor: | Liesen, H. | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Meckenheim, In Verband Deutscher Sonderschulen (Hrsg.) S. 52 - 76 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1990 | | |
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Text:
Freinet konkret. Eine Alternative zur gegenwärtigen Schulpraxis. In Verband Deutscher Sonderschulen (Hrsg.), Aufbruch zum Umbruch. Die Schule für Lernbehinderte auf neuen Wegen
Schlagworte:
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ID: 2576 | hinzugefügt von Jürgen an 01:55 - 26.9.2005 |
title: Die Freinet-Pädagogik im Überblick by Malsam, Natascha |
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Text:
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 2
Einleitung 3
1 Wer war Célestin Freinet? 4
1.1 Biographische Anmerkungen 4
1.2 Freinets Bild vom Kind und sein Verständnis von Erziehung 6
2 Freinet-Pädagogik 7
2.1 Pädagogische Grundsätze der Freinet-Pädagogik 7
2.1.1 Arbeit 7
2.1.2 Kinder haben Rechte 8
2.1.3 Kindern das Wort geben 9
2.1.4 Natürliche Methode der Lernprozesse 1 0
2.2 Arbeitstechniken 12
2.2.1 Wochenarbeitsplan 12
2.2.2 Freier Ausdruck 13
2.2.3 Freier Text 14
2.2.4 Schuldruckerei 16
2.2.5 Wandzeitung 1 8
2.3 Klassenraum 19
2.3.1 Ateliers 2 0
2.4 Arbeitsmaterial 21
2.4.1 Die Arbeitsbücherei 21
2.4.2 Die klingende Arbeitsbücherei 22
2.4.3 Die Versuchskartei 22
2.4.4 Die Arbeitskarteien 2 3
2 5 Z i e l e 2 3
3 Fazit 2 5
4 Literaturverzeichnis 2 7
5 Anhang 2 8
Vorwort
Adler steigen keine Treppen
Vom methodischen Treppensteigen
„ Der Pädagoge hatte seine Methoden aufs genaueste ausgearbeitet; er hatte- so sagte er- ganz wissenschaftlich die Treppe gebaut, die zu den verschiedenen Etagen des Wissens führt; mit vielen Versuchen hatte er die Höhe der Stufen ermittelt, um sie der normalen Leistungsfähigkeit kindlicher Beine anzupassen; da und dort hatte er einen Treppenabsatz zum Atemholen eingebaut und an einem bequemen Geländer konnten die Anfänger sich festhalten.
Und wie er fluchte, dieser Pädagoge! Nicht etwa auf die Treppe, die ja offensichtlich mit Klugheit ersonnen und erbaut worden war, sondern auf die Kinder, die kein Gefühl für seine Fürsorge zu haben schienen.
Er fluchte aus folgendem Grund: Solange er dabei stand, um die methodische Nutzung dieser Treppe zu beobachten, wie Stufe um Stufe emporgeschritten wurde, an den Absätzen ausgeruht und sich an dem Geländer festgehalten wurde, da lief alles ganz normal ab. Aber kaum war er für einen Augenblick nicht da: Sofort herrschten Chaos und Katastrophe! Nur diejenigen, die von der Schule schon genügend autoritär geprägt waren, stiegen methodisch Stufe für Stufe, sich am Geländer festhaltend, auf dem Absatz verschnaufend, weiter die Treppe hoch- wie Schäferhunde, die ihr Leben lang darauf dressiert wurden, passiv ihrem Herrn zu gehorchen, und die es aufgegeben haben, ihrem Hunderhythmus zu folgen, der durch Dickichte bricht und Pfade überschreitet.
Die Kinderhorde besann sich auf ihre Instinkte und fand ihre Bedürfnisse wieder: Eines bezwang die Treppe genial auf allen Vieren; ein anderes nahm mit Schwung zwei Stufen auf einmal und ließ die Absätze aus; es gab sogar welche, die versuchten, rückwärts die Treppe hinaufzusteigen und die es darin wirklich zu einer gewissen Meisterschaft brachten. Die meisten aber fanden- und das ist ein nicht zu fassendes Paradoxon- dass die Treppe ihnen zu wenig Abenteuer und Reize bot. Sie rasten um das Haus, kletterten die Regenrinne hoch, stiegen über die Balustraden und erreichten das Dach in einer Rekordzeit, besser und schneller als über die sogenannte
methodische Treppe; einmal oben angelangt, rutschten sie das Treppengeländer runter…um den abenteuerlichen Aufstieg nochmal zu wagen. Der Pädagoge macht Jagd auf die Personen, die sich weigern, die von ihm für normal gehaltenen Wege zu benutzen. Hat er sich wohl einmal gefragt, ob nicht zufllig seine Wissenschaft von der Treppe eine falsche Wissenschaft sein könnte und ob es nicht schnellere und zuträglichere Wege gäbe, auf denen auch gehüpft und gesprungen werden könnte; ob es nicht, nach dem Bild von Victor Hugos, eine Pädagogik für Adler geben könnte, die keine Treppe steigen, um nach oben zu kommen?“
In: Célestin Freinet: Pädagogische Texte (Hrsg.: H.Boehncke u. Chr. Hennig, Hamburg 1980, S. 17/18) 1
Einleitung
Freinet-Pädagogik ist nicht eine Pädagogik, die Fortbildungen voraussetzt, um nach ihr unterrichten zu können. Dies unterscheidet sie zum Beispiel von der Montessori-Pädagogik. Vielen Kindern bleibt der Besuch einer Montessori-Schule versagt, da sich nicht alle Eltern die teure Privatschule leisten können. Freinet aber hat sich gegen die Gründung einer elitären Privatschule nach freinet-pädagogischen Unterrichtsmethoden ausgesprochen. Er wollte eine „Schule des Volkes“ errichten, um Kindern ohne Berücksichtigung ihrer sozialen und ethnischen Hintergründe - auch behinderten Kindern - gleich gute Chancen auf Bildung zu gewährleisten. Freinet engagierte sich stark für sozial Benachteiligte. Seine Vorbilder, an denen er sich orientierte waren andere, teilweise bekannte Reformpädagogen, wie z.B. Rousseau, Pestalozzi, Montessori, Petersen oder Steiner. Freinet hingegen ist eher ein unbekannter Pädagoge, der aber einen sehr brauchbaren „Steinbruch“ für alternative Lernformen bietet. Diese Lernformen betitelt Freinet schlicht als „Arbeitstechniken“ und eben nicht als „Freinet-Pädagogik“ oder „Freinet-Methoden“.
1 Dietrich, I., 1995, S.7/8
Was aber genau die Freinet-Pädagogik kennzeichnet soll in dieser Arbeit untersucht werden. Die Freinet-Pädagogik ist sehr vielfältig in ihren Ausprägungen, weshalb hier nur ihre wichtigsten Grundsätze, Arbeitstechniken und Ziele aufgezeigt werden sollen. Zuerst möchte ich den Lebensweg Freinets aufzeigen, anschließend die pädagogischen Grundsätze mit Arbeitstechniken und einigen Arbeitsmaterialien vorstellen, um am Schluss nochmals stichwortartig die Ziele zu verdeutlichen.
1. Wer war Célestin Freinet?
1.1 Biographische Anmerkungen
Célestin Freinet wurde am 15.1.0.1896 in Gars, einem provençalischen Dorf in Südfrankreich, als fünftes von insgesamt acht Kindern und als Sohn einer Bauernfamilie geboren. Die ländliche Umgebung und der Kontakt zu Landarbeitern und Handwerkern riefen eine tiefe Naturverbundenheit in ihm hervor. Dies prägte sein Empfinden und seine Lebensphilosophie von Anfang an. Die Volksschule und das Gymnasium hatte Freinet nicht gern besucht, da die Schulen starr und unkindgemäß ausgerichtet waren. Er war ein guter Schüler, aber Langeweile plagte ihn. Nach seiner Schulzeit besuchte er das Lehrerbildungsseminar (Ecole Normale) im Jahre 1913, wurde aber zwei Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen. Im Ersten Weltkrieg 1916 wurde er durch einen Lungenschuss schwer verletzt, was zu erheblichen gesundheitlichen Problemen und Atemschwierigkeiten geführt hat. Dies veranlasste viele Biographen zu behaupten, Freinet „habe seine Pädagogik der Selbsttätigkeit vorwiegend deshalb entwickelt, um seine angegriffene Gesundheit zu schonen.“ 2 Als er 1920 seine erste Lehrerstelle im Dorf Bar-sur-Loup bekommt, ist er tatsächlich gezwungen, den Unterrichtsstil seiner gesundheitlichen Situation anzupassen um sich zu schonen, aber andererseits ließ er „den Kindern eine aktivere Rolle zukommen.“ 3 Freinet merkte schnell, dass der dozierende Unterricht keinen Bezug zur Lebenswelt der Kinder hat, da das Interesse der Kinder mehr dem galt, was außerhalb der Klassenräume geschieht. Freinet war ein
2 Dietrich, I., 1995, S.14
Gegner der Pauk- und Buchschule, übte Kritik am entfremdeten, autoritären Schulsystem. Er wollte eine bessere Schule für die Kinder schaffen, eine Schule des Volkes, die keinen Unterschied über die Herkunft des Kindes macht, eine Schule für Benachteiligte des Proletariats. Dies war seine eigentliche Motivation. Die Reformpädagogik entwickelte sich nach dem Ersten Weltkrieg. Dadurch dass Freinet Europa bereiste und Anregungen suchte, lernte er bedeutende Reformpädagogen kennen. Mit dem Besuch des Landerziehungsheimes von Hermann Lietz im Jahre 1923 in Hamburg-Altona, lernte er Paul Geheeb, den Gründer der „Odenwaldschule“, und Peter Petersen kennen. Beeinflusst durch den Schweizer Adolphe Ferrière und dessen Buch „L’Ecole active“ („Die Tatschule“) veröffentlichte Freinet sein eigenes Buch mit dem Titel „L’Education du Travail“ (1928), welches an die Forderung Kerschensteiners und Decrolys, die Schule der Zukunft müsse die Arbeitsschule sein, angelehnt ist. Die von Freinet „gegründete Bewegung der „Ecole Moderne“ stellte er unter das Motto „Par la vie - pour la vie - par le travail“.“ 4 1928 nahm Freinet an einem pädagogischen Kongress in Leipzig teil, traf Peter Petersen wieder und stellte den anwesenden Lehrern seine vor zwei Jahren entwickelten Schuldruckpressen vor, die großes Interesse hervorriefen. Freinet wurde 1932 aufgrund eines Schulkampfes, „der sich an seiner Person und seiner Pädagogik entzündete“ 5 und zwei Jahre andauerte, vom öffentlichen Dienst seiner Stelle in Vence suspendiert. Daraufhin gründete er 1934 ein Landerziehungsheim in Vence bei Cannes. „Er praktizierte dort internationale Solidarität, indem er elternlos gewordene jüdische Kinder aus Deutschland und vom spanischen Bürgerkrieg betroffene Kinder aufnahm.“ 6 Wegen seiner Kritik am Faschismus in Italien, Deutschland und Spanien, musste er in verschiedene Internierungslager, was ihn jedoch nicht am Schreiben wichtiger Texte hinderte, die seine Frau Elise später veröffentlichte. Nach dem Krieg organisierte er die Résistance im Département Haute-Alpes und wiedereröffnete das Landerziehungsheim bei Vence 1945.
Durch die Gründung der C.E.L. („Coopérative de l’Enseignement Laic“) 1924, des I.C.E.M. („Institut Coopératif de l’Ecole Moderne“) 1948 und der F.I.M.E.M. (Féderation
3 Freinet,E., 1981, S.18
4 Jörg, H., 1981, S. 171
5 Dietrich, I., 1982, S.148
6 Dietrich, I., 1995, S.17
Internationaledes Mouvements de l’Ecole Moderne“) 1961, ermöglichte Freinet „eine von Verlagen unabhängige Produktion von Arbeitsmaterialien, die […] alle zur Realisierung der Differenzierung und Individualisierung des Unterrichts notwendigen
Voraussetzungen schafft.“ 7 Am 8. Oktober 1966 starb Célestin Freinet in Vence und wurde in seinem Geburtsort Gars beerdigt.
1.2 Freinets Bild vom Kind und sein Verständnis von Erziehung
Für Freinet ist das Kind von gleicher Natur wie wir. Nicht nur Erwachsene sondern auch Kinder wissen, was gut für sie ist. Kinder sind keine hilflose, unzivilisierte, kleine wilde Wesen, die man nach den Vorstellungen des Erwachsenen erziehen muss, sondern sind eigenständige Individuen mit Wünschen, Bedürfnissen, Zielen und Rechten. Freinet behauptet, das Kind sei hungrig nach Leben und Aktivität. Dies befähigt es, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und damit umzugehen. Das Kind erzieht sich selbst mit Hilfe des Erwachsenen, der dem Kind einen anregenden Entwicklungsraum bereit stellt. Freinet lehnt die „Erziehung als herstellendes Machen“ 8 ab, da der Erzieher bei dieser Vorgehensweise als Handwerker handelt, der das Kind bildlich gesprochen „zurecht schnitzt“, ein Stück Holz solange bearbeitet, bis es „fertig“ ist. Vielmehr entspricht Freinet der „Erziehung durch begleitendes Wachsenlassen“ 9 . Hier entwickelt und entfaltet sich das Kind auf natürliche Art und Weise. Man kann vom Erzieher als Gärtner sprechen, der die Blume (das Kind) gießt und somit „pflegend und schützend bei einem Entwicklungsprozess hilft, der - als ein natürlicher - von selbst geschieht.“ 10 „Erziehung hat nach Freinet die Aufgabe, die vollkommene und allseitige Entfaltung und Bildung der kindlichen Persönlichkeit zu ermöglichen und das Kind nicht durch Ansammlung von Wissen, Dressur, Manipulation oder Indoktrination einseitig zu gängeln.“ 11 Freinets Verständnis von Erziehung lehnt sich eng an Johann Heinrich Pestalozzi an, der eine Bildung mit Kopf, Herz und Hand vertrat. Daraus folgt, dass Erziehung nur ganzheitlich erfolgen kann und das Kind mit all seinen Gefühlen und Ideen in den Mittelpunkt rückt.
7 Jörg, H., 1981, S.176
8 Gudjons,H., 2003, S.185
9 ebd.
10 ebd.
11 Jörg, H., 1981, S. 181
2 Freinet-Pädagogik
2.1 Pädagogische Grundsätze der Freinet-Pädagogik
2.1.1 Arbeit
Um zu verstehen, was Freinet meint, wenn er in Anlehnung an die Forderung Kerschensteiners und Decrolys sagt, die Schule der Zukunft müsse die Arbeitsschule sein, müssen wir untersuchen wie der Begriff „Arbeit“ definiert ist. Freinet definiert Arbeit wie folgt: „Von Arbeit sprechen wir immer dann, wenn das Tätigsein - ob physisch oder geistig - den natürlichen Bedürfnissen des Individuums entspricht und durch diese Tatsache allein schon eine gewisse Befriedigung verschafft. Im gegenteiligen Fall sprechen wir von Aufgabe und Pflicht, die man nur erfüllt, weil man dazu gezwungen wird.“ 12 Arbeit hat die Bedeutung des „aktiven Handelns und Wirkens in allen Bereichen“. 13 Es ist mehr als nur die Ausübung eines Berufes oder eines Handwerks. Das Kind will Freinets Meinung nach arbeiten. Die Tätigkeiten des Kindes können als Arbeit bezeichnet werden, da das Kind sinnvolle Beschäftigungen sucht, „die den vollen Einsatz seiner kindlichen Kräfte fordert, sein natürliches Bewegungsbedürfnis befriedigt und ein Ergebnis verspricht, das die Selbstachtung und die Anerkennung durch Eltern, Lehrer und Mitschüler garantiert.“ 14
Dabei unterscheidet Freinet die „Arbeit mit Spielcharakter“ („travail-jeu“) und „Spiele mit Arbeitscharakter“ („jeux-travaux“). Letzteres bedeutet, dass das Spiel in den Augen des Kindes zielgerichtet ist und Arbeitscharakter hat.
Als Beispiele für „travail-jeu“ möchte ich das Fegen einer Straße, die Reparatur eines Fahrrades, das Töpfern einer Tasse oder den Bau eines Schiffes, Schwertes, Hasenstalls oder Baumhauses nennen. Da Kinder nicht gezwungen sind, bestimmte Produkte herzustellen, ist ihre Arbeit frei und und dient ganz anderen Zwecken als nur der Produktion von Gegenständen. Es geht vielmehr darum, dass sich das Kind durch
12 Freinet, C., 1979, S.136
13 Jörg, H., 1986, S.197
14 Freinet, C., 1979, S.170
seine Arbeit ausdrückt und selbst verwirklicht. Für Reformpädagogen wie Freinet ist demnach die Produktivität oder die Arbeit eine Grundvorraussetzung für die Entwicklung des Ichs. Produktiv zu sein bedeutet schon, sich den alltäglichen Aufgaben des Alltags zu widmen (s.o. Fegen einer Straße).
Laufen, Springen, Klettern oder Kämpfen sind Beispiele für für „jeu-travail“, also Tätigkeiten, bei welchen das Endprodukt nicht der Zweck des Handelns ist. Nach Freinets Verständnis be-arbeiten Kinder somit Dinge und Erfahrungen bevor sie sie verarbeiten. Das Arbeiten ist eingebettet in ein ständiges Probieren, Experimentieren, Versuchen mit den vorhandenen Möglichkeiten, den Kräften und dem Material, wobei Fehler und Rückschläge einkalkuliert und erlaubt sind. Die Kinder lernen hier sehr lebensnah, es werden Themen behandelt, die aus ihrer direkten Lebenswelt gegriffen sind. Somit gilt für Freinet das Leitmotiv : „par la vie - pour la vie - par le travail“ (Aus dem Leben - für das Leben - durch die Arbeit).
2.1.2 Kinder haben Rechte
Zu Beginn des 20.Jahrhunderts entwickelte sich eine neue Auffassung, die das Kind nicht länger als ein Wesen betrachtete, das erst zum Menschen erzogen werden musste, sondern es wurde in seinem Entwicklungsstand respektiert. Freinet verankerte diesen Gedanken in seiner Pädagogik als einen wichtigen Bestandteil, der den Kindern Rechte einräumt. Er setzt sich dafür ein, dass Kinder Rechte haben. Ein wesentliches Grundprinzip besteht im Recht auf Verschiedenheit. Hier gibt es keine verschiedenen Kindertypen, sondern Kinder. Das Kind muss nicht den Normen der Schule entsprechen, sondern die Schule muss „der Verschiedenheit der Kinder Rechnung tragen.“ 15 Soll also der Lehrer wirklich jedem einzelnen Kind in der Klasse gerecht werden, wird das nicht durch einheitliche Aufgabenstellung in einem zeitlich begrenzten Rahmen erreicht. Vielmehr wird die Verschiedenartigkeit dadurch berücksichtigt, dass es den Kindern erlaubt ist, nach eigenen Interessen zu arbeiten, in unterschiedlichen Lern- und Arbeitsrythmen. Die Verschiedenheit der Schüler und Schülerinnen wird als eine Bereicherung angesehen.
Schlagworte:
lit_2008-buch, e-book,
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Notiz:
PH Weingarten
Titel: Die Freinet-Pädagogik im Überblick
Veranstaltung: Schulen besonderer pädagogischer Prägung
Autor:Natascha MalsamJahr: 2008
Seiten: 34
Archivnummer: V115559
ISBN (eBook): 978-3-640-17033-3
ISBN (Buch): 978-3-640-40328-8
DOI: 10.3239/9783640170333
Dateigröße: 524 KB
Sprache: Deutsch
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ID: 3833 | hinzugefügt von Jürgen an 18:14 - 3.2.2012 |
title: Mein Bildungsurlaub by Markus Bernet |
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Titel: | Mein Bildungsurlaub |
Autor: | Markus Bernet | Sprache: | deutsch |
Quelle: | o.O., in: Bindestrich 48 p. 04-06 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | 11 Nov 200 | | |
url: | |
Text:
Mein Bildungsurlaub in Deutschland: bei Hans Jörg; Gräfenhausen; Schule Harmonie Eitorp
Schlagworte:
Bindestrich-48
kein Summary verfügbar
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ID: 1365 | hinzugefügt von Jürgen an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Bildungsurlaub in Deutschland by Markus Bernet |
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Titel: | Bildungsurlaub in Deutschland |
Autor: | Markus Bernet | Sprache: | deutsch |
Quelle: | o.O., in: Bindestrich 48+ p. 24-27 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | 03.03.2004 | | |
url: | |
Text:
Bildungsurlaub in Deutschland (2) Obervorschütz; Prinzhöfte
Schlagworte:
Bindestrich-48+
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 1393 | hinzugefügt von Peter an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Die Integration aus der Perspektive der Freinet-Pädagogik by Mathes, Ulrike |
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Titel: | Die Integration aus der Perspektive der Freinet-Pädagogik |
Autor: | Mathes, Ulrike | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Köln | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | 1983 | | |
url: | |
Text:
Die Integration aus der Perspektive der Freinet-Pädagogik oder Können ausländische und deutsche Kinder in der Schule gemeinsam leben, gemeinsam spielen und gemeinsam lernen, ohne daß dabei eine Gruppe benachteiligt wird?
Schlagworte:
Examensarbeit_allgemeine_Pädagogik
summary:
-
keine Notizen verfügbar
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ID: 1249 | hinzugefügt von Hagstedt an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Freinetpädagogik unter medienpädagogischen Gesichtspunkten, eine Alternative zu den allgemeinen Medien? by Mattick, Dieter |
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Titel: | Freinetpädagogik unter medienpädagogischen Gesichtspunkten, eine Alternative zu den allgemeinen Medien? |
Autor: | Mattick, Dieter | Sprache: | deutsch |
Quelle: | München, Grin-Verlag | Quellentyp: | Internetveröffentlichung |
veröffentlicht am: | DD.MM.1996 | | |
url: | http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/95807.html |
Text:
Freinetpädagogik unter medienpädagogischen Gesichtspunkten, eine Alternative zu den allgemeinen Medien?
Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG 3
2 PERSON UND GESCHICHTE SEINER BEWEGUNG 4
3 EINFLüSSE DER REFORMPäDAGOGISCHEN BEWEGUNG 5
3.1 Grundsätzliche Forderungen und Kritikpunkte der reformpädagogischen Bewegung 5
3.2 Ziele der Reformpädagogik sind: 6
3.3 Die Arbeitsschulbewegung 7
3.3.1 Georg Kerschensteiner 7
3.3.2 Hugo Gandig 7
3.3.3 Pawel Petrowitsch Blonskij 8
3.4 Weitere reformpädagogische Einflüsse 8
3.4.1 John Dewey 8
3.4.2 Adolphe Ferrière 8
3.4.3 Ovide Decroly 9
3.4.4 Maria Montessori 9
4 GRUNDPRINZIPIEN DER FREINETPäDAGOGIK 10
4.1 Der Arbeitsbegriff 10
4.2 Psychologische Grundlagen 11
4.3 Erziehung und Natur 12
4.4 Pädagogische Grundlagen 13
5 UNTERRICHTSTECHNIKEN 14
5.1 Freie Ausdrucksformen: Korrespondenz - Klassenzeitung - Druckerei 14
5.2 Arbeitspläne 15
5.3 Arbeitsateliers 16
5.4 Wandzeitung und Klassenrat 16
5.5 Arbeitsmittel 17
5.5.1 Arbeitsblätter 17
5.5.2 Sachblätter 17
5.5.3 Dokumentensammlung 17
5.5.4 Arbeitsbücherei 18
6 SCHLUßBEMERKUNG UND KRITIK 18
7 LITERATURVERZEICHNIS 19
Ich möchte meine Hausarbeit der Arbeit von Freinet widmen, denn durch seine Pädagogik ist er für einen Großteil der lernschwachen Schüler, aber auch für den "nur" leserechtschreibschwachen Schüler, ein Einstieg in die schriftlichen Medien. Hemmungen, die ein Schüler bei geschriebenen Texten hat, werden in der Gruppe durch das Drucken von Texten verhindert und abgebaut.
Freinet hat den Anspruch, durch seine Art der Erziehung, nicht nur die geschriebenen Medien zugänglich zu machen, sondern seine Schüler sollen die Umwelt als Medium erleben und aus ihr Schlüsse ziehen.
Denn nach der Definition aus Meyers Lexikon ist ein Medium:
Daraus folgt, daß auch die umgebende Umwelt als Medienquelle bezeichnet werden kann, denn auch sie ist nach der Auffassung Freinets ein vermittelndes Element. Freinet ist somit für die Sonderpädagogik von großer Wichtigkeit geworden, denn durch seine Techniken und Arbeitsweisen erhalten die Schüler ein gesundes Selbstvertrauen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, daß die Schüler nicht nur aus vorgegebenen Anlässen heraus lernen, sondern ihre Umwelt bewußt wahrnehmen. Die Umwelt wird nicht analytisch von außen betrachtet, sondern sie wird synthetisch gesehen und erlebt. Dieses ist für mich ein wesentlicher Gesichtspunkt, denn Dinge, die nur stupide gelernt werden, werden schnell wieder vergessen, denn der Gesamtzusammenhang wird häufig nicht erkannt. Wird dieser aber erkannt, so kann der Schüler diese Erfahrungen auch in seinen Alltag übertragen, so daß
es für ihn ein elementares Wissen, ist das er bewußt oder auch unbewußt immer wieder anwendet.
3 Person und Geschichte seiner Bewegung
Célestin Freinet wurde 1896 als Bauernsohn in einem Dorf in der Provence geboren. Seine Kindheit wurde einerseits durch dieses naturnahe, handwerklich-bäuerliche Milieu geprägt; anderseits von seinen Schulerfahrungen, welche er als Zwang und Drill erlebte. 1913 begann er seine Lehrerausbildung am Lehrerbildungsseminar, wurde aber 2 Jahre später in den Krieg eingezogen, von dem er mit einer Lungenverletzung zurückkam.
1920 (nach fertiger Lehrerausbildung) begann er als Lehrer an einer zweiklassigen Dorfschule in Bar-sur-Loup. Aufgrund der Lungenverletzung, des Desinteresses auf Seiten der Schüler, bedingt durch die sinnentleerten Übungen der Schulbücher, und seiner eigenen Schulerfahrung, suchte er nach neuen Unterrichtsmethoden. Häufig verläßt er mit seinen Schülern die Klasse, sucht mit ihnen Handwerker und Bauern auf und läßt die vom anschaulichen Unterricht begeisterten Schüler ihre Erfahrungen in freien Texten niederschreiben.
In dieser Zeit beschäftigte sich Freinet mit den Schriften der Reformpädagogen. Zu nennen wären hier u.a.: Kerschensteiner, Dewey, Montessori, Engels, Marx, Lenin, u.a.. Nun versuchte er diese neugefundenen Ansätze in Paris umzusetzen. Ein entscheidener Anstoß kam durch die Entdeckung der Buchdruckerei für schulische Zwecke. John Dewey´s ,,learning by doing" konnte von jetzt an auch auf die Arbeit mit Texten angewandt werden. Schon 1924 organisierte Freinet die erste schulische Korrespondenz und gründete eine Lehrerkooperative die ,,Coopèrative de l´Enseignement laic" (CEL), die sich bald zur Bewegung der ,,Ecole Moderne" formierte.
1926 heiratete er seine Frau Elise, die besonderes den ,,freien Ausdruck" weiterentwickelte. Als er 1928 an eine Schule nach St. Paul überwechselte, begann er mit seinen Mitarbeitern Arbeitsmaterialien, Nachschlagkisten und Dokumentensammlungen für die Schule herzustellen. Hier gab es bis zu diesem Zeitpunkt krasse soziale und schulische Mißstände, für deren Veränderung sich Freinet einsetzte. Dieses führte zu einem Kampf mit den Obrigkeiten, der 1933 mit der Beobachtung Freinet und anschließende Suspendierung endete. 1935 gründete Freinet mit seiner Frau Elise ein Landschulheim in Vence. 1940 wird Freinet festgenommen und in Internierungshaft gesetzt. Im Lager schrieb er viele Bücher.
1941 wird er entlassen und übernimmt die Widerstandsbewegung in Briancon. 1945 veranstaltet er den ersten pädagogischen Kongreß der Nachkriegszeit.
1947 eröffnet er seine Privatschule wieder, welche er bis zu seinem Tod am 08.10.1966 leitet. 1964 wird seine Privatschule durch die regionalen Schulbehörden als experimentelle Grundschule anerkannt.
Heute arbeiten über 25.000 Lehrer in Frankreich an Regelschulen nach der Freinetpädagogik. 4 Einflüsse der reformpädagogischen Bewegung
4.1 Grundsätzliche Forderungen und Kritikpunkte der reformpädagogischen Bewegung Die reformpädagogische Bewegung war eine europäische und amerikanische Bewegung, welche im Zeitraum von 1900 - 1930 ihren Höhepunkt erreichte. Ihr Ausgangspunkt war die Kritik am neuhumanistischen Bildungsideal im Sinne von Humboldt. Diese sah den wirklichen Bildungswert nur in einer möglichst umfangreichen geistigen Wissensvermittlung. Eine Beschäftigung mit der Wirklichkeit und den eigenen Erfahrungen galt als die niedrigste Form der Erkenntnis und als Zeitvertreib. Ziel war der geistige Mensch, ohne Bezug zu Welt und Arbeit, da sie keinen Bildungswert haben. Der Schüler ist bei der Wissensvermittlung nur rezeptiver Zuhörer. In diesem Sinne wurden auch alle sozialen Bezüge und ein Leben für die Gemeinschaft abgelehnt.
Im Gegensatz dazu forderte die reformpädagogische Bewegung die "Pädagogik vom Kinde aus". Das Kind mit seinen individuellen Bedürfnissen sollte in den Mittelpunkt gestellt werden anstelle einer einseitigen Wissensvermittlung. Die spontanen schöpferischen Kräfte des Kindes sollen freigesetzt und gefördert werden. 4.2 Ziele der Reformpädagogik sind:
- die Aufhebung der Trennung von Schule und Leben, sowie von Kopf- und Handarbeit
- eine einseitige verbal-intellektuelle Wissensvermittlung wird abgelehnt
- Individualisierung statt Unterordnung
- Aktivität, Selbsttätigkeit und Interesse sollen in allen Lernvorgängen vorherrschen
- Fächergrenzen sollen überwunden werden (Gesamtunterricht)
- die Schulbildung soll in Verbindung zur Natur und Heimat stehen
- die Selbstbestimmung der Schüler wird gefordert - es tritt eine Änderung der traditionellen Lehrerrolle ein, er ist nur noch Berater und Helfer
- die Erfahrungen der Kinderpsychologie sollen mit einfließen
· der Versuch etwas zu tun, aber nicht in der Praxis stehenbleiben und über das Getane nachdenken
- die Kraft der Gemeinschaft zu nutzen, sowohl innerhalb der Klasse wie aber auch in der Lehrerschaft
- der Reichtum, der sich aus vielen Einzelbeiträgen zusammensetzt, soll sich entfalten
- die Schüler sollen erleben, daß ihre Worte, Gefühle und Gedanken ernst genommen werden
- Heranbildung einer kritischen Einstellung gegenüber jeglichen Druckerzeugnis; Entmystifizierung des gedruckten Wortes
- Lernen an der Realität
- Schüler erleben, daß es möglich ist der immer komplexeren Umwelt nicht verständnislos, hilflos, passiv gegenüberzustehen
- zeigen, daß man sich aktiv mit der Umwelt auseinandersetzen kann
- Schüler stellen sich in spielerisch-kreativer Weise selbst dar 4.3 Die Arbeitsschulbewegung
Diese Richtung beeinflußte Freinet besonders stark. Nachfolgend nenne ich einige Pädagogen, die Freinet einschneidend beeinflußt haben. 4.3.1 Georg Kerschensteiner
Georg Kerschensteiner (1854-1932) ist wohl der bekannteste. Für ihn bedeutete Arbeit zunächst Handarbeit, wobei jedoch die damit verbundenen geistigen Vorgänge eingeschlossen sind. Er strebte nach Vollendung bei der Arbeit. Sein Arbeitsverständnis wandelte sich aufgrund seiner Auseinandersetzungen mit Hugo Gandig, welcher ihm vorwarf, die geistige Arbeit zu vernachlässigen. Nun sah er selbständige geistige Tätigkeiten auch als Arbeit, letztendlich waren sie für ihn noch mehr ein Kennzeichen der Arbeitsschule als die selbständige manuelle Arbeit.
Er knüpfte an den spontanen Betätigungstrieb des Kindes an und sah die wichtigste pädagogische Funktion der Arbeit in der Selbsttätigkeit. Hinter dieser Arbeitsschule stand der Gedanke der staatsbürgerlichen Erziehung, wozu Disziplin, Charaktererziehung und Dienst an der Gemeinschaft gehörten. Ein weiteres erzieherisches Motiv der Arbeit lag darin, alle Subjektivität der Sache unterzuordnen. So erzieht Arbeit zur Unterordnung und Verzicht. Die Arbeit in der Gemeinschaft ist wichtig, denn sie führt zum Staat und ist staatsbürgerliche Erziehung. 4.3.2 Hugo Gandig
Hugo Gandig (1860-1923) sah Arbeit nur im Sinne einer freien geistigen Arbeit. Er wollte die Steuerung des Unterrichts auf den Schüler übertragen. Gandig sah in der Selbsttätigkeit den Ausgangspunkt und das zentrale Prinzip aller Bildung. Die Selbsttätigkeit stellt den Schüler als werdende Persönlichkeit in den Mittelpunkt. Trotz dieser Individualität muß sich der Einzelne auch in die Gemeinschaft einfügen können. Aufgabe der Erziehung sei es, die Techniken (z.B. Erzählen, Lesen) zu dieser geistigen Tätigkeit zu vermitteln. Die
Schüleraktivität soll hierbei methodisiert werden. Der Schüler soll erlernte Techniken bewußt anwenden, wodurch die Lernschule in eine Arbeitsschule umgewandelt wird. 4.3.3 Pawel Petrowitsch Blonskij
Pawel Petrowitsch Blonskij (1884-1941) ist als Hauptvertreter einer weiteren Richtung der Arbeitsschulbewegung zu nennen. Seine Produktionsschule will der wirtschaftlichen und industriellen Produktionsweise des 20. Jahrhunderts entsprechen. Die Wurzeln hierfür liegen bei Karl Marx, in dessen Erziehungsauffassung das Verhältnis von Bildung und Arbeit eine zentrale Stellung einnimmt. Der Mensch erfüllt sich erst in Arbeit, sie ist das Mittel zur Selbstverwirklichung. Dabei wird Arbeit als wirtschaftlich produktive Arbeit für die Gesellschaft verstanden. Schon in der Erziehung muß diese produktive Arbeit betrieben werden. Dadurch wird die Trennung von Kopf- und Handarbeit aufgehoben (Klassengegensätze). Die Produktionsschule soll auf das Arbeiten in der Industriegesellschaft vorbereiten.
4.4 Weitere reformpädagogische Einflüsse 4.4.1 John Dewey
John Dewey (1859-1952) entwickelte die Projektmethode. Sein Prinzip war "learning by doing". - Denken entwickelt sich aus den täglichen Erfahrungen, im Handeln wird gelernt, die dabei gewonnene Erfahrung und Erkenntnis kommt dem weiteren Handeln zugute. Die Arbeit ist ein Mittel, um theoretisches Wissen zu erlangen. Dewey orientiert seinen Unterricht an den Bedürfnissen der Menschlichkeit, allerdings fest vorgegliedert. Für ihn ist die Arbeit in der Gemeinschaft wichtig, um die Kinder auf das Leben in der Gesellschaft vorzubereiten. Sie ist die der Demokratie entsprechende Schule. 4.4.2 Adolphe Ferrière
Adolphe Ferrière 1879-1919) sah anfangs ähnlich wie Kerschensteiner, den Schwerpunkt der schulischen Arbeit auf der manuellen Arbeit, die immer auch geistige Bildung bewirken würde. Handarbeit hat für ihn nur einen Wert, wenn sie Mittel zur Bildung des Geistes ist. Man muß die Welt der Natur und des Menschen beobachten, um Dokumente zu sammeln. Zentrum seiner Methode ist die Dokumentensammlung, die von den Kindern selbst angelegt wird. 4.4.3 Ovide Decroly
Ovide Decroly (1871-1932) sah den Ausgangspunkt aller Bildung in den Bedürfnissen des Kindes. Er wollte die Umgebung bewußt als Bildungsmittel verwenden. Durch praktisches Kennenlernen des Leben werden die Kinder auf das Leben vorbereitet. Einerseits soll dabei das Prinzip der Freiheit zur Geltung kommen, anderseits ist eine vom Erzieher methodisch
durchdachte Bildungsfolge anzuwenden. Der Lehrplan ist gegliedert in Interessenzentren, welche sich um die fundamentalen Bedürfnisse des Kindes gliedern. Der Unterricht ist in drei Stufen gegliedert: 1. Beobachtung und Anschauung 2. Assoziation
3. Ausdruck als Verwertung von früher gemachten Erfahrungen im Aufsatz 4.4.4 Maria Montessori
Maria Montessori (1870-1952) schuf Materialien, die zur Selbsttätigkeit und Selbsterziehung der Kinder eingesetzt werden. Damit bewegt sich das Kind zwar frei, ist jedoch durch die Begrenztheit der Materialien indirekt gelenkt. Sie ging davon aus, daß die physische Entwicklung durch äußere Reize organisiert. Die Erziehung hat die Aufgabe, die geeigneten Reize zu bieten, die die Entwicklung der kindlichen Kräfte vorantreiben, nach der es von Natur aus drängt. Diese Reize bietet das Montessorimaterial. Decroly und Montessori sind stark geprägt von der "Bewegung vom Kinde aus". Das Kind wird als Individuum angesehen, welches sich aus seiner Kraft entfalten kann. Die erzieherische Aufgabe liegt darin, ungünstige Einflüsse vom Kind fernzuhalten und ihm eine die Entwicklung fördernde Umgebung zu schaffen. 5 Grundprinzipien der Freinetpädagogik 5.1 Der Arbeitsbegriff
Der Arbeitbegriff nimmt in der Freinetpädagogik einen zentralen Stellenwert ein. Arbeit ist hier nicht Mittel zum Zweck (Bildung), wie bei Kerschensteiner, Gandig oder Dewey, sondern sie ist das Ziel der Pädagogik. Sie hat die Befriedigung der individuellen, funktionellen Bedürfnisse zum Ziel und wird deshalb vom Kind in natürlicher Weise angestrebt. Mit diesem Arbeitsbegriff steht Freinet Marx näher, der ebenfalls in Arbeit ein elementares, funktionales Bedürfnis sieht. Allerdings wird sie im Zusammenhang mit den ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnissen gesehen, während Freinet sich auf die erzieherischen Dimensionen beschränkt.
Das Kind hat nach Freinet kein natürliches Spiel- sondern nur ein natürliches Arbeitsbedürfnis. Das Kind spielt ein "funktionelles Spiel", in dem es seine Bedürfnisse befriedigen kann. Dieses Spiel ist eigentlich Arbeit, Kinderarbeit, Arbeit mit Spielcharakter. (Dem Tätigsein des Kindes gebürt der Begriff Arbeit, da das Kind sie als solche empfindet und das Spiel ernst nimmt.) Das Kind imitiert in dieser Arbeit die Aktivitäten der Erwachsenen und deren Zweckgerichtheiten. Wenn die Umgebung den Kindern keine Möglichkeit bietet, sich der Arbeit mit Spielcharakter zuzuwenden, müssen sie ihre Energie
auf andere Weise entladen. Sie betreiben Arbeit mit Spielcharakter (jen-travail), die aus der Sicht der Kindes ebenfalls elementare Bedürfnisse befriedigen als Ersatz für die Arbeit mit Spielcharakter. Laut Freinet werden die Kinder zu ihren Spielen mit Arbeitscharakter durch die selben Bedürfnisse motiviert wie die Erwachsenen zu ihrer Arbeit. Es geht um das zentrale Bedürfnis nach Selbsterhaltung, stark zu sein (Gruppenbildung), Leben weiterzugeben (Mutterinstinkt). Kennzeichnend dafür ist die Anstrengung durch Befriedigung.
Freinet meint, daß man Arbeit und Spiel nicht trennen kann, denn wenn die Arbeit nur noch Mühsal und nicht Befriedigung heißt und kein Teil von uns selbst ist, ist es normal, daß man ihr entrinnen will, um sich andere Befriedigungen zu schaffen.
Im Unterricht müssen Techniken wie z.B. die Druckerei und die Arbeitsateliers entwickelt werden, in denen das Bedürfnis nach Arbeit in Verbindung mit Spiel verwirklicht werden kann; indem Arbeit und Spiel identisch werden. 5.2 Psychologische Grundlagen
Das Kind hat nach Freinet eine angeborene unerklärbare Lebensenergie in sich, welche seine Entwicklung vorantreibt. Die Entwicklung vollzieht sich dabei nach bestimmten Gesetzen. Das grundlegende Gesetz des Lernens ist dabei das Gesetz des tastenden Versuchens. Die erste Entwicklungsstufe ist dabei das menschliche Tasten. Dies sind noch keine intelligenten Reaktionen, sondern mechanische Reaktionen auf die Umwelt. die noch mehr dem Zufall überlassen sind. Durch Wiederholung dieser tastenden Versuche werden sie zum automatischen Reflex, welcher dann zur Lebensregel wird, welche das spätere Verhalten bestimmen. Freinet bezeichnet dies als lebensnotwendigen Anpassungsprozeß. Die Imitation stellt ein stellvertretendes tastendes Versuchen dar, indem das Kind sich nicht selbst tastend verhält, sondern bei jemand anderen den Effekt beobachtet, und die gemäß den eigenen Zielen als wirkungsvoll bewertende Verhaltensweisen übernimmt. Entscheidend für das Entwickeln dieser Lebensregeln ist die Auseinandersetzung des Kindes mit der Umwelt. Sie bietet die Möglichkeiten und Schranken, diese Lebensregeln zu stärken oder zu schwächen. Das Kind wird sich in dieser Auseinandersetzung seiner Lebensenergie oder Kraft bewußt, die es immer weiter zu steigen versucht.
Setzt die Umwelt zu viele Schranken, muß das Kind Ersatzlebensregeln entwickeln (alle Verhaltensauffälligkeiten), um sich das Gefühl der Kraft zu erhalten und völlige Hilflosigkeit zu vermeiden. Sie befriedigen nur teilweise, haben einen Ersatzcharakter und sind realitätsfremd. Sie dürfen dem Kind nicht einfach genommen werden, da sie Mittel in einer bedrohlichen Situation sind, und sonst dem Kind der letzte Halt genommen würde.
Wenn das Kind die tastenden Versuche lenken kann, d.h. Erfahrungen bewußt einsetzen kann, spricht Freinet vom intelligenten Tasten.
Freinet unterscheidet drei Entwicklungsstufen der kindlichen Aktivität: 1. die Periode des tastenden Ausschauhaltens (Erfahrungen sammeln) 2. die Periode des "sich Einrichtens und Einordnens" (Kind beginnt Erfahrungen einzuordnen) 3. die Periode der Arbeit (Minimum der Zweckgerichtheit) Diese Phasen wiederholen sich bei jedem Lernvorgang, auch bei einem Erwachsenen. Aufgabe der Schule ist es, tastende Versuche zuzulassen, zu fördern, zu organisieren und die bestmöglichste Umgebung dafür zu schaffen. Sie kann durch entsprechende Techniken dieses beschleunigen und sich dabei auch den Auswirkungen der Imitation bedienen. Diese Aufgabe will Freinet in seinen Techniken erfüllen. 5.3 Erziehung und Natur
Durch seine eigenen Erfahrungen vom Aufwachsen auf dem Land ist Freinet sehr naturverbunden geprägt. Die Natur bietet nach seiner Meinung die besten Möglichkeiten, tastende Versuche zu machen und dabei positive Lebensregeln zu entwickeln, da sie sowohl unendliche Möglichkeiten der Erfahrung als auch natürliche unüberwindbare Schranken setzt (z.B. die Jahreszeiten). Dieser Reichtum an Möglichkeiten und die unüberwindbaren Schranken der Natur ermöglichen die Bildung von realen Lebensregeln, die Erfolg bringen und das Kraftpotential des Kindes steigern.
Das Landkind, welches diese Möglichkeit hat, besitzt eine reichhaltige, logische, wirklichkeitsnahe und an der Erfüllung seiner Lebensaufgabe orientierte Erfahrung. Da das Stadtkind diesen Ausgleich von Schranken und Möglichkeiten nicht vorfindet, muß ein möglichst reichhaltiges Milieu geschaffen werden, das die Natur versucht zu ersetzen. Freinet fordert daher die Schaffung von Kinderreservaten (großer wilder Park) und einer Schule, die Naturecken, Tiere, etc. enthält. Ähnliche Ansprüche versuchte auch Maria Montessori zu verwirklichen, doch dieses leider in einem künstlich begrenzten Raum, den Freinet ablehnte. 5.4 Pädagogische Grundlagen
Freinet fordert, ähnlich wie z.B. M. Montessori, die kindgemäße Schule, die das Kind in den Mittelpunkt der Erziehung stellt und von seinen Bedürfnissen ausgeht. Jedoch berücksichtigt Freinet auch die gesellschaftlichen Anforderungen, womit er Decroly nahe steht. Er kritisiert die Abgeschlossenheit der Schule gegenüber dem außerschulischen Leben. Der Unterricht nach Freinet erhält zahlreiche Impulse durch Kontaktaufnahme zur Arbeitswelt, Beobachtungen im Freien oder durch Besuche außenstehender Personen.
In seiner Schule erziehen und bilden sich die Kinder selbst, d.h. nicht mehr die Wissensvermittlung, sondern das selbständige Forschen der Kinder steht in dem Vordergrund. An die Stelle von sinnentleerten Übungen, Vereinzelungen und Konkurrenz treten die selbstbestimmte Arbeit und die Kooperation der Schüler. Wenn von den Interessen der Kinder ausgegangen wird, und das Kind den Sinn der Arbeit erkennt, wenn es sich nicht nur rein schulischen, sondern lebensnahen Aktivitäten widmen kann, so entsteht in ihm eine natürliche Motivation.
Freinet handelte immer nach dem Prinzip ,,Nicht für alle das Gleiche zur gleichen Zeit". Hierzu bietet er vielseitiges Material, von dem jeder das seinen Bedürfnissen entsprechende auswählen kann. Die körperliche manuelle Arbeit spielt keine untergeordnete Rolle mehr. Eigenständig regulierte Lernprozesse der Kinder stehen im Mittelpunkt des Unterrichts. So können wichtige Entwicklungsstufen durchlaufen werden. Der freie Ausdruck von Gedanken, Erlebnissen und Gefühlen spielt eine zentrale Rolle, ebenso die Stärkung des Selbstvertrauens, der Eigeninitative und der Neugierde bei den Schülern. Die Frage nach Disziplin und Ordnung ist für ihn wesentlich. Seiner Meinung nach ist ein Kind, dem man seinen Bedürfnissen entsprechende Aktivitäten anbietet, von sich selbst aus diszipliniert. Die Organisation der Arbeit und des Gemeinschaftslebens führt zur natürlichen Disziplin. Der Lehrer muß daher nicht mehr Autoritätsperson sein, sondern er ist Berater und Helfer der Kinder, die sich selbst bilden und disziplinieren.
In den Schulbüchern sieht Freinet ein Instrument der Verdummung. Sie zwingen den Kindern die Interessen einer Schulbürokratie auf und fördern den unkritischen Glauben an alles gedruckte. Anderseits zwingen sie den Lehrer, Wissen immer auf die gleiche Art und Weise zu vermitteln. Hiervon will Freinet die Lehrer und die Schüler freimachen. Die Umsetzung dieser pädagogischen Grundprinzipien geschieht mit Hilfe der von Freinet entwickelten Techniken. 6 Unterrichtstechniken
6.1 Freie Ausdrucksformen: Korrespondenz - Klassenzeitung - Druckerei In Freinet-Klassen werden keine Aufsätze zu vorgegebenen Themen verfaßt, sondern ,,freie Texte". Die Schüler schreiben über das, was sie gerade interessiert und immer wann sie das Bedürfnis danach haben. Dabei ist weder die Menge, noch das Material vorgegeben. In den "freien Texten" drücken die Schüler schon früh ihre eigenen Erfahrungen und Interessen aus, die behandelten Themen können zu weiteren Unterrichtsvorhaben Anlaß geben und so bestimmen die Schüler selbst einen Teil der Unterrichtsinhalte.
Die Klasse macht Besichtigungsgänge in die Natur, in Werkstätten etc. und schreibt die dort
gemachten Erfahrungen nieder. Die Nachbesprechung der Texte wirft neue Probleme auf, die mit Hilfe von Fachleuten, die in die Schule eingeladen werden, gelöst werden. Ansonsten steht für die nötigen Informationen zur Problemlösung eine vielfältige Materialiensammlung zur Verfügung. Es bilden sich Interessenkomplexe heraus, die sich stetig erweitern. Durch diese Form des Vorgehens wird die Schule eng mit dem Leben verknüpft. Neben realen Erlebnissen werden auch Träume, Phantasien etc. niedergeschrieben. Der ,,freie Text" erhält dadurch auch eine therapeutische Funktion, indem die Kinder ihre Erfahrungen ausdrücken und diese distanziert verarbeiten können.
Der ,,freie Text" wird jedoch nicht nur geschrieben, er wird auch gedruckt. Täglich werden ausgesuchte Texte gedruckt, die fertigen Texte werden einer Korrespondenzklasse zugesendet oder zu einer Klassenzeitung verarbeitet. Die zentrale Bedeutung der Druckerei, Korrespondenz und der Klassenzeitung liegt darin, daß die Schüler den Sinn ihres Schreibens erkennen. Sie sind zum Schreiben motiviert, da sie nicht nur für sich, sondern auch für andere schreiben. Durch die Korrespondenzklasse werden neue, bisher noch nicht behandelte Themen aufgeworfen.
Durch die Druckerei wird eine sinnvolle Arbeit hergestellt, im Sinne von Spiel mit Arbeitscharakter. Diese Arbeit fördert die Kooperation, denn alleine kann nicht oder nur sehr schwer gedruckt werden. Durch das Drucken werden intellektuelle und praktische Tätigkeiten miteinander verbunden, die Trennung von Kopf- und Handarbeit wird aufgehoben. Weiterhin fördert die Druckerei die manuelle Geschicklichkeit, die Aufmerksamkeit, das visuelle Gedächtnis und stellt in Verbindung mit dem ,,freien Text" eine natürliche Lese- und Schreibmethode dar (aktiv handelnder Umgang mit Sätzen und Buchstaben). "Beim Drucken wird die Sprache von den Händen der Kinder auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, sie ist keine anonyme Formulierung mehr, sondern wird ihre eigene Schöpfung". (Giradin, zit. nach Koitke 1977)
Weitere freie Ausdrucksformen sind das freie Malen, Linoldruck, Arbeiten mit dem Linographen, Fotografieren, Filmen, künstlerische Arbeiten mit Ton, Holz etc., Tanz, körperlicher Ausdruck, Rollenspiel, freies Musizieren etc.. Dadurch können die Kinder sich selbst ausdrücken, sich mitteilen und können ihr Selbstvertrauen steigern. Da sie selbst
produzieren, lernen Kinder sich kritisch gegenüber den Werken anderer zu verhalten. 6.2 Arbeitspläne
Die Arbeitsmöglichkeiten in einer Freinet-Klasse sind so zahlreich, daß eine Organisation dringend notwendig wird. Der Lehrer entwirft Jahres- und Monatspläne, die sich an den allgemeinen Richtlinien und Vorschriften orientieren. Mit den Schülern entwirft er dann Wochenpläne. Diese Pläne nehmen erstens auf die Jahres- und Monatspläne Rücksicht, und zweitens auf die Ordnung der Gemeinschaft. So können nicht alle zur gleichen Zeit drucken, es müssen Regeln beachtet werden.
Jedes Kind entwickelt einen individuellen Arbeitsplan, mit den Aufgaben, die es sich in den nächsten Tagen erfüllen will. Hierbei sind einige Aufgaben (z.B. Arbeitsblätter mit Selbstkorrektur) obligatorisch, die meisten bleiben jedoch dem Schüler selbst überlassen. Auf diese Weise wird sowohl Selbstverwaltung, Selbstverantwortung und Selbstbeherrschung geübt, als auch soziales Verhalten in Form von Rücksichtnahme und Kompromissen. Der 45-Minutenrhythmus wird aufgehoben, die Kinder können sich die Arbeit selbst einteilen. Jeden Tag steht ihnen auch Zeit zur freien Arbeit zur Verfügung. Die Arbeitspläne haben gleichzeitig auch eine Kontrollfunktion, denn sie dienen am Ende der Woche als Kontrollorgan der geleisteten Arbeit. 6.3 Arbeitsateliers
Um die Trennung von Schule und Leben aufzuheben, und die Kinder selbständig arbeiten und experimentieren zu lassen, hat Freinet auch den Klassenraum umgestaltet. Anstelle eines großen Klassenraumes hat er neben einem Gesellschaftsraum für Veranstaltungen, Vorführungen etc. spezialisierte Arbeitsateliers (Arbeitssektoren) im Schulgelände eingerichtet. Außerhalb der Schule (im Freien) befinden sich weitere Ateliers (z.B. für Feldarbeit, Tierzucht etc.). Dies ist die Idealvorstellung, doch in der Praxis werden die verschiedenen Arbeitsateliers meist durch Tische abgetrennt, oder im Klassenzimmer und Flur eingerichtet. In diesen Ateliers werden verschiedene Themenbereiche bearbeitet, manuelle sowie geistige Aktivitäten. Die Arbeitsvorhaben, die hier verwirklicht werden, entstehen aus den "freien Texten" und aus Unterrichtsgesprächen, also aus den Interessen der Kinder. 6.4 Wandzeitung und Klassenrat
An der Wandzeitung kann jeder Schüler seine Unzufriedenheit, seine Verbesserungsvorschläge sowie seine positiven Eindrücke kundtun. Im Klassenrat werden diese Eintragungen besprochen. Der Klassenrat dient der Konfliktlösung sowie der Besprechung und Initiierung von Vorhaben. Er ist ein Mittel zur Selbstverwaltung der
Schüler. Durch ihn wird gelernt, Kritik zu ertragen und Stellung zu beziehen. Damit fördert die Wandzeitung und der Klassenrat Techniken zu sozialen Verhalten und zur Verantwortung für die Gemeinschaft. 6.5 Arbeitsmittel
Freinet hat eine Vielzahl von Arbeitsmaterialien entwickelt, um in den Klassen eine individuelle, selbständige Arbeit zu ermöglichen. 6.5.1 Arbeitsblätter
Sie bestehen aus Arbeitskarten mit bestimmten Aufgaben und Lösungskarten zur Selbstkontrolle, sowie Textkarten für den Lehrer. Mit diesen Arbeitskarten trägt Freinet neben dem individuallisierten und selbständigen Unterricht auch den Lernzielen des staatlichen Schulwesens Rechnung, die am Ende des Jahres erreicht werden müssen. 6.5.2 Sachblätter
Freinet-Lehrer schicken Texte von Wissenschaftlern, Zeitungsberichte, Schülerarbeiten etc. an die CEL 1 oder ICEM 2 , die das Material zu Sachblättern zusammenstellen und sie den Mitgliedern zusenden. Hier finden die Schüler die notwendigen Informationen zur Behandlung eines Themas. 6.5.3 Dokumentensammlung
Alle Freinet-Klassen besitzen in Anlehnung an Fernière eine eigene Dokumentensammlung. Hier werden die behandelten Unterrichtseinheiten mit allen dazu entwickelten Material eingeordnet (Texte, Zeichnungen, Buchauszüge etc.). Im Laufe der Zeit entsteht ein wertvolles, in Eigenarbeit erstelltes Archiv. 6.5.4 Arbeitsbücherei
Die Arbeitsbücherei ist eines der wertvollsten Arbeitsmittel der Ecole Moderne. Sie enthält mehrere hundert Sachhefte, die von den Lehrern in Eigenarbeit zu den verschiedenen Themen ausgearbeitet worden sind. (Sie können auch über die Organisation der Ecole Moderne bezogen werden) Wenn sich ein Schüler für ein bestimmtes Thema interessiert, kann er sich in einem dieser Hefte informieren. Sie sind in der Regel sehr anschaulich und mit einem kurzen Text versehen.
Die Arbeitsblätter, die Sachblätter und die Arbeitsbücherei ersetzen zusammen mit der Klassenbibliothek und der Dokumentensammlung, welche aus "normalen" Büchern besteht, die Schulbücher und den traditionellen Fächerunterricht. 7 Schlußbemerkung und Kritik
Es hat sich gezeigt, daß in den Richtlinien der Sonderschule für Lernbehinderte und die Freinetpädagogik starke Übereinstimmungen bestehen. Daher ist es verwunderlich, daß in der
Praxis in Deutschland die Freinetpädagogik nur sehr selten angewandt wird. Gerade bei einer so heterogenen Schülerschaft würde sich die Individualisierung und Differenzierung positiv auswirken. "Normale" Medien und Schulbücher werden von einem großen Teil der Schüler abgelehnt, denn durch diese werden ihre Schwächen nicht schnell beseitigt, sondern nur offenbart.
Als positiv erweist sich auch die Trennung von der Kopf- und der Handarbeit, wie auch die Auflösung der Trennung von Schule und Leben.
Allerdings zeigen sich auch Schwächen bei der Freinetdruckerei. Diese liegen hauptsächlich in der spiegelverkehrten Setztechnik, der begrenzten Kapazität der gedruckten Texte. Ein weiterer Schwachpunkt der Freinetpädagogik ist die Frage, ob die Erziehung den Qualitätsanforderungen der industriellen Produktionsweise entspricht. Daher müßten die Freinet-Techniken um eine ökonomische Komponente erweitert werden. 8 Literaturverzeichnis
- Freinet; C: Pädagogische Texte; Reinbeck 1980
- Freinet, C.: Die moderne französische Schule; Paderborn 1979 2
- Freinet, E.: Erziehung ohne Zwang; Paderborn 1981 · Henning; Ch. / Zülch, H.-M.: Konzept der Freinet-Pädagogik; Reinbeck 1976
- Jörg, H.: Célestin Freinet, die Bewegung "Moderene Schule und das französische Schulwesen heute; Paderborn 1979 2
- Zehrfeld, K.: Freinet in der Praxis; Weinheim und Basel 1779 2 1 CEL = Coopèrative de l´Enseignement laicm (Es war ursprünglich der Name für die gesamte Freinet Bewegung. Seit 1948 ist sie eine Verbrauchsgenossenschaft, der heutige Materialvertrieb.)
2 ICEM = Institut Cooperatif de l´Ecole Moderne (1948 gegründet, heute eine lockere Organisation von Lehrergruppen, die sich mit dem inhaltlichen Aspekt der Pädagogik auf regionaler Ebene auseinandersetzt.)
Schlagworte:
Seminararbeit, hausarbeiten.de, lit_1996-buch, e-book,
summary:
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Notiz:
Bewertung: (keine), Kosten: 1,49 €
Uni Dortmund
Titel: Freinetpädagogik unter medienpädagogischen Gesichtspunkten, eine Alternative zu den allgemeinen Medien?
Veranstaltung: Seminar: Bilder und Bildung
Autor:Dieter MattickJahr: 1996
Seiten: 15
Archivnummer: V95807
ISBN (eBook): 978-3-638-08485-7
DOI: 10.3239/9783638084857
Dateigröße: 185 KB
Sprache: Deutsch
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ID: 1524 | hinzugefügt von Jürgen an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Freinet-Pädagogik in der Sekundarstufe I by Mergel, Stefan |
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Text:
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung 3
2. Was bedeutet Wochenplanarbeit nach Freinet? 4
2.1 Grundzüge der Freinet-Pädagogik 4
2.2 Warum Wochenplanarbeit? 5
3. Organisatorischer Rahmen für die Wochenplanarbeit 7
3.1 Allgemein 7
3.2 Lehrer S.11
3.3 Schüler S.11
4. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein? S.13
4.1 Räumlich S.13
4.2 Ausstattung S.14
5. Fazit S.15
6. Querverbindung „Beratung in der Schule“ (WS 09/10) S.17
7. Querverbindung „Gesprächsführung und Beratung“
(WS 09/10) 18
8. Literaturverzeichnis S.19
1. Einleitung
In Anbetracht der Bildungsdebatte, die derzeit in Deutschland geführt wird und der Kritik am deutschen Schulsystem, sollte sich jeder Lehrer und jede Lehrerin Gedanken machen, was sie selbst zum Erfolg beitragen können. Während meines Praktikums habe ich positive Erfahrungen mit der Wochenplanarbeit gemacht, weshalb ich die Grundzüge dieser Arbeitsmethode aufzeigen möchte. Es soll ein erster Überblick für interessierte Lehrer und Lehrerinnen sein, um ihnen eine andere Form der Unterrichtsgestaltung näher zu bringen.
Unter Wochenplanarbeit versteht man die zeitliche wie sachliche Organisation von Arbeitsaufträgen, die die Schülerinnen und Schüler eigenständig meistens innerhalb einer Woche bearbeiten sollen. Dabei soll die Wochenplanarbeit nicht eine Zusammenfassung der ansonsten über die Woche verstreuten Kurzphasen von Gruppen-, Still- und Partnerarbeit sein. Sie soll vielmehr die Jugendlichen in die Mitgestaltung des Schulalltags einbeziehen. 1
Bevor auf die Praxis der Wochenplanarbeit eingegangen wird, möchte ich die theoretische Grundlage nach Célestin Freinet erläutern, was ein Wochenplan überhaupt ist. Daraufhin wird der allgemeine organisatorische Rahmen beschrieben mit Hinweisen, wie man den Wochenplan an einer Schule /in einer Klasse einführen kann. Anschließend werden die neuen Rollen der Lehrer und Schüler genauer beschrieben. Im dritten Punkt werden die räumlichen Voraussetzungen und die benötigte Ausstattung der Klassenzimmer näher beschrieben. Abschließend werde ich in einem Fazit Stellung zu meinen Erfahrungen mit der Wochenplanarbeit nehmen und zu einer Entscheidung kommen, ob ich selbst in Zukunft mit dieser Methode arbeiten werde.
1 Vgl.: Vaupel, Dieter (1995)
2. Was bedeutet Wochenplanarbeit nach Freinet?
2.1 Grundzüge der Freinet-Pädagogik
Ein wesentliches Grundprinzip der Pädagogik nach Freinet ist das Recht auf Verschiedenheit der Kinder. Es ist dabei die Aufgabe der Schule, der Verschiedenheit der Schülerinnen und Schüler 2 Rechnung zu tragen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich als Subjekt zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit entfalten zu können. Daher muss die Lehrperson die kindlichen Bedürfnisse berücksichtigen. Die vier folgenden wichtigen Punkte müssen beachtet werden:
♦ Die Lehrperson muss das Recht der Schüler auf freie Entfaltung der Persönlichkeit respektieren
♦ Die Lehrperson muss die Möglichkeit bieten, dass der Schüler seinen natürlichen Wissensdrang aktiv und kritisch mit seiner Umwelt befriedigen kann.
♦ Der Schüler muss lernen, Selbstverantwortung für seine Arbeit zu übernehmen
♦ Es muss den Schülern ermöglicht werden, ein mitverantwortliches Glied der Klassengruppe zu sein und dadurch ein positives soziales Leben zu führen.
Alle Kinder haben ein natürliches Kommunikations- und Mitteilungsbedürfnis. Diesem Bedürfnis muss unbedingt Rechnung getragen werden. In der Praxis heißt das, dass die Schüler die Möglichkeit haben müssen, zu kommunizieren und sich frei auszudrücken. Dies kann durch die vier Techniken Freier Text, Schuldruckerei (heute auch PC-Arbeit), Klassenzeitung und Korrespondenz ermöglicht werden. Diese Techniken tragen nicht nur dem natürlichen Mitteilungsbedürfnisses der Schüler Rechnung, sondern auch der Aneignung und Vervollkommnung des Lesens und Schreibens.
Neben dem schriftlichen Mitteilen sollte man aber auch das mündliche Mitteilungsbedürfnis im Unterricht berücksichtigen. In einer Klassenlehrerstunde zu Beginn der Schulwoche kann über Wochenenderlebnisse, Probleme oder
2 Im Folgenden nur noch Schüler genannt, ohne eine geschlechtliche Wertung
anstehende Ereignisse gesprochen werden. Hierbei muss den Schülern klargemacht werden, dass sie gleichberechtigte Partner sind und ihre mündlichen Beiträge keinerlei Einfluss auf ihre schulischen Leistungen haben. Sämtliche Gestaltungstechniken wie Malen, Zeichnen, Rollenspiel usw. sollten ebenfalls berücksichtigt werden. So sollen die Schüler sich selbst öffnen und offen für andere sein. Dabei geht der Weg immer vom individuellen Erlebnis über die individuelle Gestaltung zur Mitteilung an die Gruppe. Die Phänomene dieses Gruppenlebens können nämlich das persönliche Betroffensein zur Ursache und zur Wirkung haben.
Um die Motivation der Schüler zu steigern, werden die Antworten nicht von dem gegeben, der sie weiß (der Lehrperson). Sie werden selbst von den Schülern erarbeitet. Daher ist die forschende Fragestellung wichtig, um das „tâtonnement expérimental“ („Tastendes Versuchen“) 3 zu gewährleisten. Wenn man eben diese Punkte im Unterricht berücksichtigen will, muss man seinen Unterricht danach gestalten. 4
2.2 Warum Wochenplanarbeit ?
Unter Berücksichtigung der Persönlichkeit jedes einzelnen Schülers muss das Unterrichtsangebot umgestellt werden. Wenn man der Persönlichkeit des Kindes und seiner Individualität gerecht werden will, kann man nicht erwarten, dass von allen Kindern zur gleichen Zeit die gleiche Arbeit ausgeführt werden kann. Deshalb müssen die Schüler angehalten werden, selbst über ihre Arbeitsinteressen zu entscheiden und ihre Arbeit in einer gewissen Zeiteinheit frei zu organisieren und zu erledigen. Schüler lernen leichter, besser und arbeiten motivierter, wenn sie ihre Arbeit selbst wählen können. Somit kommen auch langsamer arbeitende Kinder nicht in eine Versagersituation, da sie nach ihrem eigenen Rhythmus arbeiten können. Wichtig dabei ist natürlich, dass der Schüler lernt, seine Aufgaben und seine Arbeit zu organisieren. Dabei wird es sicherlich zu Schwierigkeiten kommen, aber die Schüler werden aus den Schwächen ihrer Planung lernen und die Fehler verbessern. Dabei müssen die Schüler die Verantwortung für ihre Arbeit übernehmen und lernen
3 Nach Célestin Freinet
4 Vgl. Baillet (1993)
ihre Arbeit einzuschätzen und zu beurteilen. Diese Kompetenzen (Reflexion) werden auch im Bildungsplan von den Schülern in der Sekundarstufe I verlangt. Zur Kontrolle für die Lehrperson sollten die Schüler eine schriftliche Arbeitsbilanz in regelmäßigen Abständen anfertigen (z. Bsp.: Lesebegleitheft, Lerntagebuch, Entwicklungsportfolio, Arbeitsblätter, Hausaufgaben). Dies hängt aber immer vom Unterrichtsfach und Unterrichtsthema ab. Der Lehrer soll sich als Partner integrieren und die Schüler in die Themenauswahl mit einbinden. Hierfür gibt es die bereits erwähnte Klassenlehrerstunde in der die Klassenversammlung tagen kann. Dadurch soll ein Klima entstehen, das auf gegenseitigem Vertrauen und gegenseitiger Hilfe basiert. Hierbei lernen die Schüler auch die Wichtigkeit von Regeln für das Zusammenleben in einer Gruppe. Gleichzeitig können sie diese Regeln in Frage stellen und neue Regeln zusammen erarbeiten. Dabei können auch immer Probleme angesprochen, diskutiert und gemeinsam gelöst werden. Die Kinder lernen die Probleme und die Wichtigkeit eines demokratischen Zusammenlebens kennen. Für die Lehrer einer Klasse bedeutet das einen kooperativen, kollegialen Umgang miteinander, in dem sie sich regelmäßig in kleinen Arbeitsgruppen treffen und ihre Erfahrungen austauschen. 5
Um noch einmal zu verdeutlichen, warum der Wochenplan durchaus eine sinnvolle Alternative der Unterrichtsgestaltung ist, werden die Möglichkeiten und der Lernzuwachs hier kurz zusammengefasst.
5 Vgl. Baillet (1993)
6 Aus: Vaupel, Dieter (1995), S. 23
Schlagworte:
lit_2010-buch, e-book,
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Notiz:
Titel: Freinet-Pädagogik in der Sekundarstufe IUntertitel: Wie führe ich die Wochenplanarbeit in der Schule ein?
Veranstaltung: Keine
Autor:Stefan MergelJahr: 2010
Seiten: 20
Archivnummer: V164514
ISBN (eBook): 978-3-640-79895-7
ISBN (Buch): 978-3-640-79930-5
DOI: 10.3239/9783640798957
Dateigröße: 138 KB
Sprache: Deutsch
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ID: 4353 | hinzugefügt von user unknown an 20:33 - 7.8.2012 |
title: Mangelhaft oder ungenügend? - Gedanken zu den neuen Deutschförderklassen by Messerklinger-Berndl, Elisabeth |
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Titel: | Mangelhaft oder ungenügend? - Gedanken zu den neuen Deutschförderklassen |
Autor: | Messerklinger-Berndl, Elisabeth | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Wien, Elise Heft 16 freinet-gruppe-wien, S. 3-5 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.2019 | | |
url: | https://www.kooperative-freinet.at/downloads/zeitschrift-elise |
Text:
„Schülerinnen und Schülern (......), die (......) wegen mangelnder Kenntnis der Unterrichtssprache als außerordentliche Schülerinnen oder Schüler aufgenommen wurden, sind nach Maßgabe der Testergebnisse (.......) in Deutschförder-Klassen und Deutschförder-Kursen jene Sprachkenntnisse zu vermit-teln, die sie befähigen, dem Unterricht der betreffenden Schulstufe zu folgen.“(aus: Deutschförder-Klassen, Deutschförder-Kurse. Handout für Sprachför-derkräfte in der Grundschule 2018/19. Sprachförderzentrum Wien. Referat 4 d.SSR f.Wien)
Zur Erläuterung: Das demnächst zur Verfügung stehende Testinstrument MIKA-D (= Messinstrument zur Kompetenzanalyse Deutsch) soll verbindliche Aus-kunft darüber geben, ob ein Kind un-genügende oder mangelhafte Deutschkenntnisse aufweist und daher einer Deutschförderklasse (15 Wochenstunden) oder einem Deutschförderkurs (6 Wochenstunden) zugewiesen wird.
So war es bisher in Wien: das informelle Screening der außerordentlichen Kin-der in den ersten Schulwochen in der Klasse durch Beobachtungen und Ge-spräche in verschiedenen Situationen diente als Orientierung für die Feststel-lung der jeweiligen Sprachkompetenz A- oder B (persönl. Anm.: A heißt jetzt „ungenügend“, B „mangelhaft“ – m.E. negativ besetzte Formulierungen und daher wenig förderlich). Im Austausch mit den Klassenlehrer*innen legten wir Sprachförderlehrer*innen das individuelle Stundenausmaß der Sprachför-derung im Ausmaß von bis zu 11 Wo-chenstunden fest. Es gab also bedeutend mehr Zeit, um die Kinder in ihrer Gesamtheit kennen zu lernen. ...
Schlagworte:
elise-h16, lit_2019-art,
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ID: 5486 | hinzugefügt von Jürgen an 04:58 - 11.6.2021 |
title: Kommunikativer Literaturunterricht in der Fremdsprache by Mummert, Ingrid |
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Titel: | Kommunikativer Literaturunterricht in der Fremdsprache |
Autor: | Mummert, Ingrid | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Zielsprache Deutsch, Heft 3, 36 - 40 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1984 | | |
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Text:
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Schlagworte:
lit_1984-art, Zielsprache_Deutsch
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 3423 | hinzugefügt von Jürgen an 20:30 - 24.7.2009 |
title: Immer noch der Zeit voraus? Freinetpädagogik, Mathematik und die Bildungsstandards by Neureiter, Eva |
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Titel: | Immer noch der Zeit voraus? Freinetpädagogik, Mathematik und die Bildungsstandards |
Autor: | Neureiter, Eva | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Wien, in: Elise 2, S. 12 - 15 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.2011 | | |
url: | |
Text:
Der Freinetpädagogik wird oftmals nachgesagt, dass die Idee für Deutsch, Sachunterricht, Zeichnen, Werken ect. ja ganz gut passe, aber: "Was macht ihr FreinetpädagogInnen eigentlich mit Mathematik? Diese Fragestellung beschäftigt mich schon länger, hinzugekommen sind in meinem nachdenken jetzt noch die Bildungsstandards, die uns in der Freinetgruppe Wien mehr oder weniger quälen (manche sitzen ein Wochenende monatlich zur Fortbildung an ihrer Schule, wir wurden noch wenig "fortgebildet" und unsere SonderschullehrerInnen betrifft das alles gar nicht, weil die Bildungsstandards für die Integrationskinder nicht "relevant" sind.
...
Schlagworte:
lit_2011-art, elise-h02
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 4284 | hinzugefügt von Jürgen an 18:39 - 25.4.2012 |
title: Fortbildungen: AKS Deutschland, Natürliche Methode Gräfenhausen, Ostertreff im Tirol by o.A. |
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Titel: | Fortbildungen: AKS Deutschland, Natürliche Methode Gräfenhausen, Ostertreff im Tirol |
Autor: | o.A. | Sprache: | deutsch |
Quelle: | in: Bindestrich-37, p. 11 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | 03.3.2001 | | |
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Text:
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Schlagworte:
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 832 | hinzugefügt von Peter an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Jubiläum 25 Jahre Freinet by o.A. |
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Titel: | Jubiläum 25 Jahre Freinet |
Autor: | o.A. | Sprache: | deutsch |
Quelle: | o.O., in: Bindestrich 43 p. 26 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | 11.11.2002 | | |
url: | |
Text:
Jubiläum 25 Jahre Freinet Deutschschweiz 23.11.02
Schlagworte:
Bindestrich-43
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 1306 | hinzugefügt von Jürgen an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Antrag über den Frieden by o.A. |
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Text:
Antrag über den Frieden. (Übers. d. Verf.)
Artikel 1
Erziehung kann sich nur im Frieden entwickeln und entfalten. Die Vorbereitung auf den Krieg ist Verschwendung all der Grundlagen, derer die Schule für die Werke des Lebens so dringend bedürfte, für Werke des Todes. Krieg ist die ungeheuerliche Vernichtung des Werks der Erzieher.
Die Erzieher der "Ecole Moderne" sind unerbittlich und bedingungslos für den Frieden, gegen das Wettrüsten und gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands, gegen jede Kriegs- vorbereitung, gegen den Krieg, wo auch immer er eine Bedrohung darstellt und ausbricht. Sie fordern die Völker auf, von ihren Regierungen die Einrichtung ständiger Verhandlungen zu fordern, um die allgemeine Abrüstung voranzutreiben und um die auf diese Weise gewonnenen Kredite den Werken der Erziehung zukommen zu lassen.
Artikel 2
Gegen den Krieg kann nicht durch leere Worte gekämpft werden, sondern nur durch die Tat. Und diese Tat setzt voraus, daß man die Gründe und Ursachen der Kriege kennt. Frieden können wir nur in dem Maße gewinnen, wie wir die Ursachen des Kriegs beseitigen. .....
Schlagworte:
Resolution, Kongreß, Ecole Moderne Française, Kongress,
kein Summary verfügbar
Notiz:
Übersetzt von Dr. Renate Kock, Kongreß der "Ecole Moderne Française" in Montpellier, 20., 21., 22. und 23. März 1951
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ID: 1450 | hinzugefügt von Jürgen an 00:33 - 15.6.2005 |
title: Unterricht nach C. Freinet, Reformschulen in der BRD by o.A. |
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Titel: | Unterricht nach C. Freinet, Reformschulen in der BRD |
Autor: | o.A. | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Grünwald | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | DD.MM.1887 | | |
url: | |
Text:
Unterricht nach (Célestin) Freinet. Reformschulen in der Bundesrepublik Deutschland. Unterricht nach Freinet
Schlagworte:
kein Summary verfügbar
Notiz:
Verlag FWU
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ID: 3175 | hinzugefügt von Jürgen an 00:10 - 6.10.2008 |
title: Die Schuldruckerei by o.A. |
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Text:
Die Schuldruckerei
"Par la vie – pour la vie – par le travail"
(Durch das Leben – für das Leben – durch die Arbeit)
Célestin Freinet
Seit dem Schuljahr 2004/05 gibt es an der Hans-Thoma-Schule in Malsch eine neu geschaffene Schuldruckerei im Sinne der Pädagogik des französischen Reformpädagogen Célestin Freinet.
Célestin Freinet (1896 – 1966)
Die Freinet-Pädagogik geht auf den französischen Lehrer und Reformpädagogen Célestin Freinet zurück.
Das alltägliche Leben der Kinder bildet neben deren Interessen, Fähigkeiten und Bedürfnissen die Grundlage für die Arbeit der Schüler. Dabei ist der Lehrer für den organisatorischen Rahmen verantwortlich. Den eigenen Erfahrungen der Schüler kommt große Bedeutung zu.
Die Schule im Sinne Freinets ist eine „Arbeitsschule“. Sie wird zur Werkstatt, in der die Ziele mit verschiedenen Sinnen angegangen werden. Die Schuldruckerei ist eine zentrale “technique Freinet“, unter anderem gab es in Freinets Klassenzimmer auch Druckmaterialien wie Lettern und Druckpresse.
Drucken als pädagogisches Mittel
Neben der Schulung sprachlicher Fähigkeiten, technischer Fertigkeiten und der künstlerischen Gestaltung der gedruckten Texte (die Veröffentlichung ist von Beginn an vorgesehen) steht das soziale Lernen im Mittelpunkt. Die Gruppenarbeit, die auch immer wieder sinnvolle Arbeitsteilung beinhaltet, lässt neben eigenständigem Handeln viele Schüler Verantwortung für andere übernehmen. Gerade für Kinder mit Defiziten im sozialen Bereich ist die Arbeit in der Schuldruckerei von unschätzbarem Wert.
Druckereiarbeit erspart den Schülern nicht die Anstrengung. Dies ist im Sinne der Pädagogik von Célestin Freinet eine gute Vorbereitung auf das spätere Arbeitsleben. Das Kind soll aber auch die unvergleichbare Befriedigung empfinden lernen, die in der Arbeit liegt. So steigert die Anerkennung für die geleistete Arbeit durch die gesamte Gruppe das Selbstbewusstsein der Schüler.
Auftauchende Probleme bespricht die Schülergruppe im „Betriebsrat“, der dem Klassenrat entspricht. Hier werden Gesprächsregeln und demokratisches Verhalten eingeübt.
Themenfindung
Als Adressatengruppe für die Schuldruckerei haben wir an unserer Schule die Schüler der 5. und 6. Klassen ausgewählt. Die einzelne Klasse wird in zwei Gruppen eingeteilt, die im Wechsel in der Druckerei arbeiten.
Zu Beginn des Schuljahres wird die Schülergruppe in die praktische Arbeit einer Schuldruckerei eingeführt. Anschließend suchen die Schüler sich ein Thema aus, das die Grundlage für die Schuldruckereiarbeit in den zwei nächsten Schuljahren bildet. Dabei wird eine Exkursion durchgeführt, bei der lebensnahe Begegnungen stattfinden. So erhalten die Kinder Einblicke in die Lebenswirklichkeit verschiedenster Menschen.
Wieder zurück in der Schule schreiben die Schüler ihre Erlebnisse auf. Verbesserungsvorschläge der Klassenkameraden werden diskutiert und Texte ausgewählt.
Anschließend beginnt die praktische Arbeit in unserer Schuldruckerei.
Die Arbeit in der Schuldruckerei
Die einzelnen Arbeitsschritte: setzen ==> drucken ==> Lettern ablegen ==> Texte gestalten auf DIN A4 – Blatt ==> Texte binden (Spiralbindung) werden sehr schnell selbstständig von den Schülern ausgeführt.
Zur Planung und Dokumentation der eigenen Tätigkeiten führt jeder Schüler und jede Schülerin einen Arbeitspass.
Die Schüler verschönern das Präsentationsheft mit ihren Zeichnungen. Seit dem Schuljahr 2007/2008 erweitern wir unsere Druckfähigkeiten durch das Drucken von Zeichnungen und Bildern, die die Schüler auf Gebrauchsfolien einritzen. Hier könnte evtl. in Zukunft in Verbindung mit dem Fach Bildende Kunst der Linoldruck zum Einsatz kommen.
Durch das Setzen und Drucken neugierig geworden, beschäftigen wir uns im Verlauf der beiden Schuljahre auch mit Johannes Gutenberg und seiner Druckkunst. Dies geschieht (wenn es vom Stundenplan her möglich ist) auch im Rahmen des Deutschunterrichts.
Die Präsentation
Nach zwei Schuljahren findet unser Präsentationsabend statt, an dem vor allem die Eltern und Geschwister unserer Schuldrucker sowie das Team der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe eingeladen werden. Neben musikalischen Beiträgen – gestaltet von der Musik-AG – bildet eine Druckereivorführung den Höhepunkt des Abends. Die Schüler präsentieren dabei alle Arbeitsgänge einer Druckerei selbstständig. Das entstandene Präsentationsheft wird den anwesenden Gästen überreicht bzw. anschließend von den Schülern selbst mit nach Hause genommen.
Fazit
Die Arbeit in der Schuldruckerei fördert unterschiedliche Kompe- tenzbereiche bei den Schülern. Im Laufe der Zeit bilden sich unter den Schülern „Experten“ für bestimmte Arbeiten heraus.
Sie können hier verstärkt andere Fertigkeiten und Stärken als im täglichen Schulunterricht einbringen und permanent aktiv, selbstständig und selbstverantwortlich arbeiten.
Bei der Druckereiarbeit stellen die Kinder schnell fest, dass sie mit ihrer Arbeit für die gesamte Gruppe verantwortlich sind.
Schlagworte:
kein Summary verfügbar
Notiz:
Originaltext mit Bildern
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ID: 3245 | hinzugefügt von Jürgen an 15:50 - 24.6.2009 |
title: Freinet-Kongress in Schaan/FL by o.A. |
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Text:
Freinet-Kongress in Schaan/FL
Der Schweizerische Freinet-Kongress findet alle zwei Jahre statt. LehrerInnen und PädagogInnen setzen sich mit der Reformpädagogik von Célestin Freinet auseinander, tauschen ihre Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aus und erweitern ihre Kompetenzen in Ateliers
(Workshops). Der Anlass findet erstmals in Liechtenstein statt und wird durch
die «Arbeitsgruppe Freinetpädagogik Ostschweiz» organisiert.
Der Freinet-Kongress findet an Auffahrt 2008statt. Er beginnt am Mittwoch, 30. April gegen
Abend und endet am Samstagmittag, 3. Mai 2008. Teilnehmen können alle interessierten
KollegInnen aus der Schweiz und dem Ausland, eine Mitgliedschaft ist nicht Voraussetzung.
Ganz im Gegenteil ist ein solcher Anlass die absolut beste Möglichkeit, Einblicke in eine Reformpädagogik zu riskieren, welche heute aktueller ist denn je.
Célestin Freinet (1896–1966) war einer der bedeutendsten Reformpädagogen des letzten
Jahrhunderts, welcher das Schulwesen stark mitprägte und dessen Ansätze bis heute
nichts an Aktualität eingebüsst haben. Die Pädagogik Freinets und der «École Moderne»
begegnen uns in Begriffen wie beispielsweise Projekt-Unterricht, schülerzentrierte Lernformen,
Integration und Klassenrat.
Für den Kongress 2008 konnten namhafte Referentinnen und Referenten sowie Atelierleiterinnen
und Atelierleiter aus der Schweiz, Österreich und Deutschland verpflichtet werden.
In den sogenannten Langzeitateliers wird über alle drei Tage jeweils am Vormittag
am gleichen Thema gearbeitet. Vorgesehen sind dazu folgende Angebote:
Labyrinthe, Irrgärten, Wege – mathematische Aspekte und Fragen mit Werner Hangartner, PHSG Rorschach
SpurenSuche-TatOrt – Schule ausserhalb des Schulzimmers mit Donatus Stemmle, PHZH
Farben-Wörter-Bilder-Texte – freier Ausdruck und Sprachspiele mit Martin Merz aus Steyr,
Oberösterreich
Lernen ist Kooperation – Kooperation ist lernbar mit Uschi Resch und Walter Hövel aus
Eitorf, Deutschland
Lesung aus der persönlichen Korrespondenz zwischen Célestin Freinet und seiner Frau Elise während des Zweiten Weltkriegs mit Dr. Herbert Hagstedt, Universität Kassel, Deutschland
Die «Arbeitsgruppe Freinetpädagogik Ostschweiz» ist eine Regionalgruppe der «Freinet Gruppe Schweiz», bestehend aus engagierten Lehrpersonen, welche auf ehrenamtlicher Basis zusammenarbeiten. Ihre Kurse und Veranstaltungen sind vom Bildungsdepartement des Kantons St.Gallen anerkannt und werden an die kantonale Weiterbildungspflicht angerechnet.
Für genauere Informationen: www.freinetkongress.ch
Anmeldungen an: info@freinetkongress.ch
Anmeldungen bis Ende Januar geniessen eine Reduktion auf den Kongressbeitrag!
Für das Organisationskomitee:
Andi Honegger, Nesslau, 071 994 29 69
Schlagworte:
lit_2008-art
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keine Notizen verfügbar
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ID: 3276 | hinzugefügt von Jürgen an 19:26 - 16.7.2009 |
title: Deutschförderklassen - Segregation nicht schönreden by o.A. |
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Titel: | Deutschförderklassen - Segregation nicht schönreden |
Autor: | o.A. | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Wien, Elise 14, Frühjahr 2018, 24 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.12.2018 | | |
url: | |
Text:
-
Schlagworte:
elise-h14; lit_2018-art,
summary:
-
Notiz:
Netzwerk SprachenRechte
c/o Schiffamtsgasse 20/31
1020 Wien
E-Mail: kontakt@sprachenrechte.at
URL: http://sprachenrechte.at/
6.4.2020
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ID: 5293 | hinzugefügt von Jürgen an 04:07 - 7.4.2020 |
title: Heterogenität als Chance. Reformpädagogik in Deutschland by o.A. |
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Titel: | Heterogenität als Chance. Reformpädagogik in Deutschland |
Autor: | o.A. | Sprache: | deutsch |
Quelle: | München, Grin | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | DD.MM.2014 | | |
url: | https://www.grin.com/document/430863 |
Text:
Inhaltsverzeichnis
1 Reformpädagogik
2 Alternative Schulkonzepte
2.1 Waldorfpädagogik
2.1.1 Begründung einer Reformpädagogik durch Steiner
2.1.2 Die drei Erziehungsprinzipien
2.1.3 Merkmale der Waldorfschulen
2.1.4 Prinzipien des Lehrplans
2.1.4.1 Menschorientierung
2.1.4.2 Weltorientierung
2.1.4.3 Erkenntnisorientierung
2.1.4.4 Kindorientierung
2.2 Freinet-Pädagogik
2.2.1 Begründung einer Reformpädagogik durch Freinet
2.2.2 Grundsätze und Ziele der Freinet-Pädagogik
2.2.2.1 Beachtung der Bedürfnisse, Rechte, Eigenart und Identität des Kindes
2.2.2.2 Erziehung zur Kooperation und Mitverantwortung
2.2.2.3 Kritikfähigkeit
2.2.2.4 Beachtung der erzieherischen Wirkung der Arbeit und der Wirkkraft des Erfolges
2.2.2.5 Beachtung des freien kindlichen Ausdrucks
2.3 Montessori-Pädagogik
2.3.1 Begründung der Montessori-Pädagogik durch Montessori
2.3.2 Merkmale der Montessori-Schulen.
2.3.2.1 Gemischte Klassen
2.3.2.2 Balance zwischen Freiarbeit und Fachunterricht
2.3.2.3 Verzicht auf Noten und Zeugnisse
2.3.2.4 Kosmische Erziehung
2.3.2.5 Erziehung zur Selbstständigkeit
3 Fazit
4 Literaturverzeichnis
Schlagworte:
lit-2014_art, Hausarbeit,
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 5335 | hinzugefügt von Jürgen an 16:13 - 18.4.2020 |
title: Freinet-Pädagogik in Deutschland by Oertel, Annemarie |
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Titel: | Freinet-Pädagogik in Deutschland |
Autor: | Oertel, Annemarie | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Nürnberg Erlangen | Quellentyp: | unveröffentlichtes Manuskript |
veröffentlicht am: | DD.2.1994 | | |
url: | |
Text:
Freinet-Pädagogik
eine mögliche Alternative für die brasilianische Vorschule?
GLIEDERUNG
Vorgeschichte dieser Hausarbeit
Einleitung 9
1. Brasilien - allgemeine Infomationen
1.1. Topographie und Klima 13
1.2. Bevölkerung 13
1.3. Sprache 14
1.4. Kultur und Religion 14
1.5. Politische Strukturen 15
1.6. Wirtschaft 15
2. Bildung in Brasilien 17
2.1. Analphabetismus 17
2.2. Das brasilianische Schulsystem 19
2.2.1. Aufbau des Schulsystem 19
2.2.2. Ursachen für die katastrophale Bildungssituation 20
2.2.2.1. Außerschulische Ursachen 20
2.2.2.2. lnnerschulische Ursachen 21
2.2.2.2.1. Raummangel - hohe Klassenstärken 21
2.2.2.2.2. Situation der Lehrerinnen 21
2.2.2.2.3. lnhaltliche und methodische Arbeit 23
2.3. Vorschule in Brasilien 26
2.3.1. Begriffsbestimmung . 26
2.3.2. Historische Enwicklung der Vorschule 27
2.3.3. Funktionen der Vorschule in Brasilien 28
2.3.3. 1. Ernährung und Betreuung 28
2.3.3.2. Vorbereitung auf die Grundschule 28
2.3.3.3. Alphabetisierung 29
2.3.3.4. Erziehung zum mündigen Staatsbürger 30
3. Freinet-Pädagogik 31
3.1. Biographischer Abriß von Freinets Leben 31
3.2. Das Konzept der Freinet-Pädagogik 32
3.2. 1. Kritik an der traditionellen Schule 32
3.2.2. Grundprinzipien der Freinet-Pädagogik 34
3.3. Freinet-Pädagogik in der Vorschule 37
3.3.1. Räumlichkeiten und Milieu . 38
3.3.2. Arbeitsmaterial und Abeitstechniken 38
3.4. Die "Méthode Naturelle" des Lesenund Schreibenlernens 40
4. Freinet-Pädagogik im Kontext brasilianischer Reformansätze 45
4.1. Befreiungspädagogik nach Paulo Freire 45
4. 1. 1. Blographischer Abriß 45
4.1.2. Hauptforderungen der Befreiungspädagogik 45
4.1.3. Paulo Freires Alphabetisierungsmethode 46
4.1.4. Rolle der Befreiungspädagogik in Brasilien 47
4.1.5. Freinet und die Befrelungspädagogik Paulo Freires 46
4.2. Der Konstruktivismus . 50
4.2. 1. Grundlagen und Leitprinzipien des Konstruktivismus 51
4.2.2. Alphabetisierung von Kindern aus der
Sicht des Konstruktivismus 51
4.2.3. Bedeutung des Konstruktivismus in Brasilien 55
4.2.4. Freinet und der Konstruktivismus 57
4.3. Madalena Freire und die Synthese zwischen den
Ansätzen von Freire, Ferreiro und Freinet 59
5. Freinet-Pädagogik in Brasilien 61
5.1. Die brasilianische Freinet-Bewegung 61
5.2. Vorteile der Freinet-Pädagogik Im brasilianischen Kontext 63
5.3. Fazit 66
Praktischer Teil
6. Versuch der Umsetzung der Freinet-Pädagogik
in einer Vorschule in Sao Domingos do Prata 68
6.1. Die Vorschule in Sao Domingos do Prata 69
6. 1. 1. Das soziale Umfeld der Vorschule 70
6.1.2. Die Entstehungsgeschichte der Creche
"Dona Zizinha Barros" 71
6.1.3. Das Gebäude der Creche 72
6.1.4. Die Kinder aus der Vorschulgruppe 73
6,1.5. Die Familien der Kinder 74
6.1.6. Die Erzieherinnen 78
6.1.7. Die Ziele unserer pädagogischen Arbeit 79
6.1.8. Tagesablauf 81
6.2. Freinet-Techniken In der Vorschule 82
6.2.1. Umgestaltung des Klassenzimmers 82
6.2.2, Freies Malen - freie Texte 83
6.2.3. Aufgabenverteilung - Verantwortliche und Wochenplan 86
6.2.4. Gesprächskreis - Hora da Novidade 86
6.2.5. Naturkundliche Experimente 88
6.2.6. Erkundungen in der Umgebung - Aula passeio 95
6.2.7. Korrespondenz 104
6.2.8, Druckerei - lmprensa 107
6.2.9. Bibliothek - Biblioteca 109
6.2.9.1. Ankauf von Kinderbüchern mit gespendetem Geld 110
6.2.9.2. Herstellung eigener Bücher 111
6.2.9.3. Bücherkampagne zum Aufbau einer Volksbibliothek 116
6.3. Schlußbemerkungen 118
Literaturverzeichnis 123
Schlagworte:
Examensarbeit_allgemeine_Pädagogik
summary:
keine Notizen verfügbar
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ID: 2741 | hinzugefügt von Jürgen an 01:00 - 12.1.2006 |
title: Demokratie Lernen im Sachunterricht: Ansätze und Konzeptionen by Ortmann, Mark |
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Text:
INHALTSVERZEICHNIS II
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 1
2 Zum Begriff Politik 4
2.1 Ein Definitionsproblem: Der Begriff Politik 4
2.2 Drei Dimensionen des Politikbegriffs in der Didaktik 6
2.3 Der Politikzyklus als Analysemodell 8
3 Zum Begriff Demokratie 11
3.1 Vorüberlegungen 11
3.2 Demokratietheorien 13
3.2.1 Klassische Demokratietheorien 13
3.2.2 Empirische Demokratietheorien 15
3.2.3 Partizipatorische Demokratietheorien 16
3.2.4 Zu den Demokratietheorien: Stärken und Schwächen 17
3.3 Ein Begriff von Demokratie f ur den Sachunterricht 19
3.4 Die wesensbestimmenden Elemente von Demokratie 21
3.4.1 Zum Begriff der Mündigkeit 21
3.4.2 Zum Begriff der Partizipation 25
4 Begründung und Bedeutung des Themas Demokratie Lernen
im Sachunterricht 29
4.1 Gesellschaft und Demokratie 29
4.2 Nationalsozialistische Vergangenheit und Demokratie Lernen 30
4.3 Demokratie in der Lebenswelt von Kindern 32
4.4 Demokratie Lernen als Aufgabe des Faches Sachunterricht? 37
4.5 Demokratie Lernen in den Richtlinien und Lehrplänen des Faches Sachunterricht 38
4.6 Demokratie Lernen im Perspektivrahmen der GDSU 40
INHALTSVERZEICHNIS III
5 Demokratie Lernen im Sachunterricht - eine Bestandsaufnahme 45
5.1 Fachliteratur Sachunterricht und Demokratie Lernen 45
5.2 Didaktische Konzepte und Demokratie Lernen 46
6 Demokratie Lernen:
Ansätze und Konzeptionen 50
6.1 John Dewey 50
6.2 Erziehung ohne Zwang": Célestin Freinet 54
6.3 Das Konzept der Alliierten nach 1945: Re-education 59
6.4 Erziehung zur Mündigkeit nach Auschwitz":
Theodor W. Adorno 61
6.5 Die Schule als Polis: Hartmut von Hentig 64
7 Ansätze und Konzepte:
Demokratie Lernen im Sachunterricht 69
7.1 Vorüberlegungen 69
7.2 Demokratie Lernen im handlungsorientiertem Sachunterricht 71
7.2.1 Umgang mit Schwachstellen der Demokratie:
Fremdenfeindlichkeit 74
7.3 Ein Konzept von Demokratie Lernen im Sachunterricht 75
7.3.1 Das Aquarium 76
7.3.2 Der Klassenrat 77
7.3.3 Die Zukunftswerkstatt 78
7.3.4 Der Comic 80
7.3.5 Zum Comic Möhrenverschwörung in Hanisauland 81
7.3.6 Hanisauland im Sachunterricht 83
8 Resümee 85
1 Einleitung
In meiner Arbeit werde ich erörtern, welche Inhalte für Demokratie Lernen von Bedeutung sind und wie der Sachunterricht diese vermitteln und für Kinder erfahrbar machen kann. Die Intention zu dieser Frage ergibt sich aus der Sachlage, dass es dem Sachunterricht anscheinend an didaktischen Konzepten und Unterrichtsmaterialien mangelt. Die Frage die damit einhergeht ist, warum diese nicht existieren? Eine Begründung des Themas erfährt Demokratie Lernen durch den bildungspolitischen Anspruch der Grundschule, Kinder zu Freiheit und Demokratie zu erziehen. Damit hat die Grundschule und gerade der Sachunterricht die Aufgabe, Kinder zu demokratischem Verhalten und Handeln zu befähigen.
Eine erste Grundlage für eine konzeptionelle Umsetzung von Demokratie Lernen im Sachunterricht ist eine Theorie über die heutige Gesellschaft, auf die hier aber nicht näher eingegangen werden soll, da dies den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde. Es sei nur angemerkt, dass eine solche Theorie notwendig erscheint, "da sie die Kategorien bereitstellt, mit denen Strukturen alltäglicher Lebenswelten und systemischer Eingriffe analysiert und als objektive Bedingungen von Wirklichkeit aufgezeigt werden können". (Richter, 1996, S. 278) Eine Theorie über die Gesellschaft muss aber auch Sozialisationsprozesse systematisieren, da hierdurch gezeigt werden kann, wodurch Kinder beeinflusst werden. Nur so kann die Lebenswelt der Kinder erschlossen werden, und der Sachunterricht kann entsprechend seiner Maxime, sich an der Lebenswelt der Kinder zu orientieren, auf solche Phänomene reagieren und sie im Unterricht aufgreifen. (vgl. ebd.)
Im folgenden Kapitel werde ich mich zunächst mit dem Begriff Politik auseinandersetzen, da Politik und Demokratie zwei eng miteinander verbundene Gegenstandsbereiche sind, die sich gegenseitig bedingen. Demokratie Lernen ist auch immer politisches Lernen und somit spielt der Begriff der Politik im Kontext von Demokratie Lernen eine zentrale Rolle. Im dritten Kapitel wende ich mich dann dem Begriff Demokratie zu, und nähere mich diesem auf verschiede- ne Art und Weise, um letztlich auf die Frage, was bedeutet Demokratie Lernen im Sachunterricht?, eine Antwort zu finden, und damit auch, welche Inhalte unter dem Gesichtspunkt Demokratie Lernen im Sachunterricht aufzugreifen sind. Im nächsten Kapitel geht es um die Frage, warum Kinder (überhaupt) in der Schule Demokratie lernen sollen, und warum sich gerade der Sachunterricht mit diesem Thema auseinandersetzen soll. Dafür lassen sich gesellschaftliche und auch historische Gründe anführen, die ich zunächst erörtern werde. Weiterhin wird diskutiert, ob und inwieweit Demokratie in der Lebenswelt von Kindern eine Rolle spielt, denn auch die kindliche Lebenswirklichkeit bietet Gründe dafür, warum (bereits) Kinder Demokratie (in der Schule) lernen sollen. Abschließend werde ich den Lehr- und Bildungsauftrag des Faches Sachunterricht erörtern und den Lehrplan Sachunterricht sowie den Perspektivrahmen Sachunterricht daraufhin betrachten, ob und in welcher Weise Demokratie Lernen darin eine Rolle spielt. Infolge dessen werden Widersprüche im Anspruch des Sachunterrichtes, von der Lebenswelt der Kinder auszugehen, festgestellt. Im fünften Kapitel wird aufgrund dieser Widersprüche eine These von Richter verfolgt, der Sachunterricht führe überliefertes im Sinne von Traditionen fort. Dies würde bedeuten, dass der Sachunterricht seiner eigenen Maxime, sich an der Lebenswelt der Kinder zu orientieren und auf gesellschaftliche Veränderungen entsprechend zu reagieren, nicht gerecht wird, wie dies auch im Lehrplan schon aufgezeigt werden konnte. Da die These von Richter belegt werden kann, wird im sechsten Kapitel darüber diskutiert, wie der Sachunterricht im Kontext von Demokratie Lernen eben ein solches wirklichkeitsfremdes und naives Lernen vermeiden kann. Dazu wird zunächst darüber diskutiert, ob und in welchem Verhältnis Demokratie Lernen, politisches Lernen, soziales und historisches Lernen stehen. Daran anschließend werden verschiedene Konzepte aus der Philosophie und der Pädagogik vorgestellt und beschrieben. Diese Konzepte orientieren sich stark an den in Kapitel drei aufgezeigten wesensbestimmenden Elementen von Demokratie und gehen zumeist von den Erfahrungen und der Lebenswelt der Kinder aus. Diese Konzepte können für den Sachunterricht Anhalts- und Orientierungspunkte sein. Im siebten Kapitel werden anhand des Comics "Möhrenverschwörung in Hanisauland" einige Überlegungen und Ansätzen von Demokratie Lernen im Sachunterricht unternommen. Abschließend werden im Resümee die wichtigsten Punkte dieser Arbeit noch einmal zusammengefasst und es werden Anregungen zu weiteren Überlegungen dargestellt.
2 Zum Begriff Politik
Bevor ich mich dem Thema Demokratie Lernen und dem Begriff der Demokratie zuwende, setze ich mich mit dem Begriff der Politik auseinander. Dies ist notwendig, da sich beide Begriffe ergänzen und nicht voneinander zu trennen sind. Dies verdeutlicht sich in der Tatsache, dass sich im Demokratie Lernen auch immer eine politische Dimension verbirgt: zum einem in den Institutionen innerhalb einer Demokratie selber, zum anderen im Willensbildungsprozess, in dessen Sachverhalt das Politische erkannt werden muss. Demokratie Lernen hat ohne jeden Zweifel etwas mit politischer Bildung gemein. Daher müsste in dieser Arbeit auch von demokratisch politischem Lernen die Rede sein, um im Kern das zu treffen, was gemeint ist. (vgl. Himmelmann 2005, S. 24) Demokratie Lernen beinhaltet aber im Gegensatz zu Politik Lernen "einen höheren Grad an normativer und konkret gesellschaftsbezogener Identität (...) und strahlt eine größere Legitimationskraft" und gesellschaftliche Legitimation für politisch demokratisches Lernen aus. (ebd. S. 25) Aus diesen Gründen soll hier nicht von politischem Lernen sondern von Demokratie Lernen gesprochen werden.
2.1 Ein Definitionsproblem: Der Begriff Politik
Der Begriff Politik wird in Politiklexika wie folgt definiert: "Politik bezeichnet jegliche Art der Einflussnahme und Gestaltung sowie Durchsetzung von Forderungen und Zielen, sei es in privaten oder öffentlichen Bereichen." (Schubert/Klein 1997, S. 213) Mit Definitionen dieser Art, die sehr allgemein gehalten sind, läßt sich konkret nur sehr wenig anfangen. In der Politikwissenschaft gibt es jedoch zahlreiche weitere Definitionen von Politik und was sie ausmacht. So beschreibt Lehmbruch (1968,S.17) Politik als ein "gesellschaftliches Handeln (...), welches darauf gerichtet ist, Konflikte über Werte verbindlich zu regeln".
Mit dieser Definition macht Lehmbruch deutlich, dass Politik und die damit verbundene Willensbildung von der Gesellschaft ausgeübt wird und nicht von einer Gruppe oder einzelnen Personen. Nach Lehmbruch hat jedes Mitglied einer Gesellschaft die Möglichkeit, sich am politischen Prozess zu beteiligen. Politik ist die Lösung von gesellschaftlichen Problemen und Konflikten, indem Werte vermittelt werden, die dann für das gesellschaftliche Kollektiv verbindlich sind.
Betrachtet man weitere Politikdefinitionen, so stellt man fest, dass eine einheitliche Definition nicht existiert. Dies kann zum einen aufgrund unterschiedlicher kultureller Hintergründe erklärt werden zum anderen aufgrund der ideengeschichtlichen Tradition. Die Ansichten von "Politikbegriffen gehen auf unterschiedliche ideengeschichtliche Traditionen und historische Erfahrungen zurück, und sind von unterschiedlichen Interessen geprägt". (Massing/Skuhr 1993, S. 242) Vielmehr existiert ein Pluralismus verschiedener Ansichten, wie oder was Politik ist und sein sollte, die auf "unterschiedlichste Gegenwarts- und Zukunftsinteressen" zurückzuführen sind und sich folglich daraus auch immer eine andere "Beschreibung der Aufgaben" von Politik und somit auch politischer Bildung ergibt.(von Reeken, 2002, S. 9)
Auch Schmitt stellte seiner Theorie des Politischen die Bemerkung voran, dass die Politikwissenschaft keine eindeutige Definition liefern könne, weil in Definitionen, die für das Politische als wesentliches Merkmal den Begriff der "Macht" anführten, "Macht" meistens mit "staatlicher Macht" gleichgesetzt sei, wie "Politik" überhaupt häufig mit "Staat" identifiziert würde. (vgl. Schmitt 2003, S. 21)
Diese begriffliche Gleichsetzung sei so lange zulässig, wie "der Staat eine klare, wirklich eindeutig bestimmbare Größe ist, und den nicht-staatlichen, eben deshalb unpolitischen Gruppen gegenüber steht". (ebd., S. 23) In solchen Fällen hat der Staat das "Monopol des Politischen". In einer Verfassung, in der Staat und Gesellschaft sich durchdringen und nicht mehr klar voneinander abgrenzbar sind, ist die Gleichsetzung von Staat und Politik nicht zutreffend. Politisch wäre dann, zumindest der Möglichkeit nach, alles. überträgt man das Verständnis, dass alles politisch werden kann, auf die Vorstellung des Demokratie Lernens im Sachunterricht, so ergibt sich als das zentrale Problem, wo die Grenzen von politischem und damit auch die von Demokratie Lernen zu setzen wären? (vgl. von Reeken 2001, S. 8) Eine Antwort kann der Politikbegriff in drei Dimensionen geben.
2.2 Drei Dimensionen des Politikbegriffs in der Didaktik
Mit der Unterteilung des Politikbegriffes in drei Dimensionen wird Politik nicht normativ definiert, sondern in einen entscheidungstheoretischen Zusammenhang gestellt. Die Verwendung der drei Dimensionen soll es Lehrern und Lehrerinnen erleichtern, sich einem politischen Problembereich anzunähern und ihn zu strukturieren. Politik wird gesehen als ein "Prozess zur Herbeiführung
verbindlicher Entscheidungen für ein Gemeinwesen". (Bundeszentrale 1994, S. 20 f.) Politik wird also als ein pragmatischer Diskurs bestimmt, der direkt zu lösungsorientierten Handlungen führen soll. Durch die Dimensionalisierung der Erscheinung Politik in 1. (polity)/Form, 2. (politics)/Prozess und 3. (policy)/Inhalt soll der Politikbegriff für politisches Lernen anwendbar gemacht werden. Diese Einteilung in institutionelle Strukturen (polity), Verfahrensabläufe (politics) und Probleminhalte (policy) soll eine schnelle und einfache Konkretisierung der abstrakten Struktur des Politikbegriffes ermöglichen. Diese aus dem englischem Sprachgebrauch stammende Dimensionalisierung wurde in den 70er Jahren von Karl Rohe in die deutsche Politikwissenschaft eingeführt (vgl. Kuhn 1999, S. 53) und ist gerade in der Fachdidaktik weit verbreitet, da sich die Einteilung in drei Dimensionen als praktischer darstellt als der analytische sehr schwer zu reduzierende Begriff Politik der deutschen Sprache. "Mit Hilfe des Dimensionen-Modells lassen sich Schwerpunkte für didaktische Perspektiven formulieren." (Kuhn 1999, S. 53) Im Einzelnen beschreiben die drei Dimensionen folgende Aspekte des Politischen: 1. Die formale Dimension von Politik (polity) umfasst die grundlegenden politischen Institutionsstrukturen von Demokratie wie: "Verfassung, Grundrechte, Wahlen, Parteien, Verbände, Repräsentationen, Gewaltenteilung, Bundestag, Bundesrat/Föderalismus, Bundesregierung, Kanzler, Bundesverfassungsgericht, Verwaltung" weiterhin die politische Kultur einer Gesellschaft und ihr politisches Bewusstsein. (Himmelmann 2005, S.16) Polity beschreibt also den "Handlungsrahmen von Politik". (von Reeken 2001, S. 9)
2. In der prozessualen Dimension von Politik (politics) geht es um die politische Willensbildung, also den Diskurs und Kompromisse, "und damit auch um Legitimations- und Entscheidungsvariable wie: Bedürfnis- und Interessenlagen der Menschen, Konflikt und Wettbewerb zwischen den Parteien, Bürgerinitiativen und Verbänden, Stadien der Entscheidungsfindung, Wege der Einflussnahme, Konfrontation, Macht, Herrschaft, Konsens, Kompromiss, Entscheidung und Revision, sowie Legitimation und Effizienz von Entscheidungen. Nicht zu vergessen: Bürgerrechte und Bürgerpflichten sowie bürgerschaftliche Qualifikation für die politische Partizipation". (Himmelmann 2005, S. 16)
3. Die inhaltliche Dimension von Politik (policy) umschreibt die verschiedenen Fragestellungen unterschiedlicher Felder außerdem "Aufgaben und Ziele, politische Programme, einzelne Politikfelder (...), aber auch die Wert- und Orientierungssysteme, die hinter den Programmen und politischen Überzeugungen stehen". (von Reeken 2001, S. 9) Es geht also um die "exemplarische Erörterung einzelner politischer Probleme und Sachthemen". ( Himmelmann 2005, S.16) Die Dimension (policy) befasst sich also "mit der ständigen Wiederkehr und mit der Zyklizität politischer Problemverarbeitung". (ebd.)
Diese Unterteilung des Politischen in drei Dimensionen macht zwar den Kern von Politik deutlich, ist aber insofern problematisch, als dass die einzelnen Dimensionen nicht trennscharf sind. Das Modell hat also seine Grenzen, denn es kann sich nicht "bruchlos in die politische Wirklichkeit" (Kuhn 1999, S. 54) übertragen lassen. In der politischen Realität lassen sich Schlüsselfragen aus bestimmten politischen Bereichen und politischen Phänomenen nicht im- mer eindeutig einer Dimension zuordnen.
So gehört beispielsweise die politische Kategorie "Interesse" zur formalen Dimension (polity). Betrachtet man sie aber unter dem Aspekt von Interessenkonkurrenz und -konflikt, lässt sie sich auch in die inhaltliche Dimension, also policy, einordnen. Damit stellt sich die Frage, ob die durch die Dimensionalisierung des Politikbegriffs angestrebte Strukturierung im Schulalltag auch entfaltet werden kann. Auch wenn darauf hingewiesen wird, dass die einzelnen Dimensionen im Zusammenhang zu verstehen sind und nur für analytische Zwecke getrennt werden, besteht die Gefahr, dass dies innerhalb der Analyse selbst vergessen wird und sich die Dimensionen verselbstständigen. "In einer solchen begrifflichen Unterscheidung ist die eigensinnige Tendenz zur Verselbstständigung angelegt, die zu einer künstlichen Zergliederung und Separierung des" politischen Realzusammenhangs führt. (Massing 2002, S. 174)
2.3 Der Politikzyklus als Analysemodell
Der Politikzyklus auch "policy cycle" oder "policy-Prozeß" genannt, ist ein Analysemodell der Politikwissenschaft, das vor allem in der Policy Forschung genutzt wird. Politik wird als ein Arbeitsbegriff gesehen. Politik wird definiert als eine prinzipiell endlose Kette, "in der sich der Versuch einer Bewältigung der geschichtlichen Gegenwart und Zukunft und der darin enthaltenen Problemen abzeichnet". (Kuhn 1999, S. 185)
Der Vorteil dieses Modells, in dem Politik (analysiert und) als Prozess der Problemverarbeitung und -lösung beschrieben wird, besteht darin, dass sich die einzelnen Phasen dieses Prozesses beschreiben lassen, von denen Politik bestimmt wird. (vgl. Kuhn, 1999, S. 185) Diese Phasen, auch "sequentielle Kategorien" genannt, werden wie folgt beschrieben: "Ein Problem tritt als solches ins öffentliche Bewusstsein, wird aufgrund der Forderung bestimmter Gruppen und dominanter gesellschaftlicher Wertvorstellungen als handlungsrelevantes Problem definiert und auf die politische Entscheidungsagenda gesetzt". (ebd.) Begleitet von Auseinandersetzungen und Aushandlungsprozessen zwischen "verschiedenen politischen Gruppen wird das Problem in die Form einer politisch-administrativ verbindlichen Entscheidung gebracht, die dann im Durchführungsprozeß durch nachgeordnete politische und administrative Akteure, gesellschaftliche Gruppen und Organisationen sowie Einzelbürger ihre konkrete Ausgestaltung erfährt. Die daraus resultierenden konkreten Policy-Ergebnisse und -Wirkungen (...) schließlich rufen eine politische Reaktion der Zustimmung oder Ablehnung hervor, die wiederum politisch umgesetzt wird und zu Weiterführung, Veränderung oder Beendigung der Policy führt." (Windhoff-Heritier 1987, S. 65)
Für eine didaktische Umsetzung von Themenbereichen der Politik im Kontext des Sachunterrichts bietet das Modell gerade im Bezug auf die Einarbeitung in einen Sach- oder Problembereich Vorteile. Der Sach- oder Problembereich kann auf die Grundstrukturen Problem, Auseinandersetzung, Entscheidung, Bewertung, Reaktion und neues Problem reduziert werden. Der Arbeitsbegriff, von dem der Politikzyklus ausgeht, beschreibt Politik in einer Art und Weise, die im Kontext von Demokratie Lernen im Sachunterricht als sinnvoll anzusehen ist. Erstens, weil der Arbeitsbegriff den individuellen Auffassungen von Politik gerecht wird und zweitens, weil er Politik als Lösungsversuch von Problemen der Gegenwart wie der Zukunft sieht. Diese Feststellung erscheint mir für den Kontext von Demokratie Lernen sinnvoll, denn sie grenzt den Rahmen dessen, was mit Politik gemeint ist, ein. Dennoch weist auch dieses Modell deutliche Grenzen auf. "Der skizzierte Politikbegriff als Arbeitsbegriff" (Kuhn 1999, S. 184) umfasst nicht alle Aspekte, unter denen sich Politik vollzieht.
Da der Politikzyklus einen selektiven Charakter aufweist, der in den sequentiellen Kategorien zu finden ist, liegt eine weitere Schwäche dieses Modells darin, dass "politische Probleme den Politikzyklus erst dann erreichen, wenn sie Gegenstand eines politischen Willensbildung- und Entscheidungsprozesses sind". (Kuhn 1999, S. 184 f) Das größte Problem des Politikzyklus als Analysemodell besteht jedoch darin, dass "bei der Untersuchung eines politischen Sachverhalts mit Hilfe der Dimensionen des Politischen (...) der Prozeßcharakter von Politik leicht verloren" geht. ( Breit 1993, S. 3) Politik ist ein dynamisches Phänomen: Im Modell erscheint sie aufgrund der Separierung in einzelne Dimensionen als etwas statisches ohne Entwicklung und Vorgeschichte. (vgl. Breit 1993, S. 3 und Kuhn 1999, S. 54) Ein bestimmter politischer Sachverhalt kann mit Hilfe des Modells also nur zu einem bestimmten Zeitpunkt erfasst werden. Zu konstatieren ist: Politik ist kein Begriff, der sich leicht definieren lässt. Er unterliegt den ständigen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen. Politik in einer Demokratie ist ein Prozess, der immer wieder mit der Aufgabe konfrontiert wird, Positionen und Entscheidungen zu überdenken, zu korrigieren und zu revidieren, um neue Lösungen zu finden.
3 Zum Begriff Demokratie
3.1 Vorüberlegungen
Befragt man die zuständige Fachwissenschaft und verschiedene Politiklexika zum Demokratiebegriff, so stellt man schnell fest, dass es nicht einen Ansatz oder eine Theorie zur Demokratie gibt. Es gibt vielmehr eine unüberschaubare Anzahl von Demokratiedefinitionen. Mal wird Demokratie als "Herrschaftsform " beschrieben: "Die Demokratie ist der moderne absolute Staat, die Allmacht begründet durch die Macht aller unter der Ideologie, der Mythe der Freiheit und Gleichheit." (Hättich 1967, S. 17) Greven dagegen sieht sie eher als eine "Kultur", denn "nur wenn man die kulturelle Dimension der westlichen Demokratie angemessen berücksichtigt, kann man erkennen, dass die Ablehnung der Demokratie als Ganzes oder einzelne ihrer Elemente zurückweisen, werden wir auf die Besinnung und Reflexion unserer eigenen kulturellen und politischen Identitäten im Rahmen der westlichen Demokratie zurückverwiesen." (Greven 1998, S. 29) Und schließlich sieht Honneth in der Demokratie eine "reflexive Kooperation." (1999, S. 37-65) Es existieren aber nicht nur unterschiedliche Definitionen von Demokratie, sondern auch unterschiedlichste Demokratietheorien (vgl. Himmelmann 2005, S. 35 f). Auch in der Politikdidaktik gibt es keine einheitliche Demokratietheorie, sondern einen Pluralismus verschiedener Lehrmeinungen, "die sich nicht in einer einzigen handfesten Definitionsformel verdichten" lassen. (Guggenberger 1989, S. 130). Abromeit konstatiert, dass "die Geschichte der Demokratietheorie eine Geschichte des Zweifels - nicht nur an der Realisierbarkeit, sondern letztlich auch an der Wünschbarkeit des liberalen Ideals" sei. (2002, S. 81) Der Begriff Demokratie bezieht sich auf vielfältige Fragen und Probleme der Theorie und Praxis, die je nach Theorieansatz unterschiedlich beantwortet werden können oder ungelöst bleiben.
In Bezug auf die Frage nach Sinn und Zweck von Demokratie gehen z. B. Überlegungen der klassische Demokratietheorie dahin, dass das Individuum auch unter den Bedingungen von politischer Herrschaft seine "naturgegebene" Freiheit und damit seine individuelle Selbstbestimmung behält. Die individuelle Selbstbestimmung kann aber auch als eine Selbstbestimmung im Kollektiv unter dem Aspekt der "Herrschaft der Vernunft" betrachtet werden. Die Legitimierung politischer Herrschaft basiert damit in einem Fall auf dem Bezug zur Gesellschaft und ihrer Selbstbestimmung und im anderen Fall auf der Vernunft. Damit erfolgt eine Legitimation von Demokratie in einem Fall über die Kontrolle von politischer Herrschaft, im anderen Fall soll sie individuelle Freiheit und Selbstbestimmung auch unter dem Aspekt von Herrschaft gewährleisten. (vgl. Abromeit 2002, S. 114, und Burk 2003, S. 14) Jede Demokratietheorie beruht auf einer bestimmten Vorstellung vom Volk demos: "wer ist es, der sich selbst bestimmt, der mitbestimmen darf, der "Mitgliedschaftsrechte hat, der die kollektiven Entscheidungen mitträgt?" (Abromeit 2002, S. 115) Hierzu kann die Frage der Verbundenheit über nationale, kollektive, historische, politische und kulturelle Identität sowie einer kollektiven Kommunikations-, Erfahrungs- und Erinnerungsgemeinschaft weiter angeführt werden, denn Vorstellungen über das Volk basieren auf diesen Aspekten. Die Lösungen dieses Problems sehen je nach Demokratietheorie daher ganz verschieden aus.
Eine zentrale Frage ist die nach dem Individuum in einer Demokratie und seiner Autonomie.
Egal von welcher der vielfältigen Demokratietheorien man ausgeht, immer ist diese verbunden mit einer Vorstellung davon, welche Rolle das Individuum innerhalb der Demokratie spielt. Die Vorstellung von der Rolle des Individuums steht immer im Kontext der Frage nach seiner Freiheit, seiner Autonomie im Verhältnis zur Gesellschaft ebenso wie zu kollektiven Entscheidungen. (vgl. Abromeit 2002, S. 122) Jede Demokratietheorie befindet sich also immer in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Individuum und dem Volk "demos".
Somit muss sich auch jede Demokratietheorie mit der Frage befassen, wie sie mit dem Verhältnis von Mehr- und Minderheit, Regierung und Opposition, individuellem und kollektivem Willen umgeht. Selbstbestimmung ist im Kern vom Willen des Einzelnen abhängig; wie geht man mit diesem Problem um?
Findet sich auf der Seite der Individuen und der Gemeinschaft einerseits eine Verbundenheit zu Solidarität und Emphatievermögen, so lassen sich andererseits in jeder Form von Demokratie auch Egoismus und Selbstsucht bei den Individuen feststellen.
3.2 Demokratietheorien
Da solche Fragen je nach Demokratietheorie unterschiedlich beantwortet werden, sollen im Folgenden die drei wichtigsten und am häufigsten im Gebrauch befindlichen Demokratietheorien in ihren Grundgedanken skizziert werden. Die Vorstellung von diesen verschiedenen Auffassungen soll dazu dienen, sich dem Begriff "Demokratie" von verschiedenen Seiten zu nähern, und damit den Rahmen dessen zu bestimmen, worum es beim Demokratie Lernen geht.
3.2.1 Klassische Demokratietheorien
Im Zentrum der klassischen Demokratietheorien steht die Frage, wie die naturgegebene individuelle Freiheit des Menschen auch dort erhalten werden kann, wo Herrschaft, Zwänge, Unterwerfung und damit kollektive Entscheidungen notwendig sind, wie sich also eine Regierung - und damit Herrschaft - mit der individuellen Freiheit jedes Einzelnen vereinbaren lässt. Im Naturzustand, so die Klassiker (Kant, Lock, Rousseau) gibt es keine Unterwerfung, und es wird keine Regierung benötigt. Diesen Naturzustand, den die Klassiker als das Paradies bezeichnen, haben die Menschen verloren. Dass eine Regierung notwendig ist, sehen die Klassiker vor allem in der Tatsache von Privateigentum und den Folgen menschlicher Unzulänglichkeit. (vgl. Abromeit 2002, S. 73) Die Klassiker bieten drei sich ergänzende Lösungsansätze, die den Erhalt der naturgegebenen individuellen Freiheit trotz Herrschaft weiter garantieren sollen.
• Die erste Lösung ist der "Gesellschaftsvertrag".
Diesen Vertrag schließen die Menschen einvernehmlich zum Zweck der Etablierung einer Regierung. Diesem Vertrag ist die Regierung verpflichtet. Auf diese Weise bleibt die individuelle Freiheit erhalten, da "doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genau so frei bleibt wie zuvor". (Rousseau 1977, S. 17)
• Der zweite Lösungsweg besteht darin, dass Bedingungen geschaffen werden, unter denen Regieren zwangsläufig von Vernunft bestimmt und somit gerecht ist (vgl. Abromeit 2002, S. 74).
Diese Bedingungen sind dann geschaffen, wenn jedes Individuum die Freiheit besitzt, "von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen" (Kant 1965, S. 2), und so ein Prozess gegenseitiger Korrektur und Selbstkorrektur gewährleistet ist. Auf diese Weise entwickelt sich eine Herrschaft der Vernunft, die jedem Einzelnem gegenüber gerecht ist, weil sie nicht Unterwerfung, sondern letztlich den Gebrauch des eigenen Verstandes und damit der eigenen Freiheit fordert.
• Der dritte Lösungsansatz beruht auf der öffentlichen Diskussion, denn sie ist laut den Klassikern der Garant für die gerechteste und vernünftigste Lösung.
Der klassische Ansatz von Demokratie zielt also auf ein die gesamte Gesellschaft umfassendes Ideal einer "Realisierung des vernunftbestimmten Wohls der Gesamtheit wie aller Einzelnen". (Abromeit 2002, S. 79) Herrschaft ist hier nicht existent. Das Ideal zielt vielmehr auf die Befreiung der Menschen aus der Unmündigkeit. Demokratie ist aus der Sicht der klassischen Demokratietheorie nicht nur eine Sache von Verfahren", (ebd.) sondern zugleich eine Sache, mit "der anhand von Verfahren Wirkungen erzielt werden. Die Klassiker sprechen im übrigen nie von Demokratie, sondern immer von Republik.
3.2.2 Empirische Demokratietheorien
Aus Zweifeln an der Fähigkeit zur Selbstbestimmung des Individuums und Selbstregierung des Volkes resultierten in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts die empirischen oder auch realistischen Theorien von Demokratie. Das Konzept dieser empirischen Demokratietheorien basiert zum einen auf "der Kritik am Normativismus und Idealismus der liberalen Klassiker (...), zum anderen auf der Beobachtung der Funktionsweise der realen Demokratie in den USA und in Großbritannien sowie der Erfahrung mit den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts". (Abromeit 2002, S. 89) Versuche, eine "idealistische-identitäre" (ebd.) Demokratie zu etablieren, endeten, so die Befürworter der empirischen Demokratietheorien, im Totalitarismus. Daher erscheint es diesen Theorien zufolge als das Sinnvollste, Demokratie darauf zu reduzieren, sich an bewährten, stabilen, freiheitlichen politischen Systemen zu orientieren. Es geht hier also weniger um die Frage, wie individuelle Selbstbestimmung und Freiheit unter politischer Herrschaft zu ermöglichen ist, als vielmehr darum, wie die Stabilität eines nicht diktatorischen Systems garantiert werden kann. Demokratie wird hier verstanden als eine periodische Herrschaftsform auf Zeit. Hierbei spielt die ebenfalls periodische Wahl zwischen zwei Parteien die entscheidende Rolle. Die Wahl wird nicht vollzogen, um politische Inhalte zu bestimmen, oder den Volkswillen zu ermitteln, sondern vielmehr, um eine Regierung für das Volk hervorzubringen. (vgl. Burk 2003, S. 15) Politische Entscheidungen werden so von den Wahlberechtigten an eine Regierung ihres Vertrauens abgegeben. Die Idee ist also, dass es anstelle einer Regierung durch das Volk eine Regierung für das Volk gibt, "die durch aufgeklärte und verantwortungsbewusste Eliten wahrgenommen" wird. (Schreier 1996, S. 50) Von den Wählern wird nach diesem Verständnis wenig Wissen und Einsicht, Engagement und Teilhabe erwartet. Sich einmischen ist kein Postulat, sondern eher eine Störung der Arbeitsteilung zwischen Staat und Gesellschaft." (Burk 2003, S. 15) Die empirischen Demokratietheorien gehen von einem Menschenbild aus, nach dem viele Menschen gar nicht die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und Selbstregierung besitzen; viele Menschen verhielten sich irrational, und eben daher seien "der Mitbestimmung durch das Volk enge Grenzen" zu setzen. (Schreier 1996, S. 50)
3.2.3 Partizipatorische Demokratietheorien
In den partizipatorischen bzw. deliberativen Ansätzen wird eine Rückbesinnung auf die Klassiker und die republikanische Tradition weg von den "normativ entleerten" Ansätzen der Demokratietheorie gefordert. (Burk 2003, S. 17) In Anlehnung an Habermas und seine Diskurstheorie geht es um eine Rückkehr zu "normativ gehaltvollen Demokratiemodellen". (Habermas 1994, S. 359) In diesem Modell ist Partizipation, das heißt die politische Teilhabe der Menschen am Willensbildungsprozess, der Schlüsselbegriff. (vgl. Burk 2003, S. 17) Demokratie wird hier nicht ausschließlich als Staats- und Herrschaftsform aufgefasst, sondern auch als Gesellschafts- und Lebensform: Sie wird als kommunikative Vergemeinschaftung verstanden und somit als eine besondere Form des Diskurses. Das Prinzip dieses Diskurses ist die "Erzeugung legitimen Rechts ".(Habermas 1994, S. 154 f) Recht ist dann legitim, wenn es von der Vernunft bestimmt ist. Die Selbstbestimmung der Bürger ist somit abhängig von der Erwartung einer vernünftigen Qualität ihrer Ergebnisse". (ebd, S. 369) Der Diskurs bildet in der Erwartung den Ort, an dem sich der vernünftige Wille bildet. "Die Legitimation des Rechts" (ebd, S. 134) stützt sich damit auf Kommunikation. Diese muss von allen Beteiligten als ein Arrangement gesehen werden, in dem es darum geht, ob "strittige Normen die Zustimmung aller möglicherweise Betroffenen (...) finden können". (ebd. S. 134 f) Regieren durch Partizipation, also Teilhabe und Kommunikation in Form von Diskussion, sind die zentralen Anliegen der partizipatorischen Demokratietheorie. Demokratie wird nach dieser Theorie verstanden als ein gesellschaftsumfassender Prozess. Sie schließt damit auch Familie, Erziehung und Schule ein. Ziel der deliberativen Demokratietheorie ist es, "autoritäre Herrschaftsstrukturen aufzudecken und durch Mitbestimmung und Selbstbestimmung zu ersetzen". (Burk 2003, S.17 f) Das Menschenbild, das dieser Demokratietheorie zugrunde liegt, ist dem der empirischen Demokratietheorie entgegenzusetzen. Es geht davon aus,
Schlagworte:
lit_2005-buch, e-book,
kein Summary verfügbar
Notiz:
Uni Bielefeld
Titel: Demokratie Lernen im Sachunterricht: Ansätze und Konzeptionen
Veranstaltung: Keine
Autor:Mark OrtmannJahr: 2005
Seiten: 100
Archivnummer: V43292
ISBN (eBook): 978-3-638-03115-8
DOI: 10.3239/9783638031158
Dateigröße: 419 KB
Sprache: Deutsch
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ID: 4357 | hinzugefügt von user unknown an 00:46 - 8.8.2012 |
title: Vor 25 Jahren: der Anfang by Peter Jakob |
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Titel: | Vor 25 Jahren: der Anfang |
Autor: | Peter Jakob | Sprache: | deutsch |
Quelle: | o.O., in: Bindestrich 42 p. 19 -21 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | 07.07.2002 | | |
url: | |
Text:
Vor 25 Jahren: der Anfang der deutschschweizerischen Freinet-Gruppe
Schlagworte:
Bindestrich-42
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 1289 | hinzugefügt von Jürgen an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Der Klassenrat. Schülerdemokratie und soziales Lernen an der Gesamtschule by Pohnke, Anna |
|
Text:
Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ausbildung zur/m staatlich geprüften Erzieher/-in
Der Klassenrat
Schülerdemokratie und soziales Lernen
an der Gesamtschule X
VERFASST VON ANNA POHNKE
Kurs:FSSP04 – Sozialpädagogische Hilfen (Maaß/Hansen)
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG 1
I NA
DER KLASSENRAT 3
II NA
Theorie des Klassenrats 3
1 NA
1.1 Grundlagen 3
1.1.1 Geschichtlicher Rückblick 3
1.1.2 Definition 6
1.2 Gründe und Ziele 7
1.2.1 Soziales Lernen durch Konfliktlösung 7
NA
1.2.2 Demokratie und Partizipation 11
1.2.3 Schulbezogene Ziele 13
1.3 Methoden im Klassenrat 14
1.3.1 Wandzeitung 14
1.3.2 Ämtervergabe 17
1.3.3 Klassenregeln 19
1.3.4 Positive Runde 21
1.4 Voraussetzungen für die Durchführung von Klassenratstunden 22
1.4.1 Rahmenbedingungen 22
1.4.2 Die Rolle der Lehrkraft 22
Praktische Umsetzung an der Gesamtschule X 25
2 NA
2.1 Die Stammgruppenstunde 25
2.2 Befragung 26
2.2.1 Schülerbefragung 27
2.2.2 Lehrerbefragung 28
2.3 Zusammenfassung 29
FAZIT 30
III NA
Konsequenzen für sozialpädagogische Kräfte 30
3 NA
Persönliche Stellungnahme 30
4 NA
Quellenverzeichnis 32
Anhang ....................................................................................................... 34 34
I EINLEITUNG
Die Schulreform in Schleswig-Holstein steht vor der Tür:
Am 24.01.07 wurde das neue Schulgesetz verabschiedet, das durch eine Auflösung des alten dreigliedrigen Schulsystems eine individuellere Förderung der Schüler/-innen verspricht und langfristig zu einer Verbesserung des deutschen Bildungssystems beitragen soll. 1 Bis zum Schuljahr 2010/11 sollen alle Haupt-und Realschulen zu Regionalschulen zusammengeschlossen werden, Gesamtschulen sollen zu Gemeinschaftsschulen umstrukturiert werden. Das Konzept sieht vor, dass alle Gemeinschaftsschulen in den Ganztagsbetrieb übergehen.
Die Praxisstelle meines 20-wöchigen Oberstufenpraktikums im Rahmen der Erzieher/-in-Ausb- ildung hat diesen Weg schon vor langer Zeit beschritten: Die Gesamtschule X als eine von zwei integrierten Gesamtschulen in Neumünster ist den traditionellen Schulformen in Bezug auf individuelle Förderung schon einen Schritt voraus. Zudem ist die seit 1991 bestehende Gesamt- schule seit November 1996 offiziell eine Ganztagsschule. Zwar ist die Schulform „Gesamt- schule“ in Deutschland nach wie vor umstritten, doch kann man in Anbetracht der aktuellen Veränderungen sicherlich von zukunftsweisend sprechen.
In meinem Praktikum im Arbeitsschwerpunkt „Schulsozialarbeit“ habe ich interessante Ein- blicke in das Gesamtschulleben bekommen und bin durch Hospitationen in verschiedenen Jahrgangsstufen insbesondere auf eine Institution aufmerksam geworden: den Klassenrat. Diese mir bis dato kaum bekannte Methode ist fest im Stundenplan verankert und ein bedeut- samer Überschneidungspunkt von Unterricht und Schulsozialarbeit.
Offene Fragen und Erkenntnisse, die ich durch meine Beobachtungen der Klassenratstunden gewann, führten mich zu einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit dem Konzept dieser Methode.
media/generator/Aktueller_20Bestand/MBF/Information/Schulgesetz/SG_20_C3_9Cberblick.html (Stand: Februar 2007)
„Klassenrat“, „Gruppenstunde“, „Stammstunde“, „Soziale Stunde“ – Dies sind nur einige Bezeich-nungen, auf die ich während der Recherche für die vorliegende Arbeit gestoßen bin. Und so verschieden die Namen sind, so unterscheiden sich auch die Umsetzungen dieser Methode stark voneinander.
Was hat es also mit dem „Klassenrat“ auf sich?
Was geschieht in dieser Stunde und welche Ziele werden verfolgt?
Welches Potenzial steckt in dieser – eher unbekannten – Unterrichtsform?
Und: Wie sehen eigentlich die Schüler den Klassenrat?
Um diese Fragen zu beantworten, habe ich zum Abschluss meiner Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin die vorliegende Hausarbeit eingereicht.
Den Inhalt der vorgeschriebenen 30 Seiten habe ich wie folgt strukturiert:
Im Hauptteil DER KLASSENRAT wird Theorie und praktische Umsetzung dieses Konzepts darge- stellt. Dazu beginne ich in 1.1 mit den Grundlagen, stelle in 1.2 Gründe und Ziele dar, erläutere in 1.3 verschiedene Methoden und gehe in 1.4 auf die Voraussetzungen für die Durchführung ein.
In 2.1 schildere ich meine Eindrücke von der Umsetzung an der Gesamtschule X. Anschließend stelle ich die Ergebnisse meiner Befragung unter 2.2 und fasse in 2.3 die Erkenntnisse zusammen.
Als Fazit gehe ich abschließend in 3 auf mögliche Konsequenzen für sozialpädagogische Kräfte ein und beziehe in 4 Stellung zu der Methode.
Der Hinweis auf die Verwendung von Fachliteratur geschieht durch Fußnoten, eine alphabe- tische Auflistung aller Werke binfindet sich am Ende der Arbeit. Gelegentlich verweise ich auf andere Textstellen innerhalb dieser Arbeit, in denen ein bestimmter Aspekt gesondert erläutert wird. Dies ist durch eine Kapitelangabe in Klammern hinter dem entsprechenden Begriff vermerkt.
Im Sinne einer besseren Lesbarkeit verzichte ich im Folgenden bewusst auf Doppelnennungen bei Personengruppen und verwende stattdessen das generische Maskulinum. Generell sind also bei Formulierungen wie „Schüler“, „Lehrer“ und „Sozialpädagogen“ sowohl männliche als auch weibliche Personen gemeint. Ist das Geschlecht für den Zusammenhang von Bedeutung, wird dies eindeutig benannt.
II DER KLASSENRAT
In diesem Kapitel wird die Theorie des Klassenrats umfassend dargestellt. Zunächst erläutere ich unter 1.1 die Grundlagen des Konzepts, anschließend formuliere ich in 1.2 mögliche Gründe für den Klassenrat und seine Ziele. In 1.3 stelle ich drei gebräuchliche Methoden der Klassenrat- praxis vor und gehe abschließend in 1.4 auf die Voraussetzungen für die Durchführungen von Klassenratstunden ein.
1.1 Grundlagen Um zu verstehen, was Klassenrat ist, sollte man zunächst einen geschichtlichen Rückblick voll- ziehen. Daher skizziere ich in 1.1.1 die Entwicklung von seinen Vorläufern bis heute und stelle in 1.1.2 verschiedene Definitionen vor.
1.1.1 Geschichtlicher Rückblick
Seine Wurzeln hat der Klassenrat in der Freinet-Pädagogik. Der Reformpädagoge beschrieb seine „Klassenversammlung“ (conseil de classe coopératif) als „demokratische Gesprächsrunde zu festgelegten Zeiten, in der sich Schüler und Lehrkräfte gemeinsam mit konkreten Situationen aus der Unterrichtsgestaltung und -planung beschäftigen.“ 2 FREINET vertrat eine Pädagogik vom Kind aus und wollte diesem so viel Selbstbestimmung wie möglich einräumen. Einige wesent- liche Elemente sind die Selbstverwaltung der Klasse in Form einer Kooperative, die Selbst- tätigkeit bei der Arbeit und beim Lernen und die Kooperation der Schüler in der Klasse. 3 Das Thema Klassenrat wird in der Fachliteratur stets mit der Freinet-Pädagogik in Verbindung gebracht.
In der freien Internet-Enzyklopädie Wikipedia gibt es ebenfalls einen erwähnenswerten Eintrag, in dem FREINET als einziger Begründer des Klassenrates dargestellt wird. Der Autor überprüft – nach einer Vorstellung der Methode – die Bildungsserver der Länder auf die gelieferten Ergeb- nisse zum Stichwort „Klassenrat“. Er scheint regelrecht empört über den Bildungsserver des Landes NRW und äußert sich:
2 s. Friedrich/Kleinert 1997, zitiert nach Blum, Eva und Hans-Joachim: Der Klassenrat. Ziele, Vorteile, Organisation. Verlag an der Ruhr 2006, S.10 3 vgl. Laun, Roland: FREINET – 50 Jahre danach. Heidelberg 1983, S.47
„Es gibt keinerlei Hinweise auf die Herkunft des Klassenrats. Er ist - wie andere Elemen-te auch - aus dem großen Steinbruch reformpädagogischer Methoden herausgebrochen und zurechtgehauen.“ 4 Zu der Frage, inwiefern der Klassenrat in seiner Ursprungsform auf die heutige Praxis übertrag- bar ist, beziehe ich in Kapitel 4 gesondert Stellung.
Heike DE BOER hingegen sieht in Freinets sozialistisch geprägten Ansätzen einen Widerspruch: „Seine Konzeption gründete sich einerseits auf die Prämisse, der natürlichen und indi- viduellen Entwicklung jedes Kindes seinen Lauf zu lassen. Andererseits legt er seinem Erziehungsmaßstab eine hohe Moral zu Grunde, die nicht ohne erzieherisches Einwirken zu erreichen ist.“ 5 Sie erkennt FREINETs Klassenversammlung zwar als bedeutenden Vorläufer des Klassenrats an, sieht den Grundstein für seine Entwicklung jedoch bereits in den Werken John DEWEYs gelegt.
Für DEWEY kann Demokratie nicht bloß theoretisch vermittelt oder abstrakt erklärt werden. Er fordert Demokratie in allen Lebensbereichen und sieht Schulen als „embryonale Orte der Gesell- schaft“ an, in denen Kindern die Teilhabe am demokratischen Gespräch ermöglicht werden soll, um dort „Ansprüche, die das Gemeinschaftsleben an Kinder und Lehrende stellt, gemeinsam zu klären.“ 6 Zwar benennt DEWEY kein Gremium, in dem dieses demokratische Gespräch stattfinden soll, dennoch stellt er in seinem Hauptwerk „Democracy and Education“ fest, dass gelernte soziale Verhaltensweisen nur dann auf das außerschulische Leben übertragen werden können, wenn sie aktiv erlebt wurden:
“[…] the separation of learning from activity [...][is] overcome in an educational scheme where learning is the accompaniment of continuous activities or occupations which have a social aim and utilize the materials of typical social situations. For under such con-ditions, the school becomes itself a form of social life, a miniature community and one in close interaction with other modes of associated experience beyond school walls.” 7 4 Verf. unbekannt: Klassenrat im Spiegel der Bildungsserver. Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Klassenrat (Stand: Januar 2007) 5 s. de Boer, Heike: Klassenrat als interaktive Praxis. Auseinandersetzung - Kooperation - Imagepflege. Wiesbaden 2006, S.17 6 s. de Boer, Heike: Klassenrat als interaktive Praxis. a.a.O., S.14 7 s. Dewey, John: Democracy and Education. An Introduction to the Philosophy of Education. New York 1922, S.418f.
Mit diesen Gedanken unterscheidet sich DEWEYs Ansatz von FREINETs Konzept insofern, dass Kinder bereits als kompetente Akteure angesehen werden, deren Lernprozess sich ausschließlich über Erfahrungen vollzieht. Mit dieser konstruktivistischen Lerntheorie war er zu Beginn des 20. Jahrhunderts seiner Zeit voraus. 8
Einen demokratischen Leitgedanken verfolgte auch Rudolf DREIKURS, welcher in den 1980er Jahren den praktisch orientierten Ratgeber „Lehrer und Schüler lösen Disziplinprobleme“ ver- öffentlichte. Er macht darin auf den starken Einfluss der Gleichaltrigengruppe auf den einzelnen Schüler aufmerksam und erklärt, wie Lehrer diese Gruppendynamik zum Vorteil ihres Unter- richts nutzen können. Der Klassenrat ist bei ihm ein „notwendiges Verfahren“ für ein demokratisches Miteinander und wird wie folgt beschrieben:
„[Der Klassenrat] ist der Ort, wo die Kinder sich in die Klassengemeinschaft mit ihrer Persönlichkeit, Verantwortungsbereitschaft und aktiver, freiwilliger Teilnahme ein- bringen können.“ 9 Bei Problemlösungen und Maßnahmen zur Verhaltensänderung müssten nach Dreikurs ebenfalls Wertvorstellungen verändert werden. Dabei wird der Lehrkraft eine große Bedeutung beigemes- sen, da Dreikurs „Werte“ gleichsetzt mit „Zielvorstellungen des Lehrers für das Kind“. 10 Eigentlich hat aber auch Dreikurs den Nutzen des Klassenrats schon früher entdeckt. Bereits in „Psychologie im Klassenzimmer“, das 1957 in der Originalausgabe erschien, rät Dreikurs zu der Durchführung von „Klassengesprächen“, die in ihrer Struktur dem späteren Klassenrat ähneln und in denen er viele Vorteile sieht: völlige Integration aller Kinder, das Entwickeln eines Ge- fühls für Bedeutung und Verantwortlichkeit auf Seiten der Schüler, sowie das Teilen der Verantwortung, indem man Lösungen gemeinsam findet. 11
Abschließend kann man wohl alle drei Pädagogen als Begründer des heutigen Klassenrats sehen: FREINET, der ihn in seiner reformpädagogischen Urform erstmals praktisch ins Leben rief, DEWEY, der mit seinen Demokratiegedanken alle Lebensbereiche zu Veränderungen anregte und DREIKURS, der sich auf die Kompetenzerweiterung der Lehrkräfte spezialisierte. 8 vgl. de Boer, Heike: Klassenrat als interaktive Praxis. a.a.O., S.17 9 s. Dreikurs, Rudolf / Grunwald, Bernice / Pepper, Floy: Lehrer und Schüler lösen Disziplinprobleme. Weinheim und Basel 1995, S.122 10 vgl. Dreikurs, Rudolf / Grunwald / Pepper: Lehrer und Schüler lösen Disziplinprobleme. a.a.O., S.125 11 vgl. Dreikurs, Rudolf: Psychologie im Klassenzimmer. Stuttgart 1967, S.88f.
1.1.2 Definition Bei meiner Recherche habe ich verschiedene Internetseiten von Schulen besucht, die Klassenrat- stunden durchführen und häufig ihren eigenen Namen und ihre eigene Definition dafür gefunden haben. Diese weichen sowohl in ihrer Verbindlichkeit als auch in ihrer Zielsetzung stark vonein- ander ab. Auch in der Literatur habe ich keine einheitliche Definition gefunden. Dreikurs unterscheidet zwischen verschiedenen Formen des wöchentlichen Gesprächs und sieht den Klassenrat als eine Kombination aus einem Gruppengespräch, in dem die Gruppe über The- men spricht und Entscheidungen trifft, die das Miteinander in der Klasse betreffen, und einer Klassenversammlung, die sich mit dem „geschäftlichen Bereich“ (d.h. Themen wie Sitzordnung, Ausflüge etc.) beschäftigt. 12 Wenngleich diese Beschreibung wenig prägnant ist, entspricht sie inhaltlich größtenteils den Definitionen, die in der aktuellsten Literatur zum Thema Klassenrat zu finden sind. Eva BLUM definiert den Klassenrat für die Regelschule wie folgt:
„Der Klassenrat ist eine regelmäßig stattfindende Gesprächsrunde, in der sich Schüler und die Klassenlehrkraft gemeinsam mit konkreten Anliegen der Klassengemeinschaft (z.B. Ausflüge oder Projekte, Organisationsfragen wie Dienste und Regeln, Probleme und Konflikte) beschäftigen und dafür möglichst einvernehmlich Lösungen finden.“ 13
Eine andere Definition, die noch stärker den demokratischen Charakter des Klassenrats hervor- hebt, findet sich in einer Handreichung zum aktuell laufenden Schulentwicklungsprogramm der Bund-Länder-Kommission „Demokratie lernen & leben“:
„Der Klassenrat ist ein Zeitfenster, in dem die Klasse alle aktuellen Themen, die die Schule, die Klasse und/oder die Schüler/innen betreffen, in einer demokratischen und eigenverantwortlichen Form besprechen kann. Im Klassenrat sind Lehrer/in und Schüler/innen gleichberechtigte Partner.“ 14 Die beiden Versionen unterscheiden sich insbesondere im Verständnis von den Rechten der Schüler (siehe Hervorhebungen) voneinander. HIERDEIS / GREßIRER weisen in ihrem Klassenrat- konzept darauf hin, dass Lehrkräfte sich ein Vetorecht (s. 1.4.2) gegen Beschlüsse des Klassen- rats vorbehalten müssen, um schikanöse Strafaktionen zu verhindern. 15 12 vgl. Dreikurs, Rudolf / Grunwald / Pepper: Lehrer und Schüler lösen Disziplinprobleme. a.a.O., S.142f. 13 s. Blum, Eva und Hans-Joachim: Der Klassenrat. Ziele, Vorteile, Organisation. Verlag an der Ruhr 2006, S.10 14 s. Daublebsky, Benita / Lauble, Silvia: Der Klassenrat als Mittel demokratischer Schulentwicklung. Praxisbaustein zum BLK- Programm „Demokratie lernen & leben“. Berlin 2006, S.7 15 vgl. Hierdeis, Bernhard / Greßirer, Hans: Die Klasse – Basis erzieherischer Arbeit. Klassenrat - Klassengericht - Streitschlichter. Donauwörth 2005, S.20 [Hervorhebungen durch die Verfasserin]
Daher erscheint mir die Formulierung „gleichberechtigt“ aus schulrechtlicher Sicht problema- tisch. In dieser Arbeit beziehe ich mich also, wenn nicht anders angegeben, auf die Definition nach BLUM.
1.2 Gründe und Ziele An Schule wird der Anspruch gestellt, dass Schüler dort etwas lernen sollen – seit der PISA- Studie stärker denn je. Damit Lernen funktioniert, muss aber auch ein lernförderliches Klima gegeben sein, das den Schülern ein angstfreies Lernen ermöglicht. Jochen KORTE, Direktor einer Förderschule in Neumünster, der Bücher und Beiträge u.A. zu den Themen „Gewaltprävention“ und „Soziales Lernen“ veröffentlicht hat, schreibt:
„Man lernt nur dann gut, wenn die eigene Stimmung gut ist. Angst und Spannung stören das Lernen. Stress und innere Abwehr können dazu führen, dass man kaum Lernerfolg hat.“ 16 Da laut Definition im Klassenrat Konflikte und Probleme gelöst werden, kann man das Schaffen einer stressfreieren Atmosphäre an sich schon als Ziel des Klassenrats benennen.
Darüber hinaus verfolgt der Klassenrat als Unterrichtsgegenstand seine eigenen Lernziele. BLUM gliedert die Kompetenzen, die durch den Klassenrat vermittelt werden sollen, in 1. personale, 2. soziale, 3. methodische und 4. fachliche Kompetenzen. 17 Mir erschien eine andere Gliederung sinnvoll: Zunächst gehe ich in 1.2.1 auf die sozialen Kom- petenzen ein, zu deren Entwicklung der Klassenrat beitragen soll.
Da z.B. Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit wichtige Aspekte der Demokratiefähig- keit sind, betrachte ich diese Ziele gesondert unter der Überschrift „Demokratie und Partizipa- tion“ in 1.2.2. Die ebenfalls nennenswerten methodischen und fachlichen Kompetenzen, die im Klassenrat trainiert werden können, fasse ich unter 1.2.3 zusammen.
1.2.1 Soziales Lernen durch Konfliktlösung
Das Thema „Soziales Lernen in der Schule “ gewinnt vor dem Hintergrund sich häufender Gewalttaten an Schulen immer mehr an Bedeutung. Einige Schulen reagieren darauf mit Gewalt- präventionsprogrammen, die meist nur im Rahmen einer Projektwoche durchgeführt werden und somit für die Schüler nicht im Zusammenhang mit ihrem Alltag stehen. Vermittelt ein solches 16 s. Korte, Jochen: Schulreform im Klassenzimmer. Hilfen für die schulpädagogische Praxis. Weinheim und Basel 1998, S.64 17 vgl.. Blum, Eva und Hans-Joachim: Der Klassenrat. A.a.O., S.14
Programm keine Handlungsalternativen, die in das Klassenleben integriert werden, fällt ein gewalttätiger Schüler oft in seine gewohnten Verhaltensmuster zurück und es kommt erneut zu körperlichen Übergriffen. In diesem Fall wurde offensichtlich nicht nachhaltig genug „sozial gelernt“.
Unter „sozialem Lernen“ wird gemeinhin die Entwicklung von Wahrnehmungsfähigkeit, Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit, Empathie- und Diskretionsfähigkeit, Kooperations- und Konfliktfähigkeit, sowie Zivilcourage verstanden. 18 Die Entwicklung von Konfliktfähigkeit stelle ich im Folgenden in den Mittelpunkt meiner Betrachtung.
Die Gesamtschule X benennt das soziale Lernen als verbindliches Ziel ihrer pädagogischen Konzeption:
„Die Schule fasst es als ihren Auftrag auf, die soziale Kompetenz der Schüler zu stärken und zu entwickeln. Die solzialen Bezüge sollen auf der Basis gegenseitiger Akzeptanz erweitert werden. Die Schüler sollen zu verstärkter Zusammenarbeit, wechselseitiger Hilfe und gegenseitigem Verständnis angeregt werden. Konfliktlösungsstrategien sollen entwickelt und trainiert werden. Verlässlichkeit und Kooperationsbereitschaft, Selb- ständigkeit, Leistungsbereitschaft, Konfliktfähigkeit sollen als Grundlage eines fried- lichen Miteinanders erfahren und erkannt werden.“ 19 Dem kritischen Leser stellt sich nun die Frage, ob und wie gerade eine Schule – als traditioneller Vermittler von Fachwissen– solche Ziele erreichen kann.
Betrachten wir zunächst die Rahmenbedingungen:
In Schleswig-Holstein müssen laut §40 SchulG alle Schüler mindestens neun Jahre zur Schule gehen. Damit verbringen Kinder und Jugendliche den größten Teil ihrer Entwicklung in der Schule. In den seltensten Fällen kann dabei beeinflusst werden, aus welchen einzelnen Persön- lichkeiten sich eine Schulklasse zusammensetzt. In Gesamtschulen wird angestrebt, dass Schüler aller drei Schultypen (laut Empfehlung) im gleichen Verhältnis vertreten sind. Diese Zwangs- gemeinschaft so verschiedener junger Menschen bietet zwar eine Menge Konfliktpotenzial, aber ebenfalls Lernchancen.
Viele Konflikttrainer wie Guido SCHWARZ sehen den Konflikt selbst als Chance. Bereits Heraklit sagte vor über 2000 Jahren:
18 vgl. Verfasser unbekannt: Soziales Lernen. Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Soziales_Lernen (Stand: Februar 2007) 19 s. Bülow, Hans: Internetseite der Gesamtschule X: Aus: http://www.gefa-nms.de/1frame.html (Stand: Februar 2007)
„Der Krieg ist der Vater aller Dinge.“ Auf die heutige Zeit übertra-gen kann man dies so übersetzen: „Der Interessensgegensatz ist der Ursprung aller Weiterent-wicklung.“ Wo zwischen Menschen keine Gegensätze bestehen und alle gleicher Meinung sind, gibt es keinen Anlass zur Weiterentwicklung, sondern Stillstand. 20
Ausgehend von dieser These kann an die Institution Schule – einen Ort, an dem Weiterentwick- lung und Lernen höchste Priorität haben – die Forderung gestellt werden, dass dort Konflikte nicht vermieden werden, sondern eine konstruktive Konfliktkultur aufgebaut wird. Untermauert wird diese Forderung durch §4 SchulG des Landes Schleswig-Holstein: Danach ist ein Erzieh- ungsziel der Schule, dass Lehrkräfte und Schüler bei der Lösung von Konflikten und bei unterschiedlichen Interessen konstruktiv zusammenarbeiten. 21 Der erste Schritt, eine positive Konfliktkultur aufzubauen, kann die Institutionalisierung von Konflikten sein. Wenn eine Plattform für eine geregelte Konfliktaustragung existiert, können Schüler miteinander soziale Kompetenzen entwickeln und erweitern.
Thomas GRÜNER, Gründer und Leiter des Instituts für Konflikt-Kultur in Freiburg, sieht haupt- sächlich fünf Ursachen dafür, dass es gerade in der Schule so viele Konflikte gibt:
1. Schüler sind zwangsweise zusammen und müssen auch mit den Mitschülern auskommen,
die sie nicht mögen.
2. Einige Schüler können nicht damit umgehen, dass in der Schule diszipliniertes Verhalten
erforderlich ist und sie schlechte Noten bekommen, wenn sie dieser Forderung nicht nachkommen.
3. Schüler, die Einzelkinder sind, haben Schwierigkeiten, sich in solch einer großen Gruppe
damit abzufinden, nur eins von vielen Kindern zu sein.
4. Durch den Konkurrenzdruck innerhalb der Klasse und die Selektion durch die Schule
entstehen Neid und Benachteiligungsgefühle, die für ein schlechtes Klassenklima sorgen.
5. Eine zunehmende – auch kulturelle – Heterogenität erfordert mehr Toleranz, als einige
Schüler vielleicht zu Hause gelernt haben. 22 Um mit dieser Menge an Konfliktstoff umzugehen, schlägt GRÜNER das Aufstellen „sozialer Spielregeln“ vor und sieht im Klassenrat eine wichtige Einrichtung, die Einhaltung dieser 20 vgl. Schwarz, Guido: Konfliktmanagement in der Schule. Wien 2003, S.8f.
21 vgl. Schulrecht für Schleswig-Holstein aus: http://www.schooloffice-sh.de/schulgesetz/index.htm (Stand: Februar 2007) 22 vgl. Grüner, Thomas / Hilt, Franz: Bei STOPP ist Schluss! Werte und Regeln vermitteln. Rheinmünster 2004, S.81f.
„Regeln des Zusammen-Lebens“ zu überprüfen. Dabei haben die Einschätzung und das Feedback der Mitschüler eine zentrale Bedeutung für das Funktionieren der Methode. (s. 1.3.2)
Schon DREIKURS erkannte den großen Einfluss der Gleichaltrigengruppe auf das einzelne Kind und berücksichtigte den Mitschüler als Erziehungsfaktor. Er stellte der Bestrafung durch die Lehrkraft die Anwendung „logischer Folgen“ als sinnvollste Konfliktbearbeitungsmöglichkeit gegenüber. Mit „logischen Folgen“ ist in Bezug auf das Sozialverhalten hier die Kritik der Mit- schüler gemeint. HIERDEIS beruft sich in seiner Modellvorstellung „Erziehung als Geschehen im Zwischenmenschlichen zwischen Schüler und Schüler“ auf DREIKURS und fasst die Wirkungs- weise wie folgt zusammen:
„Natürlich kann der Lehrer durch Wutausbrüche oder Standpauken mit dem moralischen Zeigefinger [...] eine punktuelle Betroffenheit erreichen. [... .] Eine tatsächliche erzieheri-sche Wirkung, die eine dauerhafte Verhaltensänderung erwarten ließe, ist selten zu beob-achten. Der bessere Weg erscheint uns hier eine aktive Auseinandersetzung durch Stellungnahme jedes einzelnen Schülers.“ 23 Die Vorteile einer Stellungnahme durch Gleichaltrige zum Verhalten eines Mitschülers liegen auf der Hand: Sie sind direkt von dem Verhalten betroffen und können es häufig viel konkreter und sprachlich ebenbürtiger beschreiben als die Lehrkraft. Meist bezieht sich die Kritik auf gemeinsame Erlebnisse, so dass der kritisierte Mitschüler genauer nachvollziehen kann, was er mit seinem Verhalten bewirkt hat, als wenn eine Autoritätsperson abstrakte Moralvorstellungen predigt. Auch die Empathiefähigkeit der Schüler wird durch einen offenen Austausch von Kritik und Gefühlen langfristig gefördert.
Hier setzt der Klassenrat an: Häufig müssen Schüler erst noch lernen, ihre Kritik angemessen und konstruktiv zu äußern, und brauchen dabei Unterstützung. Gibt es keine Institution, in der Kon-flikte nach einem geregelten Ablauf thematisiert werden können, wissen einige Schüler ihrer Un-zufriedenheit nicht anders Ausdruck zu verleihen als mit Gewalt.
Peter VEITH schlägt sogar vor, im Klassenrat das Thema Gewalt direkt zu thematisieren. 24 Er erhofft sich davon, dass Schüler auf die offene Ansprache ebenfalls mit Gesprächsbereitschaft reagieren und verdeckte Konflikte so frühzeitig erkannt werden können.
23 s. Hierdeis, Bernhard / Greßirer, Hans: Die Klasse – Basis erzieherischer Arbeit. A.a.O., S.9 24 vgl. Veith, Peter: Gewaltfrei lernen im Klassenzimmer. Konzepte zur Gewaltprävention in der Schule. Donauwörth 2005, S.92 [Hervorhebung durch die Verfasserin]
Der Klassenrat kann ein wirkungsvolles Instrument sein, um Konflikte zu institutionalisieren und wirkt insofern auch präventiv gegen Gewalt in der Schule.
1.2.2 Demokratie und Partizipation
Die Forderung nach mehr Demokratie in der Schule besteht schon seit Jahrzehnten. Die unter
1.1.1 dargestellten reformpädagogischen Ansätze sollten dies verdeutlichen.
In den letzten Jahren sind die Diskussionen darüber, wie viel Mitbestimmung in der Schule er- möglicht werden soll, wieder neu entbrannt. Demokratie soll nicht nur vermittelt, sondern erfah- ren werden. Hartmut VON HENTIG stellt eine Vision der Schule als polis vor, in der Schüler die Regeln ihres Zusammenlebens selbst erschaffen. Sie soll zu einem Ort werden, an dem Mitbe- stimmung erlebbar wird, da der Einfluss, den der Einzelne auf das Ganze hat, noch konkret beobachtbar ist. 25 Das bereits erwähnte BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“, in dem der Klassenrat eine wichtige Rolle spielt und ausführlich behandelt wird, verfolgt ebenfalls die Idee, dass demo- kratisches Verhalten wie jedes soziale Verhalten geübt und seine Folgen gefühlt werden müssen, und formuliert für die teilnehmenden Schulen zwei Hauptziele:
• „die Förderung von demokratischer Handlungskompetenz“
• „die Entwicklung einer demokratischen Schulkultur“ 26 Das erste Ziel meint Kompetenzen, die die Schüler zu demokratiefähigen Bürgern erziehen sollen. Diese Kompetenzen sind vorrangig Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit sowie die Fähigkeit zu gewaltfreiem Handeln. Sie wurden in 1.2.1 ausreichend behandelt. Das zweite Ziel meint strukturelle Veränderungen in der Schule, die die häufig herrschenden autokratischen Verhältnisse auflockern sollen.
Aktuell wird das Thema „Demokratie“ als Erziehungs- und Bildungsziel in §4 schulrechtlich wie folgt behandelt:
„Zum Bildungsauftrag der Schule gehört die Erziehung des jungen Menschen zur freien Selbstbestimmung in Achtung Andersdenkender, zum politischen und sozialen Handeln 25 vgl. Hentig, Hartmut von: Die Schule neu denken. Eine Übung in pädagogischer Vernunft. Weinheim, Basel, Berlin 2003, S.224f.
26 Verf. Unbekannt: BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“. Aus: http://www.blk-demokratie.de/programm/ programmziele.html (Stand: Februar 2007)
und zur Beteiligung an der Gestaltung der Arbeitswelt und der Gesellschaft im Sinne der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.“ 27
Um Schüler zur Beteiligung in der Gesellschaft zu erziehen, sollten sie schon möglichst früh Möglichkeiten zur Mitbestimmung oder Partizipation bekommen. Wer schon als Kind immer nur Fremdbestimmung erfährt und lernt, dass man gegen übergeordnete Instanzen nichts ausrichten kann, wird sich auch später Angelegenheiten der Gesellschaft gegenüber zurückhalten und sich mit einem Gefühl der Ohnmacht den Entscheidungen „von Oben“ unter-werfen. Erfährt ein Kind jedoch anders herum, dass die eigene Meinung zählt und man gemeinsam etwas verändern kann, wird es sich wahrscheinlich auch als Erwachsener politisch aktiver verhalten und am Gesell-schaftseben teilnehmen. Gunhild GRUNDMANN betont:
„[...] ermöglichte Partizipation [ist] eine wesentliche Grundbedingung für das Erlernen von demokratischen Spielregeln und das Wahrnehmen von demokratischen Grund- rechten.“ 28 Mit anderen Worten ist Partizipation die Voraussetzung für eine selbstbestimmte Zukunft der Schüler.
K. Peter MERK hingegen sieht einen generellen Widerspruch in den Begriffen „Schülerdemokra- tie“ und „Schülerpartizipation“. Er erläutert die rechtliche Stellung von Schülern und erklärt, dass das Verhältnis von Schülern zur Schule ein besonderes Gewaltverhältnis ist. Die einzige vergleichbare Zwangsstruktur sei die Rechtsposition Strafgefangener. Er erklärt weiter: „Angesichts dieser rechtlichen Rahmenbedingungen [...], erscheint es im hohen Maße fragwürdig, dass es gelingen kann, Schule mit Demokratie und Partizipation in Einklang zu bringen.“ 29 Er sieht diese Möglichkeit erst gegeben, wenn die Gesellschaft sich dahingehend verändert, junge Menschen nicht mehr als politisch bedeutungslos einzustufen.
Bleiben wir jedoch auf Schulklassenebene, so liegt es primär in der Hand des Lehrers, wie viel Verantwortung den Schülern übertragen wird. Schon DREIKURS forderte 27 vgl. Schulrecht für Schleswig-Holstein aus: http://www.schooloffice-sh.de/schulgesetz/index.htm (Stand: Februar 2007) 28 s. Grundmann, Gunhild: Partizipation als schulische Dimension. Aus Böhme, Jeanette / Kramer, Rolf-Torsten (Hrsg.): Partizipation in der Schule.Opladen 2001, S. 88 29 s. Merk, K. Peter: Schüler-Partizipation? Aus: Palentien, Christian / Hurrelmann, Klaus (Hrsg.): Schülerdemokratie. Mitbestimmung in der Schule. München 2003, S. 92
„[...], dass der Lehrer es fertigbringt, den Entscheidungen der Schüler zu vertrauen und an sie zu glauben, was wiederum die Kinder dazu bringt, einander und den Erwachsenen zu vertrauen.“ 30 Diese Form des Vertrauens ist für DREIKURS die ausschlaggebende Vorraussetzung für eine demokratische Klassenkultur.
Neben den klassischen Partizipationsformen wie Schülervertretung oder Klassensprecherwahl ist der Klassenrat eine weitere Möglichkeit, Schüler in die sie betreffenden Entscheidungen mit- einzubeziehen. Sie hat aber den Vorteil, dass im Klassenrat alle Schüler an der Entscheidung mitwirken. Hier haben auch die Stillen, die normalerweise nicht z.B. Klassensprecher sein wollen, die Möglichkeit, sich bei Planungsangelegenheiten (z.B. Klassenfahrten, Ausflügen) und an Entscheidungsprozessen zu beteiligen.
Die am BLK-Programm beteiligten Schulen sehen im Klassenrat
„[...] ein wirksames Instrument [...], mit dessen Hilfe die ersten Schritte getan werden können, die Schule zu einer demokratischen Gemeinschaft des Lernens und Lebens zu machen.“ 31
1.2.3 Schulbezogene Ziele
Die bisher genannten Ziele sind sicherlich auch aus schulischer Sicht erwünschte Effekte des Klassenrats. Immerhin soll die Schule ja alle vier so genannten Schlüsselqualifikationen vermitteln. In der Regel mangelt es dabei an der Vermittlung von Sozial- und Selbstkompetenz, was aber – wie oben dargestellt – durch den Klassenrat teilweise gewährleistet werden kann. Jedoch können darüber hinaus im Klassenrat auch methodische und fachliche Kompetenzen trainiert werden.
Durch den großen Anteil an Gesprächszeit, lernen die Kinder, frei vor anderen zu sprechen. Was sonst mühevoll bei Referaten gelernt werden muss, geschieht im Klassenrat wie selbstverständlich.
30 s. Dreikurs, Rudolf: Psychologie im Klassenzimmer. A.a.O. S.92 31 s. Daublebsky, Benita / Lauble, Silvia: Der Klassenrat als Mittel demokratischer Schulentwicklung. A.a.O. , S.11
Auch die Fähigkeit, ein Gespräch zu leiten, kann z.B. für spätere Gruppenarbeiten von Vorteil sein. (Tatsächlich habe ich sogar in einem Deutschbuch für die 5. Klassenstufe eine kurze Beschreibung des Klassenrats gefunden, ergänzt durch die Aufgaben-stellung, die Qualitäten eines Moderators herauszuarbeiten. 32 )
Ebenfalls in den Lehrplan Deutsch einzuordnen ist die Methode, ein Protokoll zu erstellen. In jedem Klassennrat muss ein Protokoll verfasst werden. Durch anfängliche Tipps der Lehrkraft und das Ausprobieren lernen die Schüler schnell, was in ein Protokoll gehört und wie es auf- gebaut wird. Diese Fähigkeit ist außerdem in vielen Berufen später gefragt. 33
Durch das Teilnehmen an Planungsprozessen lernen die Schüler, wie man an planerische Auf- gaben herangeht, wie man im Team Entscheidungen trifft und Kompromisse findet. Ebenfalls lernen die Schüler verschiedene Möglichkeiten demokratischer Entscheidungsfindung, die für den späteren Politik-Unterricht interessant sein können. 34
1.3 Methoden im Klassenrat Viele der heute in Klassenratstunden praktizierten Verfahren entsprechen – mehr oder weniger modifiziert – Freinets Vorschlägen für Klassenversammlungen, die er bereits 1960 veröffentlich- te. 35 Er bezeichnet diese Methoden als „Techniken“, was ihnen einen stärker zielgerichteten Charakter gibt. Von zentraler Bedeutung sind bei ihm das Führen eines „Wandtagebuchs“ (journal mural) sowie die Vergabe von Ämtern an die Schüler. Diese beiden Elemente werden unter 1.3.1 und 1.3.2 dargelegt und erläutert.
In aktueller Fachliteratur wird der Schwerpunkt eher auf das Aufstellen von (Gesprächs-) Regeln und damit verbundene Rituale gelegt, welche ich unter 1.3.2 beschreibe.
Eine weitere Methode, die nicht notwendigerweise im Klassenrat durchgeführt werden muss, sich jedoch gut damit verknüpfen lässt, ist die unter 1.3.4 vorgestellte „Positive Runde“. 32 vgl. Schurf, Bernd / Wagener, Andrea (Hrsg.): Deutschbuch. Sprach- und Lesebuch 5. Cornelsen Verlag Berlin 2005, S.26 33 vgl. Blum, Eva und Hans-Joachim: Der Klassenrat. A.a.O., S.19f.
34 vgl. Giese, Christiane: Demokratie-Baustein „Klassenrat“.Praxisbaustein zum BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“. Hamburg 2004, S.4 35 vgl. Freinet, Célestin: Die moderne französische Schule. Übersetzt u. besorgt von Jörg, Hans. Paderborn 1965, S. 219
1.3.1 Wandzeitung Die Klassenversammlung nach Freinet soll einen festen, strukturierten Ablauf haben, in dem die Wandzeitung einen bedeutsamen Stellenwert hat:
„Dieses Tagebuch hat die Aufgabe, alle in der unvollkommen funktionierenden Schul- gemeinschaft sich zeigenden kindlichen Reaktionen zu einer vernünftigen Synthese zu führen“ 36 Die Wandzeitung soll aus einem großen Blatt bestehen, das montags in einer bestimmten Ecke im Klassenraum aufgehängt und am Samstagnachmittag in der Versammlung ausgewertet wird. Das Blatt selbst soll in drei Spalten unterteilt werden, in denen die Schüler namentlich gekenn- zeichnete Eintragungen vornehmen können. Sie sollen folgende Überschriften tragen: „Wir üben Kritik“: Hier können die Schüler Beschwerden eintragen und darin
vermerken, wenn eine Anordnung schlecht befolgt oder ein Ordnungsdienst mangelhaft ausgeführt wurde.
„Wir beglückwünschen“: In diesem Feld können einzelne Kinder gelobt werden. Ebenso kann dem Lehrer für eine besonders interessante Unterrichtseinheit gedankt „Wir fordern“: Diese Spalte enthält Wünsche und Vorschläge einzelner Schüler, die sich auf das Gemeinschaftsleben in der Klasse beziehen.
An anderer Stelle wird noch ein viertes Feld vorgeschlagen:
„Wir haben verwirklicht“: In dieser Rubrik werden geleistete Arbeiten und erzielte Erfolge der Schüler vorgestellt. 37 Die Schüler, die ein Thema eingetragen habe, dürfen ihr Anliegen in der nächsten Versammlung bzw. der nächsten Klassenratssitzung vortragen und zur Diskussion stellen.
Da FREINETs traditionelle Version der Wandzeitung eher einem Rechenschaftsbericht ähnelt und sich sehr auf seine „Neue Schule“ (Ecole Nouvelle) bezieht, lässt sie sich heute nicht mehr genauso anwenden – beispielsweise gibt es heute an den wenigsten Schulen noch Samstags- unterricht, sodass die Auswertung an dem jeweiligen Wochentag stattfinden muss, der den Klassenrat im Stundenplan vorsieht.
36 s. Freinet, Célestin: Die moderne französische Schule. A.a.O., S.76 37 vgl. Freinet, Célestin: Die moderne französische Schule. A.a.O., S.207ff.
Dennoch wurde seine Grundidee aufgegriffen und auf die jeweilige Schule oder Klasse abge- stimmt. Die geläufigste Veränderung ist der Ersatz der Wir-Form durch die Ich-Form. Bei HIERDEIS wird die Rubrik „Ich kritisiere“ in das konstruktiver formulierte „Ich schlage vor“-Feld und das persönlichere „Ich habe mich geärgert über“-Feld aufgespalten. 38 Eine Rubrik speziell für erreichte Vorhaben ist meist nicht mehr vorgesehen.
Ein Nachteil dieser Methode ist, dass es in der Anfangzeit häufiger zu anonymen Spaßeintra- gungen kommen kann. FREINET argumentiert – wenig überzeugend – zwar, eine anonyme Ein- tragung sei sinnlos, da die Schrift den Schreiber ja verrate. 39 Dennoch schlägt HIERDEIS als Stra- tegie in einem solchen Fall vor, Eintragungen dieser Art zu ignorieren, bis diese nachlassen. Falls durch solche Späße die Störungen so massiv werden, dass niemand mehr ernsthaft bei der Sache ist, kann der Lehrer die Sitzung auch mit dieser Begründung abbrechen und eine neue Wandzeitung aufhängen. 40
Eine weitere Gefahr benennt Birte FRIEDRICHS, indem sie von einer Schülerin berichtet, die auf Grund sozialen Drucks ihre Eintragung wieder durchgestrichen und der Lehrerin gegenüber be- hauptet hat, das Problem hätte sich schon geklärt. 41 In der Tat ist eine vorzeitige Klärung ein häufiger und auch erwünschter Effekt dieser Methode, weil zwischen Beschwerde und Konflikt- lösung bis zu eine Woche liegen kann. In dieser Zeit sieht der vermeintliche Täter seinen Namen öffentlich angeprangert, vielleicht wird ihm die Schwere seines Fehlverhaltens überhaupt erst dadurch bewusst. So kann es dazu kommen, dass ein Problem tatsächlich schon wieder geklärt ist, wenn der Klassenrat ansteht. Als Lehrkraft kann man aber nicht wissen, ob das der Fall war, oder ob der Eintrag als Folge von Drohungen entfernt wurde.
Man kann dies aber einfach vermeiden, indem man den Schülern von vornherein sagt, dass schon eingetragene Themen nicht mehr zurückgenommen werden dürfen. Das regt zusätzlich eine Re-flexion der Schüler über den „Schweregrad“ ihrer Probleme an.
BLUM stellt einige Variationen vor, die den gleichen Zweck erfüllen sollen:
38 vgl. Hierdeis, Bernhard / Greßirer, Hans: Die Klasse – Basis erzieherischer Arbeit. A.a.O., S.16f.
39 vgl. Freinet, Célestin: Die moderne französische Schule. A.a.O., S.76 40 vgl. Hierdeis, Bernhard / Greßirer, Hans: Die Klasse – Basis erzieherischer Arbeit. A.a.O., S.21 41 vgl. Friedrichs, Birte: Den „Schattenseiten“ auf der Spur. Schwierigkeiten und Paradoxien einer pädagogisch sinnvollen Institution am Beispiel Klassenrat. In: Ullrich, Heiner / Idel, Till-Sebastian / Kunze, Katharina: Das Andere erforschen. Empirische Impulse aus Reform- und Alternativschulen. Wiesbaden 2004, S. 226f.
1. Das Klassenratsbuch oder Klassenratsringbuch hat einen festen Platz im Klassenraum
und enthält tagebuchartige Einträge mit Angabe von Datum und Name. Darin können z.B. auch Vordrucke und fertige Protokolle aufbewahrt werden.
2. Der Klassenratsbriefkasten hat ebenfalls einen festen Platz und wird vor der Sitzung ge-
leert. Bei dieser Form der Themensammlung können die Anliegen vorher nicht von den Schülern eingesehen werden.
3. Die Klassenratswand ist eine Pinnwand, an die die Schüler ihre Anliegen auf Zetteln
anheften können. Diese Form ist ebenfalls sehr öffentlich, allerdings können Zettel unkontrolliert wieder abgenommen werden.
4. Die Fragerunde zu Beginn ist eine spontane Themensammlung zu Beginn des Klassen-
rates und hat den Nachteil, dass einigen Schülern erst ein Thema einfällt, wenn der Klassenrat schon wieder vorbei ist. 42
Über die Form der Themensammlung kann auch mit den Schülern im Klassenrat verhandelt werden, solange der Leitgedanke verfolgt wird, dass die Schüler die Tagesordnung vorgeben.
1.3.2 Ämtervergabe
Ebenfalls ein Element aus der Freinet-Pädagogik ist die Vergabe von Ämtern an die Schüler. Die „Verantwortlichen“ (les responsables) übernehmen Aufgaben und Funktionen und die damit ver- bundene Verantwortung. Roland LAUN rechtfertigt die Methode wie folgt: „Es handelt sich um Aufgaben, die aus der praktischen Notwendigkeit erwachsen, das alltägliche Zusammenleben zu regeln und die einfachsten materiellen und organisato- rischen Voraussetzungen für eine befriedigende Hand- und Kopfarbeit zu schaffen und aufrechtzuerhalten.“ 43 In der Versammlung gibt es folgende Ämter:
- Der Präsident leitet die Sitzung und sorgt für die Einhaltung der Tagesordnung.
- Der Animateur moderiert Abstimmungen.
- Der Sekretär fertigt das Protokoll der Sitzung an.
42 vgl. Blum, Eva und Hans-Joachim: Der Klassenrat. A.a.O., S.30f.
43 s. Laun, Roland: FREINET – 50 Jahre danach. A.a.O., S.51
Darüber hinaus gibt es andere Ämter, die vorrangig Verwaltungsfunktionen innehaben (z.B. den Kassenwart, den Briefträger, den Bibliothekar). Diese Ämter hatten in FREINETs selbstverwalte-
ten „Klassenkooperative“ zwar ihre Berechtigung, sind jedoch für die heutige Regelschule bedeutungslos, da die Lehrkraft diese Aufgaben übernimmt. Sie seien nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Die oberen drei Ämter werden jedoch auch in der heutigen Praxis ähnlich vergeben. Die Schüler, die das Amt übernehmen, wechseln in der Regel von Sitzung zu Sitzung.
Das Amt, das meist als „wichtigstes“ empfunden wird, ist das des Präsidenten. Gebräuchliche Bezeichnungen sind „Gesprächsleiter“, „Diskussionsleiter“, „Klassenratsmoderator“ oder „Klassenrats-Chef“. Je nach Alter und Fähigkeit sollte die Lehrkraft abwägen, wie viel Rede- anteil die Schüler schon allein übernehmen. BLUM empfiehlt, dass bei der Einführung des Klassenrats die Lehrkraft die alleinige Leitung hat und schrittweise einzelne Aufgaben abgibt, z.B. kann der Moderator zunächst nur die Abstimmungen leiten, während die Lehrkraft durch die Tagesordnung führt. 44 Später kann sie dann nur noch neben dem Moderator sitzen und – wenn nötig – Hinweise geben, was er als nächstes sagen muss. Als Endziel wird eine alleinige Leitung durch die Schüler angestrebt.
DE BOER fand in einer empirischen Untersuchung heraus, dass auch Grundschüler schon in der Lage sind, den Klassenrat zu leiten, und es als spannende Herausforderung erleben, dafür zu sorgen, dass die Gesprächsregeln eingehalten werden und alle reden dürfen. 45 Ist dies erreicht, muss der Lehrer sich ebenfalls melden und warten, bis er aufgerufen wird.
Für Lehrkräfte kann es schwierig sein, die Verantwortung weitestgehend abzugeben, weil sich dadurch die Rollen zwischen Lehrer und Schülern – zumindest in dieser Stunde – neu definieren (s. 1.4.2). Sie müssen je nach Situation entscheiden, ob sie lenkend eingreifen oder sich besser zurückhalten sollten.
Damit der Gesprächsleiter sich voll auf die Moderation konzentrieren kann, wurden diverse andere Ämter erfunden, um ihn dabei zu unterstützen: Der Zeitwächter achtet darauf, dass die Redezeit eingehalten wird, damit alle Themen behandelt werden können, die Regelbeobachter führen Strichliste über störendes Verhalten der Mitschüler.
44 vgl. Blum, Eva und Hans-Joachim: Der Klassenrat. A.a.O., S.30f.
45 vgl. de Boer, Heike: Klassenrat als interaktive Praxis. a.a.O., S.17
In der Gesamtschule X habe ich beobachtet, wie ein Schüler lediglich eine Glocke läuten musste, wenn der Geräuschpegel zu hoch wurde. Das Amt des Sekretärs wird häufig auf zwei Schüler verteilt: den Protokollvorleser und den Protokollschreiber.
Die Verteilung der Ämter kann sich nach dem Alphabet oder nach Sitzordnung richten. Es kann auch immer der jeweils amtierende Schüler seinen Nachfolger bestimmen. Die Hauptsache ist, dass jeder Schüler einmal jede Aufgabe wahrnimmt. Es kann hilfreich sein, die Namen der Ämter auf Namensschilder zu schreiben oder sie zusammen mit den damit verbundenen Funktionen auf Karten festzuhalten, die dann weiter gereicht werden.
Eine Grundschule, die am BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“ teilnimmt, verteilt 24 verschiedene Ämter oder „Chefaufgaben“ (z.B. Tafel-Chef, Austeil-Chef), sodass jeder Schüler eine Woche lang eine ganz bestimmte Aufgabe hat. 46
Die Idee hinter all diesen Ämtern ist die Übernahme von Verantwortung und Pflichten in der Klasse, sowie das schrittweise Kennenlernen von demokratischen Abläufen und Selbst- organisation.
1.3.3 Klassenregeln
Eigentlich sind Klassenregeln keine Methode, da es in jeder Klasse – auch ungeschriebene – Regeln gibt. Hier ist aber das gemeinsame Formulieren und evtl. Visualisieren von Umgangs- und Gesprächsegeln gemeint, deren Einhaltung auch immer wieder überprüft werden sollte. Da der Klassenrat mehr oder weniger nur aus Gesprächen besteht, sind Gesprächsregeln außerdem für die Erreichung des Ziels „Kommunikationsfähigkeit“ notwendig.
DREIKURS rechtfertigte die Notwendigkeit von Regeln wie folgt:
„Regeln helfen, die Rechte des einzelnen zu schützen, und halten unfaire Mitglieder davon ab, die Rechte anderer zu verletzen.“ 47 Diese Erkenntnis überrascht auf den ersten Blick nicht wirklich. Bei genauerer Auseinander- setzung kam ich jedoch zu dem Schluss, dass Kindern ihre Rechte oft gar nicht so bewusst sind wie uns Erwachsenen. Wenn jedes Kind seinen Anspruch auf Rechte für selbstverständlich halten würde, wäre das Wort „Petze“ inzwischen sicher aus der Mode gekommen. 46 s. Daublebsky, Benita / Lauble, Silvia: Der Klassenrat als Mittel demokratischer Schulentwicklung. A.a.O., S.29f. 47 s. Dreikurs, Rudolf / Grunwald / Pepper: Lehrer und Schüler lösen Disziplinprobleme. A.a.O., S.124
Daher sollte jede Lehrkraft sich genau überlegen, was die Folgen sein können, wenn man denkt, das Aufstellen von Klassenregeln sei überflüssig, da ja jeder die Schulordnung nachlesen könne.
Die Regeln sollten nicht einfach vorgegeben werden, sondern mit den Schülern gemeinsam im Klassenrat erarbeitet werden, wenn man weiterhin den Gedanken der Mitbestimmung verfolgen will. Außerdem fällt es den Schülern leichter, sich an Regeln zu halten, die sie sich selbst aus- gedacht haben, als an solche, die ihnen von außen auferlegt wurden.
BLUM schlägt folgende Richtlinien für Gesprächsregeln vor:
- Die Ich-Form sollte der Wir-Form vorgezogen werden. Die Man-Form ist völlig zu ver-meiden. Auf diese Weise ist der Aufforderungscharakter höher.
- Die Regeln sollen positiv formuliert werden. Damit wird nicht das unerwünschte Verhalten verboten, sondern das erwünschte Verhalten konkret aufgezeigt.
- Mehr als fünf Regeln sollten nicht auf einmal aufgestellt werden, da die einzelnen Regeln dann weniger wichtig werden und am Ende keine richtig ernst genommenn wird.
- Die Regeln sollten visualisiert werden, damit sie immer präsent sind und leicht darauf verwiesen werden kann. 48 Im Konzept von GRÜNER haben Regeln einen besonders hohen Stellenwert. Zwar verzichtet er auf das Kriterium der positive Formulierung, dafür schlägt er ein anderes vor:
- Die Regeln sollten so konkret wie möglich formuliert werden. Bei älteren Schülern können sie auch abstrakter sein. 49
Für sein Konzept ist die Konkretisierung von Regeln deshalb so wichtig, da bei Regelver- letzungen das sogenannte „STOPP-Signal“ gegeben wird. Es wird begleitet von einer Verhal- tensanweisung für den Schüler, der eine Regel verletzt hat. Das Programm „Bei STOPP ist Schluss!“ bietet eine Möglichkeit, Regeln für Schüler verbindlicher zu machen. (Ich erwähne es auch deshalb, da eine der von mir beobachteten 5. Klassen einige Elemente aus GRÜNERs Konzept in ihren Klassenrat integriert hat.) 48 vgl. Blum, Eva und Hans-Joachim: Der Klassenrat. A.a.O., S.62 49 vgl. Grüner, Thomas / Hilt, Franz: Bei STOPP ist Schluss! A.a.O., S.86
Wurden in der Klasse schon allgemeine Verhaltensregeln aufgestellt, können auch Gesprächs- regeln speziell für den Klassenrat entwickelt werden. Sie sollten möglichst die folgenden Punkte beinhalten:
- Es redet nur, wer vom Moderator aufgerufen wurde.
- Wer nicht dran ist, hört dem Redner zu.
- Jeder spricht für sich selbst in Ich-Botschaften.
- Aussagen anderer werden akzeptiert und ernst genommen.
- Es wird nur über Anwesende gesprochen.
- Die besprochenen Themen werden vertraulich behandelt.
In vielen Klassen hat sich außerdem bewährt, einen Redegegenstand einzuführen. So ein „Sprechstein“ (oder -ball, -stofftier) drückt symbolisch aus, dass eine Person sprechen darf. Er unterstützt die Regel, dass immer nur einer redet, nämlich derjenige, der den Redegegenstand hat. 50
1.3.4 Positive Runde
In den meisten Konzepten für die Durchführung von Klassenratstunden wird empfohlen, mit einer „Positiven Runde“ oder Anerkennungsrunde zu beginnen. Das lässt sich am besten um- setzen, wenn die Schüler im Stuhlkreis sitzen.
Reihum sagt jeder Schüler etwas Positives über die Klasse, das sich z.B. auf Erlebnisse mit anderen Schülern, Lehrern oder auf den Unterrichtsstoff beziehen kann. Wenn einem Schüler einmal nichts einfällt, kann er das Wort (oder den Redegegenstand) an den nächsten weitergeben. Dann sollte man ihn am Ende noch einmal fragen, ob ihm etwas eingefallen ist. Bei jüngeren Schülern kann man auch Mitschüler Vorschläge machen lassen, was dem jeweiligen Kind gut gefallen haben könnte. Wichtig ist, dass der entsprechende Schüler das Gesagte noch einmal wiederholt statt nur zu nicken, damit es auch wirklich zu seinem eigenen Beitrag wird. Auch der Lehrer nimmt an der Runde teil.
50 vgl. Blum, Eva und Hans-Joachim: Der Klassenrat. A.a.O., S.30
Als Formulierungshilfe kann vorgegeben werden, dass jeder den Satz mit „Ich finde gut, dass...“ o.Ä. begonnen wird. Denkbar wäre auch, die Formulierung von der Wandzeitung zu verwenden und nur die Schüler ihre Beiträge vorstellen zu lassen, die sie dort eingetragen haben.
Diese Methode ist zur Einstimmung auf den Klassenrat gedacht. Da im Klassenrat häufig Probleme thematisiert werden, wird in der Runde der Blick auf angenehme Erlebnisse gelenkt, um so eine positive Grundstimmung zu schaffen. Sie regt die Schüler zu einer Reflexion über die Schulwoche an und schärft die Wahrnehmung für die positiven Seiten der Schule, die schnell vergessen werden, wenn immer nur Probleme besprochen werden. Außerdem lernen die Schüler Anerkennung und Wertschätzung auszudrücken. 51
51 vgl. Blum, Eva und Hans-Joachim: Der Klassenrat. A.a.O., S.33
1.4 Voraussetzungen für die Durchführung von Klassenratstunden
Dass es sich beim Klassenrat nicht um „normalen Unterricht“ handelt ist inzwischen klar geworden. Für eine erfolgreiche Durchführung, müssen einerseits die entsprechenden Rahmen- bedingungen geschaffen werden, andererseits muss die Lehrkraft sich ihrer veränderten Rolle bewusst werden.
1.4.1 Rahmenbedingungen
Die grundlegendste Bedingung, die geschaffen werden muss, ist Zeit: Wenn sich eine Klasse – oder eine ganze Schule – entscheidet, den Klassenrat verbindlich einzuführen, muss entschieden werden, ob hierfür eine zusätzliche Stunde geschaffen wird (was zum Leidtragen der Klassen- lehrer ginge) oder ob Fachunterrichtszeit dafür verwendet werden soll. Hierfür würde sich am ehesten der Deutschunterricht anbieten, was allerdings problematisch wird, wenn die Klassen- lehrer keine Deutschlehrer sind. Dies will ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen, weil an jeder Schule andere Bedingungen herrschen.
Die Hauptsache ist jedoch, dass der Klassenrat nicht nur partiell durchgeführt wird, sondern als fester, regelmäßiger Termin im Stundenplan vorgesehen ist. Keinesfalls sollte die Lehrkraft die Stunde spontan für Fachunterricht verwenden, weil dann auch die Schüler den Klassenrat ebenfalls nicht ernst nehmen werden. 52 Weiterhin muss geklärt werden, auf welche Weise die Lehrer Grundwissen über Ablauf und Methoden des Klassenrats erlangen sollen, und ob Externe einbezogen werden sollen. Es muss auch entschieden werden, ob jedem Lehrer die Freiheit gelassen wird, den Klassenrat selbst zu gestalten, oder ob es gewisse Minimalstandards geben sollte. Hier bietet sich eine Einbeziehung der Schulsozialarbeiter an.
Schließlich bleibt eine Informationsveranstaltung für Eltern zu organisieren, um auch diese über die Vorteile und Aufgaben des Klassenrats in Kenntnis zu setzen. 53
1.4.2 Die Rolle der Lehrkraft
Ebenso wichtig wie die Verbindlichkeit des Klassenrats ist der Umgang des Lehrers mit den Schülern für das Erreichen der Ziele, insbesondere bezüglich Mitbestimmung. Häufig gerät der Erziehungsauftrag der Schule neben all dem zu vermittelnden Fachwissen in Vergessenheit. 52 vgl. Blum, Eva und Hans-Joachim: Der Klassenrat. A.a.O., S.30 53 vgl. Daublebsky, Benita / Lauble, Silvia: Der Klassenrat als Mittel demokratischer Schulentwicklung. A.a.O., S.15ff.
Dennoch sollten Lehrern – wie auch HIERDEIS feststellte – ihre Einflussmöglichkeiten auf die Schüler wieder bewusst werden, denn:
„[...] Erziehung vollzieht sich in jedem Unterricht. Erziehung ist immer gegenwärtig, wo Unterricht durchgeführt wird. Nur der Schwerpunkt der Erziehung ist je nach Einstellung und persönlicher Geschichte der Lehrkraft unterschiedlich.“ 54
Wie bereits angedeutet, ist der Klassenrat eine besondere Situation für Lehrer und Schüler. Die Themen sollen von den Schülern vorgegeben werden, auch die Leitung der Stunde – und somit die Verantwortung – soll Schritt für Schritt an die Schüler übergehen. Im Idealfall soll der Lehrer am Ende laut DREIKURS ein „gleichberechtigtes Gruppenmitglied“ sein. An anderer Stelle betont er jedoch:
„Wenn der Lehrer ein wirksames Gruppengespräch will, kann er nicht passiv bleiben. Er muss beteiligt sein, die Richtung weisen und manchmal lenkend eingreifen.“ 55
DE BOER, die die praktische Umsetzung des Klassenrats eher kritisch betrachtet, bezeichnet den Widerspruch zwischen gleichzeitigem Leiten, Vorbild sein und Teilnehmen als „Rollenambi- valenz“. Sie kritisiert DREIKURS’ Vorstellung von der moralisch vorbildhaften Lehrperson und stellt schließlich fest:
„Entweder klären die Schüler und Schülerinnen Konflikte selbsttätig, dann bleibt offen, auf welche moralischen und normativen Vorstellungen sie dabei zurückgreifen. Oder die normativen und moralischen Vorstellungen werden vorgegeben, dann kann nicht mehr von Selbsttätigkeit gesprochen werden.“ 56 Da dieser Widerspruch ohne eine grundlegende Veränderung des Schulsystems aber nicht lösbar ist, muss man versuchen, innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen den Weg zu finden, der den Schülern die höchstmögliche Selbsttätigkeit gestattet.
HIERDEIS schlägt zu diesem Thema vor, dass die Lehrkraft sich von vornherein ein Vetorecht vorbehalten müsse, von dem sie aber nur sehr sparsam Gebrauch machen sollte. Zuvor könne die Lehrkraft versuchen, durch eine Wortmeldung die Schüler dazu zu bringen, ihren Beschluss 54 s. Hierdeis, Bernhard / Greßirer, Hans: Die Klasse – Basis erzieherischer Arbeit. A.a.O., S.7 55 s. Dreikurs, Rudolf / Grunwald / Pepper: Lehrer und Schüler lösen Disziplinprobleme. a.a.O., S.125 [Anmerkung der Verfasserin: Meines Erachtens wird durch die Übersetzung die Aussage verzerrt. Man vergleiche mit dem Originaltext: „The teacher cannot be passive if she wants to have effective group discussions. She must be directive, involved, and even manipulative.” Hier wird weniger der Eindruck von einer „sanften” Leitung vermittelt.
56 s. de Boer, Heike: Klassenrat als interaktive Praxis. a.a.O., S.23
noch einmal zu überdenken. 57 Ein Gebrauch des Vetorechts ist dann angebracht, wenn die Beschlüsse mit der Schulordnung im Konflikt stehen oder die Würde eines Schülers gefährdet wird.
Grundsätzlich kann man sagen, dass der Klassenrat umso effektiver demokratische Mitgestaltung ermöglicht, je größer der Schüleranteil an der Gesamtredezeit ist und je kommunikations- fördernder die Beiträge der Lehrperson sind. Als Anhaltspunkt verweist Manfred BÖNSCH auf die Kriterien für einen demokratischen Führungsstil nach A. und R. TAUSCH:
Es wird angenommen, dass in dem gleichen Maße, in dem die Lehrkraft kommunikations- fördernde Merkmale aufweist, die Schüler Selbstständigkeit, Interesse, Initiative, kritisches Denken und Produktivität entwickeln. 58 57 vgl. Hierdeis, Bernhard / Greßirer, Hans: Die Klasse – Basis erzieherischer Arbeit. A.a.O., S.20
2 Praktische Umsetzung an der Gesamtschule X
2.1 Die „Stammgruppenstunde“ An der Gesamtschule X hat sich der Begriff „Klassenrat“ noch nicht durchgesetzt, da dieser bis vor zwei Jahren noch „Stammgruppenstunde“ oder kurz „Stammstunde“ hieß. Auch auf der Internetseite heißt es noch:
„Stammgruppenstunden
Um Konflikte in der Klasse zu besprechen, Vorhaben zu organisieren und demokratisches handeln einzuüben, steht jeder Klasse wöchentliche eine Stunde zur Verfügung. In dieser Stunde sind meist beide Klassenlehrkräfte anwesend.“ 59 Damit stimmt die Gesamtschule X in ihren Zielen mit den genannten Zielen für Klassenrat- stunden überein.
Laut Aussage der Sozialpädagogin werden neue Lehrkräfte nicht gesondert in die Durchführung dieser Stunden eingewiesen. Sie würden ihre Informationen hauptsächlich durch kollegialen Austausch sowie private Weiterbildung erlangen. Außerdem existiert ein 33-seitiger „Reader zum Kurs Klassen(rat)stunden“ ( erstellt von zwei Mitarbeiterinnen des schulpsychologischen Dienstes im Kreis Pinneberg), der zwar keine allgemeine Beschreibung enthält, dafür aber An- regungen zu gruppendynamischen Spielen gibt. Außerdem enthält er eine Anleitung zur Durchführung eines Konfliktgespräches und verschiedene Kopiervorlagen. Dieser Reader wird aber ebenfalls nicht verbindlich an alle Lerkräfte verteilt.
Bei meiner Beobachtung von sieben Klassen (je zwei Klassen des 5., 6. und 8. Jahrgangs und eine 7. Klasse) habe ich folgende Erkenntnisse über die praktische Umsetzung gewonnen, die ich wie folgt zusammenfasse:
58 vgl. Tausch, A. u. R.: Erziehungspsychologie, Göttingen 1971. Nach: Bönsch, Manfred: Grundlegung sozialer Prozesse heute. Verhaltenssicherheit und Demokratiefähigkeit. Weinheim und Basel 1994, S.67f.
59 s. Bülow, Hans: Internetseite der Gesamtschule X. Aus http://www.gefa-nms.de/Schulprogramm/12Schulprogramm.htm (Stand: Februar 2007)
1. Der Klassenrat ist verbindlich im Stundenplan vorgesehen und findet an verschiedenen Wochentagen und zu verschiedenen Tageszeiten statt.
2. Es waren in jeder Klasse beide Lehrkräfte anwesend.
3. In vier (von sieben) Klassen saßen die Schüler im Stuhlkreis. Ein Zusammenhang mit der
Jahrgangsstufe war nicht festzustellen.
4. In allen Klassen wurde eine Tagesordnung an die Tafel geschrieben. Zwei davon haben
eine zusätzliche Tafel dafür, auf der die Schüler während der Woche die Themen sammeln können.
5. In fünf Klassen wurde die Sitzung von einem Schüler, einer Schülerin oder zwei
Schülern geleitet. In vier Fällen stand der/die moderierende/-n Schüler/-in/ an der Tafel, während die Klasse und die Lehrer saßen. In einem Fall wurde die Moderation durch freiwilliges Melden zu Beginn der Sitzung festgelebt. In den beiden 5. Klassen hat der Lehrer die Sitzung geleitet.
6. In vier Klassen waren die Lehrer bemüht, ihre Beiträge durch Handzeichen anzukündi-
gen. In einer davon gab es einen Redegegenstand. (Ironischerweise war dies die einzige Klasse, in der sich beide Lehrkräfte konsequent gemeldet haben.)
7. In zwei Klassen gab es ein Ruhezeichen, in einer davon wurde dieses von einem Schüler
eingesetzt. In einer anderen Klasse wurde über Störungen Strichliste geführt.
8. In einer Klasse gab es das Amt des Zeitwächters.
9. In den beiden 8. Klassen habe ich beobachtet, dass ein Protokoll verfasst wurde.
Es war eine bereichernde Erfahrung, viele der beschriebenen Methoden in ihrer praktischen Umsetzung zu erleben. Mir fiel aber auch auf, dass es von Klasse zu Klasse teilweise gravierende Unterschiede gab. Ob und welche Auswirkungen das auf die Einstellung der Schüler und Lehrer zum Klassenrat und der Klassengemeinschaft allgemein hat, versuche ich im Folgenden zu klären.
2.2 Befragung In meinen letzten zwei Praktikumswochen habe ich in sieben Schulklassen der Jahrgänge 5-8 eine Befragung zum Thema „Unser Klassenrat“ durchgeführt. Insgesamt wurden rund 150 Schüler befragt.
Durch die Befragung wollte ich ein genaueres Bild davon bekommen, welche Bedeutung der Klassenrat für die Schüler hat, um daraus ableiten zu können, inwiefern die dargestellten Ziele tatsächlich erreicht werden. Mir ist dabei bewusst, dass es sich bei „Konfliktfähigkeit“ und „demokratischer Handlungsfähigkeit“ um schwer messbare Ergebnisse handelt. Daher sehe ich von unsicheren Interpretationen ab und stelle nur dar, was aus den Schülerantworten eindeutig und nachvollziehbar hervorging.
Ferner habe ich rund 60 Fragebögen an die Lehrkräfte verteilt, von denen ich 19 zurückerhalten habe. (Ob und inwiefern dies das Ergebnis beeinflusst, sei an dieser Stelle außen vor gelassen.) Mit dieser Befragung wollte ich einerseits ebenfalls ein Meinungsbild zum Klassenrat erhalten. Darüber hinaus bezogen die Lehrer zu den hier vorgestellten Methoden Stellung beziehen, indem sie sie auf ihre „Tauglichkeit“ hin bewerteten.
Zur besseren Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse befinden sich Tabellen mit einer detaillierten Auflistung im Anhang, ebenso je ein Muster der verwendeten Fragebögen.
Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, gehe ich nur auf die gewonnenen Erkenntnisse ein, die für meine Themenstellung relevant sind.
2.2.1 Schülerbefragung
Die Befragung war anonym, es sollte lediglich die Klassenstufe angegeben werden. Die Schüler bekamen zunächst 13 Aussagen, bei denen sie den Grad ihrer Zustimmung ankreuzen sollten. Sie konnten sich zwischen „stimmt“, „stimmt teilweise“, und „stimmt nicht“ entscheiden oder „weiß ich nicht“ ankreuzen. Anschließend folgten die zwei Satzanfänge „Ich finde Klassenrat gut, weil...“ und „Klassenrat wäre noch besser, wenn...“, die die Schüler ergänzen sollten und die Frage: „Was wäre in deiner Klasse wohl anders, wenn es keinen Klassenrat gäbe?“
Der weitaus größte Teil der befragten Schüler findet es gut, dass es einen Klassenrat gibt, einige zumindest teilweise. (Nur 0-7% stimmten der Aussage nicht zu oder sind unentschieden.) Sie begründeten dies in der Ergänzungsfrage zu ca. 60% damit, dass sie dort Probleme ansprechen und klären könnten. Ca. ¾ der Schüler hat der Aussage „Im Klassenrat können wir Streits klären und Probleme lösen“ im Ankreuz-Teil auch voll zugestimmt.
Weitere häufig genannte Begründungen sind, dass man wichtige Themen bespreche und allgemein die Meinung der Mitschüler kennenlerne. Vereinzelt wurde außerdem mit dem Informationsaustausch, der Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen sowie einer Verbesserung der Gemeinschaft begründet.
Der Aussage, der Klassenrat hätte die Klassengemeinschaft verbessert, stimmten die meisten Schüler nur teilweise zu. In den Klassen 5-7 halten sich Zustimmungen und Ablehnungen ungefähr das Gleichgewicht, während die 8. Klassen eindeutig zu „stimmt“ tendieren. 4-12% waren hier unsicher.
Dennoch stimmten die meisten Schüler der Aussage, in ihrer Klasse sei der Umgangston unfreundlich nur teilweise bis gar nicht zu. Die größte Zustimmung mit 24% gaben hier die 5. Klasse, während im 8. Jahrgang niemand zustimmte.
Auf sehr einheitlichen, jahrgangsübergreifenden Zuspruch traf die Aussage „Schülerinnen und Schüler möchten selbst Entscheidungen treffen und Verantwortung tragen.“ Jeweils etwa die Hälfte stimmte der Aussage ganz oder teilweise zu. Nur je 4-9% lehnten sie Aussage ab oder wussten es nicht.
Ebenfalls auf den Mitbestimmungswillen zielte die Aussage ab: „Ich möchte Klassenfahrten mitplanen.“ Mit Ausnahme des 6. Jahrgangs (44%) stimmten hier über die Hälfte der Schüler ganz und durchschnittlich 20% teilweise zu.
Verbesserungsvorschläge für den Klassenrat bezogen sich hauptsächlich auf das Verhalten der Mitschüler. So ergänzten 30-60% den Satz sinngemäß damit, dass alle sich leiser verhalten und einander zuhören sollten. Viele Schüler hatten keine Vorschläge oder schrieben explizit, dass sie mit ihrem Klassenrat zufrieden seien. Einige Schüler wünschten sich mehr Zeit, aktivere Teilnahme ihrer Mitschüler oder abwechslungsreichere Themen.
Bei der Überlegung, was anders wäre, wenn es keinen Klassenrat gäbe, kamen die meisten Schüler ( in jeder Klasse ca. 75%) zu dem Ergebnis, dass es dann mehr Streit bzw. ungelöste Probleme gäbe. Weitere häufig genannte Vorstellungen waren: mehr Gewalt, mehr Chaos und eine schlechtere Stimmung. Vereinzelt vermuteten die Schüler auch, die Probleme müssten dann eben in der Unterrichtszeit geklärt werden.
2.2.2 Lehrerbefragung Von den 19 befragten Lehrern führen einige erst seit 1-2 Jahren , andere wiederum seit über 15 Jahren Klassenratstunden durch. Die Antworten bezeihen sich auf die Klassenstufen 5-10. Auch hier begnüge ich mich mit einer Zusammenfassung der prägnantesten Aussagen.
89% halten den Klassenrat für eine sinnvolle Institution, die übrigen 11% stimmen immerhin
Schlagworte:
lit_2007-art, Hausarbeit,
kein Summary verfügbar
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ID: 3830 | hinzugefügt von Jürgen an 03:35 - 3.2.2012 |
title: .. UND AUSSERDEM by Prammer, Willi |
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Text:
.. UND AUSSERDEM
Editorial Heft 8/März 2000
WILLI PRAMMER
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit der nochmaligen Ankündigung des "Ridef 2000" und der Veröffentlichung eines Aufrufs der deutschen KollegInnen wollen wir diesmal mit hochpolitischen Inhalten beginnen.
Schlagworte:
atsch-h8
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 2696 | hinzugefügt von Jürgen an 08:02 - 15.12.2005 |
title: Vom Klassenraum zur Lernlandschaft. Entwicklung eines Unterrichtskonzeptes im Fach Wirtschaft, Arbeit und Technik by Pötting, Silke |
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Titel: | Vom Klassenraum zur Lernlandschaft. Entwicklung eines Unterrichtskonzeptes im Fach Wirtschaft, Arbeit und Technik |
Autor: | Pötting, Silke | Sprache: | deutsch |
Quelle: | München, Grin | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | DD.MM.2017 | | |
url: | |
Text:
Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Aktualität und Forschungsstand
1.3 Zielsetzung und Vorgehen
1.4 Methodik: Handlungsorientiertes Lernen
2 Lernform
2.1 Grundlagen des handlungsorientierten Unterrichts
2.1.1 Begründung für den handlungsorientierten Unterricht
2.1.2 Anforderungen an die Lehrkraft
2.1.3 Anforderungen an den Raum
2.2 Umsetzung im WAT-Unterricht
2.2.1 Rahmenlehrplan des Unterrichtsfachs WAT
2.2.2 Unterrichtsplanung
2.3 Die Projektarbeit
3 Schulräume und Pädagogik - Ein knapper historischer Überblick
3.1 Geschichte der Schulgebäude
3.1.1 Mittelalter
3.1.2 Reform beweg и ng
3.1.3 Zeit der Aufklärung
3.1.4 Ende des 19. Jahrhunderts ״Neue“ Reformer
3.1.5 Die Wilhelminische Epoche
3.1.6 Nach dem Ersten Weltkrieg
3.1.7 Nach dem Zweiten Weltkrieg
3.2 Ausrichtung und Maße des Klassenraums
3.3 Das Mobiliar der Klassenräume
4 Räumliche Anforderungen der Ganztagsschule
4.1 Sozialformen des Lernens und ihre Anforderungen an den Raum
4.2 Die pädagogische Bedeutung der Raumgestaltung
4.3 Lebensorte״ .7.
4.4 Die Lernlandschaft als Ort des Lernens und der Freizeit
5 Realisierte Vorhaben
5.1 Erika-Mann-Grundschule, Schulumbau
5.1.1 Umgestaltung als gemeinsames Projekt
5.1.2 Flure als Lernorte
5.1.3 Brandschutz und Fluchtwege
5.2 Comenius-Schule, Klassenumbau
5.2.1 Lernformen und Raummöblierung
5.2.2 Gemeinsame Planung und Bau, Sicherheit
5.2.3 Erfahrung von Lehrern und Schülern mit dem Lernort
5.2.4 Finanzierung
6 Konzept für ein Unterrichtsprojekt ״Umbau des Klassenzimmers zur Lernlandschaft“ ”.
6.1 Problemstellung und Ablauf
6.1.1 Pädagogisch-methodische Ausführung
6.1.2 Umsetzung des multifunktionalen Podests
6.1.3 Finanzierung
6.1.4 Nachhaltigkeit
7 Fazit
8 Anhang praktische Umsetzung
1 Einleitung
Seit dem Jahr 2003 findet der flächendeckende Ausbau von Ganztagsschulen statt. Dies war anfangs eine direkt einsetzende Reaktion auf das schlechte Abschneiden der Schülerinnen und Schüler bei der ersten PISA-Studie 2001. Auf der Suche nach den Ursachen zeigten sich zwischen den PISASpitzenländern und Deutschland das mehrgliedrige Schulsystem und die Halbtagsschule als die zentralen schulorganisatorischen Unterschiede (vgl. Erdsiek-Rave, 2013, s. 11).
Die folgende Zunahme von Lernzeit und veränderte Lernarrangements, die Verstärkung der individuellen Förderung, die Schaffung neuer Sozialräume, die Bereitstellung qualifizierter Betreuungsformen sind für den Ausbau der Ganztagsschulen eine große Herausforderung. Das betrifft nicht nur organisatorische Fragen, sondern auch ihre baulichen Konsequenzen. Wie müssen Räume beschaffen sein, um sowohl den veränderten Lernformen als auch einem Anspruch von Schule als Lebensort gerecht zu werden? Da nicht überall neue Schulgebäude errichtet werden können, impliziert dies auch die Frage: Wie kann eine Schule, die als Halbtagsschule geplant wurde, mit dem gleichen Raumkonzept als ganztägige Schule organisiert werden?
Da sich die Aufenthaltsdauer von Schülerinnen und Schülern in der Schule verlängert hat, werden in der Ganztagsschule die vorhandenen Räume häufiger und multipler genutzt. Der Klassenraum ist vom Mobiliar, der Farbgebung, dem Licht und der Akustik abhängig und auch veränderbar, um der Umsetzung der Lernarrangements dienen zu können.
Wie können solche Veränderungen aussehen? Gemäß dem Konzept des handlungsorientierten Unterrichts sollten die Schülerinnen und Schüler selbst maßgeblich an der Umgestaltung ihrer Räume mitwirken. Die vorliegende Arbeit stellt exemplarisch ein fachdidaktisches Konzept vor, wie bestehende Räume gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern für die veränderten Anforderungen optimiert werden können. Gewählt wurde hierfür das Unterrichtsfach Wirtschaft - Arbeit - Technik, kurz WAT. In dem fachdidaktischen Konzept ״Umbau des Klassenzimmers zur Lernlandschaft“ geht es darum, dass die Lernenden in der Holzwerkstatt Mobiliar entwerfen und herstellen, das aus einem Klassenraum eine Lernlandschaft werden lässt.
1.1 Problemstellung
Angesichts der mit der Gesamtschule auftretenden neuen Anforderungen ist Schule als Lern- und Lebensort neu zu beschreiben. Diese Beschreibung orientiert sich im Folgenden an den Fragen:
Welches sind die neuen und alten Lernformen, die in einer heutigen Ganztagsschule praktiziert werden? Wie wird der heutige Unterricht ausgerichtet? Welches sind die Themen, die neben dem Unterricht in der Schule stattfinden sollen, weshalb man sie mit dem Begriff Lebensort bezeichnet? Prinzipiell handelt es sich bei den neuen Anforderungen zum einen um veränderte Lernarrangements und zum anderen um die ganztägige Nutzung der Schulräume.
Die Veränderung der Lernarrangements resultiert vor allem aus der Stärkung des handlungsorientierten Unterrichts, der darauf abzielt, dass die Schüler und Schülerinnen handelnd die Kompetenz zur Veränderung der Umwelt entwickeln.
Die zweite Anforderung bedeutet zunächst: Da die Lernenden nun längere Zeiten in der Schule verbringen, erfahren Räume, die bisher nur halbtägig genutzt wurden, eine häufigere und multiplere Nutzung. Dabei müssen sie nun unterschiedlicheren Bedürfnissen zwischen den beiden Polen Individualität und Gemeinschaft gerecht werden, müssen neben dem ihrer Bedeutung als Unterrichtsraum ebenso als Rückzugsmöglichkeit zum Ausruhen und Chillen funktionieren wie als Raum zum Kommunizieren mit andern und zum Austausch in der Gruppe.
Demzufolge gilt es einen neuen Begriff des Klassenraumes zu entwickeln.
1.2 Aktualität und Forschungsstand
Aufgrund steigender Schülerzahlen beriefen im September 2016 die Berliner Bildungssenatorin und die Berliner Stadtentwicklungssenatorin eine Facharbeitsgruppe für Schulraumqualität ein. Die Arbeitsgruppe formulierte die Notwendigkeit der räumlichen Voraussetzungen für eine modernere Pädagogik, die für eigenständigen Kompetenzerwerb und individuelles Lernen steht. Und für eine Bildung, die durch differenzierte Förderung der individuellen Begabungen und Interessen Potenziale und Begabungen aller Schülerinnen und Schüler fördert.
Der wissenschaftliche Beirat für Familienfragen beim Bundesfamilienministerium formuliert, dass die Schule als Lern- und Lebensort durch den längeren Aufenthalt der Schülerinnen und Schüler in der Schule von der Familie vielfältige Erziehungs- und Bildungsbereiche übernimmt (BMFSF, 2005, s. 4f). Der genannte Beirat betont in diesem Zusammenhang insbesondere die Bedeutung des Aufbaus und der Sicherung von persönlichen Beziehungen sowohl zwischen den Schülerinnen und Schülern und den Lehrkräften als auch der Lernenden untereinander.
Die Berliner Facharbeitsgruppe betont, dass sich aus den neuen Anforderungen an die Schulen auch bauliche Flerausforderungen ergeben:
״Daraus ergeben sich völlig neue pädagogische und architektonische Erfordernisse, die naturgemäß mit einem gewissen Flächenzuwachs verbunden sein müssen.“ (Facharbeitsgruppe Schulraumqualität 2017, s. 2)
Über den Zusammenhang zwischen Lernen und Raum gibt es umfangreiche Forschung. Ein aktuelles Konzept sieht im Neubaubereich die Schaffung von familiär wirkenden sogenannten Lern- und Teamhäusern vor. Doch es können nicht nur neue Schulen gebaut werden und so ist auch im Bestand ein großer Flandlungsbedarf zu erkennen. Denn der Raum ist die Rahmenbedingung für das Lehren und Lernen. Er muss die Beziehung von Lehrkraft und Schülerinnen und Schüler mit Aspekten von Sicherheit, Wohlbefinden, sozialen Kontakten ermöglichen und unterstützen. Ein maßgebliches Bedürfnis der Jugendlichen ist es, Individualität und Identität sowie Verhaltenssicherheit zu gewinnen (Rughöft 1992, s. 82). Auch ihm müssen Räume entsprechen.
1.3 Zielsetzung und Vorgehen
In der vorliegenden Arbeit sollen zunächst die für den handlungsorientierten Unterricht kennzeichnenden veränderten Lernarrangements mit den Sozialformen der Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit beschrieben werden. Anschließend geht es darum, die Bedeutung von Schule als Lebensort sowie die damit zusammenhängenden erweiterten Nutzungsbedürfnisse der Schülerinnen und Schüler in der Ganztagsschule zu umreißen. Aus diesen Beobachtungen sollen die veränderten Raumanforderungen abgeleitet werden.
Auf dieser Grundlage wird ein fachdidaktisches Konzept für die Optimierung der Räume mit geringen Mitteln vorgeschlagen, bei dem der Akzent auf der Initiative der Schülerinnen und Schüler liegt, die eigenverantwortlich und zielorientiert ihre Räume gestalten.
1.4 Methodik: Handlungsorientiertes Lernen
Das fachdidaktische Konzept für die Optimierung vorhandener Räume zielt darauf ab, gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern zunächst einen Entwurf für die Umgestaltung eines Raums zu entwickeln und diesen anschließend umzusetzen. Das didaktische Prinzip ist also das Prinzip der Selbsttätigkeit, es zielt auf die Eigenaktivität des Lernenden ab. In Bezug auf das inhaltliche Ziel heißt das konkret, dass sich die Schüler und Schülerinnen ihre Räume selbst aneignen.
Um den Umfang des Projekts zu begrenzen, geht es im Folgenden allein um eine Veränderung des Mobiliars. Dieses bildet jedoch nur einen kleinen Ausschnitt der Veränderbarkeit der Räume. Im Anschluss an die Darstellung der praktischen Umsetzung wird eine Aufstellung von anderen Raumkriterien wie Lichtgestaltung, ansprechende Farbgebung, Akustik und Raum luft, angeboten, die den Gegenstand neuer Projekte im WAT-Unterricht bilden könnten.
2 Lernform
2.1 Grundlagen des handlungsorientierten Unterrichts
Die Idee des handlungsorientierten Unterrichts geht auf die Reformpädagogik
zurück und lässt sich zunächst mit einem Satz von Gaudig1 zusammenfassen: ״Es kommt darauf an, den Schüler aus dem Passivum in das Aktivum zu übersetzen“ (Gudjons 2014, s. 8). Historisch gehen handlungsorientierte
Ansätze gemäß Gudjons noch weiter zurück auf die Industrieschulen des 18. Jahrhunderts, insbesondere auf Pestalozzis Gedanken, dass man mit ״Kopf, Herz und Hand“ lernen müsse. Generell geht es um den handelnden Umgang mit Gegenständen zum Lernen, die einen klaren Bezug zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler aufweisen. Eindeutige Konturen fehlen dem pädagogischen Konzept des handlungsorientierten Unterrichts jedoch bis heute. So wird von verschiedenen Autoren ein Theoriedefizit beklagt (Gudjons 2016, s. 7). Ähnliche Ansätze wie Offener Unterricht, Freiarbeit, Projektarbeit, entdeckender Unterricht u. a. sind damit nicht leicht vom handlungsorientierten Unterricht abzugrenzen. Fest steht jedoch, dass die Eigentätigkeit der Schülerinnen und Schüler mit ihren Sinnen bei der ״Auseinandersetzung und aktiven Aneignung eines Lerngegenstandes“ (Gudjons 2014, s. 8) im Zentrum des Unterrichts stehen soll.
Seit ungefähr dreißig Jahren findet demnach ein Paradigmenwechsel in der allgemeinen Didaktik, von der Vermittlungsdidaktik über die handlungsorientierte Didaktik zur Autodidaktik (selbstgesteuertes Lernen) statt (vgl. Bösch 2006, s. 166 f.; Riedel 2010, s. 205), was innerhalb der Wissenschaft als konstruktivistische Didaktik bezeichnet wird: Lernen wird demnach als Prozess der Selbstorganisation des Wissens verstanden. Dabei sind selbstgesteuertes Lernen und handlungsorientiertes Lernen in ihren Merkmalen eng verwandt. Die Herausforderung des Unterrichts besteht darin, Individualität des einzelnen Kindes durch ein vielfältiges Angebot gerecht werden, so dass es die Verantwortung für den eigenen Lernprozess übernehmen kann. Das selbstgesteuerte Lernen verläuft in der Schule nie völlig unabhängig, da fremde Einflüsse vor allem in Form des Lehrplans und didaktischer Entscheidungen für die Unterrichtsgestaltung unvermeidbare Eckpfeiler sind. Daher lässt sich im Unterricht nur phasenweise das selbstgesteuerte Lernen praktizieren.
Der Grad der Selbststeuerung steigt damit, dass Entscheidungen und Aktivitäten auf die Lernenden übertragen werden (vgl. Riedel 2010, s. 208). Riedel differenziert dies in fünf Punkten:
Weitere Autoren, die zu dem Konzept des handlungsorientierten Lernens beigetragen haben, sind der Physiker und Pädagoge Martin Wagenstein (1896-1988) mit seinen naturwissenschaftlichen ״Lehrstücken“, die sich an den Erkenntnisfindungsweg großer Forscher anlehnen, oder Bruner, der in den 1970er Jahren die Idee des ״entdeckenden Lernens“ und des eigenständigen Problemlösens entwickelte.
- Lernzielbestimmung: Wer bestimmt den Lernbedarf und die Auswahl von Lernzielbestimmungen?
- Lernkoordination: Durch wen entsteht die Abstimmung des Lernens in der Schule mit anderen Tätigkeiten und Anforderungen?
- Lernorganisation: Wer trifft Entscheidungen über den Lernort, Lernzeitpunkt, Lernstrategie, Verteilung der Lerninhalte oder Lernpartner?
- Lernkontrolle: Durch wen wird der Zuwachs an Lernerfolg diagnostiziert? Inwieweit können Lernende Kontrolle über ihr Lernergebnisse bekommen?
- Selbstwahrnehmung: Wie können Lernende ihre Selbstständigkeit im Verlauf des Lernens erfassen, erläutern und empfinden?
Lautet die Antwort auf die genannten Fragen, dass es die Schülerinnen und selbst sind, die diese Aufgaben übernehmen, so kann man nach Meyer (1978) von einem hohen Ausmaß an Schülerselbsttätigkeit sprechen (siehe Abb. 4).
Ein Idealbild von selbstgesteuertem Lernen (Riedel) entsteht demnach, wenn Lernende
- sich Lernziele setzen und die eigenständige Zielerreichung planen,
- eigenaktiv ihre Lernbedürfnisse erkennen,
- verschiedene Formen der Unterstützung nutzen,
- geeignete Hilfsmittel auswählen,
- ihren eigenen Lernprozess verfolgen,
- eigene Unzulänglichkeiten sachlich bewerten,
- ein positives Selbstbild durch erkannte eigene stärken und Fähigkeiten formen, was als positiv für die Stärkung des Durchhaltevermögens für schwierige Aufgaben gilt (Riedel 2010, s. 209).
Dies alles bedeutet jedoch sehr hohe Anforderungen und Erwartungen an die Lernenden. Immer wieder stößt daher die Anregung zu selbstgesteuertem Lernen auf ein reproduktives und passives, lehrerabhängiges Verhalten bei Lernenden (Simons 1992, s. 256, zitiert nach Riedel 2010, s. 209). Dieses verinnerlichte tradierte Lernkonzept sollte im Unterricht schrittweise abgebaut werden. Flierzu tragen Lernstrategien im Fachunterricht bei, insbesondere eine positiv gestaltete Lernsituation, die Ziele setzt und ein konzentriertes Lernen durch einen eigenen Arbeitsplatz in der Lernumgebung ermöglicht (BMFSF, 2005, s. 4f) Wichtig ist es weiterhin, den Lernenden verschiedene Strategien aufzuzeigen, wie sie sich Wissen aneignen können. In ihrem eigenen Tempo und auf ihrem eigenen Lernweg sollen die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Lernprozesse durchlaufen. Wichtig ist es, ihnen hierfür eine breite Auswahl an Medien, Materialien und Methoden anzubieten, um so ihre Selbständigkeit bis hin zur Selbststeuerung zu fördern. Die Lernziele umfassen dabei nicht allein die Wissensaneignung, sondern auch Strukturierungsfähigkeit oder Problemlösefähigkeit (vgl. Riedel 2010, s. 215 f) und nicht zuletzt eine Kompetenz für das eigene Lernen.
Meyer (2002) hat wesentliche Merkmale für den handlungsorientierten Unterricht zusammengefasst. Der handlungsorientierte Unterricht...
1. bildet sich nicht durch die Systematik der Fachwissenschaft, sondern durch konkrete Pläne und Fragestellungen. Eine Aufspaltung der Lehrinhalte in Einzelstunden fehlt. Ganzheitliche Unterrichtsmethoden wie Gruppen- und Partnerarbeit, Rollenspiel und Projektarbeit sind bevorzugt.
2. ist schüleraktiv und selbsttätig. Der Lehrer führt, gibt aber wenig vor.
3. zielt auf die Flerstellung von Flandlungsprodukten, nicht nur materieller Art.
4. nimmt subjektive Schülerinteressen zum Ausgangspunkt.
5. beteiligt die Lernenden an der Durchführung, Planung und Auswertung.
6. öffnet Schule nach innen und außen; ist fächerübergreifend, fördert individuelle Lernwege und kann auch Experten und Eltern in die Lernarbeit integrieren.
7. ermöglicht das Lernen mit allen Sinnen und bringt Kopf- und Flandarbeit in ein ausgewogenes Verhältnis.
Aber worauf begründet sich diese Art des Lernens?
2.1.1 Begründung für den handlungsorientierten Unterricht
Das selbständige Planen und das Erleben eigener Erfahrungen tritt in unserer Lebenswelt immer mehr in den Flintergrund. Durch ״allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit“ und die Verringerung von Handlungsmöglichkeiten (vgl. Gudjons 2014, s. 11) wird das tätige, aktive, eigene Aneignen der materiellen Welt zunehmend auf ein eher bildhaftes Aneignen von Kultur durch technische Medien verschoben. Als Vorbereitung auf ein eigenverantwortliches Leben sind unmittelbare Erfahrungen, die von einer aktiven Auseinandersetzung mit der Gegenwart zeugen, wichtig, denn die Arbeitswelt erfordert das selbstständige Planen, Durchführen und Kontrollieren von Arbeitstätigkeiten. Denn das Aneignen von Erfahrungen und damit ein tieferes Verstehen setzt die Eigentätigkeit voraus. Denn: ״Wo eine Vorstellung von Entstehen fehlt, wird das Verstehen schwieriger“ (Gudjons 2014, s. 16). ״Hierzu muss eine ״handlungsarme Tafel-Kreide-Schwammpädagogik“ (Gudjons 2008 a, s. 18) zurückgehen und sinnliche-handgreifliche Primärerfahrungen im Unterricht möglich sein (vgl. Riedel 2010, s. 217). Die Integration der technischen und elektronischen Medien in den handlungsorientierten Unterricht widerspricht dem jedoch nicht.
Durch den handlungsorientierten Unterricht wird nach Jank und Meyer (2002, s. 368ff.; vgl. auch Meyer 1987 b, s. 410 zitiert nach Riedel 2010, s. 219) erreicht, dass Schülerinnen und Schüler aktiver lernen, weil sie sich besser mit dem Unterrichtsgegenstand identifizieren. Die intensivere Auseinandersetzung mit den Lerninhalten führt zu besseren Lernergebnissen. Die Lernenden übernehmen für den Unterrichtsverlauf Verantwortung und bewerten ihre Arbeitsergebnisse selbst. Auch die Unterrichtsarbeit unterziehen sie einer demokratischen Kritik und Kontrolle. Nicht zuletzt lassen sich Disziplinierungsprobleme durch eine solche offene Unterrichtsform reduzieren (Peschei 2002).
Die Hattie-Studie (2013) zeigt, dass die Selbsteinschätzung des eigenen Leistungsniveaus ein zentraler Einflussfaktor in Bezug auf den Lernerfolg ist.
Die heutige schulische Bildungsperspektive folgt dem pädagogischen Ideal, die Entwicklung von Selbständigkeit zu ermöglichen. Das verbindet sich mit der Überzeugung, dass Mündigkeit und Emanzipation die Ziele der heranwachsenden Bürger und Bürgerinnen selbst sind.
2.1.2 Anforderungen an die Lehrkraft
Für die Lernenden ist das selbstgesteuerte Lernen eine bedeutende Bildungsaufgabe (Riedel). Die Lehrenden haben die Aufgabe, die Lernumgebungen so einzurichten, dass sie den Lernenden beim Wissenserwerb dienlich sind.
Selbstgesteuertes Lernen im Unterricht fordert Lehrer und Lehrerinnen sehr. Die Vorbereitungsphase für den Unterricht ist intensiver. Im Unterricht selbst verzichten sie jedoch weitgehend auf direkte Einflussnahme und versuchen den Lernenden Handlungsspielräume und Eigeninitiative zu gewähren. Damit die Schülerinnen und Schüler innerhalb dieser Handlungsspielräume erfolgreich lernen und dabei ihre Selbstwirksamkeit erfahren können, ist eine vorbereitende Analyse der vorhandenen Lernkompetenzen erforderlich, um dann die fachliche und methodische Entwicklung in der Planung aufzubauen. Das Konzipieren von differenzierenden Lernarrangements mit Lernmaterialien ist der nächste Schritt. Im Unterricht übernehmen die Lehrkräfte die Aufgabe des Beobachtens der individuellen Entwicklung der Lernenden, geben bei Schwierigkeiten Anregungen und stehen allgemein zurückhaltend, abwartend und zugleich helfend den Lernenden gegenüber (vgl. Riedel 2010, s. 217).
2.1.3 Anforderungen an den Raum
Damit handlungsorientierter Unterricht gelingen kann, müssen auch die Räume auf ein Schüler- und handlungsorientiertes Lernen ausgerichtet sein, müssen die Selbständigkeit der Lernenden fördern und ihr Selbstwertgefühl steigern. Von entsprechend angepassten Räumen sind eine Verbesserung des Lern- und Schulklimas und eine Entlastung der Lehrkräfte zu erwarten (vgl. Buddensiek 2001, s. 213-244). Zu einer solchen Anpassung der Räume gehört es beispielsweise, dass das Mobiliar den Schüler und Schülerinnen erlaubt, nicht wie festgezurrt dazusitzen, sondern sich in ihrer Position zu verändern, im Stehen oder Liegen zu lernen und verschiedene Gruppen zu bilden. Das Klassenzimmer sollte auch gegenüber dem übrigen Schulgebäude nicht abgeschlossen sein, sondern eher als Basis für Entdeckungen fungieren. Übergeordnetes Ziel bei der Gestaltung der Raumstruktur ist es, die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen wie Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein zu unterstützen (vgl. Buddensiek 2001, s. 194-199).
Grundlegend zur Schaffung von optimalen Bedingungen an der Schule ist in Berlin die Vorgabe der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Sie entspricht dem Konzept der Handlungsorientierung, denn darin heißt es:
״Schülerinnen und Schüler gestalten Bereiche des Ganztags eigenverantwortlich. Hierbei erhalten sie Unterstützung.“
(Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Februar 2013, s. 18)
Das Prinzip der Handlungsorientierung geht davon aus, dass für die Schülerinnen und Schüler diejenigen Themen relevant sind, die sie in ihrer Umgebung antreffen - so auch die Räume, von denen sie in der Schule umgeben sind. In dem sie sie eigenständig gestalten, kommen sie ins Handeln. Durch Mitbestimmung und die eigene praktische Arbeit machen sie Schule zu einem Ort, mit dem sie sich identifizieren können.
״[Der] Aneignungswunsch und die Gestaltungslust der jungen Generation [sollen] herausfordern und die Chance bieten, mindestens temporar eigene ,Spuren‘ zu hinterlassen. Sonst bleibt ihren Provokateur(inn)en nur die Ritzzeichnung in der Tischbank und die Protestkultur der Graffitisprayer/innen“
(Der GanzTag in NRW 2012, s. 11 )
So sollten es nicht Architektinnen und Architekten sein, nicht die Schuldirektion und nicht die Lehrer und Lehrerinnen, die das Ergebnis der Raumgestaltung bestimmen. Vielmehr begleiten sie die Schüler und Schülerinnen auf ihrem Weg, die Unzulänglichkeiten in der Umgebung zu verändern und aus den Schulzimmern Räume des Lernens und Lebens für sich zu machen.
2.2 Umsetzung im WAT-Unterricht
2.2.1 Rahmenlehrplan des Unterrichtsfachs WAT
Der Grundsatz der Bildung und Erziehung in der Sekundarstufe I des Rahmenlehrplans im Fach Wirtschaft - Arbeit - Technik sieht - wie bei den übrigen Fächern - vor, die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit der Lerner zu fördern. Dabei sollen die bisher erworbenen Lernerfahrungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten so vertieft werden, dass eine Kompetenzentwicklung die erfolgreiche Bewältigung von Herausforderungen im Alltag und im späteren Berufsleben ermöglicht.
Als umfassender Anspruch ist im Rahmenlehrplan formuliert, dass die Schülerinnen und Schüler in demokratischem Handeln in gewaltfreien, loyalen Gemeinschaften eigene Handlungsspielräume erschließen lernen sollen. ״Kenntnisse über wissenschaftliche, technische, rechtliche, politische, soziale, ökonomische und ökologische Entwicklungen“ (Rahmenlehrplan 2012, s. 5) bilden die Grundlage dafür, dass sie ihre Handlungsspielräume nutzen und dabei auch Verantwortung für sich und ihre Mitmenschen übernehmen. Sie befinden sich stetig in Prozessen der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung. Das Lernen erfolgt alleine und in der Gruppe.
Anhand von Standards wird am Ende jeder Doppeljahrgangsstufe der Kompetenzzuwachs für dieses ganzheitliche Lernen verdeutlicht. Dieser Maßstab für das ganzheitliche Lernen ist auch ausschlaggebend für die Unterrichtsgestaltung und bildet den Parameter für das Entwickeln von Konzepten zur individuellen Förderung der Lernenden.
Die inhaltlichen Kompetenzen entwickeln sich in Themenfeldern, deren Inhalte von den jeweiligen Fächern (im vorliegenden Fall also Wirtschaft, Arbeit und Technik) angeboten werden. Dabei wird der Bezug zur Erfahrungswelt der Lernenden im Kontext der aktuellen und der zukünftigen Gesellschaft erörtert, denn vernetztes Denken und Handeln wird als Grundlage für lebenslanges Lernen verstanden. Dies erfordert auch fachübergreifende Kooperationen und entsprechende Absprachen seitens der Lehrkräfte und das Aufgreifen regionaler und schulspezifischer Besonderheiten und Interessenlagen der Lernenden. Die Schulbeteiligten arbeiten dafür zusammen und nutzen Kooperationsangebote externer Partner.
Lernende sollen die Möglichkeit von Verantwortung für und aktiven Gestaltung von Unterricht bekommen. Die neue Lernkultur soll bei ihnen den eigenen Lernweg bewusst werden lassen, dabei sind unterschiedliche Lösungen und das Treffen eigener Entscheidungen nötig, sogar ״Fehler und Umwege werden dabei als bedeutsame Bestandteile von Erfahrungs- und Lernprozessen akzeptiert“ (Rahmenlehrplan 2008, s. 7).
Erfolgreiches Lernen erfordert die Auseinandersetzung mit dem Neuen. Es erfolgt in den verschiedenen Lernphasen der Anwendung, des übens, des Systematisierens und des Vertiefens und Festigens von neuen Informationen.
Unabhängig vom Fach WAT formuliert Paragraf 12, Absatz 2 des Schulgesetzes von Berlin generell zwei Gestaltungsmöglichkeiten für den Unterricht. Zum einen können Unterrichtsfächer zu einem Fach zusammengefasst werden oder mehrere Fächer können fachübergreifend gemeinsam eingeteilt werden (Rahmenlehrplan 2008, S.7).
Eine besondere Unterrichtsform ist das Projekt. Schülerinnen und Schüler können sich ihrem Alter entsprechend an Projekten aktiv beteiligen, in denen über Fächergrenzen hinaus Lernprodukte erstellt werden, bei denen überfachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten ihnen die Lebens- und Arbeitswelt eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben näher gebracht wird.
״Von Schülerinnen und Schülern werden komplexe Produkte bzw. Dienstleistungen kooperativ geplant, gefertigt, bewertet sowie angeboten. Der Prozess des planend-produzierenden Arbeitens wird dokumentiert, über die praktische Umsetzung wird die Verbindung zum reflexiven Umgang mit Innovationen aus Technik und Technologie hergestellt“.
(Wirtschaft - Arbeit -Technik, Berliner Rahmenlehrplan 2015 Teil c, für die Sekundarstufe I, s. 41)
Der Kompetenzerwerb erfolgt nach dem Grundsatz des forschenden, handlungsorientierten und selbstbestimmten Lernens. Um diesen TheoriePraxis-Bezug einlösen zu können, ist ein projektorientierter, fächerverbindender und fachübergreifender Unterricht besonders geeignet. Diese Unterrichtsmethode gewährleistet eine mehrdimensionale Auseinandersetzung mit den Themen des Fachs. Die Auseinandersetzung mit Problemen wird selbstständig, eigenverantwortlich und kritisch, kreativ, kooperativ, situativ adäquat und lösungsorientiert entwickelt (ebd.).
Der Unterricht in WAT findet im Klassenraum und auch in Werkstätten der Schule und an außerschulischen Lernorten statt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Vielfältiger Kompetenzerwerb im Fach Wirtschaft –Arbeit – Technik. Quelle: Rahmenlehrplan 2012, S.11.
Zur fachbezogenen und berufsrelevanten Methodenkompetenz gehören die Bewertung der Realisierbarkeit von Vorhaben, ihre Planung und die Organisation von Arbeitsschritten, was auch das Ausüben von Arbeits- und Auswertungstechniken durch die Schülerinnen und Schüler umfasst (ebd.).
Das erfolgreiche Kommunizieren ist später in beruflichen Zusammenhängen erforderlich. So sind Prozesse kritisch zu reflektieren und eigene Ideen in Projektvorhaben überzeugend zu vertreten. Dabei ist die Verknüpfung von Alltags- und Fachsprache entscheidend (ebd.).
Einen eigenen Kompetenzbereich bildet es, Urteile und Entscheidungen sach- und situationsgerecht zu treffen. Dies betrifft zunächst die praktischen Arbeitsschritte. Sie sind zu verstehen und anzuwenden unter der Einbeziehung von arbeitsweltlichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Überlegungen. Reale Situationen sollen erfasst werden, Interessenkonflikte erörtert und Lösungen und Konsequenzen gilt es abzuwägen (ebd.).
Der Kompetenzbereich Fachwissen lässt sich für das Fach WAT in folgenden zwölf zentralen Aspekten zusammenfassen:
- Arbeitssicherheit und Gesundheit
- Berufs- und Studienorientierung
- Gesellschaftliche Arbeitsteilung
- Flistorische Entwicklung
- Informations- und Kommunikationstechnik
- Ökologie
- Ökonomie
- Produktqestaltunq und Design
- Symbolische Darstellungsformen
- Technikeinsatz
- Verbraucherverhalten
- Waren- und Werkstoffkunde
Die rote Umrandung zeigt, welche fachlichen Inhalte sich mit dem Projekt der Klassenraumgestaltung zur Lernlandschaft verknüpfen lassen.
Als eines der Themenfelder des Fachs WAT benennt der Rahmenlehrplan Bauen und Wohnen (WP6). Dabei entwickeln Schülerinnen und Schüler der Doppeljahrgangsstufen 7/8 sowie 9/10 altersentsprechend Vorstellungen über Wohnperspektiven. Die folgenden ausgesuchten Aspekte sind mögliche Lernziele bei dem Konzept für ein Unterrichtsprojekt ״Umbau des Klassenzimmers zur Lernlandschaft“: Schülerinnen und Schüler können ...
- ... sich über Baustoffe, Materialeigenschaften von Einrichtungsgegenständen und Wohntextilien informieren.
- ... Baupläne und Montageanleitungen und Gebrauchsanweisungen zur Bewältigung planerischer Aufgaben übernehmen.
- ... Wohnformen und Wohnbedürfnisse analysieren.
- ... oder sich über Gesundheitsgefährdung durch Baustoffe und ihre Verarbeitung informieren.
- ... oder ein Modell und CAD-Zeichnungen anfertigen und so zugleich ein verbessertes räumliches Verständnis entwickeln.
- ... oder dem Aspekt von Berufsbildern im Bereich Bauen und Wohnen sowie dem Thema Gender nachgehen.
- ... sich mit dem Wohnen im Wandel der Zeit und mit der regionalen Baugeschichte auseinandersetzen.
- ... die Nachhaltigkeit ökologischen Bauens und Wohnens beachten.
- ... sich mit der Gestaltung eines bedürfnisgerechten Jugendzimmers als eines möglichen Vorbilds beschäftigen (vgl. WAT Rahmenlehrplan, s. 47 Teil C).
Eine thematische Erweiterung des Wahlpflichtfaches ist in der Schulumfeldgestaltung (WP8) möglich. Dabei können Schülerinnen und Schüler ein Vorhaben für ein attraktives Schulumfeld entwickeln, wobei sie fachbezogene und fachübergreifende Fähigkeiten und Fertigkeiten gemeinsam
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
vertiefen. Fast alle fachlichen Inhalte, die der Rahmenlehrplan hier vorschlägt, können in dem Projekt zur Umgestaltung des Klassenraums erlernt werden:
- Planung und Verwirklichung von Vorhaben für ein an den Nachhaltigkeitskriterien orientiertes Umfeld
- Grundlagen aus Innenarchitektur und gestalterischem Handwerk.
- Ressourcen- und Arbeitsablaufplanung
- Material- und Kostenberechnungen
- Beschaffung von Informationen und Ressourcen
- Vielfalt und Verschiedenheit (Diversität) im sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Bereich
- Ansätze und Konzepte zur nachhaltigen Entwicklung
- Unterschiede zwischen erneuerbaren und nicht erneuerbaren Ressourcen und ihre Nutzung
- Arbeitsschutz
- Berufsbilder im Bereich Landschaftsgestaltung, Landwirtschaft, Architektur, gestalterisches Handwerk/Genderaspekte.
Der Bezug zu den sogenannten inhaltlichen Basiskonzepten für den WAT-
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Unterricht ist die Betrachtung ...
... des Systems:
- Wechselwirkungen im Lebensraum Schule sowie im Schulumfeld.
... der Entwicklung:
- historische, regionale und überregionale Zusammenhänge im Lernen, Wohnen und Wirtschaften.
... der Nachhaltigkeit:
- nachhaltige Entwicklung von Lebensräumen.
Möglich ist auch die Integration des Basiskonzepts
- Projekte zur Mitgestaltung der eigenen Schule, z. B. grünes Klassenzimmer, Gestaltung der Mensa.
(vgl. WAT Rahmenlehrplan 2017 Teil c, s. 49).
Die beiden Themenfelder, Bauen und Wohnen und Schulumfeldgestaltung sind die Grundlage für die projektbezogene Umgestaltung des Klassenraums.
2.2.2 Unterrichtsplanung
Die Unterrichtsplanung für den WAT-Unterricht muss wiederum den Prinzipien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
des handlungsorientierten Unterrichts folgen Jank/Meyer (1991, s. 329).
Sie entfalten diese Prinzipien in Form eines Planungsrasters, das für die pädagogische Gestaltung eine hilfreiche Orientierung darstellt.
Der Unterricht in WAT stellt methodisch eine besondere Chance und zugleich Herausforderung dar, denn die Handlungsformen sind hier noch wesentlich vielfältiger als im sonstigen Fachunterricht, weil sie auch das Messen und Anfertigen von Modellen, das Einholen von Kostenschätzungen, das Sägen, Bohren, Schrauben usw. umfassen, die jeweils auch in unterschiedlichen Sozialformen (Einzel-, Partner, Gruppenarbeit) erfolgen können. Zugleich gilt es, diese Tätigkeiten auch jeweils zu reflektieren, damit die Schülerinnen und Schüler auch einen kognitiven Zugang zu diesen Inhalten entwickeln können.
2.3 Die Projektarbeit
In den USA entwickelten William Heard Kilpatrick (1871-1965) und John Dewey (1859-1952) eine Variante des handlungsorientierten Unterrichts, die Projektmethode. Klafki (1970) bezeichnet das Projekt als methodische Großform und ordnet es in die Reihe vom Lehrgang, Jahresplan oder Unterrichtseinheit ein (vgl. auch Meyer 1987, s. 143). Meyer erweitert den Projektbegriff und umschreibt das Projekt als einen Unterricht, in dem Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, bereitwillige Eltern und Experten einen Versuch unternehmen, Leben, Lernen und Arbeiten miteinander zu verbinden, damit ein gesellschaftliches und wesentliches individuelles Bedürfnis und Interesse aufgearbeitet werden kann. Der Prozess ist dabei genauso wichtig wie das Handlungsprodukt (ebd.).
Grundsätzlich ist das Projekt eine sehr gute Form, um das selbstgesteuerte und handlungsorientiertes Lernen zu verwirklichen. Dies unterstreicht auch Frey (1996, s. 58, zitiert nach Riedel 2010, s. 221), indem er einen besonderen Bedarf der Schule an einer Projektmethode begründet. Demnach ist das Projekt geeignet, die individuelle Entfaltung und die gesellschaftliche Entwicklung der Lernenden zu fördern und eine Übernahme an Verantwortung einzuüben, denn es ermöglicht das Erfahrbarmachen von Mitgestaltung im alltäglichen Leben. So benennt Frey weiter, dass die Kluft zwischen der Schulwirklichkeit und dem ״wahren Leben“ im Projekt überwunden werden kann (ebd.). Zudem kann im
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Projekt auf sehr direkte Weise schnell neues Fachwissen erworben und eingeübt werden.
[...]
1 Hugo Gaudig (1860-1923) entwickelt didaktische Methoden wie die Gruppenarbeit und das Projektlernen mit der Auswertung im gemeinsamen Gespräch.
Schlagworte:
lit-2017_buch, Masterarbeit,
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Notiz:
TU Berlin
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ID: 5333 | hinzugefügt von Jürgen an 14:58 - 18.4.2020 |
title: Die Schule Harmonie - Eindrücke einer dreitägigen Hospitation by Rabensteiner, Pia-Maria |
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Titel: | Die Schule Harmonie - Eindrücke einer dreitägigen Hospitation |
Autor: | Rabensteiner, Pia-Maria | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Viktring, in: Freinet-Kooperativ 2 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1998 | | |
url: | |
Text:
Die Schule Harmonie - Eindrücke einer dreitägigen Hospitation
Das Schuljahr 1997/98 begann in dem deutschen Bundesland Nordrhein-Westfahlen bereits Mitte August und somit konnte ich in den Ferien noch die Gelegenheit nützen, diese Schule anzusehen und einige Tage lang zu hospitieren. Der Weg von Klagenfurt nach Eitorf ist zwar nicht der kürzeste - Eitorf liegt in der Nähe von Köln - aber aufgrund der Eindrücke, die ich von dieser Schule mitgenommen habe, war es ein sehr lohnender.
Die Schule
Die achtklassige öffentliche Grundschule ist ebenerdig und so angeordnet, daß jede Klasse die Möglichkeit hat, ins Freie zu kommen. Neben der Schule liegt ein wunderschöner Schulgarten, bei dem jede Klasse ihre eigenen Beete besitzt und individuelles Anpflanzen von Kräutern, Blumen, Gemüse etc. ermöglicht. Ein Gerätehaus aus Holz liegt vor quadratisch angeordneten Holzsitzmöglichkeiten, die sich für Gesprächsrunden anbieten. Im Schulgebäude befindet sich eine Aula, die für Zusammenkünfte zwischen Klassen regelmäßig verwendet wird. Die Druckerei, die von allen Kindern während des Unterrichts besucht werden kann, liegt gegenüber dem Lehrerzimmer. Das Lehrerzimmer, auf den ersten Blick als solches nicht erkennbar, ist sowohl für LehrerInnen als auch für SchülerInnen ein Raum, in dem gearbeitet werden kann. Blitzlicht: Die Tür steht offen, Kinder arbeiteten im Lehrerzimmer an ihren Aufgaben. Eine riesige Tafel, an der eine Unmenge von pädagogischen Themen draufsteht. Experimenteschachteln, die von den Lehrern für die Kinder hergestellt werden.
Die Gänge sind nicht traurig leere Korridore, sondern beherbergen viele Regale, auf denen sowohl Lernmaterialien als auch Experimente, Schülerarbeiten uvm. untergebracht sind. Alle Klassentüren stehen offen (außer eine Klasse hält gerade ein Kreisgespräch ab) und die Kinder nützen den Gang als Arbeitsraum. Während der Pause können sich die Kinder sowohl im Schulgebäude als auch im Freien aufhalten und spielen. Ein eindrucksvolles Erlebnis während der Pause: Durch das offene Fenster im Lehrerzimmer kommt ein Fußball geflogen. Keiner der anwesenden KollegInnen fängt an zu schreien oder zu zetern, sondern eine Kollegin nimmt den Ball und wirft ihn mit dem Kommentar: "Da ist er", wieder zum Fenster hinaus. In dieser Schule spürt man die Wertschätzung gegenüber der Kinder, die Offenheit, "das Leben" wird in die Schule geholt. Das beeindruckendste, das noch lange in mir haften bleiben wird: Innerhalb der drei Tage, an denen ich an dieser Schule hospitiere, sehe ich kein einziges Kind, das mit einem Mitschüler/einer Mitschülerin rauft.
Das Schulleben
Walter Hövel, Leiter der dortigen Schule, ermöglicht es, daß wir nicht nur ihm in seiner Klasse, sondern auch bei allen KollegInnen beim Unterricht zusehen können. Die KollegInnen arbeiten alle unterschiedlich: es gibt den Unterricht nach Stationenbetrieben, nach dem Wochenplan, in Ateliers.
Für die erste Klasse gibt es die ersten 6 Schulwochen mit Einverständnis der Eltern eine Sonderregelung. Ca. die Hälfte der 29 Schulanfänger kommt um 7. 30 Uhr in die Schule. Mit diesen Kindern wird bis 9.30 gearbeitet. Um diese Zeit stößt der zweite Teil der Klasse dazu. Gemeinsam werden zwei Schulstunden verbracht. Um 11. 30 verläßt der erste Teil der Gruppe die Schule, der zweite Teil arbeitet bis 13. 30 Uhr weiter. So können sich die Kinder leichter an die Schule und das Arbeiten in der Schule gewöhnen können. Für den Lehrer ist es einfacher, mit Erstkläßlern den Unterricht in Ateliers von Anfang an zu organisieren. Daß der Lehrer der dortigen Klasse eine "Hilfe" hat, deren Bezahlung noch nicht geregelt ist, ist eine andere Sache.
Kinder der zweiten Klasse übernehmen die Partnerschaft über die Kinder der ersten Klasse. Aus diesem Grund sitzen alle im großen Kreis in der Aula beisammen. Lieder und Spiele werden von der ersten Klasse vorbereitet und aufgeführt, während die zweite Klasse zu einem gemeinsamen Kartoffelessen einlädt. Die Kartoffeln wurden im eigenen Schulgarten geerntet und mit Hilfe von Eltern in Kleingruppen zu Pommes, Pellkartoffeln, Kartoffelpuffern und Kartoffelpüree verarbeitet.
Jeden Montag werden Konferenzen abgehalten, und nachdem ich an diesem Montag in der Schule hospitiere, werde auch ich dazu eingeladen. Von der vorher erwähnten großen Tafel im Lehrerzimmer wird jeden Montag von einer Kollegin oder einem Kollegen ein Thema ausgewählt, in der Konferenz thematisiert und ausdiskutiert. So eine Konferenz miterleben zu können, war Novum. Die Gesprächsdisziplin, das Umgehen miteinander bei so unterschiedlichen Lehrerpersönlichkeiten, die Diskussionsbereitschaft... war beeindruckend. Jeder, der auch an dieser Schule so unterschiedlich arbeitet, kann, darf so sein, wie er ist. Auch über "Schwächen" darf öffentlich geredet und diskutiert werden. Kollegiales Miteinander, Akzeptanz, Respekt, Wertschätzung des Anderen wird auch unter Erwachsenen "gelebt".
Schule Harmonie - ich stellte mir vor, daß dieser Name der Schule absichtlich so gewählt wurde - als Zeichen von Zusammenarbeit, Einklang mit der Natur, Kooperation, Akzeptanz von dem was ist (Kinder sind so wie sie sind und nicht so, wie wir sie haben wollen) und vielem mehr. Die Neugier war groß, das Gesehene beeindruckend, die Eindrücke umwerfend. Diese normale Regelschule trägt keinen dafür speziell ausgewählten Schulnamen. Die Schule Harmonie liegt in einem Stadtteil Eitorfs - dem Stadtteil Harmonie.
Schlagworte:
fr_koop_1-98
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ID: 3032 | hinzugefügt von Jürgen an 17:02 - 20.11.2007 |
title: Die freie Arbeit - Schüler planen ihre Arbeit selbst by Rabensteiner, Pia-Maria Mag. |
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Titel: | Die freie Arbeit - Schüler planen ihre Arbeit selbst |
Autor: | Rabensteiner, Pia-Maria Mag. | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Viktring, in: Freinet-Kooperativ 3 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1998 | | |
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Text:
Die freie Arbeit - Schüler planen ihre Arbeit selbst
Geht man von Freinets Grundeinstellung aus, daß die Kinder sowohl das Recht auf ihren eigenen Lernprozeß, ihre eigene Entwicklung und Individualität als auch das Recht auf ihren eigenen Lernrhythmus haben, erkennt man zwangsläufig, daß der Unterricht auf diese Form abgestimmt werden muß. Freinet setzte bei seiner Unterrichtsarbeit die Schwerpunkte so, daß es keinen Stundenplan im üblichen Sinn gibt, sondern daß die Kinder ihr Lernvorhaben individuell, entweder in Einzelarbeit, Partner- oder Gruppenarbeit bewältigen können.
Zu Wochenbeginn wird in Absprache mit dem Lehrer und den Kindern der gemeinsame und individuelle Arbeitsplan fixiert. Während der Freiarbeitsphase können sich die Kinder die Arbeit, die sie sich für diese Woche vorgenommen haben, erledigen. Alle Arbeiten, die ein Kind in diesem Zeitraum erledigt, werden im Arbeitsplan vermerkt. Am Ende der Woche werden die individuellen Arbeitspläne vom Lehrer kontrolliert. So bestimmt jedes Kind sein Lernpensum und sein eigenes Lerntempo. Der Lehrer hat aufgrund der Arbeitspläne einen Einblick in das Leistungsvermögen der Kinder.
Als Arbeitsmaterialien, die für diese Freiarbeitsphase für die Kinder zur Verfügung stehen, zählen Arbeitskarteien und Arbeitsblätter mit Selbstkontrollmöglichkeit, die Arbeitsbücherei, Nachschlagekarteien, Dokumentensammlungen - eine Fundgrube geographischer, geschichtlicher, biologischer, umweltbezogener Unterlagen, Versuchskarteien, Spiele, Lexika, Bücher, Zeitschriften, Schallplatten, Tonbänder, CD, Material zum Basteln, Werken, die Schuldruckerei und vieles mehr. Praktisch handelt es sich um alle Materialien, die sich in den einzelnen Arbeitsecken befinden sollten.
Freinet lehnte Schulbücher, bei denen alle Kinder in der gleichen Zeit den gleichen Lehrstoff durchnehmen müssen, ab, "weil sie nur zur Langeweile erziehen, ein guter Schüler sie in kürzester Zeit ausgelesen hat und sie ihn dann nicht mehr interessieren" (Jörg, 19892 ,29).
Bei der Form des freien Arbeitens lernen die Kinder nicht nur verantwortungsvoll mit den verschiedenen Materialien umzugehen, sondern ihre Leistung einzuschätzen, sie mit anderen Kindern zu vergleichen, selbständig und selbstverantwortlich Aufgaben zu übernehmen. Das selbstgesteuerte Arbeiten bereitet den Kindern auch Freude. Aggressionen und Frustrationen können dadurch außerdem vermieden werden. Wenn Kinder in der Freiarbeitsphase ihren Aufgaben unterschiedlicher Art nachgehen, diese alleine, mit einem Partner oder in einer Gruppe erledigen, so müssen sie sich auch an bestimmte Ordnungprinzipien halten. Freinet meinte dazu in seinem Werk "Les techniques Freinet de l´école moderne" folgendes: "Wir behaupten..., daß die wahre Disziplin sich nicht von außen, von einer vorgegebenen Regel und auf diese Regel bezogenen Verboten und Bestrafungen herleiten soll. Sie ist vielmehr die natürliche Folge einer geglückten Organisation kooperativer Arbeit und des sich daraus herleitenden Klimas in der Klasse ("clima moral de la classe"). Die Erfahrung hat uns gezeigt, daß wir ein nahezu ideales Arbeitsklima erreichen, wenn bei der Arbeitsorganisation die Gruppenstrukturen der Klasse berücksichtigt werden, wenn die Kinder in ihrer Einzel- oder Gruppenarbeit eine sie interessierende Arbeit verrichten, die sich insgesamt außerdem noch in einen kontinuierlichen Gesamtarbeitszusammenhang einfügt. Unordnungen gibt es nur bei unangemessener Organisation der Arbeit und wenn ein Kind mit einer Arbeit beauftragt wird, die weder seinen Wünschen noch seinen Möglichkeiten entspricht." (Zehrfeld, 22)
Für das Arbeiten in den Freiarbeitsphasen kann ein Plakat erstellt erstellt werden, das die Kinder an den Ordnungsrahmen erinnern soll. Im Klassenrat sollte auch genau besprochen werden, warum diese Richtlinien einzuhalten sind. Innerhalb des Klassenverbandes gehen die Kinder unterschiedlichen Arbeiten nach. Kinder, die einen freien Text verfassen wollen, benötigen dazu Ruhe. Das muß ihnen ermöglicht werden. Arbeiten Kinder miteinander, wird daher aus Rücksicht auf die anderen im "Flüsterton" gesprochen. Die Regel, daß Materialien an den Ort, wo sie entliehen werden, wieder zurückkommen, muß ebenfalls eingehalten werden. Somit findet jedes Kind aus den Bereichen Deutsch, Mathematik, Sachunterricht, Experimentieren, Malen, Kreativitätsförderung uvm. wieder alle Materialien.
Die Freiarbeitsphasen beginne ich damit, daß die Kinder ihre Arbeitspläne aufschlagen und nachsehen, welche Aufgabe bereits erledigt ist und welche noch nicht. Kinder, die ein Material gerade in Arbeit haben, haben das Vorrecht darauf und dürfen dieses als erste nehmen. Diejenigen, die am Vortag ihre selbstgestellte Aufgabe erfüllt haben, überlegen sich, womit sie heute beginnen werden. Es steht den Kindern frei, alleine, mit einem Partner oder in einer Gruppe zu arbeiten. Wird eine Arbeit erledigt, so ist das Material wieder an den ursprünglichen Platz zurückzustellen, die geleistete Arbeit ist im Arbeitsplan zu vermerken.
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Literatur:
Jörg H., So macht Schule Freude. Wolfsburg 1989
Zehrfeld K., Freinet in der Praxis. Basel 1979
C. Freinet., Die moderne französische Schule. Paderborn 1979
Schlagworte:
fr_koop_3
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 3087 | hinzugefügt von Jürgen an 02:17 - 22.11.2007 |
title: Der Umgang mit dem freien Text in der ersten Klasse / by Rabensteiner, Pia-Maria Mag. |
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Titel: | Der Umgang mit dem freien Text in der ersten Klasse / |
Autor: | Rabensteiner, Pia-Maria Mag. | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Viktring, in: Freinet-Kooperativ 4 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1998 | | |
url: | |
Text:
Der Umgang mit dem freien Text in der ersten Klasse /"Lesen durch Schreiben" - Kinder schreiben ihre eigenen Texte mit Hilfe der Anlauttabelle
Zu Beginn dieses Schuljahres stellte ich mir die Fragen, wie ich mit meinen 25 Schulanfängern bei der Erarbeitung der Buchstaben des Alphabets und beim Lesen beginnen sollte. Nach reichlicher Überlegung entschied ich mich für das Arbeiten mit der Anlauttabelle nach C. Reichen. Gerade in einer Freinet-Klasse erschien mir das Erlernen der Buchstaben mit Hilfe der Anlauttabelle am sinnvollsten, da der Lehrgang "Lesen durch Schreiben" am ehestens dem individuellen Lernen der Kinder gerecht wird. Das selbstgesteuerte Lernen steht im Vordergrund - das Niederschreiben der eigenen Wörter, Wortkombinationen, Gedanken, Erlebnisse, in späterer Folge der kleinen Texte und nicht das gemeinsame Erlernen von Buchstaben und das Abschreiben eines Lehrertextes von der Tafel. Mir erschien es auch beim Schreiblernen wichtig, auf den individuellen Entwicklungsstand und die Interessen der Kinder entsprechend einzugehen.
Die Anlauttabelle stellt keine Fibel im traditionellen Sinn dar, sondern ermöglicht es den Kindern, ihre eigenen Wörter von Anfang an selbständig zu schreiben. Es ist natürlich notwendig, zusätzlich zur Arbeit mit der Anlauttabelle Hörübungen durchzuführen, damit die Kinder die einzelnen Laute, die wir in unserer Sprache verwenden, erkennen. Das heißt, Lautierungsübungen beziehen sich auf die gesamte Lautabfolge und dienen nicht nur dazu, den Anlaut oder Endlaut zu erkennnen. Das Ziel dieser Lautierungsübungen war es, dass sich die Kinder bemühen, klar und deutlich zu artikulieren. Die Laute der einzelnen Wörter zu erkennen, zu unterscheiden, zu zerlegen..., das sollten die Kinder lernen. Dies bedeutete für viele Kinder große Schwierigkeiten, da bedingt durch den Kärntner Dialekt die meisten Endungen auf "-er" als reine "a" von den Kindern lautiert wurden. (z. B. Wassa, Mutta, Kinda...)
Die Anlauttabelle in ihrer Hufeisenform ist nicht vollständig und nicht nach einem bestimmten Muster aufgebaut. Die Bilddarstellungen für "St, Sp, C, X" fehlen, können bzw. sollen vom Lehrer/von der Lehrerin mit den Kindern gemeinsam in die Tabelle integriert werden.
Wie und wann wurde mit der Anlauttabelle begonnen?
Bereits in der ersten Schulwoche erhielt jedes Kind eine Anlauttabelle, wobei die Bilder von den Kindern nach und nach ausgemalt wurden. Wichtig war mir, dass die Kinder bei allen Bilddarstellungen die entsprechenden Bedeutungen wussten bzw. richtig erlernten ( "R" wie Rad, "S" wie Sonne, "K" wie Krokodil... Bei den täglichen Übungen oder Spielen mit der Anlauttabelle legte ich ebenso Wert darauf, dass auch bei jeder gesuchten Bilddarstellung der Anlaut laut artikuliert wurde. Zuerst wurden Wörter gemeinsam gesucht, lautiert und verschriftlicht. Die Kinder wollten aber neben den Wörtern Mama und Papa Wörter wie Schmetterling, Käfig, Wellensittich... schreiben. So dauerte es nicht lange, bis die Kinder selbst das Bedürfnis hatten, mit Hilfe der Anlauttabelle ihre eigenen Worte zu kreieren und niederzuschreiben. Viele Kinder liebten es, sich auf "Wörtersuche" zu begeben, manche hielten sich dabei eher zurück. Die Kinder arbeiteten alleine oder konnten auch in Partnerarbeit am Computer ihre "Texte" schreiben.
Das Schreiben eines Wortes erfolgte so:
z. B. das Wort Elefant:
Das Wort "Elefant" wurde zuerst deutlich artikuliert.
Das Suchen auf der Anlauttabelle begann - (E wie Esel).
Das "E" wurde aufgeschrieben.
Das Wort "Elefant" wurde wieder deutlich ausgesprochen. So sollten die Kinder erkennen, dass nach dem "E" das "L" zu suchen und zu verschriftlichen ist. D. h. die neuerliche Suche auf der Anlauttabelle begann.
"L" wie Lampe wurde aufgeschrieben.
In gleicher Weise wurden alle weiteren Buchstaben deutlich ausgesprochen, auf der Anlauttabelle gesucht und niedergeschrieben.
Die Kinder fanden sich bei der Handhabung der Anlauttabelle sehr schnell zurecht. Es war jedoch ganz klar, dass Kinder aufgrund der undeutlichen Aussprache oder durch Überhören eines Lautes diesen hin und wieder ausließen und Klein- und Großbuchstaben gemischt im Wort verwendeten. Das wichtigste war aber, dass sie sich mit Hilfe der Buchstaben verständigen konnten. Die Kinder konnten die Wörter, die sie schreiben wollten, lautieren und mit Hilfe der Anlauttabelle aufs Papier bringen. Durch das genaue Vorsprechen der Wörter erkannten die Kinder auch Dehnungen und Verdoppelungen recht schnell. (Leider gibt es aber auch immer diese Ausnahmen!) Ganz zu Beginn konnten die Kinder schreiben, aber ihre selbst verfassten Texte nicht lesen. Ich hörte sehr oft die Frage: "Habe ich das Wort jetzt schon fertig geschrieben?" Erst im Laufe der Zeit erfolgte durch das selbstgesteuerte Schreiben das selbstgesteuerte Lesen.
Es gab nämlich von Anfang an keine gemeinsam abgehaltenen Leseeinheiten oder Leseübungen. Vor allem gab es kein lautes Vorlesen vor all den MitschülerInnen. Die Kinder konnten Lesetexte aus der Klassenbibliothek, aus gedruckten Kindertexten, aus den vielen Lernmaterialien, Karteikarten uvm. aussuchen und für sich selbst lesen. Mit der Zeit kamen sie zu mir und wollten mir auch Texte vorlesen. Wer wollte, konnte jedoch seinen eigenen Text der Klasse im Abschlusskreis vortragen. Für mich persönlich war es ein unbeschreibliches Gefühl, als mir ein Kind im November einen Sachtext ohne Schwierigkeiten vorlas. Ein anderes Kind arbeitete mit dem Atlas und las mir verschiedene Städte und Staaten vor. Das Lesen geschah einfach nebenbei. Die Kinder konnten es. Das war für mich sehr faszinierend.
Die Kinder merkten schnell, dass man sich mit Hilfe eines geschriebenen Textes verständigen kann, und so richtete ich sowohl für jedes Kind in der Klasse als auch für mich einen "Postkasten" ein. So konnten sich die Kinder gegenseitig Briefe schreiben, diese lesen und dem Schreiber wieder antworten. Die Briefe erhielten immer den Namen des Absenders und des Adressanten und wurden in das gewünschte Fach gegeben. Die Kinder lernten die Namen ihrer MitschülerInnen zu lesen und zu schreiben und mussten das Briefgeheimnis wahren. Diese "Briefe" waren liebevoll gestaltete Zeichnungen und einfache Wörter, die die Kinder mit Hilfe der Anlauttabelle aufschrieben. Im Klassenrat wurde darüber diskutiert, wie auf erhaltene Post reagiert werden sollte - man antwortet. Das Klassenamt "Postbote" wurde installiert, der die Aufgabe hatte, die Post auszuteilen.
Es entstanden mit der Zeit nicht nur einzelne Wörter, sondern die Kinder verfassten ihre eigenen kleinen Texte - ihre ersten kleinen Sätze. Diese Texte wurden entweder am Computer verfasst oder mit Hilfe der Druckerei immer von jeweils zwei Kindern für alle in der Klasse gedruckt. Diese Texte wurden ebenso, wie die während der Freiarbeit entstandenen kleinen Büchlein, im Abschlusskreis den MitschülerInnen präsentiert.
Im Laufe der Zeit benötigten viele Kinder die Hilfe der Anlauttabelle für das Schreiben nicht mehr. Von einigen Kindern, die sich zu sicher waren, im Text jedoch immer wieder Laute aufzuschreiben vergaßen, musste die Anlauttabelle wieder zur Hand genommen werden.
Vor Weihnachten begannen wir mit den "Regenbogenkindern" (VS Zechnerschule - 2. Schulstufe aus Wien) zu korrespondieren. Jedes Kind aus der Klasse hat einen Briefpartner/eine Briefpartnerin in Wien. Unserer weiteren Korrespondenzklasse , den "lila Karmuffeln" (1. Schulstufe aus Eitorf in Deutschland), sandten wir individuell erstellte Texte. Nachdem die Kinder aber immer mehr freie Texte verfassten und mit Hilfe der Klappdruckpresse druckten, fingen wir an, die Texte auf unsere Postkarten zu drucken und an mehrere Klassen zu verschicken.
Nun senden die Kinder ihre Texte auch an die "Sternschnuppenkindern auf dem Regenbogen" (Volksschule Kirchberg in Oberösterreich) , an die Kinder der Ganztagesvolksschule II in Wien, an Kinder der 1. Klasse der VS Silbertal in Vorarlberg, an die "Bärenkindern" aus Köln (1. - 4. Schulstufe) und an Kinder einer weiteren 2. Schulstufe in Deutschland (Grundschule Ruppichterroth)
So beginnt sich die Spirale zu drehen. Texte schreiben, drucken, den Kindern der Klasse präsentieren, an die Korrespondenzklassen versenden, auf Post warten, Post erhalten, lesen, einen neuen Text schreiben... Motiviert gehen die Kinder ans Texteverfassen und schreiben ihre eigenen Ideen, Erlebnisse, Phantastereien uvm. auf.
Wie wird korrigiert?
Bei den Korrekturen halte und hielt ich mich sehr zurück. Ich griff nie in einen Kindertext ein, sondern schrieb zu Hause am Computer die Wörter richtig nieder und klebte das nun richtig Geschriebene in das Texteheft unter den jeweiligen Kindertext. Die von mir korrigierten Kindertexte kamen in ausgedruckter Form in den Ordner "Lesetexte" und in den Ordner "Laufdiktate". Beide Ordner standen in der Freiarbeit für alle Kinder zur Verfügung.
Zu Beginn des 2. Semesters wurden die individuellen "Lernwörter" (vom Kind falsch geschriebene, von mir korrigierte und ins Lernwörterheft des jeweiligen Kindes eingetragene Wörter) vom "Lernwörterheft" auf kleine Kärtchen übertragen. Diese individuellen Lernwörter konnten (oder waren zeitweise auch im Pflichtprogramm enthalten) während der freien Arbeitsphase mit Hilfe der 5-Fächer-Lernkartei, die jedes Kind besitzt, geübt werden.
Nachdem die Kinder ungefähr zu Weihnachten alle Buchstaben beherrschten, erhielten sie zu Beginn des 2. Semesters die Aufgabe, in der Freiarbeit die einzelnen Buchstaben des ABC individuell zu bearbeiten.
Elternarbeit.
Bei einem Elternabend erhielten die Eltern eine Anlauttabelle. Sie erhielten aber nicht die, mit denen die Kinder arbeiteten, sondern eine, bei der anstelle der Buchstaben Hieroglyphen eingesetzt waren. Die Eltern sollten sich damit gegenseitig ein paar Wörter aufschreiben. So erlebten die Eltern die Schwierigkeiten des Buchstaben(er)lernens und erkannten, worum es bei dem Lehrgang "Lesen durch Schreiben" ging: Die zuerst nur abgemalten Buchstaben werden zu einem Wort kodiert, beim Lesen oder Entziffern dekodiert. Die Eltern erkannten auch, dass es nicht sehr einfach ist, sich die Fülle der vielen neuen Hieroglyphen bzw. Buchstaben zu merken. Aus diesem Grund wurde die Anlauttabelle ganz bewusst lange nicht mit nach Hause gegeben. Die Eltern sollten nämlich nicht auf die Idee kommen, mit ihren Sprösslingen alle Buchstaben zu lernen. Gerade hier zeigte sich, wie wichtig die Elterninformation war. Den Eltern musste die Angst vor dem individuellen Erarbeiten der Buchstaben genommen werden. Dadurch, dass der Vergleich mit anderen KollegInnen bzw. anderen Kinderheften nicht gegeben war, waren sie nur auf die eigenen Beobachtungen der Lernfortschritte und die Gespräche mit mir über den individuellen Lernzuwachs und Leistungsstand angewiesen.
Resümee: Die Kinder schreiben Texte noch immer gerne.
Die Kinder können alle Wörter ihres Sprachschatzes sicherlich noch nicht richtig schreiben. Aber welches Kind in der 1. (2., 3., 4., 5....) Klasse kann das? Dies erfolgt nur durch Übung und viel schreiben. Dafür und für die Rechtschreibübungen ist noch Zeit genug.
Durch das weitgehend individuelle Erlernen der Buchstaben ist bei fast allen Kindern die Lust am Schreiben eines Textes noch immer vorhanden. Alleine das Herstellen der klasseneigenen Schülerzeitungen, das Veröffentlichen der Texte in der "Neuen Tapete" (vgl. Freinet-Kooperativ 1/97, S. 34), der rege Austausch von Kindertexten mit verschiedenen Klassen, das Vorlesen der eigenen Texte oder das Zuhören im Abschlusskreis motiviert meine Kinder immer wieder, ihre eigenen Idee aufs Papier zu bringen und niederzuschreiben. Sie haben so viel Phantasie und Einfallsreichtum - das sollen sie sich noch sehr lange behalten.
Falls du/Sie mehr Informationen zum Arbeiten mit der Anlauttabelle haben willst/wollen, stehe ich gerne für Auskünfte zur Verfügung.
Literatur:
Reichen J., Lesen durch Schreiben, Heft 1 - 8, Sabe-Verlag, Zürich 1988.
Fragen und Versuche - Nr. 56, 57, 60, 62, 67, 67
M. Merz., Lernen - ein Puzzlespiel Linz 1996
Freinet-Kooperativ 1/1997
Mag. Rabensteiner Pia-Maria
Schlagworte:
fr_koop_4
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ID: 3090 | hinzugefügt von Jürgen an 02:29 - 22.11.2007 |
title: Freinet-Pädagogik auch an der österr. Sonderschule? by Radner, Andreas |
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Titel: | Freinet-Pädagogik auch an der österr. Sonderschule? |
Autor: | Radner, Andreas | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Linz | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | 1982 | | |
url: | |
Text:
Freinet-Pädagogik auch an der österr. Sonderschule? (Praktische Übungsvorschläge zum Deutschunterricht der ASO - Unter- und Mittelstufe
Schlagworte:
Examensarbeit_Sonderschulpädagogik
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ID: 1189 | hinzugefügt von Hagstedt an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Sternenkinder meet Kamuffel. Zu Gast in einer Freinetklasse in Kärnten by Resch, Uschi und Walter Hövel |
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Titel: | Sternenkinder meet Kamuffel. Zu Gast in einer Freinetklasse in Kärnten |
Autor: | Resch, Uschi und Walter Hövel | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Viktring, in: Freinet-Kooperativ 5 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1998 | | |
url: | |
Text:
Sternenkinder meet Kamuffel
Zu Gast in einer Freinetklasse in Kärnten
Wer benimmt sich schlecht,
wenn er sich gut fühlt?
Mauricio Wild
6.30 Uhr, mitten in unseren Ferien, werden wir geweckt. Eine Stunde später nähern wir uns der Eingangspforte einer Kärntner Schule. Warum müssen so viele Schulen auf der Welt sich so ähnlich sehen, diese etwas beklemmende Atmosphäre eines Einlasses zu einer Fabrik haben? Alle strömen auf diese Öffnung zu, um hinter Mauern im Innern einer Produktionsstätte zu verschwinden. Selbst die Lehrerinnen, die in einem etwas schnelleren Tempo an uns vorbei die Stiegen hoch eilen, sind sofort als solche identifizierbar. Seit unseren Kindertagen werden wir wohl dieses beklemmende Gefühl des "Beobachtetwordensein" nicht mehr los,
Wir treten in ein aufgeräumtes sauberes Haus ein, gehen einen Gang entlang, der breiter und heller ist als vergleichbare in Deutschland. Gegenüber der Klasse, in der wir hospitieren werden, sehen wir etwas Überraschendes: Käfige. Käfige für Jacken und anderes Gewand. Wozu gibt’s die, wenn sie nicht verschlossen werden? Bei der Raumknappheit, die in deutschen Schulen herrscht, hätten wir hier innen schon lange Arbeitsecken und kleine Gruppenräume eingerichtet.
Wir schauen in einen typischen Freinetgrundschulraum: das Lehrerpult ist, wohl mehr als Ablage dienend, zweckentfremdet gegen die Wand geschoben, Gruppentische und der freien Raum für den Kreis, Regale mit verschiedenen Materialien und einer bereits stattlichen Klassenbücherei, eine Wäscheleine mit Bildern und Blättern, eine Tischreihe entlang der Wand mit Druckerei, Blumen auf den Fensterbänken, das Korrespondenzbrett mit vielen Briefen und Kinderlyrikpostkarten, eine Wandzeitung, Plakate mit Projektdokumentationen und ein Tisch mit Karteien...
Innerhalb der nächsten viertel Stunde füllen die ankommenden Erstklassler den Raum, auch dies in einer Manier, die typisch ist für Freinetklassen. Sie reden miteinander, zeigen einander Dinge, andere fangen an zu arbeiten,... Auffallend ist die Ruhe und Gelassenheit, mit der die Kinder ankommen. Im Vergleich zu deutschen Schulklassen fällt uns immer wieder auf, dass die Kinder in österreichischen Freinetklassen weniger Aggression und Unausgeglichenheit aus ihrer gesellschaftlichen und familiären Umgebung mitzubringen scheinen.
Pia-Maria Rabensteiner, die Lehrerin, muss nicht um Ruhe bitten, als sich die Kinder in den Kreis setzten sollen. Sie sagt´s in einem normalen Tonfall und dezenter Lautstärke, und die Kids nehmen ihre Stühle und kommen in den Kreis.
Die Kinder sind das Hospitieren gewöhnt. Wir, zwei Erwachsene und zwei Buben, Erstklässler aus Deutschland, werden weder als störende noch als lästige Gäste behandelt. Wir werden als ein Stück Leben, das in die Schule gelangte, gesehen, und im Nu ist das Leben Ausgangspunkt des Lernens.
Dies ist einer der originärsten Gedanken der Freinetpädagogik, nicht Schulbücher, didaktisch durchwirkte Materialien oder der Lehrvortrag mit präpariertem Lernstoff stehen an erster Stelle des Unterrichts, sondern die Menschen und die Welt selbst. Alle "zufälligen" Ereignisse des Lebens, die in die Klasse gelangen, werden "systematisch" in den Mittelpunkt des Lernens und Lebens gerückt.
So ist schnell heraus gefunden, dass die beiden Jungs aus Deutschland, Max und Severin, Kinder aus einer der Korrespondenzklassen der Sternenkinder sind. Daraus entwickelt sich schnell der Unterrichtsgegenstand, der von Erwachsenen nur schwerlich planbar gewesen wäre. Eine Freinetklasse im ersten Schuljahr findet ihn ganz natürlich "ohne nachzudenken". Die alles entscheidende Frage an Max und Severin, Kinder der lila Kamuffelklasse aus Eitorf in Deutschland, ist die Frage eines Sternenkindes, die sie seit Beginn der Korrespondenz zu plagen scheint: "Was sind lila Kamuffel?"
An dieser Stelle lohnt es sich, um den weiteren Fortgang des Unterrichts zu beschreiben, noch einmal die Arbeit im bzw. des Kreises zu beschreiben: Pia-Maria hatte ihre Sternenkinder in den Kreis gerufen und dann ausgezählt, wer den Kreis leitet.
Esther übernimmt ab sofort die Worterteilung und beginnt mit den Worten: "Ich begrüße euch im Morgenkreis." Noch einmal erklärt sie allen die "Aufzeigregel". Ein Kind fragt in den Raum: "Und wer sorgt für Stilligkeit?" Erst denkt Walter, dass es sich wieder einmal um ein österreichisches Wort ala "sekieren", "Häferl" oder "schirch" handelt. Vorsichtshalber fragt er aber leise nach. Es ist keines, sondern eine individuelle Wortschöpfung des Kindes. Niemand verbessert es, weder Lehrerin noch Mitschüler. Benni holt es aber wieder runter aus den Höhen der sprachlichen Kreativität und spricht erklärend in den Kreis: "Wenn jemand quatscht, geh´i hin und sog, seid´s leise."
Die Kinder beginnen damit, ihre Korrespondenzklassen aufzuzählen, die Regenbogenkinder aus Wien, die Sternschnuppenkinder auf dem Regenbogen aus Oberösterreich, die schnellen, blauen Delfine aus Ruppichteroth, die Bären aus Köln, die Klasse der Schule in Silbertal, die Ganztagesvolksschule II in Wien und die Lila Kamuffel aus Eitorf. "Das sind doch die, die seit Wochen nicht mehr geantwortet haben", bemerkt ein Kind, und Max und Severin schauen etwas peinlich, aber nicht lange, denn nun sind sie dran. "Ich bin ein Lila Kamuffel", stellen sie sich vor. Und bald erzählen sie, wie ihre Klasse den Namen gefunden hat, dass ein Teil der Decke lila gestrichen ist, dass es viele verschiedene Vorschläge gab.... Alle steigen ein, erzählen, wie die Sternenkinder den Namen fanden, dass die Jungs - zum Glück in der Minderheit - einen Namen mit "Monstern" wollten, im Endeffekt es aber so viele verschiedenen Vorschläge wie Kinder in der Klasse gab...
Und dann kam die Frage: "Was sind Lila Kamuffel?" Und Severin antwortet: "Ich kann euch eines malen." Viele verschiedene Bitten stürmen auf ihn ein: "Ja, an die Tafel:" "Ja, zeig es mir!"... Aber Severin, ebenfalls ein erfahrenes "Freinetkind" sagt: "Nein, nachher, nach dem Kreis, für alle, die wollen."
14 Kinder hockten am Boden und malen lila Kamuffeln. Dabei reden sie miteinander, kommentieren ihre Werke, erfinden Kamuffelgeschichten, bis der Vorschlag kommt: "Man kann den Kamuffeln auch Namen geben", und schon werden die Bögen vollgeschrieben mit den Namen. Faszinierend dabei ist, mit welcher Selbstverständlichkeit und Ruhe die Kinder das tun. Max und Severin gehören einfach dazu, und niemand würde merken, dass diese beiden Kinder nicht in diese Klasse gehen, sondern aus Deutschland zu Besuch sind.
Die anderen Kinder sitzen an ihren Tischen, einige rechnen, drei schreiben freie Texte, zwei schneiden nach einer Vorlage aus einem Buch Frösche aus, einer isst seine Jause, alle arbeiten in Ruhe, konzentriert, alleine zu zweit oder in größeren Gruppen.
Als um zehn nach neun das letzte Kamuffel gemalt, beschrieben und besprochen ist, geht die Arbeit nahtlos weiter: am Computer, an der Druckerei, mit der Englischlehrerin Myra.
Der bleibende Eindruck an diesem Besuch ist die Atmosphäre, die in der Klasse herrscht. Das scheinbar selbstverständliche Funktionieren einer solchen Freinet-Klasse. Je mehr dieser Klassen du siehst, um so mehr Verschiedenes und Gleiches siehst du. Egal in welches Land du kommst, findest du Freinet-Pädagogen, die mit Kindern so in der Klasse arbeiten.
Das immer neue gleiche Erlebnis ist das Selbstbewusstsein, die Natürlichkeit und die Selbständigkeit der Kinder in dieser Atmosphäre des Arbeitsortes ohne Zwang und der Zusammenarbeit aller in großer Zufriedenheit.
Dass dies alles so funktioniert liegt an den Lehrern und Lehrerinnen, die Freinet-Pädagogik leben. Denn es ist vor allem die Einstellung dieser, die das Lernen der Kinder auf diese Weise fördern, wo Kinder nicht im Unterricht Lehrstoff als Instantfutter mit Motivationsaroma gefüttert bekommen, sondern so die eigenen Bedürfnisse und trotz "Schule" zum Mittelpunkt eines Lern-Lebens in der Schule werden.
von Uschi Resch und Walter Hövel/Deuschland
Schlagworte:
fr_koop_5
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ID: 3096 | hinzugefügt von Jürgen an 02:49 - 22.11.2007 |
title: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“ Demokratie lernen in der Grundschule by Resch, Uschi; Hövel, Walter |
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Text:
Demokratie ist ein Synonym für verschiedenste Auffassung geworden. Schon zwei beliebig ausgesuchte allgemeine Definitionen beschreiben Verschiedenes: Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache definiert sie als „Regierungsform mit dem Volk in allgemeinen Wahlen bestimmter Regierung“, der große Duden (Fremdwörterlexikon) als „Volksherrschaft; Regierungssystem, in dem im Gegensatz zur Diktatur der Wille des Volkes ausschlaggebend ist“, und „demokratisch als den Grundsätzen der Demokratie entsprechend“.
So wie in der Pädagogik der Begriff der Struktur (wenn auch hier und da als Modebegriff strapaziert) als Strukturdebatte seit vielen Jahren präsent ist, taucht hier immer wieder der Begriff „demokratische Strukturen“ auf (wenn auch hier und da die Strukturen nur zu „demokratischen Strukturen“ demokratisiert werden). Die gleichzeitige Sicht auf Schule und Demokratie sind in der Bundesrepublik Deutschland in der öffentlichen Diskussion vernachlässigt, in der täglichen Arbeit der Schulen, der erziehungswissenschaftlichen Forschung und Publikation und den pädagogischen Kongressen und Diskussionen präsent.
Eigene Erfahrungen mit Demokratie und Schule
Aus unserer eigenen Schulzeit können wir uns eher daran erinnern, dass Demokratie im Klassenraum eine seltene Ausnahme als Unterrichts- und Verkehrsform in Randbereichen war, initiiert durch außergewöhnlich engagierte Pädagogen, vielleicht im Geschichts- Politik- oder Religionsunterricht, mal als Podiumsdiskussion mit geladenen Experten, mal als „offene“ Diskussion im Klassenraum mit dem „mit Thesen zur Pro- und Contra-Diskussion provozierendem Lehrern.
Schlagworte:
summary:
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ID: 5580 | hinzugefügt von Jürgen an 06:44 - 3.7.2021 |
title: Zu den Hintergründen meines Rücktritts aus der Jury des Deutschen Schulpreises by Riegel, Enja |
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Titel: | Zu den Hintergründen meines Rücktritts aus der Jury des Deutschen Schulpreises |
Autor: | Riegel, Enja | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Bremen, Fragen und Versuche 135, S. 67 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.3.2011 | | |
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Text:
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Schlagworte:
lit_2011-art, fuv 135,
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ID: 3672 | hinzugefügt von Jürgen an 22:16 - 27.7.2011 |
title: Merkmale des Projektunterrichts by Ritschl, Stefan |
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Text:
Die Begriffe “Projekt” und “Projektmethode” sind eng verknüpft mit der pädagogischen Reformbewegung. Mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen ging es amerikanischen und deutschen Reformpädagogen darum, Unterricht so zu gestalten, dass Lernen in bzw. an realen Handlungsabläufen möglich ist. Der Vorteil der Projektmethode wird darin gesehen, dass die Motivation der Schülerinnen und Schüler groß ist, da sowohl Sinn als auch Gebrauchswert des Gelernten sich unmittelbar erfahren lassen.
In den USA entwickelten zu Beginn des 20. Jahrhunderts John Dewey und William H. Kilpatrick eine Theorie des Projektunterrichts und erprobten ihn an der “Laboratory-School” in Chicago. In Deutschland fanden sich ähnliche Ideen bei den Vertretern der Arbeitsschulbewegung, wie z.B. bei Adolf Reichwein oder auch Peter Peterson, der einige dieser Gedanken aufgriff und sie in seinen “Jena-Plan” einarbeitete.
Auch Celestin Freinet war von diesen Ideen beeindruckt und er forderte die Selbsttätigkeit des Kindes im Unterricht und Schulleben.Freinet nutzte beispielsweise die Technik des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, um die Kinder in die Kultur der schrifrsprachlichen Kommunikation einzuführen. In seiner “Schreibwerkstatt” sind die Schüler Autor, Setzer, Drucker und Buchbinder in einer Person.
An den staatlich verwalteten Schulen fand die Projektmethode allerdings wenig Anklang und konnte sich demzufolge auch nicht durchsetzen. Erst die bildungspolitische Diskussion nach 1968 brachte Bewegung in das erstarrte System. Begriffe wie “Emanzipation”, “Chancengleichheit” oder “innere Demokratisierung” bestimmten den fachlichen und öffentlichen Diskurs und führten in Folge, z. B. zum Aufbau von Gesamtschulen, zur “Wiederbelebung” von Freinet- und Montessori-Schulen oder Schulprojekten wie die Schulfarm Scharfenberg in Berlin. Die Infragestellung der gängigen Unterrichtsverfahren rückte die Projektmethode wieder ins Blickfeld. Seit dieser Zeit bemühen sich Wissenschaftler und Autoren (Bastian, Frey, Hänsel, u.a.) darum, die Idee und den historischen Kontext des Projektbegriffs einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Die Projektmethode ist das geeignete “Instrument” um Kindern komplexe Sachverhalte verstehbar zu machen und Einsicht in Strukturen und Modelle für Problemlösungen
aufzubauen. Durch sinnliche Erfahrung und handelnde Auseinandersetzung sollen Kinder und Jugendliche zu aktivem Forschen und planvollem gemeinsamen Arbeiten angregt werden.
Kinder bringen schon viele Voraussetzungen für Projektarbeit bei Schuleintritt mit: sie wollen lernen, forschen, entdecken, Spaß haben, gemeinsam arbeiten, ausprobieren, sich gegenseitig helfen. Sie übernehmen Verantwortung, wenn Klassen- und Schulklima es zulassen. Die Grundfertigkeiten für Projektarbeit lernen sie, indem sie diese anwenden – Material sammeln, ordnen und auswählen, Umgang mit Büchern, Plakate stempeln oder andere Arbeitsvorgänge. Kreativität und eigenverantwortliches Handeln können geübt werden und sind nicht notwendige Voraussetzung für die Teilnahme am Unterricht.
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ID: 3258 | hinzugefügt von Jürgen an 04:36 - 15.7.2009 |
title: Wer weiß, wie der Geist heißt. Kinder schreiben zu einem Gedicht von Georg Bydlinski by Ritter, Alexandra; Ritter, Michael |
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Titel: | Wer weiß, wie der Geist heißt. Kinder schreiben zu einem Gedicht von Georg Bydlinski |
Autor: | Ritter, Alexandra; Ritter, Michael | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Seelze, in: Praxis Deutsch, Heft 209, S. 18-20 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.2008 | | |
url: | |
Text:
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Schlagworte:
lit_2008-art
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ID: 4334 | hinzugefügt von Jürgen an 04:27 - 17.7.2012 |
title: Schreibwege. Geeignete Schreibspielräume als Rahmen für die Inszenierung produktiver und kindgemäßer Schreibprozesse im Deutschunterricht der Grundschule by Ritter, Michael; Kohl, Eva Maria |
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Titel: | Schreibwege. Geeignete Schreibspielräume als Rahmen für die Inszenierung produktiver und kindgemäßer Schreibprozesse im Deutschunterricht der Grundschule |
Autor: | Ritter, Michael; Kohl, Eva Maria | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Halle, In: Kultusministerium Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Kompetenzorientierte Aufgabenkultur im Deutschunterricht der Grundschule, S. 33-42 | Quellentyp: | Sammelband |
veröffentlicht am: | DD.MM.2008 | | |
url: | |
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Schlagworte:
lit_2008-buch
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ID: 4333 | hinzugefügt von Jürgen an 04:23 - 17.7.2012 |
title: Hochdeutsch fördern, Muttersprache verbieten? by Ruedin, Etienne |
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Titel: | Hochdeutsch fördern, Muttersprache verbieten? |
Autor: | Ruedin, Etienne | Sprache: | deutsch |
Quelle: | in: Bindestrich, Heft 56, p. 23-24 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | 10.10.2006 | | |
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Text:
Hochdeutsch fördern, Muttersprache verbieten? Reaktion auf einen Artikel der NZZ
Schlagworte:
Bindestrich-56, lit_2006-art
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ID: 2903 | hinzugefügt von Peter an 16:08 - 24.10.2006 |
title: Dictionnaire du GSÉM allemand-français • FGS-Wörterbuch deutsch-französisch by Ruedin, Etienne und Sylviane Amiet |
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Titel: | Dictionnaire du GSÉM allemand-français • FGS-Wörterbuch deutsch-französisch |
Autor: | Ruedin, Etienne und Sylviane Amiet | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Schweiz | Quellentyp: | Internetveröffentlichung |
veröffentlicht am: | DD.MM.2006 | | |
url: | http://www.lulu.com/content/448948 |
Text:
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Schlagworte:
lit_2006-mono, Wörterbuch, Dictionnaire
summary:
Fachwörterbuch deutsch-französisch mit Fachwortschatz zur Freinetpädagogik im allgemeinen und zur Freinetbewegung in der Schweiz im speziellen
Dictionnaire de vocabulaire spécialisé allemand-français sur la pédagogie Freinet en générale et le mouvement de l'École Moderne en Suisse en particulier.
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ID: 3037 | hinzugefügt von Jürgen an 18:14 - 20.11.2007 |
title: Freinet-Pädagogik by Rückert, Marita |
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Titel: | Freinet-Pädagogik |
Autor: | Rückert, Marita | Sprache: | deutsch |
Quelle: | o.O. | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | 1981 | | |
url: | |
Text:
Freinet-Pädagogik - eine Konzeption für die Deutsche Regelschule?
Schlagworte:
Examensarbeit_Sekundarstufenpädagogik
summary:
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ID: 1212 | hinzugefügt von Hagstedt an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Unterricht fre(i)netisch by Schardt, M |
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Titel: | Unterricht fre(i)netisch |
Autor: | Schardt, M | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Meckenheim, In Verband Deutscher Sonderschulen (Hrsg.) S. 27-51 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1990 | | |
url: | |
Text:
Unterricht fre(i)netisch - 2 Wochen aus dem Schulleben. In Verband Deutscher Sonderschulen (Hrsg.), Aufbruch zum Umbruch. Die Schule für Lernbehinderte auf neuen Wegen
Schlagworte:
kein Summary verfügbar
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ID: 2574 | hinzugefügt von Jürgen an 01:50 - 26.9.2005 |
title: Handbuch der Vereine der Reformpädagogik by Schierer, Ingrid |
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Text:
Auszug:
Das Handbuch der Vereine der Refompädagogikist der Band 13 aus der Reihe Pädagogik der Bibliotheca Academia. Es ist 24,5 cm hoch, 17,5 cm breit und 5,6 cm dick, es hat 712 Seiten und wiegt 1525 Gramm.
Dieses Handbuch hat’s in sich:
Rund 100 Autoren und Autorinnen stellen in 70 Beiträgen 150 überregional arbeitende deutsch-sprachige Vereine, Institutionen und Gesellschaften der schulischen und außerschulischen (Reform)Pädagogik in Liechtenstein, Österreich, in der Schweiz, Südtirol und Deutschland vor. Es ist der erste umfassende Versuch einer Sammlung und Systematisierung des refompädagogischen Vereinsgeschehens im deutschsprachigen Raum
Schlagworte:
Elise-h16,lit_2019-art
summary:
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keine Notizen verfügbar
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ID: 5495 | hinzugefügt von Jürgen an 01:23 - 12.6.2021 |
title: Zur Biographie Célestin Freinet by Schlemminger, Gérald |
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Text:
Zur Biographie Célestin Freinet und zur Entwicklung der Grundzüge und Prinzipien seiner Pädagogik
In : Inge Hansen-Schaberg und Bruno Schonig (Hrsg.): Freinet-Pädagogik.
Reformpädagogische Schulkonzepte, Bd. 5.
<ol>
<li> Hinführung zur Freinet-Pädagogik
<li> Célestin Freinet: ein pädagogischer Eklektiker
<li> Pädagogik und Politik bei Célestin Freinet
<li> Einige Arbeitschwerpunkte von Célestin Freinet, sein methodisches Vorgehen, seine pädagogischen Konzepte
<li> Célestin Freinet und die etablierte Forschung in den (Erziehungs-) Wissenschaften
<li> ...und Élise Freinet?
<li> Schlußbemerkung<p>
<li> Anhang: Lebensdaten von Célestin Freinet
</ol>
Prof. Dr. Gerald Schlemminger
In : Inge Hansen-Schaberg und Bruno Schonig (Hrsg.) (2001): Freinet-Pädagogik.
Reformpädagogische Schulkonzepte, Bd. 5. Baltmannsweiler, Schneider-Hohengehren,
S. 9 - 51.
Zur Biographie Célestin Freinet und zur
Entwicklung der Grundzüge und Prinzipien
seiner Pädagogik
1 Hinführung zur Freinet-Pädagogik
Es gab lange Zeit kaum eine Schrift über die Freinet-Pädagogik, keine
wissenschaftliche Hausarbeit zum Thema, die nicht einleitend den Entstehungsmythos
huldigte und einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Lungenstreckschuss –
den Célestin Freinet im 1. Weltkrieg erlitt und der ihn für ‘normalen’ Schulunterricht
lehrunfähig gemacht haben soll – und der neuen Pädagogik, die er deshalb entwarf,
herstellt. Wie die Geschichte der Pädagogik zeigt, begleitet solche Mythenbildung jede
Pädagogik, sobald sie sich etabliert. Sie ermöglicht einfache Verstehens- und
Erklärungsmuster, wird aber weder dem Werk noch der Person, in diesem Fall Célestin
Freinet, gerecht. Sie setzt in der Freinet-Pädagogik, wie die Rezeptionsgeschichte zeigt,
nach dem 2. Weltkrieg ein, als eine neue LehrerInnengeneration mehr aus
pädagogischem, denn politisch-gewerkschaftlichem Interesse und Engagement zur
LehrerInnen-Kooperative C.E.L. (“Coopérative d’Enseignement Laïque”)1 stößt, sich
der Kreis der französischen Pädagogik-Pioniere um Célestin Freinet erweitert und die
Kooperativbewegung – die sich zunächst “Schuldrucker” nennt – und ihre Praktiken
offiziell zu “Freinet-Pädagogik” und zur “Freinet-Bewegung”2 werden. Zu dieser
Legendenbildung tragen auch die romanhafte Darstellung seiner Person durch seine
Frau Élise Freinet in der Schrift Naissance d'une pédagogie populaire (1949) und der
Film L'école buissonnière von Jean-Paul le Chanois (1949) über seine Schule in Vence
bei. Erst die Arbeiten, die in Zusammenhang mit und seit dem 100. Geburtstag
herausgekommen sind3, ändern wirklich den Blickwinkel und versuchen, die Freinet-
1 Die C.E.L. ist faktisch ein kleines Verlagshaus, versteht sich aber bis zur Gründung (1947) des rein
pädagogisch orientierten I.C.E.M. (Institut Coopératif de l’École Moderne) auch als Koordination
der LehrerInnenbewegung, die sich dann aber zunehmend auf die Person von Célestin Freinet
fokalisiert.
2 Der Begriff “techniques Freinet” wird ab Mitte der 30er Jahre in der Kooperativbewegung und von
Célestin Freinet benutzt.
3 Dazu zählen universitäre Veröffentlichungen zur aktuellen Freinet-Pädagogik: Patrick BOUMARD
(1996), Ingrid DIETRICH (Hrsg. 1995), Herbert HAGSTEDT (Hrsg. 1997), Ahmed LAMIHI
(Hrsg. 1997), Henri PEYRONIE (1999) (Hrsg. 1997) als auch die schon älteren Arbeiten von Pierre
CLANCHÉ / Jacques TESTANIERE (Hrsg.) (1989) und Pierre CLANCHÉ / Éric DEBARBIEUX /
Jacques TESTANIERE (Hrsg.) (1994); dazu gehören die historische Arbeiten: Luc BRULIARD /
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Pädagogik kritischer aufzuarbeiten.
So beginnt z.B. die erste in Buchform erscheinende, englisch sprachige Darstellung der
Freinet-Pädagogik, verfaßt von den beiden nordamerikanischen
Erziehungswissenschaftlern W. B. Lee und J. Sivell (2000) nicht mit dem obligaten
Kriegserlebnis und seinem vermuteten Einfluß auf die pädagogische Praxis, sondern
mit einer noch stärkeren Verklärung der Person, indem sie einleitend den Film L’école
bussionnière (1949) von J.-P. Le Chanois vorstellen. Den Autoren gelingt es jedoch,
ausgehend von dieser extremen Stilisierung, die (in Europa vorherrschenden) Klischees
eins nach dem anderen abzubauen und einen dem amerikanischen Leser fast
unbekannten Pädagogen4 nahezubringen. Diese ungewohnte, aber sehr interessante
Rezeption zeigt die sehr starke kulturelle Gebundenheit und auch die je spezifische
Aufnahme der Arbeiten von Célestin Freinet. Ich werde mich im Weiteren auf die
deutsche und französische Rezeption des Werkes von Célestin Freinet beschränken.
Unterschiede in der Aufnahme von Célestin Freinet bedeuten dabei keine Wertung
meinerseits. Ich werde versuchen, Erklärungsmomente für diese Differenzen
aufzuzeigen.
Da die Lebensgeschichte mittlerweile allgemein bekannt und auch auf Internet
zugänglich ist, selbst die Biographie der Tochter Madeleine FREINET (1997) keine
grundsätzlichen neuen Erkenntnisse liefert und die Originalschriften Célestin Freinets
mittlerweile auch auf Deutsch zugänglich sind5, erscheint es mir nicht notwendig, seine
Lebensgeschichte erneut ausführlich und chronologisch darzustellen, sondern nur einige
mir wichtig erscheinenden Punkte der deutschen und französischen
Rezeptionsgeschichte näher zu beleuchten.
2. Célestin Freinet: ein pädagogischer Eklektiker
Zunächst der soziokulturelle und politische Kontext, in dem Célestin Freinet steht: Das
Gerald SCHLEMMINGER (1996), Renate KOCK (1996). Allgemeinere Schriften sind: Victor
ACKER (2000), Jochen HERING / Walter HÖVEL (Hrsg. 1996), Anne Marie MILON -
OLIVEIRA (1996); Biographien wurden verfaßt von Michel BARRÉ (1995 / 96) und Madeleine
FREINET (1997). Des weiteren sind zu nennen Veröffentlichungen von französischen
Originaldokumenten: Michel BARRÉ(1996) und École Émancipée (1996) als auch Berichte von
Mitstreitern, ehemaligen Schülern usw. von Célestin und Élise Freinet wie: René FREGNI (1994),
Jacques MONDOLONI (1996), Michel BARRÉ(1997), LES AMIS DE FREINET (1997) und
Übersetzungen der Originalschriften ins Deutsche: vor allem Hans JÖRG / H. ZILLGEN (Hrsg.)
(1997 / 2000).
4 Der erste amerikanische Artikel über Célestin FREINET ist W. B. LEE (1977). Die ersten
Übersetzungen der Freinet-Schriften sind: John SIVELL (1990) (1993), John SIVELL / David
CLANDFIELD (1990). – Ein europäischer Leser erfährt in diesem Buch über Célestin Freinet
nichts, was nicht schon bekannt ist, jedoch ist die Sichtweise oft ungewohnt und überraschend, so
z.B. die Einteilung der französischen Freinet-Bewegung in die Flügel der eher “konservativen”
Materialentwickler und den “fortschrittlichen” Flügel der sozial engagierten Pädagogen.
5 siehe Hans JÖRG / H. ZILLGEN (Hrsg.) (1997 / 2000). ausführliche Übersetzungen in
italienischer, spanischer und portugiesischer Sprache liegen schon länger vor, vgl. die Bibliographie
von Gerald SCHLEMMINGER (1996 a) und die internationale Online-Bibliographie/ :
<http:www.freinet.com> => Bibliographie.
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öffentliche französische Volksschulwesen ist in den 20er Jahren, besonders auf dem
Lande, in einem sehr desolaten Zustand (mit 40 Schülern überfüllte Klassen, schlechter
baulicher Zustand usw.). Das erklärt sich u.a. dadurch, dass der Unterhalt und der Bau
der Schule von der Gemeinde abhängt. Wenn im noch sehr lebendigen Schulstreit
zwischen Kirche und Staat die gewählten Volksvertreter6 eher auf der kirchlichen Seite
stehen und nicht die öffentlichen, sondern die privaten, katholischen Schulen
unterstützen wollen, dann sind trotz staatlicher Schulgesetzgebung Konflikte zwischen
republikanisch-laizistischen LehrerInnen und der Gemeindevertretung und ihren
Honoratioren nicht ausgeschlossen. Außerdem muß der jungen LehrerInnengeneration,
die sehr politisiert aus dem 1. Weltkrieg zurückgekommen ist und sich aktiv in den
Gewerkschaften und linken Parteien engagiert, Rechnung getragen werden. Hinzu
kommt das Wirken der (ersten) Reformpädagogikbewegung, die in Frankreich auch in
der Tradition der Pariser Commune steht und sich besonders in anarchistisch bzw.
anarchosyndikalistisch orientierten Schulversuchen – wie z.B. dem Waiseninternat
“Cempuis” von Paul Robin (1837 - 1912) und dem Landheim “La Ruche” (1904 -
1917) von Sébastien Faure (1858 - 1942) – ausdrückt, die aber heute in Vergessenheit
geraten sind. Schließlich experimentieren viele französische LehrerInnen mit neuen
Techniken und Unterrichtspraktiken. René Daniel erarbeitet mit seinen 92 Schülern in
Trégunc (Finistère) schon seit 1921 freie Texte und polykopiert sie Mithilfe von
Gelantineplatten. Ein anderer gewerkschaftlich organisierter Bretone, Jean Cornec,
macht schon zu Beginn der 20er Jahre mit seiner Klasse Erkundungen außerhalb der
Schule, druckt und führt Gruppenarbeit und Filmvorführungen in seiner Klasse ein7.
Auf internationaler Ebene werden auf den Treffen und Kongressen ähnliche
Experimente, so die deutsche Praxis des freien – künstlerischen – Ausdrucks (A.
Lichtwark), des freien Aufsatzes (P. G. Münch, A. Jensen, W. Lamszus…), die
Schulgazetten, die der polnische Arzt Janus Korczak in seinem Waisenheim mit den
Kindern herstellt, u.v.m. diskutiert.
In dieser gesellschaftspolitischen Umwelt und im regen intellektuellen Austausch mit
seinen KollgeInnen steht Célestin Freinet, als er in den 20er Jahren selbst die
Schuldruckerei, den freien Text, die Klassenkorrespondenz und die
Selbstlernmaterialien in seinen Klassen einführt. Célestin Freinet ist somit weder der
einzige, noch der erste, der diese Techniken in seinem Unterricht benutzt. Betrachten
wir die Biographien der führenden Reformpädagogiker dieser Zeit so wird ersichtlich,
dass diese auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn stehen, ihre Hauptwerke geschrieben
haben oder gerade schreiben, ihre Schule eröffnet haben usw., während Célestin Freinet
gerade ins Berufsleben tritt. Er zählt also erst zur zweiten Generation der
Reformpädagogen dieser Zeit; seine wichtigsten Schriften kommen nach 1945 heraus.
6 Volksvertreterinnen gibt es erst ab 1947, als die Frauen erhalten das aktive und passive Wahlrecht
erhalten.
7 Vgl. Jean CORNEC (1981, S. 28 - 32).
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Wie schon angedeutet, setzt die Mythosbildung um Célestin Freinet in dieser Zeit ein.
D. Hameline (1994) hat dies beispielhaft in einer historischen Analyse des
Verhältnisses des Schweizer Reformpädagogen A. Ferrière zu Célestin Freinet
ausgeführt und aufgezeigt, wie letzterer nach dem 2. Weltkrieg seine eigene Geschichte
nachschreibt und versucht, sich in die Nachfolge der “großen” Pädagogen einzureihen.
Diese Tendenz zur (eigenen) Stilisierung ist ein Bestand der Geschichte der Pädagogik
und relativ häufig anzutreffen. Aber auch wenn Célestin Freinet nicht die Freinet-
Techniken “erfunden” hat, schmälert dies nichts an der Leistung, wie er die Techniken,
die er in der pädagogischen Debatte seiner Zeit vorgefunden hat, langsam zu einem
eigenen Volksschulkonzept verarbeitet hat. Der genuine Anteil seiner Arbeit liegt in
seinem organisatorischem Talent, in seiner sehr pragmatischen Art und Weise, an
Lernen und Unterricht herangegangen zu sein und aus unterschiedlichsten
“Versatzstücken” sich sehr eklektisch ein dann doch sehr kohärentes pädagogisches
Gebäude erbaut zu haben. Er hat es verstanden, dies mit seinem in den 20er und 30er
Jahren kommunistisch orientierten Weltverständnis zusammenzubringen und in
politisches Handeln umzusetzen.
3. Pädagogik und Politik bei Célestin Freinet
Auch wenn er im engeren Sinne kaum parteipolitisch aktiv war, so zeigt sich sein
Engagement nicht nur in den pädagogisch-politischen Artikeln, die er u.a. in der
Gewerkschaftszeitung École émancipée und im L’Éducateur [prolétarien]
veröffentlicht, sondern auch in der Aufnahme der Flüchtlingskinder spanischer
Republikaner in seiner Internatsschule (ab 1937), in seinem Versuch, eine “Front des
Kindes” (in Anlehnung an die Volksfront) zu schaffen, in seinem Engagement für die
Erneuerung des Volksschulabschlusses “Certificat d’études” (1937), an seiner
Teilnahme an der staatlichen Schulreform nach dem 2. Weltkrieg, in seinem Kampf für
Klassen mit nur 24 SchülerInnen, in seinem Einsatz gegen den (beginnenden)
Vietnamkrieg (1951) u.v.m.
Célestin Freinet wird 1920 Mitglied in der anarcho-syndikalistisch orientierten
Lehrergewerkschaft “Fédération Unitaire de l’Enseignement”. Er ist von 1926 bis 1948
Mitglied der Kommunisten Partei Frankreichs. In der Gewerkschaft gehört er zwar der
kommunistischen Minderheitsfraktion “Minorité Oppositionnelle Révolutionnaire”
(M.O.R.) an, ist jedoch mehr pädagogisch als politisch-gewerkschaftlich engagiert; die
LehrerInnen-Kooperative C.E.L. löst sich auch zunehmend von der
Lehrergewerkschaft, wie die Entwicklung der Mitgliederzahlen zeigt (vgl. Abbildung 2
- 4). Célestin Freinet vertritt – bevor er stärker von der sowjetischen Pädagogik
beeinflußt wird – die anarcho-syndikalistische These, dass die kapitalistische Schule
schon hier und jetzt und nicht erst nach der politischen und gesellschaftlichen
Revolution verändert werden muß. Er folgt aber nicht der anarchistischen, sondern der
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– damals bolschewistischen – Auffassung, dass der Revolution auf dem politischem
Gebiet eine Übergangsphase mit Zwangscharakter folge müsse (Célestin Freinet 1920).
Seine Reise in die Sowjetunion 1925 bestärkt ihn vermutlich noch darin, in der UdSSR
lange Zeit das Vorbild – auch in Erziehungsfragen – zu sehen. Bis 1936 gibt es in der
Zeitschrift der LehrerInnen-Kooperative L’Éducateur prolétarien eine Rubrik
“Documentation internationale”, in der fast ausschließlich die sowjetische Schule
vorgestellt wird. Erst nach einer heftigen, aber offenen Auseinandersetzung in dieser
Zeitschrift im Jahre 1936 mit einigen Kameraden über den repressiven Charakter der
Schule in der UdSSR (die besonders nach der Stalinisierung des Bildungswesen ab
1932 eingesetzt hat) verändert sich seine Einstellung zum Modellcharakter der UdSSR.
Die besagte Rubrik verschwindet ab Herbst 1936 langsam aus der Zeitschrift, die
pädagogischen Beziehungen mit der Sowjetunion brechen ab und die oft erwähnte
Klassenkorrerspondenz in Esperanto mit der Ukraine hört auf8.
Das Thema der kommunistische Pädagogik tritt noch einmal zu Tage in einem
öffentlichen Konflikt zwischen Célestin Freinet und der kommunistischen Partei
Frankreichs, der vier Jahre anhält (1950 - 1954)9. Der Hintergrund sind die Neuordnung
der Gewerkschaften nach dem Krieg und der Versuch der P.C.F., einen stärkeren
Einfluß auf die Volksschullehrergewerkschaft zu gewinnen; die Ursachen sind
ideologische Differenzen. Die P.C.F. hat in Anlehnung an die KPdSU und zum Aufbau
der Volksfront 1936 den Kampf für eine “revolutionäre Volksschule” (als Gegenstück
zur Schule der Bourgeoisie) aufgegeben zugunsten der Verteidigung des Schulkonzepts
der 3. Republik, d.h. einer “progressiven” laizistischen Schule, in dem zwar
“fortschrittliche Inhalte” und die Einbeziehung der Werte der Arbeiterbewegung
gefordert werden, das aber die Schule mit ihrem enzyklopädischen und kognitiv
ausgerichteten Wissensbegriff sowie ihr Selektionsverfahren (“Auswahl und Förderung
der republikanischen Elite”) beibehält. Célestin Freinet hingegen verteidigt weiterhin
das Prinzip, dass die (Volks-) Schule jetzt und in ihren Grundwerten, d.h. in Bezug auf
Wissensvermittlung und ausgehend vom Kinde, verändert werden muss.
Auch wenn manche Rezipienten das politische Element der Freinet-Pädagogik mindern
woll(t)en, das politisches (Selbst-)Verständnis der Pädagogik und Erziehung Célestin
Freinets kann nicht zur Diskussion stehen; die Belege sind hier eindeutig. Gerade
deswegen wirft sich die Frage auf, wie es sich erklären läßt, dass die Freinet-Pädagogik
von manchen Forschern und auch Gruppierungen wohlwollend rezipiert und auch
praktiziert werden kann, die den politischen Aspekt ausblenden oder aber ein ganz
anderes politisches Selbstverständnis haben. So finden z.B. in den 60er und 70er Jahren
in Frankreich die Freinet-Techniken in einigen Jesuitenschulen eine Anwendung (cf. P.
8 Zu einer ausführlichen Darstellung dieser Auseinandersetzung vgl. Luc BRULIARD / Gerald
SCHLEMMINGER (1996 /: Kap. 10). Zur Beziehung von Célestin Freinet zur Ukraine, siehe auch
Irina SOURZHIKOVA (2000), dieser Artikel enthält auch eine Bibliographie der ins Ukrainische
übersetzten Artikel von Célestin Freinet.
9 Die treffenste Analyse ist wohl von Jacques TESTANIÈRE (1981).
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FAURE 1979, M. Feder 1980); diese Internatsschulen haben ein elitäres Weltbild und
erziehen Kinder nach dem Weltbild des konservativen Großbürgertums.
Renate Kock (1996) versucht, Célestin Freinet auf das – von der Autorin als
fortschrittlich interpretierte – Volksfront-Modell der kommunistischen Partei
Frankreichs (P.C.F.) und auf ihr Laizismuskonzept festzulegen. Es handelt sich bei dem
Laizismus um einen für die 3. Französische Republik typischen Kampf der
Säkularisierung der Schule, der mit den Schulgesetzen von Jules Ferry (1881 - 1882)
einsetzt und der für die öffentliche Schule u.a. parteipolitische und religiöse Neutralität,
Schulpflicht und schulgeldfreie Beschulung forderte und auch durchsetzte. Dieser
Erklärungs- und Einordnungsansatz greift aber zu kurz: Zwar gehört Célestin Freinet zu
den jungen “schwarzen Husaren der Republik”, wie die Volksschullehrer oft genannt
wurden, die die öffentliche Volksschule auch gegenüber konservativer Schulverwaltung
verteidigten und ihre Verbesserung forderten. Seine Schriften zeigen aber, dass er in der
idealistischen Tradition der Pädagogik von Rousseau, Pestalozzi, Fröbel usw. steht, die
zur puerozentrischen Ausrichtung der ersten Reformschulbewegung führte. Die
grundlegendste und wohl meist gedruckte Schrift L’École moderne française10 ist eine
Anklage gegen die miserablen Bedingungen der öffentlichen Volksschule, die nicht
kindgerecht erzieht und – wie der Untertitel “Guide pratique pour l'organisation
matérielle, technique et pédagogique de l'École Populaire” schon andeutet - eine genaue
organisatorische und materielle Aufzählung und Darstellung enthält, wie er seine
“Schule des Volkes” anders aufgebaut und welche neuen Techniken er eingeführt hat.
Diese praktischen Hinweise haben auch heute noch nicht ihre Bedeutung verloren. Es
sind hilfreiche Vorschläge, die Klasse und das Lernen anders zu organisieren, sie sind
aber keine marxistische Herleitung von Schule und Erziehung (wie es z.B.1936 die
P.C.F. unternommen hat). Sein Bezugspunkt ist das Kind, eine Erziehung vom Kinde
aus, die er ideologisch in den größeren Zusammenhang einer “proletarischen” und
später einer “Volkserziehung” stellt.
Noch offensichtlicher wird seine Position in seinem Buch L'Education du Travail
(1947). In seinem Konzept der Arbeitsschule, das er hier entwickelt, unterscheidet er
sich einerseits von rein idealistischen Ansätzen wie dem von G. Kerschensteiner – der
Kinder der Arbeiterklasse handwerkliche Arbeit zuschreibt, da diese praktische Arbeit
ihnen näher liege und ihnen besser die Werte von Leistung und Tugend vermitteln
könne als abstraktes Lernen – und dem von A. Ferrière, der auf den geistig-ethischen
Wert der Arbeit abzielte, und anderseits von dem Begriff der marxistisch hergeleiteten
Industriearbeit, wie P. P. Blonskij ihn entwickelt. Célestin Freinet hat eher einen
entwicklungspsychologischen Arbeitsbegriff: Lernen erfolgt durch Arbeiten, wobei dies
als Grundtätigkeit jedes Menschen zur Aneignung und spontanen Neuorganisation von
Erfahrung in der sozialen Umwelt und in der Schule gefaßt wird und damit zur
10 1944 zum ersten Mal herausgegeben, dann vielfach nachgedruckt und 1969 – zusammen mit den
1964 verfassten Invariants pédagogiques – unter dem Titel Pour l'école du peuple veröffentlicht.
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Entwicklung des Kindes beiträgt. Die Aufgabe der Lehrperson ist es, ein positives
Lernumfeld zu erstellen – seine Techniken wie Druckerei, freier Ausdruck,
Korrespondenz, Zeitung usw. gehören dazu –, aber möglichst wenig in den
eigentlichen, spontanen Lernprozess einzugreifen. Dieses Lernkonzept entwickelt er
dann in Essai de Psychologie sensible appliqué à l'éducation (1950) weiter, indem er
u.a. den Begriff des “tâtonnement expériemental”, des entdeckenden und forschenden
Lernens prägt.
Mit diesem Begriff von Arbeit und der Erziehung vom Kinde aus steht Célestin Freinet
nicht allein, andere vor ihm haben ihn, wenn auch nicht mit dieser pragmatischen,
technisch-pädagogischen Praxisorientierung und Ausführung, vertreten, wie die
anarchistischen Hamburger Lehrer zu Beginn der 20er Jahre (vgl. J.-R. Schmid 1971),
wie auch der "Kommissar für das Volksschulwesen" H. Scharrelmann, der später mit
den Nationalsozialisten zusammenarbeitet11. Es ist also ein methodischer Fehlschluß zu
glauben, dass sich ein (gesellschafts-) politisches und ideologisches Engagement, das
bei Célestin Freinet und vielen anderen ReformpädagogInnen zu finden ist, notwendig
und zwingend aus einem Pädagogikentwurf und seinen Innovationen herleiten lasse.
Die Freinet-Pädagogik läßt sowohl humanistisch-pädagogische als auch sozialpolitische
Lesarten zu12, wie es die Entwicklung der deutschen Freinet-Pädagogik mit dem
“Arbeitskreis der Schuldrucker” und der “Freinet-Kooperative” nur zu gut zeigt.
5. Einige Arbeitschwerpunkte von Célestin Freinet, sein
methodisches Vorgehen, seine pädagogischen Konzepte
Angesichts der großen Anzahl seiner Veröffentlichungen ist es wohl nicht falsch,
Célestin Freinet als einen sehr aktiven, viel schreibenden Autor zu bezeichnen, und es
ist nicht ganz einfach, diese Masse zu ordnen. Betrachten wir die Themen, die Célestin
Freinet in seinen Schriften und Artikeln anschneidet (siehe Abbildungen 5)13, so zeigt
sich, dass er sich zeitlebens mit den Grundtechniken (Drucken, Selbstkorrekturkarteien,
Korrespondenz, Arbeitsplan…) und ihrer Verbesserung auseinandersetzt, aber auch die
für die Zeit jeweils neuen Technologien auf ihre Tauglichkeit für einen aktiven Umgang
in der Schule geprüft hat, wie die Schallplatte, den Film, das Radio usw. Die Tonband-
Reportage hat hier schon früh eine besondere Bedeutung erlangt, die u.a. zur
Herausgabe der Reihe BT-Son (lange Zeit von Daniel Guérin geleitet) und in den 80er
Jahren zur Gestaltung von eigenen Radiosendungen führte (vgl. G. Bellot / J. Brunet
1989).
11 Vgl. D. HAGENER (1973, S.95, Anmerkung 564), zitiert nach A. RANG / B. RANG-DUDZIK
(1978, S.43).
12 … und sicherlich noch weitere, wie z.B. die existenzphilosophie Rezeption Freinets von
Peter TEIGELER (1992) zeigt.
13 Die Bibliographie sämtlicher Bücher und Broschüren befindet sich im Anhang 2, die Liste aller
Artikel ist von Halina SEMENOWICZ (1986) – leider etwas fehlerhaft – erstellt worden.
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Célestin Freinet hat sich immer wieder mit methodischen Fragen, wie der natürlichen
Methode, dem forschenden Lernen, dem Platz des Schulbuchs beim Lernen, den
Interessenszentren der Kinder (“centre d’intérêt” / “complexe d’intérêt”)
auseinandergesetzt. In seinem psychopädagogischem Hauptwerk Essai de Psychologie
sensible appliqué à l'éducation (1950) versucht er, seine Konzepte ausführlich
darzustellen und zu begründen und baut sie 1953 zu einem “profil vital” des Kindes und
seiner Entwicklung aus (vgl. Célestin Freinet 1953), indem er 129 verschiedene
Faktoren miteinander korreliert. In seinem Hauptwerk stellt er besonders die seines
Erachtens aus schlechter pädagogischer Praxis entstehenden Störungen wie Dyslexie,
schulische Anorexie, Enurese (Bettnässen), Stottern, u.v.m. dar, denen er seine eigenen
pädagogischen und erzieherischen Konzepte entgegenstellt.
Sein Schrifttum zeigt auch die Ausweitung seiner Pädagogik über die Grundschule
hinaus. Nach dem 2. Weltkrieg widmet er sich nicht nur verstärkt den einzelnen
Schulfächern (Mathematik-, Musik- Sportunterricht), sondern anderen bzw. neuen
Schulformen (Sekundarstufe, Stützklassen) und zeigt sich gegenüber neuen
pädagogischen Entwicklungen immer offen, auch wenn manche von ihnen nach dem
Ausprobieren in der Klasse in eine Sackgasse führen sollen und dann fallen gelassen
werden. Ein Beispiel dafür ist die zu Beginn der 60er Jahre aufkommende pädagogische
Debatte um das programmierte Lernen, für das sich Célestin Freinet sehr interessiert. Er
entwickelt und vertreibt dann über die C.E.L. die sog. “bandes enseignantes”,
Abrollbänder, auf denen Fragen und Antworten zu einem Thema stehen, die die Schüler
“automatisierend” lernen sollen. Diese dem behavioristischen Lernmodell folgenden
Praktiken stehen dem Lernkonzept, das Célestin Freinet selbst in seiner Schrift Les
méthodes naturelles dans la pédagogie moderne (1956) entwickelt hat, diametral
entgegen und stoßen in der Freinet-Bewegung und auch bei Élise Freinet auf heftigste
Kritik. Célestin Freinet muß auf dem Kongreß der I.C.E.M. in Annecey (1964) seine
Position revidieren, um eine Spaltung der Bewegung zu vermeiden – und die
Abrollbänder werden aus dem Angebot der C.E.L. herausgenommen.
Diese kurzen Eindrücke aus seinen Schriften können seine Aufgeschlossenheit und
Vielseitigkeit nur andeuten. Sie dürfen jedoch nicht über den ideologisch-
philosophischen sowie soziobiographischen Hintergrund und die Zeitgebundenheit
hinwegtäuschen, auf dem Célestin Freinets intellektuelle und pädagogische Tätigkeit zu
sehen ist. Das obige Beispiel zeigt zwar seine Fähigkeit, eigene pädagogische
Fehlentwicklungen einzugestehen und daraus Konsequenzen zu ziehen. Es steht aber
auch für die andere Tendenz. Einige weitere Experimente, die heute vergessen sind, da
sie in pädagogischen Sackgassen endeten (und vielleicht auch, weil sie der
Mythosbildung abträglich waren), mögen dies aufzeigen. Dazu gehört die von M.
Violet entwickelte Technik des vibrierenden Wassers (“l’eau vibrée”): mit
Elektrodenströmen behandeltes Wasser soll positiv auf den Organismus wirken.
Célestin Freinet hat versucht, es in seinem Landschulheim einzuführen, scheinbar ohne
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großen Erfolg. Einen ähnlichen Ausgang hatten die mehrere Jahre andauernden
Versuche mit der Hörmuschel (“l’Aurelle”) eines gewissen Dr. Tomatis: Das Hören von
frequenzmodulierten Sprachaufnahmen sollte das Sprechverhalten verbessern und
Sprachstörungen aufheben. Es gibt heute noch diese Fotos, die Kinder zeigen, die
aufmerksam diesen Tonbändern lauschen. Es wäre falsch, dieses Experimentieren
vorschnell als skurril abzutun, nur weil es in diesen Fällen erfolglos war. Es zeigt
vielmehr das methodische Vorgehen von Célestin Freinet und sein stark
instrumentalistisch-positivistisch geprägtes Verständnis von Technik. Dieser Ansatz ist
auch heute noch in der Freinet-Bewegung vorzufinden. So verteidigen LehrerInnen z.B.
ihre Entscheidung, die Druckpresse nicht mehr zu benutzen, mit dem technologischen
Fortschritt – der Computer habe die Presse überholt – und nicht mit pädagogischen
Argumenten, die diese Technik hinfällig machen würden14.
Ich möchte an einem weiteren Beispiel vertiefen, wie sich Célestin Freinet fremde
Konzepte erarbeitet und sich zu eigen macht. Das Zusammenwirken von politischem
Vorverständnis und pädagogischer Technik, aber auch die immer wieder auftauchende
Debatte um den Behaviorismus und seinen Stellenwert in einer kindgerechten
Pädagogik werden hier klarer. Das Beispiel ist die Konzeption und praktische
Entwicklung der ersten Rechenkartei. Die Diskussion um die “pédagofiche”, um
“Studiometrie” usw., also das, was wir heute als Selbstlernmaterialien bezeichnen, geht
auf die 20er Jahre zurück. So entwickelt und experimentiert u.a. der Schulrat der
öffentlichen Schulen von Winnetka (U.S.A.), Carl Wasburne, in dieser Zeit ein ganzes
Programm Selbstlernübungen für den individualisierten und programmierten
Rechenunterricht, das er unter dem Namen “Winnetka-Methode” veröffentlicht. Über
Vorträge auf Kongressen und über einige Zeitschriftenartikel Anfang der 30er Jahre
erfährt auch die sich zu der Zeit noch als “Schuldrucker” bezeichnende
LehrerInnengruppe um Célestin Freinet von diesen Praktiken. Die ersten Reaktionen
lassen nicht auf sich warten, wo sich Ideologie, Pädagogik und Polemik vermischen.
Célestin Freinet schreibt 1932 :
Die Winnetka-Technik ist unserer Meinung nach eine der jüngsten und
vollendetsten Ergebnisse kapitalistischer Pädagogik, dessen Ziel es ist, die
Leistung zu erhöhen und Wissen anzuhäufen, ohne dass sich jemand
genauer darum kümmert, wie dieses Wissen nun seine menschliche
Anwendung findet.” (Célestin FREINET 1932 : 141)15.
Des weiteren kritisiert Célestin Freinet die trockene “Fließbandarbeit”, die diese
Methode auf “völlig überfüllten Seiten” fördert – die “Winnetka-Methode” lag in
Heftform vor –, wo nicht einmal die Kontrolltabelle fehle. Diese spannend zu
verfolgende Auseinandersetzung wird in der Pädagogik-Kooperativbewegung und ihren
14 Es sei daruf hingewiesen, das Célestin Freinet in seinen späteren Schriften, z.B. La lecture par
l'imprimerie à l'école (1952), die Schuldruckerei pädagogisch begründete.
15 Die Übersetzung aller französischen Zitate ist von mir.
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Zeitschriften über fast ein Jahrzehnt geführt (1932 bis Kriegsbeginn) – und 1936
kommt in der LehrerInnen-Kooperative die Rechenkartei “Fichier Washburne - C.E.L.
(multiplication - division)” mit 350 kartonierten Übungs- und 350 Antwortblättern
heraus, die mehrmals überarbeitet bis in die 80er Jahre16 immer wieder neu aufgelegt
wird, da die Nachfrage nach dieser Kartei sehr groß war. Der Weg zu dieser
französischen Übersetzung und Überarbeitung der amerikanischen Version war jedoch
lang und sehr komplex. Hier seien nur die Hauptstränge der pädagogischen Seite der
Diskussion kurz angedeutet17: Auf der einen Seite die Gegner dieser Art von Kartei, die
hervorheben, dass sie auf einem behavioristischen Lernkonzept beruhe, das
individuelles Lernen nicht ermögliche, das nicht der Heterogenität von Lerngruppen
Rechnung trage, das eine langsame Konstruktion von Wissen über tastende Versuche
nicht ermögliche, sondern nur auf den Wiederholungserfolg baue und das keine
Verbindung zum realen Leben habe. Auf der anderen Seite die Befürworter, die schon
konkrete Rechenbeispiele, ihre Graduierung, den Aufbau von Selbstlernkarteien usw.
diskutieren. Das Grundproblem bleibt für Célestin Freinet – selbst wenn individuelles,
selbstgesteuertes Lernen zum Eintrainieren von (Rechen-) Routinen behavioristische
Lernformen rechtfertigen mag – das der Motivation d.h. aus welchen Beweggründen
der Schüler zur Arbeit mit dieser Kartei greifen soll. Bei dieser Debatte verliert er aber
nicht den pragmatisch geschäftlichen Aspekt aus dem Auge und schreibt 1934:
“[…] Dann müssen die Mechanismen der Rechenoperationen
herausgearbeitet werden. Hierzu ist unter der Leitung von Washburne in
Winnetka ein in der Welt einzigartiges, wertvolles und kooperativ
erarbeitetes Produkt herausgekommen. Wir18 haben dafür in Frankreich die
Exklusiv-Abdrucksrechte erhalten. Wir werden es überarbeiten und es auf
[kleinen] Karteikarten drucken, so wird die Freiarbeit mit diesem Material
erleichtert.” (Célestin Freinet 1934, S.557)
Doch die Anhänger der “natürlichen Methode” – die vertreten, dass das Kind Rechnen
ohne zusätzliches Training und ausreichend in der Klasse lernen kann, wenn diese nur
ein reiches und breitgestreutes Angebot von Aktivitäten ermöglicht – geben so leicht
nicht auf und werfen den Karteimachern “reaktionäres Verhalten” vor, so dass die
C.E.L. die erste Ausgabe der Kartei unterbrechen muß. Célestin Freinet muß sich
wiederholt für die “Winnetka-Methode” einsetzten und erklären, dass die “natürliche
Methode” und die von C. Washburne sich nicht ausschließen, sondern sich sinnvoll
ergänzen: die erste führe eigentlich in mathematisches Denken ein, die letztere diene
dazu, die Techniken dieses Denkens zu festigen und abzusichern. Erst jetzt kann die
Kartei herauskommen. Dieser implizit vorhandene Widerspruch des Lernkonzepts in
16 In dieser Zeit entsteht die neue Rechenkartei, die mit den Nachahmungsprinzipien bricht und auf die
neueren Erkenntnisse der Lernpsychologie aufbaut, die von den mentalen Vorstellungen der
SchülerInnen über Zahlen und vom konkreten Umgang damit ausgeht.
17 Für eine ausführlichere Darstellung siehe Gerald SCHLEMMINGER (1994).
18 Es ist der übliche Schreibstil Célestin Freinets, immer in Pluralform für die LehrerInnen-
Kooperative C.E.L. zu sprechen.
- 11 -
der Freinet-Pädagogik tritt auch heute noch manchmal zutage, wenn wir z.B. das sehr
unterschiedliche Verhalten der deutschen und der französischen Freinet-Bewegung zu
den Selbstkorrekturkarteien betrachten. Es genügt dabei, in die jeweiligen
Verlagsprogramme zu schauen oder die deutsche Rezeption der (erneuten und
interessanten) französischen Diskussion um die Mathematik zu sehen (wobei in
Deutschland nur der Teil um den “freien mathematischen Text” von Paul Le Bohec
rezipiert wird)19.
5. Célestin Freinet und die etablierte Forschung in den
(Erziehungs-) Wissenschaften
Bei aller Belesenheit von Célestin Freinet – und sie ist immens, wenn wir nur seine
unzähligen Buchbesprechungen in dem L’Éducateur (prolétarien) betrachten – ist
jedoch festzustellen, dass er trotz solider philosophischer Volksschullehrerausbildung in
Bezug auf Wissenschaft und wissenschaftliches Arbeiten wie viele seiner KollegInnen
in der LehrerInnen-Kooperative ein Autodidakt ist. Auch wenn einige Rezipienten dies
gern bestreiten, so läßt es sich doch mehrfach nachweisen. Dabei ist hier weniger die
Frage von Interesse, wie und wieviel Wissen sich Célestin Freinet angeeignet hat,
sondern vielmehr wie er mit Wissen und wissenschaftlicher Erkenntnis umgeht. In
seinen Buchbesprechungen und Artikeln fällt zunächst ein bestimmter Diskurstypus
auf, der dominierend ist: Entweder wird die wissenschaftliche Erneuerung als für die
(Freinet-) Pädagogik entscheidend gelobt – oft um so mehr, je weiter das
Wissenschaftsgebiet von der Pädagogik entfernt ist –, oder aber abgekanzelt, dies auch
um so stärker, je näher es dem pädagogischen Bereich steht. Die wissenschaftlichen
Bezüge haben hier die Funktion des Autoritätsbezugs zur Rechtfertigung eigener
Positionen, werden aber nur selten ausgeführt20. Ein anderes Element ist der oft sehr
bild- und metaphernreiche Stil Célestin Freinets, der besonders stark in Dits de Mathieu
(1949) zum Ausdruck kommt. Er ist nicht nur sehr zeitgebunden, sondern widersetzt
sich wegen einer Tendenz zur Naturmystik auch der wissenschaftlichen
Auseinandersetzung. Dieser Text wird – zumindest in Frankreich – auch deshalb am
wenigsten zitiert, wenn es darum geht, Freinet-Prinzipien darzustellen21.
In Bezug auf seine pädagogischen Konzepte wird gern das Zitat von Jean Piaget
herangezogen:
"[…] Ohne groß auf Theorien zu pochen, ist er [= Célestin Freinet] zu zwei
Wahrheiten gekommen, die sicherlich den wichtigsten Stellenwert in der
Psychologie der kognitiven Entwicklungen haben /: Die Entwicklung der
kognitiven Operationen geht von echten Handlungen im weitesten Sinne
19 siehe z.B. Paul LE BOHEC (1997).
20 Eine ausführlichere Betrachtung dieses in der (französischen) Freinet-Bewegung verbreiteten
Diskurstypus ist zu finden in: Gerald SCHLEMMINGER (1996 b, S.153 - 155).
21 Dass von dieser Schrift mittlerweile drei Übersetzungen neueren Datums auf Deutsch vorliegen,
läßt eventuell Rückschlüsse auf eine andere Rezeption zu.
- 12 -
aus […], denn Logik ist zunächst einmal Ausdruck der allgemeinen
Koordinierung von Handlungen, und diese Koordination beinhaltet
notwendigerweise eine soziale Dimension […].” (Jean PIAGET 1969, S.99)
In der Tat ist Célestin Freinets Pädagogik, wie er sie in Essai de Psychologie sensible
appliqué à l'éducation (1950) darlegt, keine Entwicklungspädagogik im Piaget’schen
Sinne, die also die kognitiven Stufen des Kindes in der Aneignung von Welt aufzeigt.
Sie ist eher eine Darstellung des Zusammenwirkens von sozialer Umwelt und ihrem
Einfluß auf seine psychosoziale Entwicklung. Célestin Freinet hat diesen
Zusammenhang nie theoretisch begründet, sondern immer nur dargelegt. Dazu hätte es
aber einer Auseinandersetzung mit der etablierten Wissenschaft, besonders den
Erziehungswissenschaften bedurft. Sein Verhalten ihnen gegenüber war jedoch – wohl
sozialisationsbedingt – von Mißtrauen geprägt und durch die Argumente gestützt, ihre
Forschung sei scholastisch und praxisfremd. Bekannt ist seine Skepsis gegenüber der
modernen Psychoanalyse; so schreibt er z.B. in dem “21. Entwicklungsgesetz” explizit
gegen diese, dass der “Sexualinstikt in seiner normalen Form nicht vor der Pubertät
einsetzt”22. Als in den 60er Jahren die Human- und besonders die
Erziehungswissenschaften immer stärker von den Mitgliedern der Freinet-Bewegung
rezipiert werden und auch die Forderung aufkommt, die Ergebnisse in die Freinet-
Pädagogik mit einzubeziehen, kommt es zu scharfen Konflikten. Célestin Freinets
Verhalten kann in der Verteidigung der “wahren Freinet-Pädagogiklehre” hier nicht
anders als sektiererisch bezeichnet werden, als er persönlich 1961 und 1965 Mitglieder
der Pariser Freinet-Gruppe ausschließt23. Die erste Spaltung führt zur Entstehung der
psychopädagogisch orientierten “pédagogie institutionnelle” um F. Oury; die ab den
70er Jahren auf der Schulebene und in Veröffentlichungen von SchülerInnen-
Monographien24 sehr aktiv wird, das Konzepte wie das des Klassenrates, der
Kleingruppe usw. weiterentwickelt; Teile dieser Bewegung gliedern sich Ende der 70er
Jahre wieder in die offizielle Freinet-Bewegung / I.C.E.M. ein. Die zweite Spaltung
führt zur Gründung der “socioanalyse institutionnelle”, die um G. Lapassade, M.
Lobrot, Remi Hess an der (Experimentier-) Universität von Vincennes (heute
“Université Paris VIII- St.-Denis”) sozialpädagogisch sehr aktiv wird und auch mehrere
Lehrstühle in den dortigen Erziehungswissenschaften einnimmt25.
In der Tat tun sich Célestin Freinet und die (französische) Freinet-Bewegung mit
wissenschaftlicher Diskussion schwer. Zwar gründet Célestin Freinet 1959 gerade zu
diesem Zwecke die Zeitschrift Techniques de Vie; jedoch schon ab 1962 schreibt kein
22 Zitiert nach Célestin FREINET (1994,S.476).
23 Zur ausführlichen Darstellung dieser Konflikte siehe Luc BRULIARD / Gerald SCHLEMMINGER
(1996/: Kap. 14).
24 Siehe Gerald Schlemminger (1996 a).
25 Es ist bemerkenswert, dass diese Spaltung und ihre Folgen trotz Übersetzungen (Gabriele
WEIGAND 1983; Gabriele WEIGAND / Remi HESS / Gerald PREIN Hrsg. 1983) von der
deutschen Freinet-Bewegung nicht rezipiert wurden.
- 13 -
einziger Wissenschaftler mehr in diesem Blatt. Unter diesen Bedingungen ist es
verständlich, dass Debatten, wie sie in Deutschland z.B. über ein universitär
anerkanntes Freinet-Diplom stattfinden in Frankreich schwerer vorstellbar sind.
6. …und Élise Freinet?
Élise Freinet verdiente in der allgemeinen Diskussion um die Freinet-Pädagogik
sicherlich eine größere Würdigung. Bekannt sind ihre Bemühungen zur künstlerischen
Entwicklung des Kindes. Sie entwickelte auf diesem Gebiet Techniken und Konzepte,
um das kindliche Wahrnehmungsvermögen zu fördern und zu erweitern, seine
Kreativität und den freien Ausdruck durch das tastende Lernen im künstlerischen
Schaffen (spielerisch) zu entwickeln. Bekannt sind auch ihre Positionen zur
vegetarisch-frugalen Ernährung26 und zur Naturheilkunde, die sie in ihrer
Internatsschule in Vence, die sie offiziell leitete, auch durchsetzte. Weniger bekannt
sind ihre Schriften zur Rolle des Lehrers im Unterricht (Élise Freinet 1963, 1966), wo
sich von Célestin Freinet teilweise unterschiedene Positionen erkennen lassen. Sie tritt
u.a. für ein stärkeres Eingreifen der Lehrperson in den Selbstlernprozess des Kindes
ein27. Auf politischem Gebiet ist sie, da sie aus einer politisch sehr aktiven
Volksschulfamilie kommt, die geschultere von beiden. Sie wird von ZeitgenossInnen
als “Leninistin” beurteilt. Was das im einzelnen auch immer heißen mag, so setzt die
Politisierung von Célestin Freinet erst mit dem Ende des 1. Weltkriegs ein. – Da die
pädagogische Forschung Élise Freinet bisher kaum berücksichtigt hat, hört hier auch
schon der Vergleich der beiden Protagonisten auf. Es bedarf einer ausführlicheren
Sichtung und Analyse der Schriften von Élise Freinet (vgl. die Bibliographie im
Anhang 2). Die Biographie von M. FREINET (1997) Elise et Célestin Freinet. Souvenir
de notre vie zeigt erste Ansätze in diese Richtung.
7. Schlußbemerkung
Nicht nur Élise Freinet bedürfte einer eigenständigen Rezepetion, die die Fokussierung
der Pädagogik auf das Patronym Freinet verhindert hat. Auch andere Themen
verlangten eine vertiefte Untersuchung. Ich will hier nur einige andeuten. So benötigt
der Bezug von Célestin Freinet zu der stark moralisch-sittlich ausgerichteten
Gesellenvereins- und Zunftbewegung (“compagnonnage”) sicherlich eine
Ausführung28. Célestin Freinet bezieht sich nicht nur explizit hierauf, wenn er ihren
26 Vgl. ihr Kochbuch: Élise FREINET (1935).
27 Das (Schüler-)Protokoll einer der ersten Sitzungen der Schulversammlung der Internatsschule in
Vence von Jan. 1936 (abgedruckt in Michel BARRÉ 1996 : 140 - 141) zeigt deutlich, das “Mama”,
wie die SchülerInnen Élise Freinet nenne, auch öffentlich andere Positionen als “Papa”, d.h.
Célestin Freinet in Bezug auf Verantwortung vertritt. So schreibt Élise zum Protokoll selbst einen
längeren Nachsatz, in dem sie erklärt, dass in manchen Fällen die Erwachsenen die Verantwortung
für das Lernen der Kinder haben müssen.
28 Es ist deshalb sehr verkürzt, wie Renate KOCK (1996) es unternimmt, die “laïcité” nur auf einen
politischen Begriff der 3. Republik zurückzuführen. Die französischen Freimaurer – ideell
- 14 -
Wortgebrauch übernimmt, um die Arbeitsergebnisse der Schüler zu qualifizieren
(“brevet”, “chef d’œuvre”, “livre de vie”…). Auch das oft auf die Autodidaxie
verkürzte Konzept der LehrerInnenfortbildung der (französischen) Freinet-Bewegung
entlehnt sich der Tradition der “compagnonnage”, wo berufliche Fertigkeiten und
Wissen durch praktische (Mit-) Arbeit und “Einweihung” (“initiation”) unter Gleichen
vermittelt werden. Es unterscheidet sich von den stark universitär geprägten Konzepten
der Erfahrungsvermittlung im Lehrberuf und macht auch heute noch die Stärke dieser
Pädagogik aus und ist ein Grund für ihren Fortbestand. Es erklärt aber auch, dass trotz
der formaldemokratischen Strukturen die LehrerInnen-Kooperative C.E.L. mehr über
Kooperation denn über Wahl funktionierte, was nicht unerheblich zu einem hohen
Konfliktpotential führte.
Die Entwicklung des Verlagshauses C.E.L. bedürfte sicherlich ebenfalls einer
genaueren Untersuchung, die seine chronischen Finanzprobleme, aber auch die oft
auftretenden Konflikte (z.B. die Affaire Pagès29) und die Beziehungen zu anderen sog.
alternativen Verlagen aufarbeiten müßte. – Ein weiteres Forschungsgebiet wäre die
Untersuchung der Beziehung der (französischen) Freinet-Bewegung zu den beiden
anderen großen LehrerInnenbewegungen: die G.F.E.N., die französische Sektion der
Reformbewegung der Neuen Erziehung “Groupe français de l’Éducation Nouvelle”, die
heute noch besonders in der Sekundarstufe aktiv ist und der C.R.A.P. (“Cercle de
Recherche et d’Action Pédagogique”) und dessen Zeitschrift Cahiers pédagogiques, um
die sich (seit 1945) humanistisch und innovativ orientierte, engagierte LehrerInnen,
hauptsächlich aus dem Sekundarstufenbereich, gesammelt haben. – Ein letztes
Untersuchungsfeld ist sicherlich die historisch-soziologische Analyse der
Mitgliederstruktur der Freinet-Bewegung30, die interessante Aufschlüsse in Bezug auf
die Entwicklung des soziokulturellen und professionellen Einzugsgebiets dieser
Pädagogik, der Motivation und dem Weltbild ihrer LehrerInnen zuließe. – Der
wissenschaftlichen Erforschung der Freinet-Pädagogik, zu der schon der erste Schritt
gemacht worden ist31, stehen somit noch weite Bereiche offen.
hervorgegangen aus der Gesellenvereins- und Zunftbewegung – haben entscheidend zur
Säkularisierung des französischen Staates beigetragen. Dieses Gedankengut und die Bezüge zum
Freimaurertum sind auch noch heute feste Bestandteile des (Volksschul-)
LehrerInnenselbstverständnisses.
29 Vgl. Luc BRULIARD / Gerald SCHLEMMINGER Kap. 12)
30 Erste, partielle Untersuchungen von Henri PEYRONNIE (1994) liegen vor.
31 Siehe die Veröffentlichungen in: Pierre CLANCHÉ / Jacques TESTANIERE (Hrsg.) (1989), Pierre
CLANCHÉ / Eric DEBARBIEUX / Jacques TESTANIERE (Hrsg.) (1994), Herbert HAGSTEDT
(Hrsg.) (1997).
- 15 -
Abbildung Nr. 1: Der erste gedruckte freie Text, der von der Klasse des
Volksschullehrers René Daniel (Bretagne) an die Klasse von Célestin Freinet
geschickt wurde
Abbildung Nr. 2: Mitglieder der Lehrerkooperative C.E.L. im Jahre 1928
- 16 -
Abbildung Nr. 3:Mitglieder der Lehrerkooperative C.E.L. im Jahre 1938
Abbildung Nr 4: Politische Entwicklung Lehrerkooperative C.E.L.,
Entwicklungszahlen der französischen Mitglieder (in weiß) und Anteil derjenigen,
die gleichzeitig auch Mitglied in der Lehrergewerkschaft ““Fédération Unitaire de
l’Enseignement” waren (in grau)
- 17 -
19281929193019311932193319341935193619371938
0
100
200
300
400
500
600
Adhérents à la C.E.L. dont adhérents à la Fédération
de l'Enseignement
Abbildung Nr. 5: pädagogische Veröffentlichungen von Célestin Freinet (1925 -
1966)
Artikel + Schriften
1 Veröffentlichungen zu Techniken
- Selbstkorrekturkartei (1929 - 1963) : 26 + 1
- Arbeitsplan (1929 - 1962) : 20 + 2
- Schuldruckerei (1925 - 1965) : 13 + 5
- Korrespondenz / Schulaustausch (1927 - 1964) : 12 + 2
- Schulzeitung(1939 - 1962) : 12 + 1
- Einzelarbeit / Gruppenarbeit (1938 - 1966) : 11 + 4
- Freier Text ( 1928 - 1962) : 10 + 2
- Audiovisuelle Techniken (1955 - 1966) : 8 + 1
- “Diplom” / “brevet scolaire” (1948 - 1965) : 6
- Erkundungen (1933 - 1949) : 3 + 1
- Limograph (1947 - 1959) : 2 + 1
2 Veröffentlichungen consacrées zu den Schulstufen
- Sekundarstufe 1 und 2 (ab 1946) : 6 + 1
- Stützklassen / “classes de transition” (ab 1963) : 3
- Vorschule (1963) : 1
3 Veröffentlichungen zu einzelnen Unterrichtsfächern
- Naturwissenschaftlicher Unterricht (ab 1946) 26 + 1
- Kunstunterricht (ab 1946) : 14 + 5
- Mathematikunterricht (ab 1947) : 13 + 1
- Musikunterricht (ab 1947) : 3
- Sportunterricht (1961-1962) : 2
4 Veröffentlichungen zu pädagogischen Konzepten
- 18 -
- Zu den Lehrbüchern (1925-1964) : 14 + 2
- Schulkooperative / Klassenversammlung (1932-1962) : 19 + 1
- Natürliche (Lern-) Methode (1930-1965) : 8 + 8
- Interessenzentren / “centres d'intérêt” (1928-1965;
1949: “complexe d'intérêt”) : 7
- Experimentelles Lernen / “ tâtonnement expérimental” (1940-1966) : 15 + 1
5 Veröffentlichungen zu allgemeinpädagogischen Fragen
- Arbeitsorganisation der Klasse (1938): 1
und (1946-1964) : 13
- Disziplin (1930-1940) : 6
und (1948-1963) : 19
- Entwicklung des Kindes / "la connaissance de l'enfant" (1948-1964) : 25 + 1
- Staatsschuld (1945-1955) : 3
- Dyslexie (1950-1962) : 5
- Gedächtnis und Auswendiglernen (1960-1965) : 4
- Unterrichtsfragen (1961) : 1
- Gruppenführung (1960-1965) : 4
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Anhang 1
Lebensdaten von Célestin Freinet32
1896: Am 26. Okt. wird Célestin Jean-Baptiste als 5. von 6 Kindern als Sohn von
Marie Victoire Freinet geb. Torcat und Joseph Delphin Freinet in Gars
(Département Alpes Martimes) geboren. Zur Familie gehört auch noch ein
Pflegekind. Die Eltern führen in dem kleinen, abgeschiedenen Dorf einen
Krämerladen zusammen mit einer Bauernwirtschaft33.
1898: Am 14. Aug. wird Élise (spätere Ehefrau von Célestin Freinet) als 3. von 6
Kindern in die Grundschullehrerfamilie von Julie und Claude Lagier-Bruno
in Pelvoux (Hautes Alpes) geboren.
1900: Einschulung von Célestin Freinet in die einklassige Dorfschule.
1908: Célestin Freinet macht den Volksschulabschluss “Certificat d’Études
Priamires”, Eintritt in die weiterführende Schule [École spuérieure] in
Grasse, zunächst 3 Jahre im “Collège Carnot”, dann 1 Jahr auf dem “Lycée
Amiral-de-Grasse”, das die Aufnahmeprüfung zum Lehrerseminar
vorbereitet.
1912: Sekundarschulabschluss “Brevet élémentaire”, Aufnahme in das
Lehrerseminar “École normale d’instituteurs” (16 Plätze pro Jahrgang) in
Nice, das in 3 Jahren auf den Volksschulehrberuf vorbereitet und Abitur
(“Brevet supérieure”) nach 2 Jahren einschließt.
1914: Nov.: Schulabschlussprüfung “Brevet supérieure”, Beginn des
schulpraktischen Jahrs.
1915: April: Abbruch der Ausbildung, Einberufung zum Militärdienst; Okt.:
Ausstellung des Schulabschlusszeugnisses “Certificat de fin d’études
normales”; Ausbildung an der Militärschule in Saint-Cyr.
1916 - 17: Fronteinsatz im Nord-Osten von Paris, wo er am 23. Okt. 1917 verletzt
wird.
1918: Lazarett, Einsatz in der Etappe, Ausmusterung kurz vor Kriegsende.
1919: Einsatz als Aushilfslehrer in kleinen Dörfern des Département Alpes
Martimes, unterbrochen von Krankheitsurlauben; die Politisierung Célestin
Freinets setzt ein. Die Kriegsverletzung führt zur Festanstellung als Lehrer.
1920: Stellvertretender Volksschullehrer an der Jungenschule in Bar-sur-Loup
(Alpes Martimes); Célestin Freinet holt die Prüfung zur Lehrbefähigung
“Certificat d’Aptitude Professionnelle” (C.A.P.) nach. – Er wird Mitglied
der Lehrergewerkschaft “Fédération Unitaire de l’Enseignement”.
1922: Fällt bei der schriftlichen Prüfung zum Französischlehrer an
Lehrerausbildungs- und weiterführenden Schulen (École supérieure
primaire) durch; lehnt Abordnung an die weiterführende Schule in
Brignoles ab; wird pädagogischer Sekretär der Gewerkschaftssektion Alpes
Maritimes; trifft in Deutschland mit Peter Petersen zusammen, besucht die
anarchistischen Schulversuche in Hamburg-Altona.
32 Es handelt sich hier natürlich um eine subjektive Auswahl und Beschreibung der objektiven
Lebensdaten, die meinem Zugang zur Freinet-Pädagogik entspricht. Interessant ist sicherlich der
Vergleich mit den “Biographischen Angaben”, wie Maurice FREINET (1998) sie in der deutschen
Ausgabe der pädagogischen Werke Célestin Freinets ausgewählt hat.
33 Für die Kindheit und Jugend Célestin Freinet ist am ausführlichsten Maurice FREINET (1997).
- 20 -
1923: Trifft mit dem engagierten Pazifisten Henri Barbusse zusammen, schreibt in
seiner Zeitschrift Clarté über die deutschen Schulversuche; nimmt zum
ersten Mal an dem Kongress der Reformpädagogen “Ligue internationale
pour l’Éducation nouvelle” in Montreux (Schweiz) teil; führt die Erkundung
(“classe promenade”) in seiner Klasse ein.
1924: Führt Druckerei, die Technik des freien Textes, die Schulzeitung, Filme
vorführen und drehen (Machart “Pathé-Baby”) ein und schafft Fibeln ab;
kritisch wohlwollender Bericht der Schulratsinspektion; Élise Lagier-Bruno
liest Artikel von Célestin Freinet und nimmt mit ihm Kontakt auf.
1925: Beginnt die erste Klassenkorrespondenz mit einer Jungenklasse aus Lyon,
dann mit einer Schule aus Brüssel; die Panrussische Lehrergewerkschaft
lädt französische Gewerkschaftsdelegation ein, an der Célestin Freinet
teilnimmt. Er lernt die politisch und künstlerisch tätige Élise Lagier-Bruno,
die aus einer sozialistisch engagierten Grundschullehrerfamilie kommt,
kennen; ein Polizeibericht der Stadt Cannes erwähnt zum 1. Mal Célestin
Freinet, der auf einer öffentlichen Versammlung über seine Russlandreise
berichtet hat.
1926 Heirat zwischen Élise Lagier-Bruno und Célestin Freinet; Élise verlängert
ihre Beurlaubung vom Schuldienst (die sie eingereicht hatte, um
Kunstkursen in Paris folgen zu können) und zieht nach Bar. Célestin Freinet
wird Generalsekretär der Gewerkschaftssektion Alpes Maritimes; erste
Zeitungsartikel erscheinen über die innovative Pädagogik Célestin Freinets;
er tritt – wahrscheinlich auf Veranlassung von Élise Freinet – der
kommunistischen Partei Frankreichs (P.C.F.) bei.
1927: Auf dem Lehrergewerkschaftskongress Gründungskongress der Bewegung
der Schuldrucker “Coopérative d’entraide L’imprimierie à l’école” und
Herausgabe der Zeitschrift L’Imprimerie à l’école / Bulletin mensuel de la
Coopérative d’entraide L’imprimierie à l’école; die Gewerkschaft initiiert
die Gründung der Kino-Kooperative “Cinématique Cooperative de
l’Enseignement Laîc”, an der auch Célestin Freinet teilnimmt; Élise Freinet
erhält den Malerpreis “Gustave Doré”.
1928: Beide Kooperativen schließen sich zur LehrerInnen-Kooperative
“Cooperative de l’Enseignement Laïc” (C.E.L.) zusammen34; die Freinets
nehmen am Kongreß der kommunistischen “Internationale der
Bildungsarbeiter” in Leipzig teil; Célestin Freinet nimmt eine Stelle in der
Jungen-Volksschule in Saint-Paul an, in der (enttäuschten) Hoffnung, das
beide hier unterrichten können; die Schule ist in einem baulich und
hygienisch sehr schlechten Zustand.
1929: Die C.E.L. hat erste finanzielle Probleme (die sie bis zur Auflösung 1986
permanent begleiten); die erste Arbeitskartei erscheint; 8. Aug.: das einzige
Kind der Freinets Madelaine wird geboren.
1930: Aufgrund des schlechten baulichen und hygienischen Zustand der mit 47
Schülern überfüllten Klasse entzündet sich ein Konflikt zwischen
Schulaufsicht, Bürgermeister und Célestin Freinet (der sich deshalb
mehrmals krank schreiben läßt); eine 2. Klasse wird eröffnet, aber Élise
Freinet erhält nicht die Stelle; sie wird in der Mädchenschule von Saint-Paul
ernannt; Célestin Freinet führt die Schallplatte in seinen Unterricht ein;
34 Zur Entwicklung und Loslösung der C.E.L. von der Gewerkschaft, siehe Luc BRULIARD / Gerald
SCHLEMMINGER (1996, S.73 ff) und Fabienne BOCK (1978).
- 21 -
Élise Freinet macht sich in Naturheilkunde und vegetarischem Essen
kundig.
1931: Élise Freinet erhält wegen akuter Tuberkulose einen Krankheitsurlaub, der
zwei Jahre dauern wird.
1932: Der Zustand der Jungenschule von Saint-Paul ist immer noch in hygienisch
schlechtem Zustand; die erste Nummer der Reihe “Bibliothèque de travail”
erscheint; Célestin Freinet nimmt am Kongreß der “Ligue internationale
pour l’Éducation nouvelle” in Nice teil, Kongressteilnehmer besuchen einen
Tag lang seine Klasse in Saint-Paul. Der Konflikt mit dem Bürgermeister
und Honoratioren des Dorfes spitzt sich zu einer politischen Affäre, die
nationale Ausmaße erreichen wird, zu35; der Auslöser sind zwei freie Texte,
die in der Klassenzeitung Les Ramparts erschienen sind36 und den
Bürgermeister und der Pfarrer in ein schlechtes Licht stellen37.
1933: Célestin Freinet wird daraufhin nach Bar-sur-Loup zurückversetzt, nimmt
einen – zwei Jahre dauernden – Krankheitsurlaub, der der ihm wegen
Kriegsinvalidität auch gewährt wird. Élise Freinet beantragt nach dem
Krankheitsurlaub Beurlaubung vom Schuldienst, mit halber Besoldung; Die
Freinets kaufen in Vence ein Grundstück im Viertel “Le Pioulier” auf, wo
sie eine eigene (Internats-)Schule aufbauen wollen; die Initiative stößt bei
den Mitstreitern von Célestin Freinet zunächst auf Unverständnis; in der
Zeitschrift der C.E.L. L’Éducateur prolétarien erscheit jetzt eine ständige
Rubrik “Vers le naturisme” (vegatarische Ernährung und Naturheilkunde),
die von Élise Freinet geführt wird38.
1934: Die Freinets bauen die Schule und entsprechende Gebäude auf. Die ersten
beiden Schüler treffen ein.
1935: Da die gesetzlichen Fristen von 2 Jahren für Krankheitsurlaub bzw.
Beurlaubung abgelaufen sind, reichen Célestin und Élise Freinet ihre
Verrentung ein; eröffnen am 1. Okt. nach vielen administrativen
Schwierigkeiten und zunächst ohne offizielle Erlaubnis ihre koedukative
Internatsschule mit 13 Kindern und 5 Erwachsenen (Élise u. Célestin
Freinet, Élises Mutter Julie Lagier-Bruno, Albert Belleudy und Fifine).
1936: Die ersten Arbeiterkinder aus den Pariser Vororten werden eingeschult.
1937: Die Freinets nehmen in ihrer Schule bis zu 30 Flüchtlingskinder spanischer
Republikaner auf; die erste Nummer der pädagogischen Reihe Brochures
d’Éducation nouvelle populaire er(wird später zu: Bibliothèque de l'École
Moderne) scheint in der C.E.L.
1939: Mit Kriegsausbruch werden die Veröffentlichungen der C.E.L. und die
Schulzeitung zensiert.
35 Wir haben gezeigt, dass Célestin Freinets Schwierigkeiten mit der Schulverwaltung zu dieser Zeit
kein Einzelfall ist, sondern viele politisch engagierte LehrerInnen trifft und oft mit Versetzungen
und Suspendierungen endet, wenn auch die Freinet-Affäre besonders kraß ist (cf. Luc BRULIARD /
Gerald SCHLEMMINGER 1996, S.85 ff).
36 Faksimile eines der beiden Texte in Michel BARRÉ (1996, S.114).
37 Der anekdotische Aspekt der Affäre wird ausführlich von Madeleine FREINET (1997, S.215 ff)
dargestellt.
38 Élise Freinet ist Fruchtvegetarierin, Ernährungsweise, die sie auch im Schulinternat einführen wird;
nach dem Prinzip der Freikörperkultur müssen alle Schüler das ganze Jahr über ein morgendliches
Kaltbad im Schwimmbecken nehmen, in die Sauna usw. Siehe dazu auch Daniel HAMELINE
(1994).
- 22 -
1940: Die letzte Nummer des L’Éducateur erscheint im März; 20. März: Célestin
Freinet wird wegen kommunistischer Propaganda und Subversion (noch
unter der 3. Republik) festgenommen und verweilt in mehreren
Internierungslagern, unterbrochen von einem Krankenhausaufenthalt; die
Schule muß auf Anordnung des Präfekten geschlossen.
1941: Die Schule wird von einem Verein zur Unterbringung tschechoslowakischer
Flüchtlingskinder genutzt; Élise Freinet verläßt mit ihrer Tochter39 Vence,
um bei ihrer Mutter in Vallouise (Hauptes Alpes) zu wohnen. 29. Okt.:
Célestin Freinet wird freigelassen und in Vallouise unter Hausarrest gesetzt.
1942 - 44: Célestin Freinet konzipiert und verfaßt in dieser Zeit seine Hauptschriften,
die nach dem Krieg veröffentlicht werden (siehe Bibliographie von Célestin
Freinet im Anhang 2).
1944: Célestin Freinet nimmt an der Widerstandsgruppe F.T.P. (“Francs Tireurs et
Partisans” von Béassac teil.
1945: Célestin Freinet nimmt aktiv am “Comité départemental de Libération des
Hautes-Alpes in Gap teil, baut in einem kath. Seminar dort ein
Schulzentrum für Waisen- und Flüchtlingskinder auf, das aber dann
schließen muss, weil die Kirche es wieder beansprucht; die erste Nummer
des L’Éducateur erscheint im Febr.
1946: Célestin Freinet zieht sich enttäuscht aus der Mitarbeit an der
¨Schulreformkommission Langevin-Wallon zurück; Wiedereröffnung der
Schule in Vence; Célestin Freinet unterrichtet nicht mehr an seiner
Schule40; die Freinets wohnen jetzt in Cannes am Sitz der C.E.L., wo sich
Célestin Freinet ganz dem Aufbau der Kooperative und der pädagogischen
Bewegung widmet, nur am Wochenende kommen sie nach Vence.
1947: Gründung der Pädagogik-Kooperative I.C.E.M. (“Institut Coopératif de
l’École Moderne”).
1948: Die Freinets erneuern nicht ihre Mitgliedskarte der P.C.F.41.
1949: Der Film L'école buissonnière von Jean-Paul Le Chanois über die Schule in
Vence kommt heraus.
1950-54: Öffentlicher Konflikt zwischen Célestin Freinet und der kommunistischen
Partei Frankreichs.
1957: Gründung der internationalen Vereinigung der Freinet-Bewegung
F.I.M.E.M. (“Fédération Internationale des Mouvements de l'École
Moderne“).
1959: Zur pädagogischen Diskussion wird (bis 1986) die interne
ZeitschriftTechniques de Vie herausgegeben.
1961: Nach heftigen Konflikten mit Célestin Freinet Abspaltung von Teilen der
Pariser Gruppe I.P.E.M. (“L'Institut Parisien de l'École Moderne”), aus der
die Bewegung der “Pédagogie institutionnelle” hervorgehen wird.
1965: Nach heftigen Konflikten mit Célestin Freinet erneute Abspaltung von
39 Die familiären Umstände und Kriegswirren führen dazu, dass Madeleine Freinet nie die höhere
Schule besucht und so später nach dem Tod ihrer Mutter die Schule in Vence nicht leiten kann.
40 siehe auch Michel BARRÉ (1996, S.79, 111). Junge, unerfahrene Kollegen aus der Bewegung
leiten die Klassen, wie Michel BARRÉ, M. E. Bertrand, A. Bonbonnelle.
41 siehe. Henri PORTIER (1990).
- 23 -
Teilen der Pariser Gruppe I.P.E.M.42
1966: 8. Okt.: Tod von Célestin Freinet.
1966-76: Schule in Vence: Mehrere Spaltungen, die zu Schulneugründungen führen;
die Schule von Vence, in der staatliche abgestellte, von dem Schulvorstand
ausgesuchte LehrerInnen arbeiten, entwickelt sich unabhängig von der
offiziellen Freinet-Bewegung I.C.E.M.
1981: Tod von Élise Freinet.
1986: Auflösung der C.E.L., Gründung des Verlags P.E.M.F. (“Publications de
l’´École Moderne Française”).
1991: Die Privatschule von Vence wird als “Experimentierschule” in die staatliche
Schulverwaltung übernommen.
42 Für eine genauere Analyse der Konflikte siehe Luc BRULIARD / Gerald SCHLEMMINGER
(1996).
- 24 -
Anhang 2
Sämtliche Schriften von Célestin FREINET:
Daten der Erstausgaben; das Herausgeberdatum wichtiger Werke ist in Fettdruck
* in CÉLESTIN FREINET (1994) aufgenommen bzw. von JÖRG, Hans / ZILLGEN,
Herwig (Hrsg. 1997 / 2000) übersetzt.
FREINET, Célestin (1920): Souvenir d'un blessé de guerre, Maison française d'art et
d'édition.
- - (1925): Tony l'assisté, Saumur, L'École Émancipée, coll. Édition de la Jeunesse
Nr. 6.
- - (1926): L'enfance de Minet, Saumur, L'École Émancipée.
- - (1926): L'imprimerie à l'école, Boulogne, Ed. Ferrary.
- - (1927): Un mois avec les enfants russes, Paris, Eds. de la Revue Littéraire des
Primaires.
- - (1928): Plus de manuels scolaires, St. Paul, Editions de l'Imprimerie à l'École.
- - (1935): L'imprimerie à l'École [Réédition de L'imprimerie à l'école (1926) et de
Plus de manuels scolaires (1928).]
- - (1937): La technique Freinet, Cannes, C.E.L., coll. Brochures d'Éducation
Nouvelle Populaire Nr. 1.
- - (1937): La grammaire en quatre pages, Cannes, C.E.L., coll. Brochures
d'Éducation Nouvelle Populaire Nr. 2.
- - (1938): Le fichier coopératif, Cannes, C.E.L., coll. Brochures d'Éducation
Nouvelle Populaire Nr. 5.
- - (1938): Les activités dirigées, Cannes, C.E.L., coll. Brochures d'Éducation
Nouvelle Populaire Nr. 6.
- - (1939): Premières réalisations d'éducation moderne à l'usage des débutants, des
hésitants et des sceptiques, Cannes, C.E.L., coll. Brochures d'Éducation Nouvelle
Populaire Nr. 14.
- - (1943): Conseil aux parents, Bruxelles, Service Social [revue].
- - (1944)*: L'École moderne française, Editions de l'Éducation Populaire, Belgique.
- - (1945): L'École moderne française, guide pratique pour l'organisation matérielle,
technique et pédagogique de l'École Populaire, Gap, Ophrys.
- - (1945): Images du Maquis, Gap, Ophrys.
- - (1945): Conseil pour l'organisation matérielle et pédagogique des Centres
Scolaires et Maisons d'enfants, Cannes, C.E.L., coll. Brochures d'Éducation
Nouvelle Populaire Nr. 18.
- - (1946): Par-delà le 1er degré, Cannes, C.E.L., coll. Brochures d'Éducation
Nouvelle Populaire Nr. 19.
- - (1946): La coopération à l'École Moderne, Cannes, C.E.L., coll. Brochures
d'Éducation Nouvelle Populaire Nr. 22.
- - (1946): Le milieu local, Cannes, C.E.L., coll. Brochures d'Éducation Nouvelle
Populaire Nr. 24.
- - (1947)*: L'Éducation du Travail, Gap, Ophrys.
- - (1947): Le texte libre, Cannes, C.E.L., coll. Brochures d'Éducation Nouvelle
Populaire Nr. 25.
- 25 -
- - (1947)*: Méthode naturelle de lecture, Cannes, C.E.L., coll. Brochures
d'Éducation Nouvelle Populaire Nr. 30.
- - (1947): Le limographe à l'École Moderne, Cannes, C.E.L., coll. Brochures
d'Éducation Nouvelle
Schlagworte:
elise-freinet_sec, bio-c.frei,
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ID: 2572 | hinzugefügt von user unknown an 19:58 - 25.9.2005 |
title: Pädagogik und Konstruktivismus by Schlemminger, Gérald |
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Text:
1. Problemstellung
In diesem Artikel möchte ich argumentativ nachprüfen, inwieweit es angebracht und
gerechtfertigt erscheint, Theorien über Welterkenntnis, speziell den Konstruktivismus, auf den
Fremdsprachenunterricht zu übertragen. Dabei werde ich in den ersten beiden Abschnitten auf
die methodologische Probleme der Umsetzung erkenntnistheoretischer Konzepte auf die
Didaktik eingehen. Im folgenden werde ich sie dann an einem Beispiel aus dem Deutsch-als-
Fremdsprache-Bereich erläutern. Schließlich werde ich kurz die Freinet-Pädagogik und ihr
Verhältnis zum Konstruktivismus behandeln.
Unter Konstruktivismus verstehe ich die ontogenetisch begründete Annahme der Erkennbarkeit
von Welt in dem Sinne, dass es Wirklichkeiten nicht an sich gibt, sondern wir sie konstruieren,
sie kognitive Konstrukte unserer Gehirnleistungen sind (vgl. auch M. Wendt 1996, 1998).
Dieses erkenntnistheoretische Prinzip wird axiomatisch gesetzt. Es steht in der Tradition der
idealistischen Philosophie, die von Platon (Erkenntnis als Anamnesis) über E. Kant (Erkenntnis
der Welt für sich) bis hin zu J.-P. Sartre, wo der Mensch seine Existenz schafft, geht.
...
Schlagworte:
fremdsprache
summary:
Abstract:
Der Konstruktivismus geht von einer ontogenetisch begründeten Annahme der Erkennbarkeit von Welt aus: Wirklichkeiten gibt es nicht an sich, sondern wir konstruieren sie, sie sind kognitive Konstrukte unserer Gehirnleistungen. Dieses erkenntnistheoretische Prinzip wird axiomatisch gesetzt. Es steht in der Tradition der idealistischen Philosophie, die von PLATON (Erkenntnis als Anamnesis) über E. KANT (Erkenntnis der Welt für sich) bis hin zu J.-P. SARTRE, wo der Mensch seine Existenz schafft, geht. Andere axiomatische Setzungen sind möglich: So behauptet der Neopositivismus, dass Erkenntnis nur das sei, was wir über unsere Sinnesorgane vermittelt bekommen. Der Materialismus postuliert Erkenntnis als einen dialektischen Wiederspiegelungsprozess der (objektiven) Realität.
Der Autor stellt sich nun die Frage, ob es für die Verbesserung des Fremdsprachenunterrichts – egal, was mensch darunter im Einzelnen verstehen mag –, notwendig ist, sich auf erkenntnistheoretische Annahmen zu beziehen. Oder anders formuliert: Muss und kann mensch unterrichtspraktische Verfahren notwendig und zwingend aus erkenntnistheoretischen Postulaten ableiten?
Der Autor fühlt sich angesprochen, wenn in der Diskussion um den Konstruktivismus im Fremdsprachenunterricht immer wieder auf C. FREINET und seinen pädagogischen Ansatz verwiesen wird. Dieser versteht sich selbst als Materialist, in seinem politischen Selbstverständnis war er Kommunist (Mitglied der PCF bis 1951). Es lässt sich jedoch nachweisen, dass philosophisch gesehen in seiner Pädagogik stark idealistische Elemente (Puerozentrismus, hermeneutisches Verstehen von pädagogischen Fakten…) vorhanden sind, die sich nicht ohne Weiteres und direkt aus seinem materialistischen Anspruch und seinem politischen Engagement herführen lassen. Dieser Bruch zeigt sich an verschiedenen Stellen in seinen Schriften und seiner Praxis. Das führt u.a. dazu, dass sich die Pädagogik von C. FREINET vielseitig vereinnahmen läßt (von den Jesuiten bis hin zu den Grünen…); es zeigt auch die Komplexität seines pädagogischen Anspruchs, der nur zu oft eingeglättet wird. Was jedoch die Stärke des Freinet’schen Ansatzes ausmacht, ist eine genaue Beobachtung und eine präzise pädagogische Analyse der Schul- und Unterrichtsrealität sowie der zwischenmenschlichen Beziehungen in der Lerngruppe. Das Ergebnis sind dann oft sehr pragmatische und materielle Vorschläge zu Veränderung der Lernsituation (z. B. die sog. Freinet-Techniken).
In dieser Tradition möchte der Autor einige Phänome des Fremdsprachenunterrichts, auch wie er unter konstruktivistischer Sicht gesehen wird, "abklopfen".
L’auteur essaie de mettre en relief les différences épistémologiques qui séparent le constructivisme et la didactique des langues : les démarches méthodologiques ne sont pas les mêmes, en l’occurrence les propositions d’hypothèses ont un autre caractère. Une fois, elles sont descriptives (constructivisme), une fois, elle sont préscriptives (didactique) et ont pour objet de modifier le comportement de l’individu enseignant.
Ceal dit, d’autres facteurs que les préscriptions didactiques influencent l’attitude de l’enseignant, comme la socialisation professionnelle et la représentation que se fait l’enseignant de sa liberté, de sa marge de manœuvre, de sa capacité d’innover.
Les exemples issus d’un manuel dont les auteurs se revendiquent du constructiviste montrent le décalage entre les objectifs et leurs réalisations dans le cadre d’une progression guidée de l’apprentissage.
En dernier, l’auteur met en garde la didactique contre une "récupération" trop facile de la pédagogie Freinet par le constructivisme.
Notiz:
(in: Gerhard Bach / Britta Viebrock (Hrsg.) (2002) Die Aneignung fremder Sprachen:
Prozesse - Kontexte - Kontroversen, Frankfurt am Mein, P. Lang, Reihe: Kolloquium
Fremdsporachenunterricht, S. 51 - 61.
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ID: 2980 | hinzugefügt von Jürgen an 18:57 - 1.7.2007 |
title: Erforschung des Bilingualen Lehrens und Lernens by Schlemminger, Gérald |
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Titel: | Erforschung des Bilingualen Lehrens und Lernens |
Autor: | Schlemminger, Gérald | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Hohengehren, Schneider Verlag | Quellentyp: | Sammelband |
veröffentlicht am: | DD.MM.2008 | | |
url: | |
Text:
-
Schlagworte:
Phrasen aus dem Text
frühe Immersion; angewandte Linguistik; bilinguales Lehren; englische Immersion; norddeutsche Grundschule; oberrheinisches Modell; regional Dans; veränderte Praxis
Wichtige Worte und Phrasen aus dem Text
Frühsprachenunterricht[12]; Fremdsprachenlernen[6]; Reflexionsprozess[6]; Forschungsarbeit[3]; Fremdsprachenarbeit[3]; Spracherwerb[3]; Austauschpädagogik[2]; Freinet-Pädagogik[2]; Alphabetisch[1]; Kochkartei[1]; Lernerautonomie[0]; Lernstrategie[0]; Marie-Luise[0]; Primaire[0];
summary:
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ID: 3186 | hinzugefügt von Jürgen an 02:33 - 6.10.2008 |
title: Unterrichtsprojekte à la Freinet. Bericht aus einem französischen Klassenzimmer by Schlemminger, Gérald |
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Titel: | Unterrichtsprojekte à la Freinet. Bericht aus einem französischen Klassenzimmer |
Autor: | Schlemminger, Gérald | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Fremdsprache Deutsch, Heft 4, S. 41-44 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1991 | | |
url: | |
Text:
-
Schlagworte:
Fremdsprache_Deutsch, lit_1991-art
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ID: 3455 | hinzugefügt von Jürgen an 04:15 - 25.7.2009 |
title: "Unterrichtsprojekt à la Freinet" by Schlemminger,G. |
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Titel: | "Unterrichtsprojekt à la Freinet" |
Autor: | Schlemminger,G. | Sprache: | deutsch |
Quelle: | in : Fremdsprache Deutsch, n° 4, April 1991, pp. 41 - 44. | Quellentyp: | Artikel aus Sammelband |
veröffentlicht am: | DD.4.1991 | | |
url: | |
Text:
-
Schlagworte:
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ID: 1740 | hinzugefügt von Nathalie Cambon an 17:56 - 28.7.2005 |
title: Arbeiten mit der Selbstkorrekturkartei by Schlemminger,G. |
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Titel: | Arbeiten mit der Selbstkorrekturkartei |
Autor: | Schlemminger,G. | Sprache: | französisch |
Quelle: | in: Lesekartei für den Anfängerunterricht ... | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | DD.MM.1995 | | |
url: | |
Text:
vollständige Quelle: in : Lesekartei für den Anfängerunterricht Deutsch als Fremdsprache, Exeperimentierfassung, Paris, Goethe-Institut.
Schlagworte:
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ID: 1753 | hinzugefügt von Nathalie Cambon an 18:11 - 28.7.2005 |
title: War oder ist Reformpädagogik? by Schnurrer, Jos |
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Text:
Rezension zu:
Köster, Claudia: Die Reformpädagogik von Alexander Neill, Célestin Freinet und Don Milani. Summerhill, École Moderne und Barbiana als Beispiel befreiender Pädagogik. Paulo Freire Verlag (Oldenburg) 2005. 122 Seiten. ISBN 978-3-86585-217-5. 22,90 EUR.
War oder ist Reformpädagogik ?
Die reformpädagogischen Bewegungen, vor allem zu Beginn des 20. Jahrhundert, zeigten, wie sie uns in der Geschichte der Pädagogik übermittelt sind, insofern mächtige Erscheinungen und Auswirkungen, als sie über die je speziellen Veränderungsbemühungen hinausgingen und sich zu einer pädagogischen Aufbruchstimmung in der Gesellschaft entwickelten. Insofern ist die begriffliche Bezeichnung "Reformpädagogik" auf eine, wie es scheint abgeschlossene pädagogische Phase bezogen. Aber nur scheinbar, wie die Reformpädagogen heute insistieren. Da gibt es in Oldenburg eine rege Riege von Theoretikern und Praktikern, die sich um die Weiterentwicklung einer reformpädagogischen Idee bemühen, die als "befreiende Pädagogik" bezeichnet wird. Der lateinamerikanische Pädagoge Paulo Freire (1921 - 1997) hat mit seiner Pädagogik der Hoffnung und Befreiung anfangs die Unabhängigkeitsbewegungen in Lateinamerika, Afrika und Asien stark beeinflusst; und vor allem mit der Gründung der Paulo Freire Kooperation e.V. (Pfk(www.freire.de), ab den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, auch reformpädagogische Initiativen in Europa befruchtet. In Deutschland, das zeigen die zahlreichen Publikationsreihen des Paulo Freire Verlags (Pädagogische Reihe; Neuer Diskurs; Aspekte der Freire-Pädagogik; Dialog und Diskurs, sowie die Paulo-Freire-Jahrbücher), gibt es vielfältige Ansätze und Forschungsvorhaben in Schule, Sozialarbeit, Kindergarten, Kunst und Theater, das Konzept einer "befreienden Pädagogik" Hier und Heute weiter zu denken und zu erproben.
Inhalt
Claudia Köster vom Vorstand der Paulo Freire Kooperation legt nun in der Pädagogischen Reihe eine Studie vor, auf der Folie der Freire-Pädagogik drei Reformansätze darzustellen, die, wie Paulo Freire, von jeweils herausragenden einzelnen Reformpädagogen initiiert wurden:
• Die Versuchsschule im Leiston an der englischen Ostküste, als Summerhill in der pädagogischen Geschichte weltweit bekannt, wurde vom schottischen Lehrer Alexander Sutherland Neill(1883 - 1973) gegründet. Sie besteht bis heute, nachdem sie nach Neills Tod von seiner Frau Ena bis 1985 weitergeführt und danach von seiner Tochter Zo‘ übernommen wurde. Neills Menschenbild und seine Kritik am etablierten staatlichen Schulsystem wirkte insbesondere in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der Bundesrepublik als Zeigefinger und Symbol, an Stelle von Furcht, Gehorsam und Disziplin als die wesentlichen Werte in der Erziehung, das Vertrauen in das Kind in den Vordergrund erzieherischen Denkens und Handelns zu stellen. Ein Schlüssel für Summerhill kann die Selbstverwaltung und Selbstbestimmung der SchülerInnen angesehen werden; vielleicht etwas, was wir heute Partizipation nennen.
• Der französische Volksschullehrer und Reformpädagoge Célestin Freinet (1896 - 1966) revoltierte gegen die "école-caserne", mit den engen, finsteren und schmucklosen Räumen, der autoritären Haltung der Lehrer und dem, wie er empfand, unsinnigen Memorieren und Deklamieren bei frontalem Unterricht. Das, was die Schule produziert - "Verkrüppelung des Individuums, Lebensuntüchtigkeit und Feindseligkeit gegenüber der falschen Kultur der Schule" - nannte er "Scolatismus", was sicherlich mit "Verschulung" nur unzureichend zu übersetzen ist. In dem mit seiner Frau Elise 1935 gegründetem privatem Landerziehungsheim in Vence, nachdem er bereits vorher, 1924, zusammen mit anderen Gewerkschaftlern, die Lehrerbewegung der ƒcole Moderne aufgebaut hat. Nachdem er während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich gegen den Faschismus in Italien und Deutschland opponierte, dadurch erhebliche politische Schwierigkeiten bekam und die Einschränkung seiner politisch-pädagogischen Arbeit beeinträchtigte, war er nach 1945 bis zu seinem Tod, wesentlich an der Gründung des "Institut Coopérative de l„ƒcole Moderne" beteiligt. Von diesem Zusammenschluss von reformwilligen Lehrerinnen und Lehrern in Frankreich entwickelten sich die bis heute andauernden Einflüsse auf Schulreformen in Europa und darüber hinaus. Freinets Prinzip "Par la vie - pour la vie - par le travail" bedeutete von Anfang etwas anderes als das, was über den Eingangstüren vieler Schulen in Deutschland stand: "Nicht für die Schule - für das Leben lernen wir".
• Der Dritte im Bunde der Schulreformer ist der italienische, katholische Priester Lorenzo Milani (1923 - 1967). Auch er verzweifelt und empört über die Bildungs- und Schulsituation in seinem Land, vor allem für die Benachteiligten und Kinder, trat als öffentlicher Kritiker an den gesellschaftlichen Zuständen auf; wobei er der katholischen Amtskirche in Italien vorwarf, die Probleme des einfachen Volkes zu ignorieren und nicht auf deren Seite zu stehen. Von seiner Pfarrerstelle in der toskanischen Berggemeinde Barbiana aus, unternimmt er immer wieder Versuche, nicht nur die Zustände zu kritisieren, sondern auch konkret mit zu verändern. So gründet er 1955 die "Scuola di Barbiana". Seine Schülerinnen und Schüler zu ernsthaftem Lernen und zur Reflexion über ihre eigenen gesellschaftlichen Zustände zu bringen, das kann als das wesentliche Erziehungsziel von Lorenzo Milani angesehen werden. Der sozialpolitisch engagierte Priester schrieb, zusammen mit seinen Schülerinnen und Schülern das Buch "Lettere a una professoressa" (Brief an eine Lehrerin, 1967), das als "Die Schülerschule" in Deutschland erschien und, ähnlich wie die Arbeiten von Freinet und Neill, in der gesellschaftlichen Aufbruchstimmung der 60er und 70er Jahre engagiert diskutiert wurde.
Diskussion
Claudia Köster bringt in ihrer Darstellung von drei ausgewählten reformpädagogischen Bewegungen nicht nur biographische Daten und zeigt die wichtigsten Entwicklungslinien auf, sondern sie schaut dabei auch auf das Umfeld der engagierten Reformpädagogen. Dadurch wird deutlich, was vielleicht in der pädagogischen Rezeption bisher zu wenig beachtet wurde, dass es sich bei den drei (und schließt man Paulo Freire ein, auch den vier) Männern nicht um individualistische, gar frustrierte Menschen gehandelt habe, die daraus ihr Reformwerk aufbauten, sondern um offene, kooperative Pädagogen, die bemüht waren, andere Ideen, Theorien und Diskussionsstränge aufzunehmen und in ihre Arbeit einzubeziehen. In der vergleichenden Zusammenfassung kommt die Autorin (natürlich!) zu der Erkenntnis, dass die Bemühungen um die Veränderung von Schule - und damit auch der Gesellschaft - keine Episoden in der Reformgeschichte der Pädagogik waren, sondern der pädagogische Reformbedarf auch heute noch (und viele sagen: besonders heute) besteht. Ansätze und Initiativen dafür sieht sie in der "Community Education", der Intensivierung des "Arbeitsschulgedankens", der "multikulturellen Schule", mit den Methoden des Projektunterrichts, des handlungsorientierten Lernens und des offenen Unterrichts. Einige Ideen der Reformbewegungen sind ja immerhin schon in unser drei- und mehrgegliedertes Schulsystem eingegangen. Doch der Beobachter schulischen Lernens heute und der schulsystemorientierten Verfächerung der Schule wie der "Takt"-Schule (in der ersten Stunde hat der Schüler … zu lernen, in der zweiten …, in der dritten …), machen deutlich: Es gibt noch viel zu tun. Dabei können uns Alexander Sutherland Neill, Célestin Freinet und Lorenzo Milani mit ihrem reformerischem Denken und Handeln auf eines aufmerksam machen: Ein bisschen Veränderung reicht nicht! Es bedarf der grundsätzlichen Infragestellung dessen, was heute als Lernpraxis sich Tag für Tag in der Schule vollzieht - der Überbetonung des kognitiven (Trichter-)Wissens und der Vernachlässigung des sozialen und emotionalen Lernens. Dies aber erforderte, "die traditionelle `Kopf- und Paukschule` grundsätzlich in Frage zu stellen".
In der Rezeption der Reformmodelle wird immer wieder mal nach Charakteristiken gesucht, wie die genannten Reformpädagogen bezeichnet werden könnten: Gudjons (1997) vergleicht Freinet mit einem Gärtner; Neill könnte man einen Therapeuten nennen; Milani einen Schäfer. Und Freire, der die Befreiung des Menschen aus seiner gesellschaftlichen, lokalen und globalen Benachteiligung zum Ziel seines pädagogischen Denkens gemacht hat? Ich würde Paulo Freire als einen "Erkenner" im Sinne der aristotelischen epistêmê, eines "demonstrativen Wissens" über die gesellschaftliche Existenz von Individuen und Gemeinschaften, charakterisieren.
Fazit
Die Arbeit von Claudia Köster eignet sich m. E. gut für Lernangebote in der gymnasialen Oberstufe, für Erziehungsseminare in der Ausbildung zur Sozialen Arbeit und für erziehungswissenschaftliche Übungen in der Lehreraus- und -fortbildung. Als Baustein für eine zu intensivierende neue Phase der Reformpädagogik hat das Büchlein seinen Platz.
Rezensent
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim.
Schlagworte:
Rezension, lit_2006-art
summary:
War oder ist Reformpädagogik ?
Die reformpädagogischen Bewegungen, vor allem zu Beginn des 20. Jahrhundert, zeigten, wie sie uns in der Geschichte der Pädagogik übermittelt sind, insofern mächtige Erscheinungen und Auswirkungen, als sie über die je speziellen Veränderungsbemühungen hinausgingen und sich zu einer pädagogischen Aufbruchstimmung in der Gesellschaft entwickelten. Insofern ist die begriffliche Bezeichnung "Reformpädagogik" auf eine, wie es scheint abgeschlossene pädagogische Phase bezogen. Aber nur scheinbar, wie die Reformpädagogen heute insistieren. Da gibt es in Oldenburg eine rege Riege von Theoretikern und Praktikern, die sich um die Weiterentwicklung einer reformpädagogischen Idee bemühen, die als "befreiende Pädagogik" bezeichnet wird. Der lateinamerikanische Pädagoge Paulo Freire (1921 - 1997) hat mit seiner Pädagogik der Hoffnung und Befreiung anfangs die Unabhängigkeitsbewegungen in Lateinamerika, Afrika und Asien stark beeinflusst; und vor allem mit der Gründung der Paulo Freire Kooperation e.V.
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Notiz:
Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 07.03.2006 zu: Claudia Köster: Die Reformpädagogik von Alexander Neill, Célestin Freinet und Don Milani. Paulo Freire Verlag (Oldenburg) 2005. 122 Seiten. ISBN 978-3-86585-217-5. In: socialnet Rezensionen unter http://www.socialnet.de/rezensionen/3606.php, Datum des Zugriffs 25.11.2008.
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ID: 3199 | hinzugefügt von Jürgen an 00:46 - 2.12.2008 |
title: Freinet-Pädagogik - Die Selbsttätigkeit fördern by Schor, Julia |
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Text:
Inhaltsverzeichnis:<p>
1. Die Grundgedanken Freinets<br>
1.1 Bezug zum Leben<br>
1.2 Der Arbeitsbegriff in Freinets Pädagogik<br>
1.3 Die Arbeitsschule: Offene und Freie Erziehung<br>
1.4 Entdeckendes Lernen<br>
1.5 Materialistische Pädagogik<br>
1.6 Pädagogik des Erfolges<br>
1.7 Zwang in der Freinet-Pädagogik<p>
2. Umsetzung Freinets Reformvorschläge in die Praxis<br>
2.1 Freier Text, Schuldruckerei, Klassenzeitung, Korrespondenz<br>
2.2 Freier Ausdruck<br>
2.3 Praktische Arbeit: Experimente, Untersuchungen<br>
2.4 Arbeitsateliers<br>
2.5 Untersuchungen außerhalb der Schule<br>
2.6 Arbeitsblätter, Arbeitsbibliothek, Arbeitskarteien<br>
2.7 Selbstverwaltung: Tages- und Wochenpläne, Klassenrat, Wandzeitung<p>
3. Resümee<p>
4. Literatur<p>
Seit einiger Zeit ist in Deutschland wieder die Freinet-Pädagogik ins Blickfeld geraten. Im Gegensatz zu einer Bildungsreform im großen Maßstab geht es bei diesem Reformkonzept zunächst darum, wie sich „hier und jetzt“ schon in kleinen Schritten größere Freiräume für ein selbstbe-stimmtes Lernen im Schulalltag gewinnen lassen. Die wichtigsten Ziele dieser Bildungsreform, nämlich Lerndrill und soziale Isolierung aus den Klassenzimmern zu verbannen, lassen sich oft durch geeignete Unterrichtsmittel und Vorgehensweisen verwirklichen. Zugleich setzt die Freinet-Pädagogik bei der differenzierten Förderung verschiedenartig interessierter, v.a. aber sozial benach-teiligter Schüler an: die ausdrückliche Betonung der Gleichwertigkeit praktischer, kreativer und intellektueller Lernvorgänge, die zentrale Bedeutung des „freien Ausdrucks“ und die „natürliche Methode“ des Schreiben- und Lesenlernens lassen es häufig erst zu, dass Kinder aus sozial unterprivilegierten Familien Schule nicht mehr als unabänderliches Schicksal hinnehmen (müssen).
...
Schlagworte:
Hausarbeit, Examensarbeit_Sonderschulpädagogik, freier-Ausdruck,
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 2542 | hinzugefügt von Jürgen an 04:19 - 22.9.2005 |
title: Kleine Bücher Projektinfo by Schreger, Christian |
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Text:
1
Portfolio 2009/10 | M2, VS Ortnergasse 4, 1150 Wien | Christian Schreger
PROJEKT : Kleine Bücher
Ausgangssituation:
Die Volksschule Ortnergasse liegt im 15. Wiener Gemeindebezirk und weist einen hohen Anteil an Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache auf. Die Kinder der Klasse M2 (Das M steht für Mehrstufenklasse) sprechen zu mehr als 80% eine nichtdeutsche Erstsprache, darunter indisches und pakistanisches Punjabi, Russisch, Kurdisch und Chinesisch. Die Vielschichtigkeit einer Mehrstufenklasse benötigt klare Projektrahmen, die auf unterschiedliche Lernebenen angewandt werden können. Dabei steht eine klare Struktur im Vordergrund, die für alle beteiligten Kinder unterschiedlichen Alters nachvollziehbar ist.
Volltext über den Link
Schlagworte:
lit_2009-art
kein Summary verfügbar
Notiz:
Preise: AKK-Förderpreis 2007 und 2009
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ID: 4490 | hinzugefügt von Jürgen an 15:13 - 30.9.2013 |
title: Freitags Kochen by Schreger, Christian |
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Text:
PROJEKT : Freitags KOCHEN
Die Idee:
Essen und damit auch Kochen ist ein menschliches Grundbedürfnis.
Es verbindet alle Nationalitäten und bietet zugleich die Vielfalt regionaler Vorlieben - das weckt Interesse und macht neugierig auf mehr: Kosten, wie das Unbekannte schmeckt, zuschauen, wie es gemacht wird - Kompetenzen zulassen, die in diesem elementaren Bereich der Alltäglichkeit einen positiven Beigeschmack (im wahrsten Sinn des Wortes) mitbringen.
Tatsächlich liegt nichts näher, als Kochen in den Schulunterricht zu integrieren, wenn man sich ernsthaft mit verschiedenen Kulturen auseinandersetzen will. Es ist eine Basis nonverbaler Begegnung, die immer in Sprache mündet.
Dabei spielt der Respekt vor kulturell oder religiös bedingten Einschränkungen bei den Zutaten eine bedeutende Rolle: Schließlich soll dabei etwas entstehen, das wir gemeinsam essen können.
Seit etwa 20 Jahren koche ich daher mit und für die Kinder an speziellen Tagen und lade die Mütter und Väter ein, zum Kochen in die Klasse zu kommen. Selbst Eltern ohne deutsche Sprachkenntnisse lassen sich auf dieses Angebot ein und erleben dabei oft erstmals etwas, das ihre Fähigkeiten und nicht ihre Sprachprobleme zeigt.
Kinder sollten eigentlich lernen, dass Nahrung nicht unbedingt aus der Mikrowelle oder dem Tiefkühlregal eines Supermarktes kommen muss - sie können vom sich füllenden Einkaufssack bis zum fertigen Gericht jeden Schritt mitverfolgen, auch das Bezahlen an der Kassa, das sich dann als Mathematikaufgabe eignet.
Zugleich pflanzen wir im Schulbeet Kräuter an, denen wir beim Wachsen zuschauen, bevor wir sie beim Kochen verwenden. Suppen und Eintöpfe sind die Gerichte, die wir meistens zubereiten.
Mehr über den Link
Schlagworte:
lit_2009-art
kein Summary verfügbar
Notiz:
Klassenprojekt, eigenfinanziert
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ID: 4491 | hinzugefügt von Jürgen an 15:20 - 30.9.2013 |
title: Reformpädagogische Schulkonzepte und Freies Lernen Célestin Freinet. Ein Modell anarchistischer Pädagogik? by Schroeder, Bianca |
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Titel: | Reformpädagogische Schulkonzepte und Freies Lernen Célestin Freinet. Ein Modell anarchistischer Pädagogik? |
Autor: | Schroeder, Bianca | Sprache: | deutsch |
Quelle: | München, Grin | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | DD.MM.1998 | | |
url: | https://www.grin.com/document/489831 |
Text:
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Aus dem Leben Célestin Freinets
2. Die Schulsituation Frankreichs (bis) zu Beginn des 20. Jahrhunderts
3. Freinets Kritik am bestehenden Schulsystem und seine Forderungen zur Veränderung
3.1. Wie gestaltete Freinet den Unterricht? Was änderte er?
3.2. Prinzipien und Ziele der Freinet – Pädagogik
4. Was hat Pädagogik mit Politik und Gesellschaft zu tun?
4.1. Was ist „anarchistische Pädagogik“?
4.2. Ist Freinet ein Vertreter „anarchistischer Pädagogik“?
Abschließende Worte
Einleitung
Die Arbeit zum Thema „Célestin Freinet – ein Modell anarchistischer Pädagogik?“ gliedert sich inhaltlich in zwei Bereiche.
Im ersten Teil, den Kapiteln 1 – 4, beschreibe ich die Grundzüge der Pädagogik Freinets unter der Berücksichtigung seines Lebens und der Schulsituation, die in Frankreich herrschte.
Dieser Teil dient als Basis und Voraussetzung für die im zweiten Abschnitt (Kapitel 5) anschließende Diskussion über „anarchistische Pädagogik“.
1. Aus dem Leben Célestin Freinets
Es ist schwer, auf wenigen Seiten ein ganzes Leben darzustellen, und noch dazu ein Leben, das so viele Anregungen, Ideen und Veränderungen hinterlassen hat und so viel Einfluss hatte.
Wer war Freinet?
Célestin Freinet war Anarchist, in erster Linie aber war er Pädagoge. Das sagte er zumindest selbst. 1896 geboren und aufgewachsen in der ländlichen Umgebung des kleinen provenzialischen Dorfes Gars, entschied es sich im Alter von 17 Jahren, ein Lehrerbildungsseminar zu besuchen, da er sich schon früh für eine pädagogische Tätigkeit berufen fühlte.
Zwei Jahre später wurde er jedoch zum Kriegsdienst herangezogen und erlitt mit jungen Jahren einen Lungenschuss. Nach 4 Jahren in Lazaretten und Sanatorien erhielt er in Bar-sur-Loup seine erste Anstellung als Lehrer.
Doch wie sollte er eine Schulklasse bändigen, wo er noch nicht einmal ausdauernd sprechen konnte? Das waren die Anfänge seiner Pädagogik:
„Warum und wie bin ich eigentlich zum Begründer dieser Bewegung geworden? (…) Als ich 1920 aus dem 1.Weltkrieg zurückkam, war ich nur ein ´verwundeter Held´mit Lungenschuss, geschwächt, außer Atem und nicht in der Lage, mehr als ein paar Minuten in der Klasse zu sprechen… Wie ein Ertrinkender, der nicht untergehen will, musste ich ein Mittel finden, um mich über Wasser zu halten.“1
Aus dieser Not und seiner politischen Einstellung heraus, begann er, eine neue Pädagogik zu erschaffen.
Nachdem er den belgischen Arzt und Pädagogen Ovide Decroly kennengelernt hatte, welcher Schüleraufsätze druckte und herausgab, entwickelte Freinet 1923 die Technik der Schuldruckerei und gründete die reformpädagogische Bewegung der „École Moderne“2.
Begeistert von Marx, Engels und Lenin schloss er sich der Antikriegsbewegung „Clarté“ an, sowie wenig später der kommunistischen Partei Frankreichs, welcher er allerdings wieder den Rücken kehrte, nachdem von Mitgliedern der Partei die Eingliederung der „École Moderne“ in die kommunistische Partei gefordert wurde. Hier betonte er, dass er gegen jede Form von Herrschaft sei und dass seine politische Einstellung zwar Einfluss auf seine Pädagogik ausübe, sich die Politik aber nicht der Pädagogik bemächtigen dürfe.
Als 1920 in Deutschland die Primarschule eingeführt wurde, welche von allen Kindern bis zum 10. Lebensjahr besucht werden sollte, forderte Freinet die „École du peuple“3 auch für Frankreich.
1934/35 gründete er in Vence seine eigene Schule, ein Landerziehungsheim, wobei er sich am Vorbild der naturnahen Landerziehungsheime von Lietz und Geheeb, dem Begründer der Odenwaldschule, orientierte.
Die Technik der Schuldruckerei wurde populär und in Deutschland und Frankreich fanden jährliche Freinet- Tagungen statt.
Am 8.Oktober 1966 starb Freinet, doch hinterlässt er uns eine lebendige und lebensnahe Pädagogik, welche noch heute an vielen Schulen praktiziert wird.
2. Die Schulsituation Frankreichs (bis) zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Was war das für eine Zeit, in die Freinet da hineingeboren wurde? Und wie sah es an den Schulen, insbesondere den Dorfschulen Frankreichs aus, als Freinet die Schule besuchte, bzw. später selbst Lehrer wurde?
Das waren die ersten Fragen, die ich mir stellte, als ich über Freinet zu schreiben begann – daher ein kurzer Exkurs zur Geschichte des Schulwesens in Frankreich:
Noch bis zu Beginn der französischen Revolution war das französische Schulwesen nur für die Elite des Volkes bestimmt. Erst 1791 wurde vom Nationalkonvent festgelegt, dass jeder Bürger, egal welchen Standes, ein Recht auf kostenlosen Unterricht in den unbedingt notwenigen Fächern habe.
Napoleon I. verwirklichte den Aufbau des Schulwesens in Volksschule – Höhere Schule und Hochschule, wobei die Volksschule der Kirche unterstand.
1833 wurden die einzelnen Gemeinden dazu verpflichtet, je eine Volksschule zu gründen, 1879 jedes Departement dazu, eine Lehrerbildungsanstalt zur Ausbildung von Lehrern zu eröffnen.
Zwar gab es zu dieser Zeit noch keine Schulpflicht, doch wurde die Volksschulbildung um Einiges verbessert. Mit der Einführung der allgemeinen Schulgeldfreiheit 1867 kam es zu einem weiteren Aufschwung des niederen Schulwesens.
Schließlich wurde 1882 die allgemeine Schulbesuchspflicht für alle Kinder im Alter von 6-13 Jahren gesetzlich festgelegt. Gleichzeitig begann man mit der Einführung von technischen, kaufmännischen und gewerblichen Schulen.
Obwohl sich die Volksschulbildung verbessert hatte, sah es auf dem Lande zu Anfang des Jahrhunderts noch nicht sehr rosig aus.
Eine solche Schule war es, die Freinet besuchte, die er kritisierte und verbessern wollte.
3. Freinets Kritik am bestehenden Schulsystem und seine Forderungen zur Veränderung
Als sich um 1900 in Europa die reformpädagogische Diskussion entwickelte, welche die Notwendigkeit von Schulreformen darlegte, sowie die Entwicklung des einzelnen Kindes in den Vordergrund stellte, gab es in Frankreich nur wenige Pädagogen, die bei dieser internationalen Bewegung mitwirkten.
Einer von ihnen war Célestin Freinet, der sich um 1920 mit der Reformpädagogik beschäftigte und sich für die Reform der Volksschulen einsetzte.
Orientiert an Pädagogen seiner Zeit, wie z.B. Hermann Lietz, Paul Geheeb, Adophe Ferrière und einigen anderen und mit dem Hintergrund seiner eigenen Schulzeit, forderte er eine kindgerechte Schule, bei der das Kind und dessen freie Entfaltung der Persönlichkeit im Vordergrund stehen sollte.
Freinet erinnerte sich an seine eigene Schulzeit in der kleinen Dorfschule, die er als Gebäude mit engen und schmucklosen Räumen beschrieb, strengen und autoritären Lehrern sowie unsinnig erscheinenden Schularbeiten. Recht bildhaft bezeichnete er sie als „école – caserne“.
Als er 1920 seine erste Anstellung als Lehrer erhielt, hatte sich in den Dorfschulen nicht viel verändert. Die Verhältnisse dort kritisierte er als nicht kinderbezogen und autoritär mit unumstößlichen Regeln sowie einzig und allein auf die Vermittlung von Wissen und die Erfüllung der Stoffpläne hin orientiert.
Durch Beobachtungen, Untersuchungen und Anstöße seiner Schüler stellte er fest, dass es unter ihnen Arme gab, denen es an allem fehlte, und Reiche, die im Überfluss lebten.
Die proletarischen Kinder konnten oft dem Leistungsniveau nicht standhalten, und noch dazu gab es Schulbücher, die ihnen völlig lebensfern vorkommen mussten mit Texten, die sie gar nicht betrafen.
Das wollte Freinet ändern. Er wollte eine Schule gründen, die von den Bedürfnissen des Kindes ausgeht und in der die Kinder anstelle des Lehrers die aktive Rolle übernehmen.
„Die Schule von Morgen wird das Kind als Glied der Gemeinschaft in den Mittelpunkt ihres erziehlichen Bemühens stellen. Von seinen wesentlichen Bedürfnissen, hingeordnet auf die Belange der Gesellschaft, der es angehört, sind die von ihm zu erwerbenden manuellen und geistigen Fähigkeiten, das Bildungsgut die Art der Vermittlung des Bildungsgutes und die Art und Weise seiner Erziehung abzuleiten. Es handelt sich bei diesem Vorgehen darum, die Schule wahrhaft wieder in eine vernünftige, wirksame und menschliche Form zu bringen, die es dem Kinde erlaubt, zu einer möglichst vollkommenen Entfaltung seiner Menschlichkeit zu kommen.“4
Sein Ziel ist eine Schule, die dem Kind Freiraum für die Entwicklung seiner „manuellen und geistigen Fähigkeiten“ gibt. Er fordert eine „Schule des Volkes“, die nicht Eliteschule, sondern eine Schule für alle ist und die auch die von der Gesellschaft Benachteiligten fördert.
3.1. Wie gestaltete Freinet den Unterricht? Was änderte er?
Freinet begann, aufgrund seiner Kriegsverletzung fast notgedrungen, die Schule „wieder in eine vernünftige, wirksame und menschliche Form zu bringen“.
Mit seinen Schülern machte er so oft wie möglich Ausflüge in die freie Natur, nicht nur, um den kalten Wänden des Klassenzimmers zu entrinnen, sondern auch, um den Kindern die Möglichkeit zu geben, neue Erfahrungen zu sammeln, Tiere, Landschaft und Pflanzen oder Bauernhöfe und Handwerksbetriebe aus der Umgebung kennenzulernen.
Zurück in der Klasse ließ er dann die Kinder von ihren Entdeckungen berichten, die er an der Tafel festhielt. So entstanden viele interessante Aufsätze.
Freinet lernte den belgischen Mediziner und Pädagogen Ovide Decroly kennen, welcher in seiner Schule in Brüssel Schüleraufsätze gedruckt und als Zeitung herausgegeben hatte.
Durch ihn kam er auf die Idee, die Kinder ihre Schulbücher auf der Grundlage ihrer Erfahrungen selber machen zu lassen.
Er kaufte eine kleine Handdruckpresse, welche er zusammen mit einem Setzkasten in einer Ecke des Klassenraumes aufbaute und begann, die Erfahrungsberichte der gemeinsamen Unternehmungen von den Kindern drucken zu lassen.
So entstand der „freie Text“, d.h. jedes Kind durfte zu jeder Zeit einen Text über ein beliebiges Thema schreiben, welcher dann vor der Klasse vorgelesen und nach Abstimmung gedruckt wurde. Diese Texte kamen in die Klassenzeitung, die auch als Mitteilungsblatt für andere Klassen und für die Korrespondenz mit anderen Schulen diente.
So lernten die Kinder nicht nur, sich frei auszudrücken und sich mit anderen auszutauschen, sondern sie lernten auch die Rechtschreibung, da ihre Texte ja schließlich auch von anderen gelesen und verstanden werden sollten.
Nach der Einrichtung der Druckerei stellte Freinet den Kindern noch andere Arbeitsecken in der Schule zur Verfügung, die er als „Ateliers“ bezeichnete. Sie beinhalteten Informationsmaterial, Nachschlagewerke, Arbeitskarteien, Werkzeuge und Werkstoffe sowie Material zum Malen und Basteln, sodass sich das Kind allein oder in Gruppen beschäftigen und sich Dinge aneignen konnte.
Er schaffte es, die von Erwachsenen verfassten Schulbücher überflüssig zu machen und die Kinder wieder aktiv am Unterricht zu beteiligen.
„Indem man vergaß, dass die Bildung des Individuums nur von einer aktiven und freien persönlichen Anstrengung kommen kann, die den Bedürfnissen unseres Wesens entspricht, hat man die Behandlung von Texten, die von Erwachsenen verfasst wurden, zum wesentlichen Element der Erziehung erhoben, und darin liegt der Irrtum.“5
Neben Druckerei und Arbeitsateliers bot er seinen Schülern noch viele andere Möglichkeiten einer „aktiven und freien persönlichen Anstrengung“. Besonders viel Raum war für die Förderung von manuellen Tätigkeiten, wie z.B. Buchbinden, Werk- und Gartenarbeiten, Malen, Musizieren, Tanz, Theater oder Metallarbeiten, womit er nicht nur beabsichtigte, dass die Kinder praktische Fähigkeiten erlernten, sondern womit er auch ihr Denken und ihre Beobachtungsgabe schulen wollte.
Um den Anforderungen der Lehrpläne standzuhalten, stellte Freinet Arbeitskarten her, auf denen die Elementarfächer wie Rechtschreibung, Grammatik und Rechnen aufgeführt waren. So konnte jeder Schüler sich mit Informations-, Aufgaben- und Lösungskarten im eigenen Lerntempo ein ganzes Sachgebiet erarbeiten.
Zu Beginn der Woche verfasste jedes Kind einen Wochenarbeitsplan, in dem es vermerkte, was es während der nächsten Woche in den Elementarfächern erarbeiten wollte. Am Ende der Woche schrieb dann jeder auf, was geschafft wurde und was noch nachzuholen blieb.
Jeder Schüler konnte selbst bestimmen, wann er welchen Themenbereich erarbeiten wollte lernte sein eigenes Tempo kennen und seine eigenen Fähigkeiten zu nutzen.
[...]
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lit_1998-art, Hausarbeit,
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Universität Marburg
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ID: 5331 | hinzugefügt von Jürgen an 14:45 - 18.4.2020 |
title: Der Pädagoge Célestin Freinet by Schulz, Christina |
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Text:
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung 3
2. Wer war Célestin Freinet? 3
2.1. Ein "pädagogischer Lebenslauf" 3
3. Die "Freinet-Pädagogik" 5
3.1. Freinets Beweggründe nach neuen pädagogischen Wegen zu suchen 5
3.2. Célestin Freinet entwickelt sein eigenes Konzept 6
3.3. Merkmale der "Freinet-Pädagogik" 8
4. Lese- und Schreiblehrmethoden der "Freinet-Pädagogik" 10
4.1. im 1. Schuljahr 10
4.2. im 2. Schuljahr 12
4.3. Vorteile 12
5. Schlusswort 13
1. Einleitung
Die Pädagogik erweist sich immer wieder als ein Fachgebiet, innerhalb dessen, Reformen und Weiterentwicklungen, unabdingbar sind. Heute im Jahre 2002 wird es unter anderem die PISA - Studie sein, die pädagogische Reformen zur Folge haben wird. In der Vergangenheit ließen große Ereignisse, wie der 1. und 2. Weltkrieg, die Menschen umdenken, umdenken auch innerhalb der Pädagogik. Die Pädagogik ist also ständiger Entwicklung und Überarbeitung ausgesetzt. So wie sich das Lebensumfeld des Menschen ändert, so ändert er sich daraus wiederum selbst. Diese Veränderung des Menschen fordert so auch die Anpassung des pädagogischen Bereiches an ihn. Eine große „Anpassungsperiode“ stellte die Zeit der europäischen Reformpädagogik dar. Große Reformpädagogen, wie Adolphe Ferrière, Peter Petersen, Maria Montessori und Célestin Freinet traten aus ihr hervor. Auf der Suche nach neuen Ideen, greift man gerne auf „altbewährtes“ zurück um dies, der aktuellen Zeit angepasst anwenden zu können. Im folgenden Beitrag soll das Konzept des französischen Reformpädagogen Célestin Freinet, näher erläutert werden. Freinet, Pädagoge und Politiker, widmete sein Leben der Pädagogik und der Politik, zwei großen Gebieten, die es im Folgenden einzugrenzen galt. Ingrid Dietrich beschreibt ihn in ihrem Werk „Politische Ziele der Freinet-Pädagogik“ als politischen Pädagogen (Ingrid Dietrich 1982). Den Schwerpunkt des folgenden Beitrages wird jedoch „der Pädagoge Freinet“ sein. Es sollen neben seinem Lebensweg, vor allem seine Beweggründe, und anschließend der Weg der Entwicklung seines Konzeptes aufgezeigt werden. Den Abschluss bildet, den Seminarinhalten „Schriftspracherwerb und Leselehrgänge“ entsprechend, ein Kapitel über die Lese- und Schreiblehrmethoden nach Célestin Freinet innerhalb der Primarstufe. 2. Wer war Célestin Freinet ? 2.2. Ein „pädagogischer“ Lebenslauf
Célestin Freinet wurde am 15.10.1896, in einem kleinen französischen Dorf namens Gars, geboren. Seine eigene Schulzeit prägten Langeweile und körperliche Züchtigung, und trotz dessen besuchte er anschließend das Lehrerbildungsseminar in Nizza.
Es kam der 1. Weltkrieg und Célestin Freinet kehrte aus diesem, durch einen Lungensteckschuss schwer verletzt, zurück. Diese Verletzung wird im Nachhinein, als Auslöser für seine Suche, nach einer Alternative zum Frontalunterricht angesehen. Seine pädagogische Zukunft begann 1920 in Bar-sur-Loup, als Lehrer in einer Grundschule. Mit der vorherrsche nden Form von Pädagogik nicht zufrieden, suchte er nach neuen Wegen außerhalb seiner Heimat. Diese führten ihn in den Jahren 1922-1925 nach Deutschland und Russland. Zu erwähnen ist hier sein Besuch einer norddeutschen Reformschule und Volksschule in Hamburg im Jahre 1922. “Tief beeindruckt“ hatte ihn eine gewerkschaftlich organisierte Reise in die Sowjetunion 1925, von der er mit der Idee des Schulfilms im Unterricht zurückkehrte (Ingrid Dietrich 1995, S.14).
1924 hatte er bereits begonnen die Schuldruckerei, als Unterrichtsgegenstand einzuführen. Die Schuldruckerei bildet heute neben der Klassenkorrespondenz und dem Klassenrat, ein wichtiges Element seines pädagogischen Konzepts (Ingrid Dietrich 1995, S.18). 1926 lernte er an der Schule seine spätere Ehe frau, Mitarbeiterin und wichtigste Vertrauensperson „Elise“ kennen. Freinet, der nicht nur Pädagoge, sondern auch politisch sehr engagiert war, trat 1926 der KPF (Kommunistische Partei Frankreichs) bei. 1928 gründete er ein genossenschaftliches Verlagshaus (CEL), welches für den Druck der Unterrichtsmaterialien zuständig war. Gleichzeitig stand es für eine Kooperative, die „Coopérative de l`Enseignement Laic, unter der sich gleich gesinnte Lehrer zusammen geschlossen hatten.
1932, Freinet war mittlerweile an einer Schule in St.Paul-de-Vence, kam es zu einem Schulkampf auf Grund eines „freien Textes“ von einem seiner Schüler. Der Streit, bei dem „bekannte Größen wie der Pädagoge Adolphe Ferriere und der Schriftsteller Romain Rolland Freinets Partei ergriffen“ (Ingrid Dietrich 1995, S.17), endete nach 2 Jahren mit der Entlassung Freinets aus dem öffentlichen Schuldienst. Freinet jedoch gab nicht auf und eröffnete 1934 die „Freinet-Schule“, ein Landschulheim, in der Nähe von Vence. Seine Schule nahm unter anderem „elternlos gewordene jüdische Kinder aus Deutschland, und vom spanischen Bürgerkrieg betroffene Kinder“ auf (Ingrid Dietrich 1995, S.17). Seine politische Haltung zum Geschehen dieser Zeit führten zu 1 ½ Jahren Gefangenschaft in verschiedenen Internierungslagern, in dieser Zeit verfasste er zahlreiche wichtige Schriften, unter anderem „L`École moderne francaise“.
Nach seiner Rückkehr eröffnete er 1945 erneut seine Privatschule bei Vence, und bald darauf den ersten pädagogischen Kongress der Nachkriegsze it. Freinet beschloss eine Einrichtung zu schaffen, welche die Forschung intensiver unterstützen sollte, als es der „CEL“ möglich
war.1951 kam es daher zur Gründung der „ICEM“, die sich der Weiterentwicklung der Technik und Arbeitsmaterialien annahm. Eine internationale Vereinigung der Bewegung der „Ecole Moderne“ (FIMEM) entstand 1964.
1968 fand ein erstes internationales Treffen der Freinet-Pädagogen in Belgien statt, doch Freinet selbst nahm bereits 1965 zum letzten Mal am Kongress der „École Moderne“ teil. Am 08.10.1966 verstarb Freinet in Vence, nach einem langen pädagogischen und auch politischen Kampf für die Reform des Schulsystems, und somit für die Kinder in Frankreich und über die Grenzen hinaus. Ein Kampf der, so zeigt es sein Lebenslauf, angetrieben wurde nicht zuletzt von einem großen Herzen, „kleinen Menschen“ gegenüber.
3. Die „Freinet - Pädagogik“
3.1. Freinets Beweggründe nach neuen pädagogischen
Wegen zu suchen
Was kann einen Menschen dazu bewegen, vierzig Jahre für Reformen i nnerhalb seines Berufes zu kämpfen ?
Gesundheitliche Gründe, somit also vom Motiv aus betrachtet rein egoistische Gründe ? Im Fall von Célestin Freinets findet man in der pädagogischen Fachliteratur sehr oft den Grund der „schweren Kriegsverletzung“, die ihn in seiner Sprechzeit einschränkte, und ihn somit nach Alternativen zum Frontalunterricht suchen ließ. Dieser oft erwähnte „Lungensteckschuss“ wird mit ein Grund gewesen sein, doch war bei weitem nicht sein Hauptbeweggrund.
Ingrid Dietrich schreibt dazu innerhalb eines Beitrages „Wer war Célestin Freinet ?“: „(...) doch lässt diese Erklärung Freinets eigentliche Motivation außer acht“ (Ingrid Dietrich 1995, S.14). Hier stellt sich nun die Frage, was waren dann seine eigentlichen Beweggründe ? Betrachtet man sein Konzept und dessen Inhalte rückblickend, so stößt man immer wieder auf denselben Ansatz: Das Wohl des Kindes innerhalb einer ganzheitlich geförderten Entwicklung.
Die vorherrschende Unterrichtsform zur Zeit Freinets stellte der Frontalunterricht dar. Unterricht, der auf Lehrpläne gestützt, und durch entsprechende Lehrbücher unterstützt, das...
Schlagworte:
Referat, hausarbeiten.de, freier-Ausdruck, lit_2003-buch,e-book,
summary:
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Notiz:
Bewertung: 1,3, Kosten: 6,99 €
Uni Koblenz-Landau Abteilung Grundschulpädagogik Landau
Titel: Der Pädagoge Célestin Freinet
Veranstaltung: Seminar: Schriftspracherwerb und Leselehrgänge
Autor:Christina SchulzJahr: 2003
Seiten: 17
Archivnummer: V19766
ISBN (eBook): 978-3-638-23812-0
DOI: 10.3239/9783638238120
Dateigröße: 184 KB
Sprache: Deutsch
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ID: 1531 | hinzugefügt von Jürgen an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Feine Unstimmigkeiten zu Notengebung und Texte der Antipädagogik (Freundschaft mit Kindern Deutschland by Schär, Thomas |
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Titel: | Feine Unstimmigkeiten zu Notengebung und Texte der Antipädagogik (Freundschaft mit Kindern Deutschland |
Autor: | Schär, Thomas | Sprache: | deutsch |
Quelle: | o.O., in: Bindestrich-19, p. 06 - 08 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | 04.4.1995 | | |
url: | |
Text:
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Schlagworte:
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keine Notizen verfügbar
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ID: 547 | hinzugefügt von Peter an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Das didaktische Konzept Freinets und dessen mögliche Umsetzung im Unterricht by Selbach, Julia |
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Text:
1. Einleitung
Die Zeit um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20.Jahrhundert war eine Zeit geprägt von Reformen in vielerlei Hinsicht. Nicht nur politisch und industriell war dies eine Zeit des Umbruchs. Besonders gesellschafts- und bildungstheoretischer Hinsicht entstanden Ideen und Ansätze, die bis in die heutige Zeit hinein das Bildungssystem beeinflussen und einen wichtigen Grundstein für ein völlig neues Verständnis von Pädagogik legten.
Die Reformpädagogik des beginnenden 20.Jahrhunderts hatte das Ziel, eine Pädagogik zu schaffen, die den Bedürfnissen des Kindes angepasst war. Ein bedeutender Verfechter dieses Verständnisses ist Célestin Freinet. Sein erklärtes Ziel war es, eine für die damalige Zeit völlig neue Form von Schule zu schaffen, nämlich „[…]eine einheitliche Schule ohne Klassenunterschiede und Privilegien für alle Kinder des Volkes[…]“(Hellmich; Teigeler, 1995, S.95) Die vorliegende Arbeit soll einen Überblick über die alternativen pädagogischen Ideen des Reformpädagogen Célestin Freinet geben, sowie seine Konzepte zu deren praktischer Umsetzung vorstellen. Darüber hinaus soll die heutige Umsetzung der Freinetpädagogik am Beispiel er Freinetgrundschule Köln dargestellt werden. Den Schluss der Arbeit bildet eine kritische Auseinandersetzung mit der pädagogischen Konzeption Célestin Freinets.
2. Der Lebensweg Célestin Freinets
Célestin Freinet wird am 15.10.1896 als Sohn einer kleinbäuerlichen Familie im den südfranzösischen Dorf Gars geboren. Er ist das fünfte Kind von insgesamt sieben Geschwistern. Schon sehr früh macht sich für Célestin Freinet die schwierige finanzielle seiner Familie bemerkbar, indem er bereits im Kindesalter zu landwirtschaftlichen Arbeiten herangezogen wird, um mitzuhelfen, den Lebensunterhalt seiner Familie sicher zu stellen.
Aus diesen Erfahrungen seiner Kindheit „[…]rührt seine tiefe Verbundenheit mit der Natur und mit dem einfachen, natürlichen Leben der Bauern, Hirten und Arbeiter
seiner Heimat.“(Hellmich; Teigeler,1995,S.93). Das Leben in der natürlichen Umgebung prägt vor allem Célestin Freinets späteres Verständnis von Pädagogik. Célestin Freinet besucht später die Volksschule. Er erweist sich als aufgeweckter Schüler und somit bietet sich ihm die Möglichkeit, anschließend ein Gymnasium zu besuchen. Nach erfolgreicher Beendigung seiner Schullaufbahn wird Célestin Freinet von seinen Lehrern für ein Lehramtsstudium vorgeschlagen. In Anbetracht der damaligen Gegebenheiten handelt es sich dabei um eine der wenigen Studienmöglichkeiten für Kinder aus einfacheren Verhältnissen. Mit dem Ziel Lehrer zu werden, wird Célestin Freinet schließlich im Jahre 1913 in das Lehrerseminar von Nizza, der so genannten Ecole Normale, aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt ist er 16 Jahre alt. Aufgrund des zweiten Weltkrieges kann Célestin Freinet sein Studium in der nachfolgenden Zeit jedoch nicht beenden, da er bereits im Jahre 1915 als Offizier in den Kriegsdienst eingezogen wird. Nur kurze Zeit später, im Jahr 1916, wird Célestin Freinet bei Gefechten vor der Stadt Verdun durch einen Lungensteckschuss schwer verwundet .Célestin Freinet leidet daraufhin an schweren Atem-und Sprechschwierigkeiten, die eine hundertprozentige
Kriegsschädigung zur Folge haben. Die folgenden vier Jahre verbringt Célestin Freinet daher in Lazaretten sowie Sanatorien, jedoch ohne eine nennenswerte Heilung seines Kriegsleidens. Letztendlich kuriert er sich mit Hilfe von
Naturheilverfahren, welche er in seinem Buch „Les dits de Mathieu“ näher erläutert, selbst so weit, dass ihm bereits im Jahre 1920 eine Stelle als Lehrer in der Grundschule Bar-sur-loup anbieten kann.
Da Célestin Freinets vorangegangene Ausbildung am Lehrerseminar jedoch lediglich zwei Jahre andauerte, eignet er sich einen Großteil seiner Kenntnisse durch das Selbststudium pädagogischer Literatur während seiner Aufenthalte in den Lazaretten und Sanatorien an. Sein größtes Interesse liegt dabei in der Beschäftigung mit den Schriften und Erkenntnissen Rousseaus, Pestalozzis und Montaignes. Durch dieses große Interesse tritt er bald darauf in Kontakt mit den führenden Reformpädagogen seiner Zeit, wie zum Beispiel Peter Petersen oder aber auch Berthold Otto, welche er später auf seinen zahlreichen Studienreisen auch persönlich kennen lernen wird. 1920 tritt Célestin Freinet wie bereits erwähnt in den Schuldienst ein und besteht 1923 sein Examen, welches ihn auch zum Erteilen von Unterricht im höheren
Schuldienst befähigt. Aufgrund der Folgen seiner Kriegsverletzungen ist es Célestin Freinet jedoch kaum möglich, den Unterricht in der ihm bisher bekannten Art und Weise, nämlich in Form des herkömmlichen Frontalunterrichts, durchzuführen. Seine Atem- und Sprechschwierigkeiten haben zur Folge, dass Célestin Freinet oftmals kaum fünfzehn Minuten am Stück das Wort ergreifen kann und er sich somit alternative Formen des Lehrens und Unterrichtens erarbeiten muss. In vielen Biographien wird dieser Umstand zum Anlass genommen daraus zu schließen, Célestin Freinet „[…]habe seine Pädagogik der Selbsttätigkeit vorwiegend deshalb entwickelt, um seine angegriffene Gesundheit zu schonen und einen langen Schultag überhaupt durchstehen zu können.“(Dietrich,1995,S.14). Dies trifft sicherlich zu, wie Ausführungen Elise Freinets belegen: „Mit unnachgiebiger Hartnäckigkeit in körperlichen und seelischen Anstrengungen begann der junge Lehrer die ebenso lange wie geduldige Lehrzeit in seinem pädagogischen Beruf. Dies konnte er nur durch einen Kompromiss erreichen, indem er einerseits seine eigene Gesundheit schonte und andererseits den Kindern eine aktivere Rolle im Schulleben zukommen ließ.“(Freinet,E.,1981,S.17-18). Vor allem aber hat Célestin Freinets Pädagogik der Selbsttätigkeit und Individualität zum Ziel, die Schüler zu einem selbstständigen Arbeiten zu motivieren. Somit entwickelt Célestin Freinet eine Abkehr vom bisher üblichen Lehrervortrag, welcher seiner Meinung nach die Schüler zwangsläufig in einen Zustand der Passivität versetze. Ein weiterer Grund für Célestin Freinets Ablehnung des Frontalunterrichts ist darüber hinaus seine Auffassung, dass „der ihm abverlangte Unterricht ohne Beziehung zum Leben der Kinder ist und ihr Interesse mehr dem gilt, was außerhalb des Klassenzimmers im Dorf geschieht“(Laun,1983,S.25).
Célestin Freinets großes Interesse an reformpädagogischen Arbeitsweisen führt ihn mit mehreren bedeutenden Pädagogen seiner Zeit zusammen, deren alternative Erziehungsmodelle und Ideale ihn in weiten Teilen in seiner Arbeit beeinflussen. Als Beispiel ist hier sein Kontakt zu dem Arzt und Pädagogen Ovide Decroly zu nennen, der maßgeblich Célestin Freinets bekannte Idee der Schuldruckerei mit beeinflusste. Aber auch weitere berühmte Reformpädagogen wie Maria Montessori, John Dewey oder Peter Petersen prägen Célestin Freinets Vorstellungen von Pädagogik. Vor allem aber mit dem Reformpädagogen Peter Petersen verbindet ihn eine tiefe
Beziehung, die sich „[…] bis zu seinem Tod in Brief- und Gedankenaustausch[...]“(Jörg, 1981, S.139) zeigt.
Im Jahre 1923 besteht Célestin Freinet sein Examen als Professor für Literatur. Ein Angebot, als Lehrer an einer höheren Schule Unterricht zu erteilen lehnt er ab, um weiterhin an seiner kleinen Schule auf dem Land tätig zu sein. Sein Vorstellungen zur Umsetzung alternativer Lernmethoden, noch verstärkt durch den Kontakt zu anderen Reformpädagogen, lassen Célestin Freinet bald erkennen, dass ihm alleine nicht möglich ist, seine Ideen alleine umzusetzen. Aus diesem Grunde gründet er im Jahre 1924 die „Cooperative de l´Enseignement Laic“(C.E.L.), welche noch bis heute besteht. Diese von ihm gegründete Kooperative ist ein Zusammenschluss von Lehrern in Form einer pädagogischen Gewerkschaft. Die Arbeit der C.E.L. besteht gemäß Célestin Freinets Vorstellungen darin, kindgerechte Arbeitsmaterialien für die Schule zu entwickeln und bereit zu stellen. Im Jahre 1926 unterhält Célestin Freinet bereits neun druckende Schulen, welche mit ihm selbst sowie seiner Klasse auf diese Wege korrespondieren. Im selben Jahr heiratet er seine Frau Elise. Elise Freinet ist wie ihr Mann Lehrerin und ihm bis zu seinem Tode eine treue Mitarbeiterin. Im Jahre 1927 findet der erste Kongress der C.E.L. in der französischen Stadt Tour statt. Zu diesem Zeitpunkt zählt Célestin Freinets Kooperative bereits 41 Lehrerinnen und Lehrer. 1928 führt es Célestin Freinet zum zweiten Male nach Deutschland, wo er am internationalen pädagogischen Kongress des „Leipziger
Lehrervereins“ teilnimmt. Auch in den folgenden Jahren zeigt Célestin Freinet stets großes Interesse für Entwicklungen in Deutschland, sowohl in pädagogischer als auch in politischer Hinsicht. So ruft er beispielsweise im Jahre 1933 deutsche Lehrerinnen und Lehrer zum Protest gegen die Machtergreifung Hitlers auf. Trotz seines großen Interesses und Idealismus in politischer Hinsicht, die ihn 1924 zum Beitritt in die kommunistische Partei Frankreichs bewegen, wehrt sich Célestin Freinet mit aller Entschiedenheit dagegen, seine Kooperative dieser Partei zu überführen.
Schließlich verlässt er die kommunistische Partei Frankreichs 1948 aufgrund der immer stärker werdenden Anfeindungen und den ständigen Versuchen, ihn der Partei untertänig zu machen. Im gleichen Jahr gibt Célestin Freinet seiner Pädagogik die offizielle Bezeichnung „Ecole moderne francaise“ (vgl. Kock, 1995, S.24). Der
letzte Kongress seiner „Ecole moderne“, an welchem Célestin Freinet noch persönlich teilnehmen kann, ist die im Jahre 1965 in Brest stattfindende Versammlung. Den darauf folgenden in Perpignan stattfindenden Kongress im Jahre 1966 kann er aus gesundheitlichen Gründen bereits nicht mehr persönlich besuchen. Célestin Freinet stirbt schließlich am 8. Oktober 1966 und wird in seinem Heimatort Gars beigesetzt (vgl. Kock, 1995, S. 24 f.)
Auch nach Célestin Freinets Tod bleibt die Bewegung der „Ecole moderne“ bestehen. Heute ist sie, bezeichnet als „Institut Cooperatif de l´Ecole Moderne“, eine der größten und wichtigsten französischen Reformbewegungen. Sie ist besonders innerhalb des Primarschulsystems etabliert und in mehr als 40 Ländern weltweit verbreitet (vgl. Kock, 1995, S. 25).
3. Auffassung des Menschenbildes und Erziehungsziel der
Pädagogik Célestin Freinets
Der zentrale Aspekt der Pädagogik Célestin Freinets, um der er sich sein ganzes Leben lang bemühte, ist das Verwirklichen einer „ […]der Natur nahen Erziehung mit natürlichen Methoden in einer entsprechend vorbereiteten Umgebung[…]“ (Hellmich; Teigeler, 1995, S.98).
Ein weiteres wichtiges Anliegen Célestin Freinets war es, die Lebensumstände von Kindern, die betroffen waren von Krieg und sozialen Missständen, zu verbessern. Sein Ziel war es daher, durch eine bessere Schulbildung den Bildungsstandard zu erhöhen, um den Kindern somit bessere Lebenschancen zu ermöglichen. Célestin Freinet erkannte, dass das veraltete Schulsystem seiner Zeit dies nicht gewährleisten konnte.
Als sozialistisch geprägter Mensch veranlasste ihn dieser Umstand also, dieses bestehende Schulsystem zu reformieren und gegen es anzukämpfen. Das Ziel der Erziehung Célestin Freinets war demnach also „[…] nicht der der Gemeinschaft untergeordnete Massenmensch, sondern die freie, selbst denkende, selbstbewusste, verantwortlich handelnde Persönlichkeit, die nach besten Kräften zum Wohle der Gemeinschaft beiträgt“ (Treitz, 1979, S. 5).
Schlagworte:
lit_2007-buch, e-book,
kein Summary verfügbar
Notiz:
Uni Köln
Titel: Das didaktische Konzept Freinets und dessen mögliche Umsetzung im Unterricht
Veranstaltung: Reformpädagogik und Schulpädagogik
Autor:Julia SelbachJahr: 2007
Seiten: 23
Archivnummer: V137255
ISBN (eBook): 978-3-640-45896-7
ISBN (Buch): 978-3-640-45859-2
DOI: 10.3239/9783640458967
Dateigröße: 132 KB
Sprache: Deutsch
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ID: 4349 | hinzugefügt von Jürgen an 12:18 - 7.8.2012 |
title: Alternativen in der Regelschule by Sigel, Richard |
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Titel: | Alternativen in der Regelschule |
Autor: | Sigel, Richard | Sprache: | deutsch |
Quelle: | München | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | 1986 | | |
url: | |
Text:
Alternativen in der Regelschule, Ihre Notwendigkeit aus Schüler- und Lehrersicht und wie sie von bundesdeutschen Freinetlehrern umgesetzt werden
Schlagworte:
Examensarbeit_allgemeine_Pädagogik
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ID: 1258 | hinzugefügt von Hagstedt an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Cèlestin Freinets reformpädagogisches Konzept. Ansatz zur Ausarbeitung eines Konzeptes zur Integration unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge? by Simons, Lisa |
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Titel: | Cèlestin Freinets reformpädagogisches Konzept. Ansatz zur Ausarbeitung eines Konzeptes zur Integration unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge? |
Autor: | Simons, Lisa | Sprache: | deutsch |
Quelle: | München, Grin | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | DD.MM.2015 | | |
url: | https://www.grin.com/document/324189 |
Text:
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
1. Cèlestin Freinet
1.1 Leben und Wirken
1.2 Pädagogisches Konzept
1.2.1 Ziele und Grundprinzipien
1.2.2 Praktische Umsetzung – Arbeitstechniken und Methoden
2. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland
2.1 Definition und Statistik
2.1.1 Gründe und Umstände der Flucht
2.2. Situation und Bedürfnisse der umF in Deutschland
2.2.1 Kindeswohl
2.2.2 Fremdheit
2.2.3 Zwischen Autonomie und Orientierung
2.2.4 Traumatisierung und Traumatherapie
3. Elemente der Freinet Pädagogik in einem Konzept für umF
3.1 Das Kindeswohl mit Freinet schützen
3.2 Fremdheit mit Freinet begegnen
3.3 Autonomie und Orientierung mit Freinet gewährleisten
3.4 Traumata mit Freinet aufarbeiten
4. Fazit
5. Quellenverzeichnis
5.1 Literatur
5.2 Internet
5.3 Rechtsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Einleitung
Im Reichstag herrschte ein totalitärer, grausamer Diktator. Auf den Straßen herrschte Gewalt. In den Häusern herrschte Hunger, Angst und Verzweiflung.
Während die Nationalsozialisten von 1933-1945 regierten, wurden in Deutschland Menschen aufgrund ihrer Rasse, Religion, sexuellen Orientierung oder politischen Einstellung verfolgt, eingesperrt und grausam getötet. Verfolgung, Repressalien und organisierter Massenmord von Minderheiten waren an der Tagesordnung und ließen die jüdische Bevölkerung, die besonders schwer von der Verfolgung betroffen war, verzweifeln. Um wenigstens verfolgte Kinder vor der Terrorherrschaft Hitlers zu bewahren, organisierten Hilfsorganisationen und Privatpersonen Kindertransporte, mit denen sie allein nach Großbritannien 9.354 Kinder in Sicherheit brachten (Hargasser 2014, S.8).
Heute hat sich die Situation grundlegend geändert. Niemand muss mehr aufgrund von Verfolgung aus Deutschland fliehen. Deutschland hat sich zu einem demokratischen Rechtsstaat entwickelt, der in der Weltgemeinschaft angesehen ist. Doch in vielen Krisen- und Kriegsgebieten dieser Welt herrschen heute ähnliche Zustände wie damals in Deutschland. Diese Zustände zwingen Menschen ihr Heimatland zu verlassen. Besonders in den Regionen Irak und Syrien, wo aktuell die Terrorherrschaft des „Islamischen Staates“ und ein verehrender Bürgerkrieg wüten, entschließen sich immer mehr Menschen ihre Heimat zu verlassen. Die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge steigt seit Monaten kontinuierlich und drastisch an. Politik und Medien sprechen von einer Flüchtlingskriese (Gambone 2015). Auch immer mehr Minderjährige sehen sich aus unterschiedlichen Gründen gezwungen, sich alleine auf die gefährliche Flucht in ein sicheres Land zu begeben. Deutschland hat sich innerhalb von weniger als 70 Jahren von einem Land, aus dem Kinder flüchten mussten, zu einem Land entwickelt, in das immer mehr Kinder flüchten und in dem sich immer mehr Kinder Sicherheit und eine bessere Zukunft erhoffen.
Die drastisch steigende Anzahl von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland ist eine große Herausforderung für die Politik, aber auch für die Soziale Arbeit. Der besondere und spezifische Hilfebedarf von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen erfordert spezielle Methoden und Konzepte, die auf die besonderen Bedürfnisse der Flüchtlingskinder eingehen.
Die vorliegende Arbeit soll untersuchen, in wie fern das Pädagogische Konzept von dem Reformpädagogen Cèlestin Freinet als Grundlage zur Entwicklung eines Konzeptes zur Integration von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland beitragen kann. Eine konkrete Ausgestaltung eines Konzeptes und der Rahmen für den das Konzept geschaffen wird, soll hierbei nicht erarbeitet werden.
Im ersten Teil der Arbeit wird das Pädagogische Konzept von Freinet in Grundzügen vorgestellt.
Im zweiten Teil wird der Begriff umF geschärft und die Situation der umF in Deutschland erläutert und deren Bedürfnisse herausgearbeitet.
Im dritten Teil der Arbeit wird erörtert, in wie weit die Bedürfnisse der umF durch die Elemente der Freinet Pädagogik im Rahmen eines Konzeptes zu Integration befriedigt werden können.
Eine solche Übertragung von Freinets Konzept auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wurde bisher noch nicht untersucht. Als Grundlage meiner Ausarbeitung dienen Fachliteratur zu Cèlestin Freinet und unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, sowie wissenschaftliche Studien zu umF und hierbei hauptsächlich die Studie „Unbegleitete Minderjährige in Deutschland. Fokus-Studie der deutschen nationalen Kontaktstelle für das Europäische Migrationsnetzwerk“.
1. Cèlestin Freinet
1.1 Leben und Wirken
Cèlestin Freinet wird 1896 als Sohn einer armen Kleinbauernfamilie in Gars, Südfrankreich geboren. Nach der Schule beginnt er 1912 das Lehrerstudium (vgl. Winkel 1997, S. 55-56). Dieses muss er jedoch aufgrund des 1. Weltkrieges abbrechen. Während des Krieges wird Freinet durch einen Lungensteckschuss schwer verwundet. Nachdem er zwei Jahre im Lazarett zubringt, tritt Cèlestin Freinet 1920 seine erste Stelle als Lehrer in einer französischen Ecole primaire an.
Während seiner Lehrertätigkeit steht Freinet im ständigen Austausch mit Reformpädagogen wie Hermann Lietz, Maria Montessori oder Peter Petersen und lässt sich von deren Werken beeinflussen und anregen. Er teilt mit den Reformpädagogen die kritische Einstellung gegenüber dem bestehenden Schulsystem mit festen Lehrplänen und Frontalunterricht (vgl. Köster 2005, S.48ff.). Freinet selbst beschreibt seine Kritik mit den Worten „Die Mangelerscheinungen sind nicht zu leugnen: schlecht verdaute Nahrung, Widerwille vor intellektueller Ernährung, der bis zur totalen Verweigerung gehen kann, Verkrüppelung des Individuums, Lebensuntüchtigkeit, Feindseligkeit gegenüber der falschen Kultur der Schule. Diese Mangelerscheinungen nenne ich „Scolatismus“ (Freinet 1980, S.22).
Um das Schulsystem in Frankreich zu reformieren, gründet Freinet 1924 die „Cooperative de l`Enseignement Laic“ (C.E.L.). Diese „Kooperative“ sollte Arbeitsmaterialien herausgeben und die pädagogische Zusammenarbeit organisieren und fördern. Später entstand hieraus die Lehrerbewegung „Ècole Moderne“.
Darüber hinaus verwendet Freinet selbst bei seiner Lehrertätigkeit immer mehr neue Methoden wie zum Beispiel die Praxis des „Freien Ausdrucks“ und die „Natürliche Methode“ und veröffentlicht Artikel, die sich gegen das traditionelle Schulsystem wenden wie zum Beispiel sein Aufsatz „Plus de manuels scolaires“ (Keine Schulbücher mehr) (vgl. Kock 2006, S.17). 1926 produziert Freinet seine erste eigene Schuldruckpresse, die zu einer zentralen Arbeitstechnik für ihn wird. In diesem Jahr heiratet Freinet auch seine Frau Elise, die ihn fortan in all seinen Tätigkeiten unterstützt (vgl. Köster 2005, S.51ff.).
Aufgrund von Freinets revolutionären Gedanken und seiner linken politischen Orientierung kommt es zu zahlreichen Hetzkampagnen gegen ihn und seine Pädagogik, sodass Freinet und Elise 1933 den öffentlichen Schuldienst in Frankreich quittieren. 1934 gründen sie ihr eigenes Landerziehungsheim im französischen Vence (vgl. Winkel 1997, S. 57).
Der 2. Weltkrieg setzt der Freinets Bewegung ein Ende. Freinet selbst wird zweimal interniert. Erst im August 1945, nach dem Ende des 2. Weltkrieges kann Freinet seine Schule in Vence wieder eröffnen und die Lehrerbewegung Ècole Moderne neu aufbauen. Darüber hinaus verfasst er zu dieser Zeit viele Werke über seine praktischen Pädagogischen Erfahrungen, darunter seine Werke „L`Ecole Moderne Francaise“ im Jahre 1946 und „Les dits de Mathieu“ 1956.
1966 verstirbt Cèlestin Freinet im Alter von 69 Jahren.
1.2 Pädagogisches Konzept
1.2.1 Ziele und Grundprinzipien
Freinet hat sich das Leitmotiv „Par la vie – pour la vie – par le travail“ zum Grundprinzip seiner Pädagogik gemacht (vgl. Freinet 1979, S.163). Sein Ziel ist es „dem Schüler möglich [zu] machen, zu einer möglichst selbstständigen, vollkommenen und harmonischen Entfaltung all seiner Anlagen und Kräfte zu gelangen.“ (Freinet 1979, S.153, Änderung Annika Botens)
Dabei stellt er den Schüler in den Vordergrund und fordert, das Kind schon von Geburt an als eigenständiges Individuum mit eigenen Rechten zu betrachten. Alles Lehren und Lernen soll ausgehen von den Bedürfnissen und der Lebenswelt des Kindes. Des Weiteren stellt Freinet heraus, dass jedes Kind das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hat. Dies beinhaltet, dass die Eigenart und Identität des Kindes berücksichtigt und der freie Ausdruck gefördert wird (vgl. Hellmich 2007, S. 99). Dem Kind soll freier Raum gewährt werden um sich auszudrücken, sei es schriftlich, musisch oder mündlich.
Darüber hinaus soll das Kind zur Selbstverantwortlichkeit und zur Selbstständigkeit erzogen werden. „Durch eigenes Versuchen, Selbsttun und Experimentieren soll das Kind Lösungswege für die Bewältigung aller auf es zukommenden Lern- und Lebensaufgaben finden.“ (Hellmich&Teigeler 2007, S.99). Hierbei soll besonders die erzieherische Wirkung der Arbeit und die Wirkkraft des Erfolges beachtet werden. Durch Selbstkontrollmöglichkeiten soll diese Wirkung verstärkt und verdeutlicht werden.
Ein weiteres Prinzip der Freinet Pädagogik ist die Erziehung zur Kooperation und Mitverantwortung. Die Schule soll ein „Ort der Kooperation sein“. Probleme und Konflikte werden offen diskutiert und Kritik konstruktiv angebracht (vgl. Köster 2005, S. 65). Die Kinder übernehmen zum Beispiel Verantwortung für die Geschehnisse in der Klasse, für die Reinheit der Räume oder für Pflanzen. Sie arbeiten gemeinsam an Lernprojekten und müssen sich hierbei die Arbeit untereinander aufteilen (vgl. Kock 2006, S. 69).
Darüber hinaus fordert Freinet die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt. Der Schüler soll zur Kritikfähigkeit und kritischen Betrachtung der Wirklichkeit erzogen werden (vgl. Hellmich&Teigeler 2007, S. 101).
Dem Lehrer kommt in der Freinet Pädagogik eine andere Rolle zu als in der traditionellen Pädagogik. Er ist nicht in erster Linie Wissensvermittler, sondern er unterstützt, berät und koordiniert die Lernaufgaben der Schüler. Ähnlich wie bei Montessori soll der Lehrer „Hilfe zur Selbsthilfe“ leisten (vgl. Köster 2005, S. 75).
Im Folgenden soll beschrieben werden, mit welchen Arbeitstechniken und Methoden diese Grundprinzipien in der Praxis umgesetzt werden.
1.2.2 Praktische Umsetzung – Arbeitstechniken und Methoden
Raumgestaltung und Arbeitsmaterialien
Die Klassenzimmer weichen in der Freinet Pädagogik deutlich von der herkömmlichen Raumgestaltung ab. Freinet war der Meinung, dass „die Arbeit […] der Ausgangspunkt und der Motor allen schulischen Lernens sein [soll], deshalb soll die Schule […] ein Arbeitsatelier sein, das gleichzeitig der Gemeinschaftsarbeit wie der Einzelarbeit mit Sonderaufgaben dient.“ ( Freinet 1979, S. 56, Änderungen Annika Botens)
Die Klassenzimmer werden dementsprechend in verschiedene Arbeitsateliers aufgeteilt, die mit unterschiedlichen Materialien ausgestattet sind und die Selbsttätigkeit anregen sollen. Beispiele für Arbeitsateliers sind, das „Atelier für Quellen- und Dokumentensammlung, das Atelier für naturwissenschaftliche Experimente oder das Atelier für künstlerisches und musisches Schaffen.“ (Hellmich&Teigeler 2007, S. 102)
Diese Aufteilung soll unter anderem den freien Ausdruck des Kindes fördern, das somit die Möglichkeit hat die verschiedenen Ateliers aufzusuchen, anstatt durch den Lehrer oder die Unterrichtsstunde auf einen Bereich festgelegt zu werden.
Darüber hinaus wird der Schulalltag durch zahlreiche Untersuchungen außerhalb der Schule ergänzt. Hierbei werden zum Beispiel Bauernhöfe, Märkte, Handwerksbetriebe oder der Wald besucht und gemeinsam erfahren.
Als Arbeits- und Lernmittel dienen keine festen Schulbücher, sondern frei zugängliche Arbeitsbüchereien, Arbeitsmittelkarteien, Versuchskarteien und Selbstlernkarteien. Diese stellen eine Sammlung an Wissen zur Verfügung, müssen aber aktiv und selbstständig von den Schülern verwendet werden. Es sind Selbstbildungsmittel, die auch Selbstkontrollmöglichkeiten enthalten (vgl. Hellmich&Teigeler 2007, S. 103).
Druckerpresse, Korrespondenz und Klassentagebuch
Ein Spezifikum der Freinet Bewegung ist die Nutzung der Druckerpresse als Element der Pädagogik. Nach dem Motto „Dem Kind das Wort geben“ ermöglicht die Druckerpresse es den Kindern ihre Erfahrungen und Beobachtungen niederzuschreiben und durch den Druck zu vervielfältigen. Dabei legt Freinet besonderen Wert darauf, dass die geschriebenen Texte der Schüler keine Diktate oder Pflichtaufsätze sind, sondern „freie Texte“, die das Kind je nach Interesse und individuellem Erleben selbstständig verfasst hat. Das gemeinsame Setzen und Drucken der Texte fördert unter anderem die Kooperation der Schüler untereinander und löst ein Wirksamkeitserleben der Schüler aus (vgl. Köster 2005, S. 72). Darüber hinaus verbindet Freinet mit dem Mittel der Druckerei die geistige und körperliche Arbeit. Da die Kinder in Eigenverantwortung drucken, sind sie „Autor, Setzer, Drucker, Buchbinder, Verleger und Buchhändler zugleich.“ (Köster 2005, S. 71).
Die gedruckten Texte, geschriebenen Briefe, Bilder sowie die Klassenzeitung werden mit einer Partnerklasse einer anderen Schule ausgetauscht. Die Klassen stehen untereinander im ständigen Kontakt und die regelmäßige Korrespondenz dient dem wechselseitigen Erfahrungsaustausch und der Erweiterung der eigenen Sichtweise. Darüber hinaus werden die Kinder so zu sauberem und gutem Arbeiten motiviert (vgl. Hellmich&Teigeler 2007, S. 106).
Im Klassentagebuch hält jeden Tag ein Schüler die Erlebnisse, Lernfortschritte und Lerninhalte der gesamten Klasse mit Texten und Bildern fest. Das persönliche Tagebuch bietet die Möglichkeit individuelle Fortschritte und Erlebnisse zu notieren (vgl. Köster 2005, S.75).
Der individuelle Wochenarbeitsplan, Klassenrat und Klassenversammlung
Die Förderung der Selbst- und Mitverantwortung wird in der Freinet Pädagogik unter anderem umgesetzt durch den individuellen Wochenarbeitsplan, den Klassenrat und die Klassenversammlung.
[...]
Schlagworte:
lit_2015-art, Hausarbeit
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ID: 5330 | hinzugefügt von Jürgen an 14:21 - 18.4.2020 |
title: Liebes erstes Schuljahr in Köln. Freinet-Pädagogik. Schulreform im Verborgenen by Speichert, Horst |
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Titel: | Liebes erstes Schuljahr in Köln. Freinet-Pädagogik. Schulreform im Verborgenen |
Autor: | Speichert, Horst | Sprache: | deutsch |
Quelle: | neue deutsche schule, GEW-NRW, Heft 1, S. 24-25 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1981 | | |
url: | |
Text:
-
Schlagworte:
lit_1981-art, NDS_GEW_NRW
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ID: 3407 | hinzugefügt von Jürgen an 16:32 - 24.7.2009 |
title: Schreiblust und Schreibförderung in der Grundschule - mit und ohne Computereinsatz by Steier, Iris |
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Text:
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG 1
1 THEORETISCHE GRUNDLAGEN 4
1.1 Tendenzen der Schreibdidaktik seit den 70er Jahren: Ein kurzer Abriss 4
1.2 Der Einfluss der amerikanischen Schreibforschung auf die Schreibdidaktik in
Deutschland 5
1.2.1 Forderungen von SchreibdidaktikerInnen an die Schulpraxis 6
1.2.2 Die neuere Schreibforschung und ihre Verwirklichung in der Schule 8
1.3 Bedeutung des Schreibens 9
1.3.1 Schreiben zur Identitätsgewinnung 9
1.3.2 Schreiben zum Zwecke der Erkenntnis 10
1.3.3 Unterschiede zwischen mündlicher und schriftlicher Sprache 11
1.3.4 Bedeutung des Schreibens für die Entwicklung des Kindes 12
1.4 Schreibblockaden und Schreibunlust 14
1.4.1 Emotionelle und kulturelle Schreibblockaden 14
1.4.2 Schreibunlust: Einflussfaktoren der Schule 15
1.5 Was sind motivierende Schreibanlässe? 15
1.6 Schreibkompetenz 17
1.6.1 Stufenmodelle der Entwicklung von Schreibkompetenz 17
1.6.2 Konsequenzen aus dem Stufenmodell von
B ÖTTCHER/BECKER-MROTZEK (2003) für die Grundschulpraxis 21
1.7 Zusammenfassung 22
2 DIE ENTWICKLUNG VON RECHTSCHREIBKOMPETENZ IM ZUSAMMENSPIEL MIT
DER FREIEN TEXTPRODUKTION 23
2.1 Forderungen an den Rechtschreibunterricht 23
2.2 Rechtschreibentwicklung am Beispiel der
„Vier Säulen des Rechtschreibunterrichts“ von BRINKMANN (2000) 24
2.3 Erläuterung der „Vier Säulen des Rechtschreibunterrichts“ 26
3 FREIES UND KREATIVES SCHREIBEN 29
3.1 Freies Schreiben 29
3.1.1 Überblick 29
3.1.2 Prinzipien des freien Schreibens 30
3.1.3 Bedeutung des freien Schreibens 32
3.1.4 Kritik und Zusammenfassung 33
3.2 Kreatives Schreiben 34
3.2.1 Geschichte des kreativen Schreibens 34
3.2.2 Überblick 35
3.2.3 Methoden des kreativen Schreibens und ihre Funktion 36
3.2.4 Methodengruppen des kreativen Schreibens 37
3.2.5 Einzelne Phasen des Schreibprozesses einüben: Die Textplanung 40
3.2.6 Koordination kreativer Schreibphasen und systematischer Lernphasen 42
3.2.7 Kritik und Zusammenfassung 44
3.3 Überarbeiten von Texten 47
3.3.1 Vorbemerkungen zum Überarbeiten von Texten 47
3.3.2 Kooperative Verfahren zur Textüberarbeitung 49
3.3.3 Zusammenfassung der beschriebenen Textüberarbeitungsverfahren 53
3.4 Zum Schreibprozess gehört Veröffentlichung 54
3.4.1 Die Druckerei: Nicht nur ein Mittel zum Zweck! 55
3.4.2 Möglichkeiten der Veröffentlichung 56
4 DER COMPUTER ALS WERKZEUG BEIM FREIEN UND KREATIVEN SCHREIBEN 58
4.1 Schreiben am Computer und Schreiben mit der Hand: Unterschiede 58
4.2 Vorteile der Textproduktion am Computer 59
4.3 Mögliche Nachteile des Computereinsatzes 63
4.4 Überarbeiten von Texten am Computer 65
4.5 Veröffentlichen von Texten mithilfe des Computereinsatzes 68
4.5.1 Das Veröffentlichen von Texten im Internet am Beispiel einiger
EINLEITUNG
Sicherlich sind viele GrundschulpädagogInnen bestrebt, für einen Schreibunterricht Sorge zu tragen, der die scheinbaren Widersprüchlichkeiten Schreiblust und Schreibkompetenz miteinander in Einklang bringen kann. Aufgrund von Lehrplanvorgaben, gesellschaftlichen Vorstellungen, Erwartungen von Eltern und vielen anderen Faktoren scheint dieses Unterfangen allerdings schwer realisierbar zu sein. Dies kann dazu führen, dass das primäre Ziel, zunächst die Schreibfreude von Jungen und Mädchen zu fördern, rasch durch einen Unterricht abgelöst wird, der vorrangig darauf abzielt, Schreibkompetenzen auszubauen und wenig auf die individuelle Schreiblust von Kindern eingehen kann. Manchen Lehrkräften wiederum ist der Aufbau und Erhalt von Schreiblust so wichtig, dass sie den Aspekt der Schreibförderung, welche zum Ausbau von Schreibkompetenz führen soll, als zweitrangig erachten oder der Ansicht sind, dass sich ausgehend von der Schreiblust alles andere von selbst entwickelt (vgl. WINTER 1998:52). Schließen sich Schreibförderung und Schreiblust in der Grundschule aufgrund der eingangs erwähnten Schwierigkeiten aus oder gibt es Verfahren, die beiden Ansprüchen entgegenkommen? Diese Frage soll mit der vorliegenden Arbeit beantwortet werden. Eine wichtige Grundlage für meine Arbeit bildet die empirische Vergleichsstudie von CLAUDIA WINTER (1998) 1 , die der Frage nachging, wie sich verschiedene didaktische Konzepte auf die Schreibkompetenzen von Grundschulkindern auswirken. Mit ihrer Forschungsarbeit zeigt Winter Grenzen des kreativen Schreibunterrichts auf und kommt schließlich zu der Folgerung, dass das Zusammenführen verschiedener didaktischer Konzepte zur optimalen Entwicklung der Textkompetenz von Kindern führt. Hierzu schlägt sie zwei Alternativen (von mir im Folgenden A und B genannt) vor. Einerseits lässt sich der normative Aufsatzunterricht durch kreative und ungebundene Schreibaufgaben bereichern, andererseits kann der kreative Schreibunterricht mit prozessorientierten Schreibtechniken gekoppelt werden (vgl. ebd. 201f.). Speziell mit der letztgenannten Variante beschäftigt sich diese Arbeit.
Das gemeinsame Verfassen und Überarbeiten von Texten und die Schreibberatung sind in der prozessorientierten Schreibdidaktik von großer Bedeutung und dies spiegelt sich auch in den didaktischen Überlegungen bezüglich des Computereinsatzes wider. Daher werden potentielle Möglichkeiten der Nutzung des Computers im Schreibunterricht
1 WINTER, CLAUDIA: Traditioneller Aufsatzunterricht und kreatives Schreiben. Eine empirische Vergleichsstudie (= Augsburger Studien zur Deutschdidaktik, Bd. 1). Augsburg: Verlag Dr. Wißner 1998
diskutiert. Hierbei wird davon ausgegangen, dass der Computer ein Schreibwerkzeug von vielen ist und nicht als ein Medium begriffen werden kann, welches Schreibprozesse von Anbeginn für alle Kinder erheblich erleichtert und zu revolutionären Verbesserungen im Bereich der Textkompetenz führt. Diese Ansicht vertritt auch REUEN (1997), der darauf hinweist, dass die Produktion und Überarbeitung von Texten mehr vom schriftsprachlichen Können der Schreibenden und weniger vom Schreibwerkzeug abhängig ist (vgl. ebd. 178-181). Seine Studie mit Kindern einer 4. Jahrgangsstufe machte sogar ersichtlich, dass die Qualität der am Computer erstellten Texte schlechter ausfiel als jene, die handschriftlich verfasst wurden. Reuen führt dies allerdings auf die Veränderungen der gewohnten Schreibumgebung und auf das stark konzentrationsfordernde Eingeben des Textes mittels der für die Kinder noch unvertrauten Tastatur zurück - ein Umstand, welcher die kognitiven Prozesse erheblich beeinträchtigte (vgl. ebd. 181). Wie für jedes Medium gilt demnach, dass seine Einsatzmöglichkeiten von den Nutzern, dem Grad ihrer Kompetenzen und dem Unterrichtsrahmen abhängen. Das 1. Kapitel versteht sich als Ausgangsbasis für die weiteren Kapitel. Zunächst wird ein Überblick über wichtige Tendenzen der neueren Schreibdidaktik und die sich daraus ergebenden Forderungen an die Schulpraxis gegeben. Es werden basale Begriffe wie Schreibunlust, Schreibmotivation und die Bedeutung des Schreibens für die kindliche Entwicklung dargelegt sowie der Frage nachgegangen, welche Faktoren möglicherweise zu Schreibunlust und Schreibblockaden führen und wie diese abgebaut werden könnten, bevor Schreibentwicklungsmodelle und eine Zusammenfassung das Kapitel abschließen.
In engem Verhältnis zur Textproduktion steht die Rechtschreibung. Das 2. Kapitel bietet einen Exkurs, welcher der gesonderten Klärung der Frage dient, wie Rechtschreibunterricht integrativer Bestandteil des Deutschunterrichts sein kann. Hierbei wird das Modell „Vier Säulen des Rechtschreibunterrichts“ von BRINKMANN (2000) herangezogen. Das 3. Kapitel gliedert sich in vier Teile, deren Angelpunkt die Frage ist, wie die Förderung von Schreiblust und Schreibkompetenz vereinbart werden können. Der erste Teil fokussiert auf freies Schreiben, im zweiten Teil werden kreative Schreibverfahren vorgestellt. Auf der Grundlage meiner Kritik insbesondere an einem Schreibunterricht, der primär kreative Schreibverfahren einsetzt, allerdings den Ausbau von Textkompetenz außer Acht lässt, widmet sich der dritte Teil Verfahren, die zum Entwickeln von Schreibkompetenz beitragen sollen. Hierbei fiel die Wahl auf prozessorientierte
Techniken der Textrevision. Im vierten Teil werden zum Abschluss einige Möglichkeiten zur Veröffentlichung von Kindertexten genannt.
Das 4. Kapitel greift die in den vorherigen Kapiteln vorgestellten Konzepte im Zusammenhang mit dem Computereinsatz auf. Einleitend werden Unterschiede zwischen der handschriftlichen und der maschinellen Textproduktion herausgearbeitet, bevor auf Vor- und Nachteile des Computereinsatzes eingegangen wird. Abschließend sollen verschiedene computergestützte Möglichkeiten rund um das Schreiben, Überarbeiten und Veröffentlichen von Texten dargestellt und einer kritischen Analyse unterzogen werden. Einige Internetportale für Kinder und Jugendliche, die gegen Ende des Kapitels beschrieben werden, dienen als praktische Beispiele für das Veröffentlichen von Texten im Internet.
Meine Abschlussbetrachtung fasst wesentliche Ergebnisse dieser Arbeit zusammen und leistet einen Ausblick.
In der Anlage zu dieser Arbeit kommen Kinder einer 5. Jahrgangsstufe zu Wort, die mir auf meine Frage, was ihnen das Veröffentlichen ihrer Texte bedeutete, ihre Ansichten schriftlich mitteilten. Es handelt sich um SchülerInnen, die im Rahmen meines Unterrichtspraktikums im Frühjahr 2005 an der Konrad-Aghad-Grundschule in Berlin-Neukölln an einer Schreibwerkstatt teilgenommen hatten. Ihre Antworten dürften dazu beitragen, Äußerungen von Erwachsenen zu ergänzen.
Bezüglich der verwendeten Literatur sei angemerkt, dass einige Quellen älteren Datums sind. Nach reiflicher Überlegung folgte der Entschluss, diese trotzdem zu nutzen, da sie meiner Ansicht nach noch immer diskussionswürdig sind. Literatur, die von mir zitierte AutorInnen verwenden und mir selbst nicht vorlag, wird, wenn möglich, in einer Fußnote spezifiziert. Sie taucht im Literaturverzeichnis nicht mehr auf. Eine abschließende Anmerkung betrifft das Verwenden maskuliner Formen in einigen wenigen Fällen. Selbstverständlich beziehen sich die Angaben immer auch auf weibliche Personen.
1 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
Zum Einstieg folgt eine knappe Übersicht wichtiger Tendenzen der neueren Schreibdidaktik seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Im Anschluss werden Forderungen an den schulischen Schreibunterricht, wie sie sich aus der neueren Schreibdidaktik ergeben, genannt und auf ihre Umsetzung in der Schulpraxis untersucht. Die anschließenden Ausführungen widmen sich der Bedeutung des Schreibens. Bevor es sich im Weiteren um die Frage dreht, was motivierende Schreibanlässe sein könnten, werden Ursachen für Schreibunlust vorgestellt und Lösungsvorschläge gemacht. Der letzte Teil des Kapitels beschäftigt sich mit einigen Entwicklungsmodellen der Schreibkompetenz. Eine Zusammenfassung schließt das vorliegende Kapitel ab.
1.1 Tendenzen der Schreibdidaktik seit den 70er Jahren: Ein kurzer Abriss
Seit den 70er Jahren erfuhr der traditionelle Aufsatzunterricht massive Kritik. Bemängelt wurde mitunter, dass er primär die Regeln und Normen der Sprachgestaltung be-handelt (vgl. WINTER 1998:11). BERGK (1993) stellt fest: „Der traditionelle Aufsatzunterricht war eine Einzeldisziplin des Deutschunterrichts, welche die individuelle Fähigkeit schulte, eine Erzählung, Schilderung, Beschreibung inhaltlich, stilistisch und grammatisch richtig «aufzusetzen»“ (ebd. 119). Kritisiert wurde ebenso, dass es für die SchülerInnen wenig Möglichkeit gab, eigene Wege und Formen zu entwickeln und sie ihrer eigenen Fantasie kaum freien Lauf lassen konnten. Als problematisch galt nun auch, dass den entstandenen Texten der konkrete Adressatenbezug fehlte (vgl. SCHUSTER 1998:117). Diese und weitere Einwände führten zur kommunikativen Wende, im Laufe derer die Aachener Didaktiker Gruppe „als ersten wesentlichen Schritt zur Abkehr vom traditionellen Unterricht“ (BÖTTCHER 1999:15) den kommunikativen Aufsatzunterricht entwickelte, bei welchem man davon ausging, dass Schreiben an echte Situationen mit realen Schreibabsichten sowie konkrete Adressaten gebunden sein müsse (vgl. BÖTTCHER 1999:15). Letztendlich wurde dieser Ansatz nicht von allen als eine zufriedenstellende Lösung empfunden: „Die Folge ist, dass Schüler vorwiegend Briefe in Formeln des öffentlichen Schriftverkehrs schreiben lernen [...] - jedoch auf Kosten der Vorstellungskraft und kreativen Phantasie“ (SANNER 1994:231). Dem vorgenannten kommunikativen Ansatz folgten in den 80er Jahren Konzepte wie das freie Schreiben, das kreative Schreiben, das Schreiben als Prozess und das Schreiben von Anfang an. Gemeinsames Element dieser aufsatzdidaktischen Entwicklungen
ist die Betonung des Schreibprozesses, der Schreibpersönlichkeit und der individuellen Entwicklung des Schreibenden. Darüber hinaus geben sie den Kindern und Jugendlichen Gelegenheit, sich selbst in den Schreibprozess einzubringen. Die Tendenzen der 80er Jahre werden unter dem Begriff personales Schreiben zusammengefasst. Hierbei handelt es sich einerseits um Konzepte, die sich an der Identität des Schreibenden orientieren, wie sie beispielsweise von SPINNER (1980) entwickelt wurden, und andererseits um die mehr an der Praxis orientierten Verfahren von BOEHNKE/HUMBURG (1980), MATTENKLOTT (1979) und SENNLAUB (1980) (vgl. ebd. 15). Die Konzepte von BAM- BACH (1989)und SPITTA (1992) stellen in Bezug auf das freie Schreiben, wie es SENN- LAUB (1980)in Anlehnung an reformpädagogische Vorstellungen aufgriff, eine Weiterentwicklung dar, insofern als dass auch die Ebene der Besprechung und Überarbeitung von Texten Beachtung findet (vgl. WINTER 1998:11f.).
Welchen Einfluss die amerikanische Schreibforschung auf die deutsche Schreibdidaktik hatte, soll im nächsten Unterpunkt knapp skizziert werden.
1.2 Der Einfluss der amerikanischen Schreibforschung auf die Schreibdidaktik in Deutschland
Die kognitive Wende, die das Modell des Behaviorismus ablöste, begriff SchülerInnen als selbst entdeckende und aktive Lernende, die ihr Wissen konstruieren. Erkenntnisse aus der Kognitionspsychologie fanden auch in der Schreibdidaktik ihren Niederschlag, wobei für die deutsche Schreibforschung amerikanische Forschungsergebnisse aus der Schreibprozessforschung eine wichtige Grundlage bildeten (vgl. BLATT 2004:39f.). Forschungsergebnisse führten zu der Erkenntnis, dass Schreiben eine äußerst komplexe Tätigkeit ist, die sich in verschiedene Phasen untergliedern lässt (vgl. BÖTTCHER 1999:17). Schreiben setzt sich aus vielen komplexen Handlungen zusammen und so kann „ein Text als das Ergebnis zahlreicher und komplizierter Einzelaktionen verstanden werden“ (REUEN 1997:27f.). Ausgehend von dieser Erkenntnis beklagt LUDWIG (1989) 2 , dass man dem Schreibprodukt zu viel, dem Schreibprozess zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet habe (vgl. ebd., zitiert in REUEN 1997:19). In der prozessorientierten Schreibdidaktik besteht demnach die Tendenz, nicht mehr nur den Text als Produkt des Schreibens zu betrachten, sondern den Schreibakt und seine Prozesse ins Zentrum der
2 LUDWIG, OTTO: Die Produktion von Texten im Deutschunterricht - Tendenzen in der Aufsatzdidaktik und ihre Herkunft. In: ANTOS, GERD/KRINGS, HANS P.: Textproduktion. Ein interdisziplinärer Forschungsüberblick. Tübingen: Niemeyer 1989, S. 328-347
Aufmerksamkeit zu rücken (vgl. BLATT 2004:40). Prozessorientierte Ansätze betrachten zudem Fehler als wichtigen Schritt auf dem Weg zur besseren Schreibung und berücksichtigen vor allem auch die Vorerfahrungen und individuellen Lernwege der Schreibenden. Dies bedeutet, dass Schreibkompetenz nicht durch fehlerloses Imitieren von Vorbildern gemäß einer mechanischen, extrinsisch motivierten Normanpassung erworben wird.
Bezogen auf den Erwerb von Rechtschreibkompetenz, die im 2. Kapitel im Zusammenhang mit freien Schreibverfahren ausführlicher beleuchtet werden soll, sei an dieser Stelle angemerkt, dass eine solche Sichtweise auf den Schreibprozess auch den Erwerb von Rechtschreibwissen nicht mehr als ein starres Einprägen von Regeln betrachtet. Vielmehr handelt es sich auch hierbei um einen aktiven Prozess, der das Entdecken und das Regelbilden einschließt 3 und somit Fehler auf dem Weg zur Normschreibung nicht mehr als Mangel aufgefasst werden (vgl. auch SCHEERER-NEUMANN 1996:1154). Der Fehler gilt dementsprechend als Gradmesser des subjektiven Lernerfolgs und wird nicht mehr in erster Linie als Ausdruck von Leistungsversagen angesehen. Aus den genannten Erkenntnissen der neueren Schreibdidaktik ergeben sich Forderungen an die Schulpraxis, wie sie verschiedene SchreibforscherInnen formulieren.
1.2.1 Forderungen von SchreibdidaktikerInnen an die Schulpraxis
Schreiben wird als eine komplexe Handlung begriffen, deren Teilprozesse - konzeptionelle, innersprachliche, motorische und redigierende - rekursiv verlaufen, d. h. ineinander greifend und beliebig wiederholbar. Es ist kein linearer Prozess, wie der häufig in der Schreibdidaktik und Lehrplänen genannte Dreischritt planen - aufschreiben - überarbeiten suggeriert (BÖTTCHER 1999:17).
Die Abkehr vom Schreiben als linearen Prozess hin zu einem prozessualen Textverständnis ermöglicht es, den Schreibprozess in Teilprozesse zu zerlegen. BAURMANN (1990) unterteilt den Schreibprozess in vier nicht linear verlaufende Phasen, die in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Als erste Phase nennt er konzeptionelle Prozesse, bei welchen Fragen der Zielsetzung, der gedanklichen Konzeption und das Entwickeln eines Schreibplans im Vordergrund stehen. Innersprachliche Prozesse umfassen die Satz- und Textbildung sowie die Orientierung an Konventionen geschriebener Sprache. Beim Verfassen von Texten und ihrer Planung sowie bei der Textüberarbeitung spielen auch motorische Prozesse eine Rolle.
3 Siehe aber auch Brinkmanns Anmerkungen zu ihrem Rechtschreibmodell im 2. Kapitel, aus welchen hervorgeht, dass Lernwörter den Schreibprozess von Kindern entlasten, sodass beim Schreiben nicht über jedes Wort nachgedacht werden muss.
Redigierende Tätigkeiten wie Korrekturen, Nachträge und gegebenenfalls Neufassungen schließen sich der Textproduktion an. Darüber hinaus wirken sich die Motivation, Emotionslage sowie das Wissen und die Fähigkeiten des Schreibenden auf den Schreibprozess aus (vgl. ebd. 11). Aufgabe der Schule ist daher BÖTTCHER (1999) zufolge nicht das Einüben verschiedener Aufsatzformen, sondern die Entfaltung des Schreibpotentials (vgl. ebd. 17). Ähnlich äußern sich BAUMMANN/LUDWIG (1996) 4 , deren Ansicht nach schulisches Schreiben an der Schreibentwicklung, den individuellen Entwicklungsständen und Interessenslagen der Schreibenden orientiert sein soll. Zudem sei es notwendig, dass sich SchülerInnen möglichst umfassende Schreibfähigkeiten aneignen können. Das Üben einiger weniger Aufsatzformen würde diesem Anspruch nicht gerecht werden (vgl. ebd., zitiert in WINTER 1998:14). SCHNEUWLY (1996) fordert einen Unterricht, in welchem Schreiben sowohl individuell als auch kooperativ stattfindet und Texte auch in der Gruppe vorgestellt und überarbeitet werden können (vgl. ebd. 36). Abschließend soll ein stark vereinfachtes Schaubild zeigen, wie - mit einigen dieser Forderungen im Hintergrund - einzelne Phasen des Schreibprozesses zusammenwirken könnten.
4 BAURMANN, JÜRGEN/LUDWIG, OTTO: Praxis Deutsch und der neuere Schreib- und Aufsatzunterricht. Schreiben: Konzepte und schulische Praxis. In: Praxis Deutsch (Sonderheft) 1996, S. 3-4
1.2.2 Die neuere Schreibforschung und ihre Verwirklichung in der Schule
Inwieweit die oben genannten Forderungen in der Schulpraxis verwirklicht werden, ist eine interessante Frage, der nun nachgegangen werden soll.
Eine prozessorientierte Schreibdidaktik, die vom Schreibenden, seinen Erfahrungen und Interessen ausgeht, wird in der schulischen Praxis kaum umgesetzt. Dies behaupten zumindest einige SchreibforscherInnen. So kritisieren KOCHAN/HERZ (1988), dass Schreiben nach wie vor von „außen nach innen“ (ebd. 25) erfolgt. Mit Unterricht von „außen nach innen“ könnte gemeint sein, dass Kindern Schreib- und Textmuster vorgegeben werden, an welchen sie ihr Mitteilungsbedürfnis auszurichten haben oder, wie BERGK (1990) 5 es ausdrückt: „Am Anfang steht das Aufnehmen und Einüben von Vorgegebenem. Am Ende steht - als Krönung - das Selbstproduzieren“ (ebd., zitiert in Winter 1998:16). Besonders problematisch an dieser Sichtweise dürfte sein, dass sie dem Mitteilungsbedürfnis von jüngeren Kindern kaum Bedeutung beimisst. Unberücksichtigt lässt sie zudem, dass viele SchulanfängerInnen bereits Vorstellungen von Schriftsprache entwickelt haben und sicherlich auch gewisse Erwartungen mitbringen. BAURMANN (1990) ist der Ansicht, dass der Deutschunterricht theoretische Erwägungen nicht beherzige (vgl. ebd. 7), sondern „reproduktive Tätigkeiten, die eher auf mechanistischen Sprach- und Lernvorstellungen beruhen“ (BAURMANN 1996:1122), bevorzugt würden. Und schließlich behauptet WINTER (1998), dass der traditionelle Aufsatzunterricht noch heute „die gängige Art des Schreibunterrichts“ ist (vgl. ebd. 9). Diese Feststellung sah ich in meinen Unterrichtspraktika zum Teil bestätigt. In den Klassen ab der 5. Jahrgangsstufe herrschte der normative Aufsatzunterricht vor 6 , bei welchem die Kinderzumindest in meinem Beobachtungszeitraum - überwiegend Klassenaufsätze mit einem gemeinsamen Thema in einem vorgegebenen Zeitrahmen verfassten, wohingegen jüngere Kinder durchaus auch freie Schreibanlässe ausprobieren konnten. Die Bedeutung des Schreibens in einem weiter gefassten Kontext und konkret bezogen auf die Entwicklung des Kindes ist Gegenstand der nächsten Unterpunkte.
5 BERGK, MARION: Rechtschreiblernen von Anfang an. Kinder schreiben ihre Lesetexte selbst. Frankfurt/M.: Diesterweg 1990, S. 14
6 Zwei meiner Praktikumsschulen in Berlin-Neukölln wiesen einen Anteil von etwa 80 % an Kindern nicht deutscher Herkunftssprache auf. Die Lehrkräfte zeigten Interesse an freieren Schreibverfahren, befürchteten jedoch, dass die Kinder diese aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse nicht bewerkstelligen könnten oder nicht genug Zeit bliebe, systematische Übungsphasen durchzuführen.
1.3 Bedeutung des Schreibens
Die Geschichte der Menschheit zeugt von den Bemühungen, Gedanken und Erinnerungen eine zeitliche Dauer zu verleihen und wichtige Mitteilungen unverfälscht über räumliche Entfernungen zu transportieren. Bevor Schrift existierte, mussten sich die Menschen besondere Mnemotechniken ausdenken, damit wichtige Informationen verlässlich weitergegeben werden konnten. Noch heute helfen uns Sprechrhythmen und Merkverse beim Einprägen von Lerninhalten. Unsere moderne Schriftkultur ist mit einem langen Weg und einiger Mühe verbunden. Ihre Geschichte zeichnet sich durch Versuch und Irrtum aus (vgl. HARTMANN 2004:8). Felswände, Steintafeln, Ton- oder Bronzetafeln und gegerbte Häute fungierten als erste Trägermedien, die flüchtigen Worten Bestand verleihen konnten. Heutzutage sind Papier und elektronisch beschreibbare Speichermedien gebräuchliche Informationsträger, die sich vor allem durch ein Kriterium auszeichnen: Sie sind transportierbar und leicht beschreibbar, sodass auch wesentlich mehr geschrieben werden kann. Auch die Produktionsmedien erweiterten im Laufe der Menschheitsgeschichte ihren Bestand. Finger, Stock, Griffel, Feder, Pinsel, Bleistift, Füllfederhalter, Kugelschreiber, Druckerei, Schreibmaschine und Computer sind einige Medien, mit welchen wir Spuren hinterlassen können (vgl. HARTMANN 2004:11). Beim Schreiben geht es natürlich nicht nur um das Hinterlassen von Spuren. Im Folgenden wird auf verschiedene Aspekte des Schreibens in seinem Bedeutungskontext der Identitätsgewinnung und auf das Ermöglichen von Erkenntnis eingegangen. Abschließend werden einige Unterschiede zwischen mündlicher und schriftlicher Sprachproduktion herausgearbeitet, um zu verdeutlichen, welche beachtlichen Leistungen insbesondere auch Kinder am Anfang ihrer Schriftsprachkarriere vollbringen müssen.
1.3.1 Schreiben zur Identitätsgewinnung
Der Akt des Schreibens erlaubt uns nicht nur mündliche Sprache, sondern auch unsere Innenwelt wie Gedanken, Gefühle, Erlebnisse und Ideen in Schriftzeichen umzusetzen. SPINNER (1980) 7 verweist auf das Schreiben als bedeutsames Element für die Identitätsgewinnung. Stärker als verbale Äußerungen könne Selbstgeschriebenes als ein eigenes Produkt erfahren werden, welches das Innere eines Menschen vergegenständlicht (vgl. ebd., zitiert in SCHUSTER 1998:125). Spinner zufolge werden Identitätsprozesse,
7 SPINNER, KASPAR H.: Identitätsgewinnung als Aspekt des Aufsatzunterrichts. In: DERS. (Hrsg.): Identität und Deutschunterricht. Göttingen 1980, S. 67-80
die in der mündlichen Sprache eher unbewusst und ungeordnet verlaufen, beim Schreiben „bewusster, greifbarer und beherrschbarer“ (ebd., zitiert in SCHUSTER 1998:126). Schreiben ermöglicht Vergangenes über einen längeren Zeitraum zu fixieren. Es kann somit einen Teil der eigenen Identität sichtbar werden lassen. Schrift fasst Spinner daher als eine wichtige Stütze für Identitätsprozesse auf (vgl. ebd., zitiert in SCHUSTER 1998:126). Doch auch Tonband- und Filmaufnahmen zeichnen menschliche Äußerungen auf. Es müssen also weitere Unterschiede zwischen der mündlichen und schriftlichen Textproduktion bestehen. Spinner liefert einen wesentlichen Hinweis: Im Gegensatz zu verbalen Äußerungen ist der Schreibakt durch Verlangsamung gekennzeichnet, die wiederum eine tiefere Reflexion ermögliche. Handelt es sich um das Niederschreiben von subjektiven Belangen wie eigene Gefühle, Erlebnisse und Gedanken, setze zudem Selbstreflexion ein (vgl. ebd., zitiert in SCHUSTER 1998:126).
1.3.2 Schreiben zum Zwecke der Erkenntnis
Die Kognitionspsychologie betrachtet die Entwicklung schriftlicher Kommunikationsfähigkeit als ein Ergebnis der Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt (vgl. WERDER 1990:22). AEBLI (1983) 8 stellt fest: „Mit dem Abbau des Egozentrismus geht die zunehmende Fähigkeit einher, fremde Standpunkte einzunehmen und das Verhalten und die Motive anderer Menschen zu verstehen“ (ebd., zitiert in WERDER 1990:22). Demgemäß wird der schriftliche Ausdruck als ein Medium zur tieferen Erkenntnis der Umwelt, der Selbsterkenntnis und der verbesserten Kommunikationsmöglichkeit mit anderen betrachtet (vgl. WERDER 1990:22). Aus diesem Grund gibt es für Aebli „kein besseres Mittel für den Erwachsenen wie für den Schüler, sich eine Sache klarzumachen, als sie schriftlich darzustellen“ (ebd., zitiert in WERDER 1990:23). Auch REUEN (1997) verweist mit Bezug auf HERMANNS (1988) 9 auf den Zusammenhang zwischen Denken und Sprechen:
Erst wenn ich über ein Thema schreibe, mache ich es mir wirklich zu eigen, nur dann kann ich auch eigene Gedanken wirklich auf ihre Stichhaltigkeit prüfen, weil ich sie dann, auf einem Blatt Papier, vor mir habe. Zugleich verschaffe ich mir, wenn ich über ein neues Thema schreibe, mit den Gedanken und mit dem Wissen auch die Sprache, die ich dafür brauche (HERMANNS 1988, zitiert in REUEN 1997:23).
8 AEBLI, HANS: Zwölf Grundformen des Lehrens. Stuttgart 1983
9 HERMANNS, FRITZ: Schreiben als Denken. Überlegungen zur heuristischen Funktion des Schreibens. In: Der Deutschunterricht 40:4 1988, S. 69-81
1.3.3 Unterschiede zwischen mündlicher und schriftlicher Sprache
Das Zitat im vorherigen Unterpunkt verweist bereits auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit: „Im Schreiben können komplexere Gedanken als im Sprechen entwickelt und dargestellt werden. Das liegt vor allem an der begrenzten Plan- und Memorierbarkeit während der mündlichen Textproduktion“ (REUEN 1997:23). Geschriebene Sprache unterscheidet sich von der inneren und der gesprochenen Sprache auch aus anderen Gründen: Ihre Syntax ist komplexer und mehr Wörter und Satzkonstruktionen sind nötig, um Inhalte in einer verständlichen Form zu transportieren (vgl. RAFFELSIEFER 2003:47ff.). Verbale und innere Sprache können ohne ausformulierte Sätze auskommen. Was während des Sprechens durch Intonation, Mimik und Gestik ausgedrückt wird, muss bei der schriftlichen Textproduktion ausformuliert werden. Nicht ohne Grund bezeichnet WYGOTSKI 1977 10 Schrift als „die wortreichste, exakteste und entwickeltste Form der Sprache“ (ebd., zitiert in RAFFELSIEFER 2003:49). Durch Schreiben ergibt sich eine Verlangsamung, die Wygotski als positiv auffasst, weil sie Schreibenden Zeit gibt, sich auf eine Sache zu konzentrieren und nach passenden Formulierungen zu suchen (vgl. ebd., zitiert in RAFFELSIEFER 2003:49). Die Diskrepanz zwischen Denken und Schreiben ist allerdings nicht nur von Vorteil: „Ideen und Gedanken kommen und verschwinden oftmals schneller, als man sie schriftlich zu fixieren vermag (REUEN 1997:24).
WERDER (1990) verweist auf Schwierigkeiten, die sich beim Übergang von der mündlichen zur schriftlichen Sprache ergeben. Mit Bezug auf WYGOTSKI (1971) 11 nennt er mehrere Gründe dafür. Einerseits setzt Sprache ein großes Maß an Abstraktionsvermögen voraus. Ferner fehlen bei schriftlicher Kommunikation Gesprächspartner, weshalb für Wygotski der schriftliche Ausdruck „Monologsprache auf weißem Papier“ (ebd., zitiert in WERDER 1990:23) ist. Zudem ist Schreiben mit einer kognitiven Anstrengung und Bewusstheit verbunden, da „Gedanken in Worte, Schriftzeichen und Sätze“ (ebd., zitiert in WERDER 1990:23) transformiert werden müssen. Um die vorgenannten Schwierigkeiten zu bewältigen, untersuchen kognitive Modelle des Schreibprozesses die kognitiven Schreibakte. Diese gehen zwar nicht explizit auf die unbewussten Aspekte des Schreibens wie Emotionslage und Motivation der Schreibenden ein, dennoch wird in dieser Arbeit das kognitive Modell von AEBLI (1983)
10 WYGOTSKI, LEW SEMJONOWITSCH: Denken und Sprechen. Frankfurt am Main 1977
11 WYGOTSKI, LEW SEMJONOWITSCH: Denken und Sprechen. Frankfurt am Main 1971
herangezogen, weil sich darin Schreiben als Prozess abzeichnet und die immense Bedeutung der Veröffentlichung 12 betont wird (vgl. ebd., zitiert in WERDER 1990:23f.). Aebli bezeichnet die Schreibidee als erste Phase des Schreibprozesses. Hierbei geht es um das Finden einer Schreibidee, das Klären des Schreibziels und der Textadressaten. Als nächste Phase schließt sich der Textplan an, der als wichtigstes Element bezeichnet wird: „Der Text muß systematisch geplant werden“ (AEBLI 1983, zitiert in WERDER 1990:23). Nach dieser Phase folgt das Niederschreiben. Interessanterweise empfiehlt Aebli hierbei, einen Text in einem Zuge durchzuschreiben, da dies seine innere Geschlossenheit fördere und es einfacher sei, einen Text anschließend zu korrigieren, als von Anbeginn einen perfekten Entwurf schreiben zu wollen. Zudem würde man sich bei einem solchen Verfahren nicht mit jeder Einzelheit aufhalten (vgl. ebd., zitiert in WER- DER 1990:24).Dem Niederschreiben lässt Aebli die Korrektur- und Überarbeitungsphase folgen, in welcher die äußere und die sprachliche Form sowie der Inhalt überprüft werden. Der Textüberarbeitung schließt sich die Schlussphase an, die für Aebli darin besteht, den Text einer Zuhörerschaft vorzulesen: „Der Verfasser muß erfahren, wie sein Text auf den Leser wirkt, und er muß Gelegenheit erhalten, sein Schreibverhalten an den Reaktionen der Leser und Hörer zu verbessern“ (ebd., zitiert in WERDER 1990:24). In diesem Zusammenhang verweist Aebli auch auf die Art und Weise einer geeigneten Rückmeldung. Sie müsse kontrolliert verlaufen, denn sie „berührt Probleme des Taktes und des zivilen Umgangs innerhalb der Gruppe“ (ebd., zitiert in WERDER 1990:24).
1.3.4 Bedeutung des Schreibens für die Entwicklung des Kindes
Für die Bewältigung der spezifischen kindlichen Lebenssituation habe der Schriftspracherwerb zunächst eine geringere Bedeutung als die mündliche Sprache. Schrift als Wahrnehmungsreiz in der Umwelt sei zwar für das Kind auch von Interesse, die Motivation zum Schriftspracherwerb bedürfe allerdings extrinsischer Faktoren (vgl. POMME- RIN 1996:30).Pommerin gibt zu bedenken, dass das Bedürfnis zum Schriftspracherwerb davon abhängt, „wieviele (lustvolle) Lese- und Schreibsituationen“ (ebd. 30) ein Kind im familiären und außerfamiliären Umfeld erfährt. Es kann an dieser Stelle hinzugefügt werden, dass SchulanfängerInnen unterschiedliche Erfahrungen mit Schrift sammeln konnten. Einige Kinder haben die Bedeutung von Schrift in einem positiven Sinne ent- 12 Veröffentlichenmeint in diesem Zusammenhang bereits das Vorlesen eines Textes.
decken können. Andere Kinder hingegen verbinden mit Schriftsprache weniger angenehme Erfahrungen. Sie haben etwa Reaktionen wie Wut, Ablehnung und Angst ihrer Eltern auf häufig eintreffende, unangenehme Behördenbriefe erlebt. Negative Erfahrungen mit Schrift zu Hause könnten dazu beitragen, dass manche Kinder dem Schriftspracherwerb weniger begeistert entgegensehen.
Für die Entwicklung des Kindes stellt das Erlernen der Schriftsprache einen überaus wichtigen Schritt dar. Die ersten Schreibversuche markieren einen Wendepunkt im Leben des Kindes, denn „es geht nicht nur um den Erwerb einer neuen Fertigkeit, sondern um die Teilhabe an der literalen Kultur überhaupt“ (BÖTTCHER/BECKER-MROTZEK 2003:40). Dieser Einschnitt habe Auswirkungen auf die Psyche, die Kognition und den sozialen Status des Kindes (vgl. ebd. 40). Der Schriftspracherwerb, mit welchem der Eintritt in die Erwachsenenwelt initiiert wird (vgl. ebd. 38), stellt einen neuen Lebensabschnitt dar, der das Kind befähigt, weitere Kommunikationsmöglichkeiten kennen zu lernen. Mit dem Erwerb der Schriftsprache kann sich das Kind Wissen selbstständig aneignen und wird somit zunehmend unabhängig von ausschließlich mündlichen Informationen.
Bezogen auf die Textproduktion des Kindes weist RÖHNER (1997) darauf hin, dass beim Schreiben „die Dynamik des kindlichen Ichs und seine Auseinandersetzung mit seiner Lebenswelt an die Oberfläche gelangen“ (ebd. 100) und dem Bewusstsein und der Reflexion zugänglich werden. Röhner konnte belegen, dass sich Kinder in den von ihr untersuchten freien Texten auffallend häufig mit ihrer inneren und äußeren Welt auseinandersetzten. Zentrale Themen waren hierbei die personale und soziale Entwicklung des Kindes. Sie folgert: „Die entwicklungstheoretische Bedeutung des Schreibens liegt [...] in ihrem Beitrag zur Entwicklung personaler und sozialer Identität, für die das Medium der Schrift besondere Möglichkeiten der Selbst- und Weltdeutung bereitstellt“ (ebd. 111). Über Schrift kann das Kind aber nicht nur sich selbst ausdrücken, sondern Einblicke in die Lebenswelt anderer erlangen.
Bezogen auf die Schullaufbahn des Kindes stellt die Vermittlung schriftsprachlicher Kenntnisse eine unabdingbare Voraussetzung für das Erschließen weiterer Lernbereiche dar, die Sprache zwar nicht explizit zum Gegenstand haben, sie aber als Medium für In-formationen und Kommunikation benötigen. Es wird ersichtlich, dass Schrift eine überaus wichtige Bedeutung zukommt. Negative Erfahrungen mit Schriftsprache dürften daher weit reichende Konsequenzen nach sich ziehen.
Auf Schreibblockaden und Schreibunlust gehen die nächsten Unterpunkte ein, um zu erklären, wie sie zustande kommen können und um Gegenmaßnahmen vorzuschlagen, die im Hauptteil dieser Arbeit explizit aufgegriffen werden sollen.
1.4 Schreibblockaden und Schreibunlust
WERDER (1990) nennt bezogen auf das (kreative) Schreiben kognitive, emotionelle, kulturelle Blockaden und solche, die durch wachsende Neurotisierung entstehen (vgl. ebd. 31-34). Im Folgenden wird auf einige Aspekte Bezug genommen, die er im Bereich emotioneller und kultureller Blockaden nennt. Darüber hinaus werden Ursachen von Schreibunlust im schulischen Kontext vorgestellt, wie sie SCHEIDT (1989) 13 formuliert.
1.4.1 Emotionelle und kulturelle Schreibblockaden
„Wer schreibt, der verliert zumindest für geraume Zeit den festen Boden unter den Füßen. Er bewegt sich in Bereichen und Dimensionen, deren Ablauf nicht vorhergesagt werden kann. Diese Situation kollidiert mit dem verständlichen Bedürfnis nach Sicherheit“ (SIKORA 1976 14 , zitiert in WERDER 1990:32).
Das Zitat oben deutet darauf hin, dass emotionelle Schreibblockaden aus einem Gefühl der extremen Unsicherheit hervorgerufen werden können. Die Fragen des Schreibenden, welche Wirkung sein Text auf eine potentielle Leser- oder Hörerschaft ausüben wird, mit welchen Reaktionen und Bewertungen diese reagieren, können sich in Angst manifestieren, die ebenfalls emotionelle Blockaden nach sich ziehen könnten (vgl. WERDER 1990:32). Sicherlich üben auch die Erwartungen des Schreibenden an sich und seine Schreibleistungen, die Schreibgruppe sowie die vorherrschende Schreibatmosphäre und Umgangsweise untereinander Auswirkungen auf den Grad emotioneller Schreibblockaden und deren Überwindung aus.
Im Bereich kultureller Blockaden bezieht sich Werder auf gesellschaftliche Barrieren. Hierbei führt er aus, dass Konformität mehr Bedeutung beigemessen werde als Abweichung. Hilflosigkeit entstehe insbesondere dann, wenn plötzlich ein Text geschrieben werden soll, der mit der Aufgabe verbunden ist, ihn gezielt von der Norm abzusetzen (vgl. ebd. 34).
13 SCHEIDT, J. V.: Kreatives Schreiben. Texte als Wege zu sich selbst und zu anderen. Frankfurt 1989
14 SIKORA, J.: Handbuch der Kreativmethoden. Heidelberg 1976
1.4.2 Schreibunlust: Einflussfaktoren der Schule
SCHEIDT (1989) untersuchte die Einflüsse des Deutschunterrichts auf die Schreibhaltung von SchülerInnen. Seine Folgerung kommt einer Negativbilanz für den Deutschunterricht gleich. Folgende Gründe führt er an:
1) Es herrscht ein Drill bezüglich der fehlerlosen Schreibung, was dazu führt, dass die Form mehr zählt als der Inhalt;
2) die Leistungsorientierung des Deutschunterrichts zerstört jede Art von Unbefangenheit im kreativen Umgang mit Sprache;
3) die Zielorientierung der Schule grenzt spielerische Fantasie aus; 4) alles geht vom Kopf aus, der Körper wird abgespalten, was dazu führt, dass der abstrakte Ausdruck bevorzugt wird; 5) der Unterricht ist auf Tempo ausgerichtet;
6) die Tatsache, dass mit der rechten Hand geschrieben wird, welche die rationalen Muster der linken Gehirnhälfte umsetzt, führt dazu, dass die rechte Gehirnhälfte nicht zum Zuge kommt;
7) jedes Schreiben geht von der Alltagssprache aus, in der Schule ist sie allerdings oft tabu;
8) der Unterricht ist ausgerichtet auf Vereinzelung und kreative Arbeit in der Gruppe findet kaum statt (vgl. ebd., zitiert in WERDER 1990:31f.). Inwieweit die genannten Vorwürfe in der heutigen Schulpraxis gerechtfertigt sind, kann in dieser Arbeit nicht geklärt werden. Sie dienen jedoch als Grundlage für den nächsten Unterpunkt.
1.5 Was sind motivierende Schreibanlässe?
Aus dem vorangestellten Unterpunkt ergibt sich die Frage, wie Schreibmotivation gefördert werden kann. Ein möglicher Ansatz, diese Frage zu beantworten, besteht in der Umkehrung der oben angeführten Behauptungen. Kommentiert werden die folgenden Vorschläge an dieser Stelle aber noch nicht, da sie in den weiteren Kapiteln aufgegriffen und mit konkreten Beispielen unterfüttert werden.
1) Der Fehler wird als wichtiger Schritt auf dem Weg der Entwicklung von Rechtschreibkompetenz betrachtet. Zunächst zählt der Inhalt. Die Form von Texten wird dann wichtig, wenn Kinder ihre Texte veröffentlichen wollen; 2) den Kindern wird ermöglicht, mit Sprache spielerisch und kreativ umzugehen;...
Schlagworte:
lit_2005-buch, e-book,
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Notiz:
Titel: Schreiblust und Schreibförderung in der Grundschule - mit und ohne Computereinsatz
Veranstaltung: Keine
Autor:Iris SteierJahr: 2005
Seiten: 90
Archivnummer: V64422
ISBN (eBook): 978-3-638-57245-3
ISBN (Buch): 978-3-656-09610-8
DOI: 10.3239/9783638572453
Dateigröße: 1122 KB
Sprache: Deutsch
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ID: 4359 | hinzugefügt von Jürgen an 02:27 - 8.8.2012 |
title: Momentaufnahmen zum Thema Klassenkorrespondenz by Söll, Florian |
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Titel: | Momentaufnahmen zum Thema Klassenkorrespondenz |
Autor: | Söll, Florian | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Weinheim / Hagstedt, H. (Hrsg.): Freinetpädagogik heute, S. 49-59, Deutscher Studienverlag | Quellentyp: | Artikel aus Sammelband |
veröffentlicht am: | DD.MM.1997 | | |
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Text:
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Schlagworte:
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Redebeitrag zum Internationalen Célestin-Freinet-Symposion an der Universität Kassel. Erörterung von
Erfahrungen mit verschiedenen Freinet-Techniken wie der Korrespondenz, der Druckerei, etc.
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ID: 102 | hinzugefügt von Jürgen an 10:40 - 11.2.2005 |
title: Gestalt-Pädagogik und Freinet-Pädagogik by Teigeler, Peter |
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Titel: | Gestalt-Pädagogik und Freinet-Pädagogik |
Autor: | Teigeler, Peter | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Weinheim, in: Die deutsche Schule, Band 81, Heft 4, S. 505-515 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1989 | | |
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Text:
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Schlagworte:
Die_deutsche_Schule, lit_1989-art
kein Summary verfügbar
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ID: 3208 | hinzugefügt von Jürgen an 02:10 - 16.6.2009 |
title: Skalen zur Beschreibung von Schülerverhalten by Teigeler, Peter |
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Titel: | Skalen zur Beschreibung von Schülerverhalten |
Autor: | Teigeler, Peter | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Weinheim, in: Die deutsche Schule, Band 65, Heft11 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.YYYY | | |
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Text:
-
Schlagworte:
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 3209 | hinzugefügt von Jürgen an 02:11 - 16.6.2009 |
title: Klassiker der Pädagogik im Visier unserer Zeit - Reformpädagoge Célestin Freinet im Interview by Triepke, Sandra |
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Titel: | Klassiker der Pädagogik im Visier unserer Zeit - Reformpädagoge Célestin Freinet im Interview |
Autor: | Triepke, Sandra | Sprache: | deutsch |
Quelle: | München, Grin-Verlag | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | DD.MM.2008 | | |
url: | http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/132102.html |
Text:
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung. 3
2. Klassiker der Pädagogik im Visier unserer Zeit. 4
2.1 Persönliche Reflexion und Bewertung. 4
2.2 Johann Amos Comenius. 5
2.3 Jean-Jacques Rousseau 6
2.4 Philanthropen 6
2.5 Johann Heinrich Pestalozzi. 7
2.6 Wilhelm von Humboldt 8
2.7 Helene Lange 9
3. Célestin Freinet 10
3.1 Zur Person: Leben und Werk. 10
3.2 Freinet im Interview. 11
3.3 Persönliche Reflexion und Bewertung. 15
4. Abschlussbetrachtung. 16
5. Literaturverzeichnis 18
1. Einleitung
„Der Mensch muss sich in der Welt selbst forthelfen. Dies ihn zu lehren, ist unsere Aufgabe.“ (Pestalozzi) 1 Auf sich allein gestellt wächst der Mensch in einer sich stetig verändernden Gesellschaft auf und begegnet auf seinem langen Weg der Bildung immer wieder neuen Lehrern, deren Aufgabe es ist, ihr Wissen und ihre Weisheit weiter zu geben. Eine Aufgabe, die nicht nur viel Verantwortung bedeutet, sondern auch eine gewisse Pflicht gegenüber dem Heranwachsenden. Dieser Pflicht sind sich die Klassiker der Pädagogik bewusst und beginnen Modelle zu entwickeln, um dem heranwachsenden Menschen die Möglichkeit zu geben, sich selbst fortzubilden.
Im folgenden Ergebnisprotokoll dreier Sitzungen werden die wesentlichen Kritiken und Leitgedanken festgehalten. Einer der berühmtesten unter den Klassikern ist der französische Aufklärer Jean-Jacques Rousseau, dessen pädagogische Grundsätze und revolutionäre Ideen in der Erziehungswissenschaft Gegenstand zweier Sitzungen sind. Es sind eben solche Gedanken pädagogischer Größen, die uns heute noch beschäftigen und deren Theorien in das deutsche Bildungssystem einfließen, ohne dass es den meisten Menschen überhaupt bewusst ist. Dabei scheint es umso wichtiger sich mit den Theorien der Klassiker auseinander zu setzen, insbesondere für den lehrenden Teil der Bevölkerung, der folgende Fragen beherzigen sollte: Wo findet Erziehung statt? Wer sind die Klassiker der Pädagogik? Wie wichtig ist der Einfluss ihrer pädagogischen Ideen für heute? Mit der Beantwortung solcher und ähnlicher Fragen beschäftigt sich das Ergebnisprotokoll.
Auf der Suche nach Lösungen zur Schulproblematik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befindet sich auch der französische Klassiker Célestin Freinet. Er stellt sich die Aufgabe, den Schulunterricht praxisorientierter zu gestalten und entwickelt neue Techniken zur Förderung von Freiarbeit. Ein fiktives Interview mit Célestin Freinet wird den zweiten Teil der Arbeit füllen und stellt somit ein sehr gutes Exempel für Courage und Engagement in der Schulpädagogik dar. Mithilfe seiner praktischen Ideen und Umsetzung dieser, wird er seiner Aufgabe, wie anfangs zitiert, gerecht. Anschließend umrahmt eine persönliche Stellungnahme und Einschätzung den Aufsatz, um die Bedeutung seines Schaffens und dass seiner Mitstreiter noch einmal für die heutige Zeit zu beleuchten.
1 Puntsch, Eberhard: Zitatenhandbuch. Universitas Verlag, München 2003, S.308
2. Klassiker der Pädagogik im Visier unserer Zeit
2.1 Persönliche Reflexion und Bewertung
„Der Mensch beginnt nicht leicht zu denken. Sobald er aber erst einmal den Anfang damit gemacht hat, hört er nicht mehr auf.“ (Rousseau) 2 Und er hat angefangen und damit begonnen das Bildungssystem immer wieder innerhalb der letzten 600 Jahre zu revolutionieren. Das schulpädagogische Spektrum an innovativen Ideen, die uns die Geschichte überliefert, ist immens. Aus diesem Bottich können wir Theorien schöpfen und auf heutige Probleme anpassen. So kommt es zum Beispiel zu Verbesserungen des Bildungsplans oder zur Gründung von Reformschulen, wie bereits im Protokoll vermerkt. Kulturen befinden sich im ständigen Wandel, gesellschaftliche Prozesse bewirken neue Entwicklungen im Bereich der Technologie. Und so wie sich die Technologie verändert, so ändert sich ebenso der Anspruch auf deren Nutzung. Um in der Gesellschaft Fuß zu fassen, sich zu integrieren und ein utilitaristischer Bestandteil dieser zu sein, werden andere Maßstäbe gesetzt. Die Anpassungsfähigkeit wird in der heutigen Leistungsgesellschaft nach Klafki immer schwieriger. Problem und Lösung wurzeln gleichsam in der Bildung. Zu dieser Erkenntnis müssen nicht erst Comenius, Rousseau, Montessori, Hentig oder andere pädagogische Vordenker kommen. Sie beschäftigen sich gezielt mit der Frage: Wie können wir den Heranwachsenden eine bessere Lernumgebung verschaffen, um sie am Mitwirken des eigenen Bildungsprozess zu motivieren? Folgende wichtige Prinzipien finden heute großen Anklang: S Selbständigkeit der Kinder S Praktische Tätigkeiten S Lernen durch Handeln S Entfaltung der schöpferischen Kräfte 3
Und dennoch bleiben die erhofften Ergebnisse aus. Das Interesse an den Vordenkern geht allmählich zurück und der moderne Staat versucht es auf seiner eigenen Art und Weise schulpädagogisch den technologischen Fortschritt an einen Bildungsfortschritt anzugleichen. Die schockierenden Ergebnisse der PISA Studie aus dem Jahr 2000, sowie die „Deutsche Bildungskatastrophe“ nach Georg Picht aus dem Jahre 1964, veranlassen den Rückzug staatlichen Eingriffs in das Bildungssystem und bewirken das Wiederaufleben pädagogischer Konzepte der Klassiker.
2 aus Puntsch, E.: Zitatenhandbuch, S.242
3 ADS Zentrum Westerwald: Fortbildungen für ErzieherInnen, Informationsbroschüre
2.2 Johann Amos Comenius
Pädagoge, Schulreformer und Schulbuchautor sind die drei Berufungen von Johann Amos Comenius. Er ist der Vorläufer der Moderne durch seine revolutionären Ideen zur Didaktik und Methodik. Insofern revolutionär, indem er Schulen als unentbehrliche Institutionen für alle fordert. Niemand soll von der Bildung ausgeschlossen werden, jeder hat das Recht auf Bildung und jeder kann sich bilden, was sein berühmter Satz seiner Allerziehungslehre bekräftigt: „Allen alles allumfassend lehren (omnes, omnia, omnino).“ Er fordert somit die Chancengleichheit, was ihm zu seiner Zeit auch viel Kritik einbringt.
Ganz ohne Zweifel wurzeln Comenius Grundideen in unserem heutigen Schulsystem. Als erster überhaupt entwirft er ein gestuftes Schulsystem, das dem unsrigen in seinen Grundprinzipien sehr ähnelt, wie zum Beispiel die 6 Jahre Grundschule, die in Berlin und Brandenburg noch heute bestehen. Als Verteidiger eines Lehrplanes, der den gesamten Unterrichtstoff auf die Klassen verteilt, schafft er die Grundlage unseres heutigen Bildungsplans. Ein ebenso wichtiger aktueller Bestand unseres Schulwesens ist das Schulbuch, dessen Idee wir keinen anderen als Comenius selbst zu verdanken haben. Das Lernen soll Spaß machen, die Neugierde der Kinder wecken, was mithilfe des Anschauungsunterrichts geschaffen wird. So entsteht sein 1658 verfasstest Werk „Die sichtbare Welt in Bilder (Orbus Pictus)“, welches das Erlernen von Sprachen in Bildern darstellt. Auch hier finden wir einen aktuellen Bezug zum situierten und praxisorientierten Lernen. Er will weg vom Pauken der alten Sprachen, wie Griechisch und Latein und hin zu Realien, zu den nützlichen Fächern für das spätere Leben in der Gesellschaft. Comenius ist sich also auch über die Notwendigkeit der Bildung bewusst und greift somit den Fortschrittsgedanken auf.
Comenius zu kritisieren scheint fast falsch angebracht. Denn immerhin macht er sich über die Erziehung und Bildung in einer Zeit Gedanken, in der das Hauptaugenmerk auf die Kriegsführung, den kirchlichen Wandel und weniger auf die Erziehung und Bildung liegt. Als Bischof der böhmischen Brüdergemeinde sind seine Ansichten oft mit der Theologie verbunden. Er vertritt somit die Auffassung einer christlich-theologischen Erziehung, einer Pädagogik praktischer Theologie, die in unseren laizistischen Schulen keinen Anklang findet. Die Wissens-und Wertevermittlung sollte nicht mit der Frömmigkeit gleichgesetzt werden. Ein weiterer Kritikpunkt ist seine utopische Idee des Frontalunterrichts vor 100 Kindern, die höchsten in den akademischen Einrichtungen mit Studenten praktiziert wird.
Comenius gilt mit seiner umfassenden Schultheorie, die „Große Didaktik (Didactica Magna)“ als Wegbereiter für viele Reformpädagogen, unter anderem Wilhelm von Humboldt und Maria Montessori und wir können von seinen Grundsätzen noch nach 400 Jahren profitieren.
Schlagworte:
lit_2008-buch, e-book,
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Notiz:
PH Karlsruhe
Titel: Klassiker der Pädagogik im Visier unserer Zeit - Reformpädagoge Célestin Freinet im Interview
Veranstaltung: Klassiker der Pädagogik
Autor:Sandra TriepkeJahr: 2008
Seiten: 19
Archivnummer: V132102
ISBN (eBook): 978-3-640-44635-3
ISBN (Buch): 978-3-640-44689-6
DOI: 10.3239/9783640446353
Dateigröße: 220 KB
Sprache: Deutsch
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ID: 4348 | hinzugefügt von Jürgen an 12:15 - 7.8.2012 |
title: Wie modern ist Freinets Ecole Moderne? by Ubbelohde, Reiner |
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Text:
Wie modern ist Freinets Ecole Moderne?
Freinet, Dewey und die Moderne
REINER UBBELOHDE
Vortrag zum internationalen Symposion der Freinet-Pädagogik ("La vie rien que la vie" - Arbeit - Leistung - Glück) in Bremen 1999
Fragen und Versuche gehören zu den wichtigsten Elementen der Freinetpädagogik. Meine Annäherung an sie ähnelt den tastenden Versuchen, die Freinet für das schulische Lernen beschreibt und fordert.
Ich kann deshalb auf die im Titel gestellte Frage nach der Modernität der Freinetschen Pädagogik nicht ohne die biografisch getönte Beschreibung meiner Auseinandersetzung mit der Reformpädagogik und speziell der Freinetpädagogik eingehen. Ich will dies mit drei Fragen begleiten:
Warum spielte die Freinetpädagogik in der westdeutschen Pädagogik der 50er Jahre keine oder nur eine verkürzte Rolle? War sie zu "modern"?
Warum war die Wiederentdeckung der Freinetpädagogik in den späten 60er und in den 70er Jahren relativ folgenlos? War sie nicht "modern" genug?
Wie modern ist Freinets l'ecole moderne?
1. Warum spielte die Freinetpädagogik in der westdeutschen Pädagogik der 50er keine oder nur eine verkürzte Rolle? War sie zu "modern"?
Ich habe mich oft gefragt, warum meine praktische und theoretische Auseinandersetzung mit der Freinetpädagogik erst spät, nämlich in den letzten 10 Jahren erfolgte. In der pädagogischen Diskussion war sie ja spätestens seit ihrer Wiederbelebung durch J. Beck und H. Boehncke in den Jahrbüchern für Lehrer Anfang der 70er Jahre. Warum aber so spät, sieht man einmal ab von den verdienstvollen, aber um die politische Dimension verkürzten Bemühungen von H. Jörg und seinen Kolleginnen und Kollegen? Die Antwort gibt seit einiger Zeit die historische Forschung zur Reformpädagogik. Sie lässt sich auch an meinen persönlichen Erfahrungen nachvollziehen.
Schlagworte:
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ID: 2698 | hinzugefügt von Jürgen an 08:09 - 15.12.2005 |
title: Wir haben gewonnen: Den Deutschen Bürgerpreis 2011 in der Kategorie U 21 by Vogt, Petra |
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Titel: | Wir haben gewonnen: Den Deutschen Bürgerpreis 2011 in der Kategorie U 21 |
Autor: | Vogt, Petra | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Bremen, Fragen und Versuche 138, S. 14 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.12.2011 | | |
url: | |
Text:
-
Schlagworte:
fuv-138, lit_art-2011,
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ID: 3701 | hinzugefügt von user unknown an 05:15 - 5.1.2012 |
title: Die Reformpädagogische Bewegung; im Focus Maria Montessori by Voigt, Katy |
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Text:
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis IV
Abkürzungsverzeichnis IV
Anmerkung. V
Einleitung 1
1 Geschichte der Reformpädagogik und ausgewählte reformpädagogische
Konzepte 3
1.1 Der Begriff Reformpädagogik 3
1.2 Die pädagogische Bewegung von der Aufklärung bis zum Neuhumanismus 4
1.3 Die pädagogische Bewegung von der Jahrhundertwende bis zum Ende der
Weimarer Republik 7
1.4 Die staatliche Schulreform und Schulversuche der DDR 10
1.5 Ausgewählte reformpädagogische Konzepte 13
1.5.1 Peter Petersen - biografischer Abriss 13
1.5.1.1 Die pädagogische Konzeption Jenaplan. 15
1.5.1.2 Die pädagogische Konzeption Waldorfpädagogik. 19
1.5.2 Celestin Freinet - Biografischer Abriss. 21
1.5.2.1 Freinet Pädagogik. 23
1.6 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Pädagogischen Konzeptionen von
Petersen, Steiner und Freinet 25
2 Maria Montessori: Biografie und Erziehungskonzeption 27
2.1 Biografie. 27
2.2 Theoretische Grundlangen der Montessori- Pädagogik 33
2.2.1 Anthropologischer Ansatz. 33
2.2.2 Entwicklungspsychologische Konzeption 34
2.2.2.1 eistiger Embryo 34
2.2.2.2 Sensible Phasen. 36
2.2.3 Kosmische Theorie. 38
2.3 Eckpunkte der Kosmischen Erziehung 40
2.4 2“Hilf es mir, selbst zu tun“ Die Erziehungskonzeption von Maria Montessori. 41
2.4.1 Die Polarisation der Aufmerksamkeit 41
2.4.2 Freiheit und Disziplin. 42
2.4.3 Die vorbereitete Umgebung 43
2.4.4 Die Rolle des Pädagogen 44
2.5 Entwicklungsmaterial. 47
2.5.1 Prinzipien des Materials 47
2.5.2 Arbeit mit dem Material. 49
2.6 Übungen des täglichen Lebens. 50
2.7 Vermittlung der Kulturtechniken 51
2.8 Gruppenübungen 52
3 Montessori - Pädagogik heute, in Kindertagesstätten und Schulen und das
Bildungsprogramm “Bildung Elementar“ 54
3.1 Montessori - Pädagogik in der Kindertagesstätte. 54
3.2 Montessori - Pädagogik in der Schule 55
3.2.1 Schultheoretische, organisatorische und pädagogisch - didaktische Grundlegung
der Montessori Schule. 55
3.2.2 Montessori Grundschule 56
3.2.3 Die Montessori- Sekundarschule 59
3.3 Bildung Elementar 62
3.3.1 Aufbau des Programms 63
3.3.2 Voraussetzungen 63
3.3.2.1 Fachliche Grundorientierungen. 65
3.4 Bildungsbereiche. 67
3.5 Zusammenarbeit mit Grundschule und Eltern 72
4 Kritische Auseinandersetzung mit der Thematik 74
4.1 Aktualität der Reformpädagogik. 74
4.2 Krische Betrachtung zur Erziehungskonzeption von Steiner. 76
4.3 Kritische Betrachtung zur Montessori - Pädagogik. 78
5 Schlussbetrachtung. 82
6 Quellenverzeichnis 84
6.1 Literatur. 84
6.2 Internet 87
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Struktur Jenaplanschule 16 Abb. 2: Übersicht über die Sensiblen Phasen 37 Abb. 3: Eckpunkte der Kosmischen Erziehung 40 Abb. 4: Gegenüberstellung der alten und neuen Lehrerin 45 Abb. 5: Aufbau des Bildungsprogramms “Bildung elementar“ 63
Abkürzungsverzeichnis
Abs. Absatz
A. d. V. Anmerkung des Verfasser der Diplomarbeit Aufl. Auflage bzw. beziehungsweise ca. circa ebd. ebenda, ebendort (an derselben Stelle) et al. et allii (und andere) ff. fortfolgende ggü. gegenüber Hrsg. Herausgeber Jh. Jahrhundert KiFöG Kinderförderungsgesetz des Landes Sachsen - Anhalt KJHG Kinder- und Jugendhilfegesetz o. a. oder andere/ auch o. g. oben genannt o. J. ohne Jahr o. O. ohne Ort o. S. ohne Seite s. siehe vgl. vergleiche z. B. zum Beispiel z. T. zum Teil
Anmerkung
Um einer besseren Lesbarkeit des Textes Rechnung zu tragen, verwende ich bei allen Personengruppen die maskuline Bezeichnung.
Der Verzicht auf die entsprechende feminine Form soll keine Diskriminierung darstellen.
Ich verwende im Kapitel 2 den Begriff der „kosmischen Theorie“, wohl wissend, dass in der aktuellen Literatur der Begriff der „kosmischen Erziehung“ bevorzugt benutzt wird. Der Leser wird in einigen Autorenzitaten kursiv gedruckte Wörter oder Sätze feststellen, welche Hervorhebungen durch die jeweiligen Autoren sind.
V
Einleitung
Der Bearbeitung der vorliegenden Diplomarbeit möchte ich ein Zitat voranstellen: „Maria Montessori ist viel komplizierter und interessanter als die Gipsheilige, zu der ihre ergebenen Anhänger sie gemacht haben. Unter all der fast mystischen Verehrung, der Heiligenlegende, die als Biografie ausgegeben wurde, steckt eine zähe, intelligente Frau, die zumindest in ihrer Jugend Dinge dachte und tat, die niemand vorher in den Sinn gekommen waren.“ (zit. n. Kramer aus Hedderich, 2001, o. S.) (Hervorhebung durch Verfasser Diplomarbeit)
Während meines Studiums der Heilpädagogik befasste ich mich in verschiedenen Seminaren mit Maria Montessori und ihrer Erziehungskonzeption. Montessori gab für mich als angehende Heilpädagogin sehr viele Denkanstöße. Meinen zukünftigen Wirkungskreis als Heilpädagogin sehe ich in der Förderung und Betreuung von behinderten Kinder z. B. ein einer integrativen Kindertagesstätte oder in der Frühförderung. Aus diesem Grund habe ich in meiner Diplomarbeit die Reformpädagogische Bewegung und Maria Montessori thematisiert. In der Praxis erlebte Eindrücke von Integration und Förderung von Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen haben mich zum Nachdenken angeregt. Die Erziehungskonzeption von Maria Montessori bietet für mich als angehende Heilpädagogin Anregungen und Möglichkeiten, diese weiter zu entwickeln und zur Förderung von Kindern mit Behinderung zu nutzen. Ich konnte in meinen praktischen Studiensemstern erleben, wie Grundgedanken von Montessori in die Praxis umgesetzt wurden. Mir wurde die Möglichkeit gegeben, im Sinne von Maria Montessori ein Kind mit Verhaltensauffälligkeiten zu fördern. Nach kurzer Zeit waren erste Entwicklungsfortschritte zu sehen. Ich möchte dazu Montessori zitieren: „Die Erzieherin hat zwei Aufgaben: die Kinder zur Konzentration zu führen und danach ihnen in der Entwicklung zu helfen. Die fundamentale Hilfe in der Entwicklung... ist das Nichteingreifen. Einmischung hemmt Aktivität und hemmt Konzentration.“ (zit. n. Montessori aus Buchka, Grimm Klein, 2002, o. S.)
Im Folgenden soll die Gliederung der Diplomarbeit erläutert werden. Die Diplomarbeit ist in mehre Kapitel und Unterkapitel gegliedert. Nachdem ich in der Einleitung meine Intension zur vorliegenden Arbeit geschildert habe, folgen im ersten Kapitel die Klärung der Definition von Reform und Reformpädagogik und die Geschichte der Reformpädagogik. Weiterhin habe ich mich mit einigen Reformpädagogen und deren Erziehungskonzeptionen befasst, die näher erläutert werden sollen. Zum Ende des ersten Kapitels gehe ich auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Konzeptionen ein. Im zweiten Kapitel meiner Arbeit steht Maria Montessori im Vordergrund. Es wird ausführlich auf ihre Biografie eingegangen. Danach befasse ich mich genauer mit den Grundlagen ihrer Erziehungskonzeption. Dazu gehören u.a. die Anthropologie, die Kosmische Theorie und die sensiblen Phasen.
Im dritten Kapitel wird Bezug auf die Montessori Pädagogik heute in Kindergarten und Schule genommen. Das Bildungsprogramm „Bildung elementar, Bildung von Anfang an“ wird näher erläutert, da sich dort einige Ansätze von Maria Montessori und anderen Reformpädagogen wieder finden und es bildet eine gute Brücke zur heutigen Pädagogik.
Im Anschluss an das dritte Kapitel erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit einigen Themen der Diplomarbeit. In der Schlussbetrachtung am Ende der Arbeit werden meine neuen Erkenntnisse die ich während des Schreibens gewonnen habe, näher erläutert. Eine Danksagung findet sich am Ende der Diplomarbeit wieder.
1 Geschichte der Reformpädagogik und ausgewählte
reformpädagogische Konzepte
1.1 Der Begriff Reformpädagogik
Der Begriff Reform ist vom lateinischen Wort “reformare“ abgeleitet und bedeutet: Umgestaltung, Neuordnung, Verbesserung des Bestehenden (vgl. Duden Fremdwörterbuch, 2001, 849). Ein “Reformator“ war jemand, der bestehende Verhältnisse so ändert, dass sich ein neuer Sinn ergibt (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 13). Im 16. Jh. prägten Luther und andere den Begriff “Reformation“. Ihr Anliegen der Reformation war eine Erneuerung des Glaubens und eine Rückbesinnung auf Grundlagen und Grundsätze. Heute findet man die Begriffe Reform und reformieren sehr häufig in der Politik wieder (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 14). Zwischen 1890 und 1933 entstand die Reformpädagogik. Sie umfasste die Reformation des gesamten Erziehungs- und Bildungswesens (vgl. Hedderich, 2001, 18). „Das Neue der Reformpädagogik wird in der pädagogischen Reflexion auf die historisch - gesellschaftliche Situation gesehen, aus der eine Vielfalt unterschiedlicher Ansätze zur Erneuerung von Schule und Erziehung hervorging. Insbesondere wurde der um 1900 abgeschlossene Aufbau eines bürokratischen und selektiven Schulsystems kritisiert.“ (Hedderich, 2001, 19) Mit der Industrialisierung kam es zu einem gesamtgesellschaftlichen Umbruch (vgl. Hedderich, 2001, 19). Damit standen auch pädagogische Systeme auf dem Prüfstand. Allen reformpädagogischen Konzeptionen war gemeinsam, das Kind mit seiner Individualität in den Mittelpunkt zu stellen. Die “Alte Schule“ wurde wegen der Fülle des Stoffes und der Lebensfremdheit kritisiert. Ziel der Reformpädagogen war es, die “Alte Schule“ zu reformieren und die Prügelstrafe abzuschaffen. Kinder sollten aktiv am Unterricht teilnehmen. Die Kindheit wurde als eine Entwicklungsform angesehen und die Kinder nicht länger als „kleine Erwachsene behandelt. Ausgangspunkt der Erziehung war das Kind selbst. Das Charakteristikum der Reformpädagogik ist die einzigartige Hinwendung zum Kind (vgl. Hedderich, 2001, 19 f.).
1.2 Die pädagogische Bewegung von der Aufklärung bis zum
Neuhumanismus
In der Geschichte der Reformpädagogik lassen sich drei Richtungen unterscheiden. Die erste Richtung „...macht sich die Perspektive zu eigen, aus der heraus die reformpädagogischen Initiatoren argumentierten und handeln.“ (Brenner, Kemper, 2003, 25). Dies findet man im ersten Drittel des 20 Jh. vor, in der Zeit der Pädagogischen Bewegung oder in den 60iger Jahren für die westdeutsche Bildungsreform. Allerdings kam diese Richtung mit „...den auf reformpädagogische Entwicklungen folgenden Normalisierungsphasen...“ nicht zurecht. (Brenner, Kemper, 2003, 25) Eine andere Richtung der Geschichtsschreibung hebt sich davon ab. Sie setzt die Normalisierungsphasen in ihr Recht. Das Thema der pädagogische Theorie und Praxisdiskussion ist die letzte Richtung der Geschichteschreibung (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 25 f.).. „Jede Reformpädagogik aber strebt danach, die Reformkonzepte, die sie vertritt, zu realisieren und zur Normalpädagogik werden zu lassen.“ (Brenner, Kemper, 2003, 27) Zu den zentralen Fragen und Problemstellungen der ersten pädagogischen Bewegung gehörte u.a. die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Erzieher und Zögling. 1692 veröffentlichte John Locke eine pädagogische Abhandlung 1 , die sich an Angehörige des hohen Bürgertums und des Landadels richtete. Er empfiehlt diesen Eltern, ihre Kinder mit Hilfe eines Hofmeisters zu erziehen. Für Kinder aus niedrigen Ständen sah J. Locke eine Arbeiterschule vor, in der die Kinder darauf vorbereitet wurden, später selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 31). „Im Zentrum der Erziehungslehre Lockes stehen jedoch nicht Fragen unterrichtlicher Instruktionen und Unterweisungen, sondern solche moralischer Erziehung. Hinsichtlich der Möglichkeit, Menschen durch Erziehung tugendsam und moralisch zu machen, war Locke ein skepsisfreier Optimist.“ (Brenner, Kemper, 2003, 31 f.)
70 Jahre später nach Erscheinen von Lockes Abhandlung “Einige Gedanken zur Erziehung“ veröffentlicht J. J. Rousseau sein pädagogisches Hauptwerk “Emile 2 “. Rousseau wendet sich in seiner Schrift nicht wie Locke an einem bestimmten Stand der Gesellschaft. Er kritisiert Lockes Verständnis von Kindheit und Erwachsensein. In
1 Titel der Abhandlung:“ Einige Gedanken über die Erziehung“
2 Emile war ein “erdachter“ Zögling der ein naturbezogenes Leben auf dem Land führt (vgl. Hedderich,
2001, 18)
“Emile“ entwirft Rousseau „...eine Problemskizze für eine Erziehung, welche die Einzelnen unabhängig von ihrer künftigen Tätigkeit und Stellung in der Gesellschaft zu bilden sucht.“ (Brenner, Kemper, 2003, 32). Die Abhandlungen von Locke und Rousseau differenzieren sich zwar in den Erziehungsvorstellungen, nehmen aber den Strukturwandel der pädagogischen Praxis wahr (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 33). Rousseau und Locke haben sich nur am Rande mit der Industrialisierung der neuen Erziehung auseinandergesetzt (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 59). Beide sahen in der Institution Schule keine Einrichtung, die zur Überwindung der Standeserziehung dienen könnte. Schule ist für Locke eine Einrichtung, die es zu meiden gilt, und für Rousseau ist sie ungeeignet für die Erziehung des modernen Menschen (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 60). Die pädagogischen Aufklärer des 18 Jh. konnten für ihre Konzeptionen von Schulexperimenten nicht auf Überlegungen von Rousseau zurück greifen, da schultheoretische Reflexionen fehlten. So mussten solche Konzeptionen selbst entwickelt werden. Es gab jedoch die Möglichkeit, an beginnende schultheoretische Diskussionen anzuknüpfen. Folgende Fragestellungen waren Schwerpunkte: „...welche Funktion die moderne Schule angesichts des sich abzeichnenden Übergangs der traditionellen Geburtsständegesellschaft in eine neue Berufsständegesellschaft übernehmen und ausfüllen könne; ... welche Instanz die Veränderung des Schulwesens leiten und beaufsichtigen solle. ....wie... eine professionelle Ausbildung von Lehrern für die neue Schule zu organisieren und zu gewährleisten sei.“ (Brenner, Kemper, 2003, 61) Durch Veränderungen im Leben der Familien und durch Entwicklungen die sich im Bereich der Religionen und der Politik vollzogen, gewannen diese Fragen an Bedeutung (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 61). Die Reformation im Bereich der Religionen hatte zur Folge, dass sich ein absolutistischer Staat entwickeln konnte. Im 17. und 18. Jh. tritt zu den Aufgaben des Zentralstaates auch das öffentliche Schulwesen hinzu. Mit der Durchsetzung dieser Staatsform gehen die Geburtsstände in Berufsstände über. 1794 wird der Höhepunkt dieser Entwicklung im “Allgemeinen Preußischen Landrecht 3 “erreicht. Die absolutistische Staatsform kam im 18. Jh. an ihre Grenzen.
3 das Landrecht erreichte das erstmals alle Schulen und Universitäten zu “Veranstaltungen des Staates“
wurden und gleichzeitig alle Stände zu “staatlichen Berufsständen“ erklärt wurden (vgl. Brenner,
Kemper, 2003, 63)
1789 zeigte sich dies beispielsweise durch die Französischen Revolution. „Zu den Bereichen, die angemessen nur öffentlich, nicht aber als nachgeordnete Behörde des absolutistischen Staates zu organisieren sind, gehört nun auch das Erziehungs- und Bildungssystem“. (Brenner, Kemper, 2003, 63) Die Interessen des Zentralstaates fokussieren sich darauf, den Berufsständen die erforderlichen Qualifikationen in schulischen Bildungsgängen zu sichern. Der erste Gesamtplan der 1786/1787 von Friedrich II. erstellt wurde, sieht eine Gliederung des öffentlichen Schulwesens in drei Schultypen vor: Bauernschule; soll die Landbevölkerung für den Dienst bei der Gutsherrschaft und dem Militär disziplinieren; Bürgerschule; Vermittlung von Kenntnissen im Bereich der Realien 4 für das nieder und höhere Bürgertum: Gelehrtenschule; soll die notwendige Qualifikationen für leitende Tätigkeiten im Verwaltungsstaat sichern. Mit dieser Gliederung des Schulwesens sollte der Verelendung der bäuerlichen Unterschichten auf dem Land entgegengewirkt werden (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 64). In den Städten wurde qualifiziertes Fachpersonal benötigt. Der Gesamtplan sah eine strikte Trennung von Bürger- und Gelehrtenschulen in den Städten vor. In den Bürgerschulen sollte nur Unterrichtsstoff vermittelt werden, der für die praktische Ausübung der bürgerlichen Berufe von Nöten war. Der Besuch der Gelehrtenschule sollte gegenüber der Bürgerschule stark eingeschränkt werden. Diese Schulform sollte für den Arzt, Prediger oder Geschäftsmann, vorbehalten sein. Dieser Plan schien im Interesse aller Gruppen der Gesellschaft zu liegen (vgl. Brenner/Kemper, 2003, 66). „Die Einführung einer strikten Trennung von Bürger- und Gelehrtenschulen hätte die sich in den Städten abzeichnende horizontale Gliederung des Bildungssystems rückgängig machen und in eine vertikale, auf die Berufsstände im Staate zugeschnittene Gliederung überführen müssen.“ (Brenner, Kemper, 2003, 66) Es wurden Reformkonzepte entwickelt, welche die Gelehrtenschule näher an die Bürgerschule brachte. Als bürgerliche Alternative wurde das Realschulbildungskonzept vorgeschlagen. Hecker gründete 1747 die erste Realschule mit acht berufsorientierten Fachklassen (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 67). „Gegenstand der schultheoretischen Diskussion der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war nicht nur die Frage, ob das
4 sind Naturwissenschaften, Mathematik, Ökonomie und Technik (vgl. Duden, Fremdwörterbuch, 2001,
845 und Brenner, Kemper 2003, 64).
Bildungssystem vertikal nach staatlichen Berufsständen oder horizontal nach Bildungsstufen gegliedert, sondern auch, ob es als ein staatlich monopolisiertes oder öffentlich institutionalisiert werden solle.“ (Brenner, Kemper, 2003, 68) Die Herausbildung einer Konzeption der allgemeinbildenden Schulen, kann als das eigentliche Resultat der ersten pädagogischen Bewegung gesehen werden (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 16). „Ein voller Erfolg blieb den Reformern jedoch zunächst versagt, wie die Bildungsreform als letzte unter den Reformen konzipiert und dann nicht einmal wie geplant durchgeführt und das weitergehende Reformziel einer Transformation des Politiksystems aufgrund des Widerstands des Adels und der fehlenden Bereitschaft des Königs, auf einen Teil seiner Macht zu verzichten, nicht erreicht wurde.“ (Brenner, Kemper, 2005, 17) Aus den ungelösten Reformproblemen, der ersten pädagogischen Bewegung entwickelten sich Folgeprobleme, die in der zweiten und dritten Reformphase erneut bearbeitet wurden (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 17).
1.3 Die pädagogische Bewegung von der Jahrhundertwende bis zum Ende
der Weimarer Republik
Im 19. Jh. begann die pädagogische Bewegung durch die Kritik am staatlichen Schulwesen. Die Entwicklung des Bildungssystems folgte nicht den bildungs-, erziehungs- und institutionstheoretischen Einsichten, welche die erste pädagogische Bewegung hervorbrachte (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 21 f.). „Sie führte zu einer Differenzierung des Schulwesens in niedere und höhere Schulen, die von der Preußischen Schulreform angestrebte Institutionalisierung der allgemeinen Menschenbildung deutlich abwich.“(Brenner, Kemper, 2003, 22) An Stelle der horizontalen Differenzierung des Bildungssystems nach allgemeinbildenden Schulstufen trat eine vertikale Differenzierung der Schule ein. Erst in der dritten Phase der Entwicklung der Reformpädagogik wurde diese ansatzweise korrigiert. Die niederen Schulen vermittelten eine volkstümliche Bildung, die zur Wahl einfacher Berufe ausreichte. Lange Zeit konnten Schulen, die zu einer mittleren und höheren Bildung führten, nur von Schülern besucht werden, deren Eltern die finanziellen Möglichkeiten hatten. Diese Schüler konnten sich später für höhere berufliche Positionen qualifizieren und z. B. eine Stellung im Staatsdienst übernehmen. Hauptsächlich kamen die Schüler
aus der Schicht des höheren Bürgertums. Im Verlauf des 19. Jh. kam es zu einem Kampf der verschiedenen Schichten und Klassen der Bevölkerung (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 22). Dabei ging es um die Teilhabe an den höheren und hochwertigeren Formen der Allgemeinbildung, „...welche das einzige Privileg darstellte, das - ungeachtet der Einflüsse von Herkunft und Besitz - durch eigene Leistung erworben werden konnte.“(Brenner, Kemper, 2003, 22) Es entstand im 19. Jh. Zusammen mit der Abgrenzung niederer und höherer Schulen ein staatliches Berechtigungssystem. Das Berechtigungssystem trug dazu bei, dass der Aufstieg in höhere Berufe vom Bildungssystem abhängig wurde. Im niederen Bildungswesen wurde die Bildung deutlich begrenzt und durch religiöse Erziehung wurden die Schüler zu treuen Untertanen des Staates. Die Schüler wurden durch diese Bildungsbenachteiligung unterfordert. Dem gegenüber stand die Überforderung der Schüler an höheren Schulen. Auf diese Situation reagierte der Staat, indem er das Jahrgangsklassensystem einführte. Das System löste das Fachklassensystem von Humboldt ab. Das Jahrgangsklassensystem gab verbindlich vor, welche Leistungen der Schüler in den einzelnen Unterrichtsfächern erbringen muss, um das Klassenziel und die Versetzung zu erreichen (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 23 f.). Dieses System führte zu einer Ausweitung der Überforderung der Schüler insbesondere auf Gymnasien, die der Stofffülle und dem Prüfungsdruck nicht mehr gewachsen waren. Das hatte zur Folge, dass viele Schüler das Gymnasium vor dem Abitur verlassen mussten. „In der Folgezeit verschärfte sich die schulische Leistungsauslese dadurch noch weiter, dass neben dem traditionelle Reifezeugnis, das die Zulassung zum Studium regelte, weitere Berechtigungen hinzutraten und auch die Abschlüsse der gymnasialen Klassenstufen Tertia und Sekunda eng mit Berechtigungen für den mittleren und gehobenen Staatsdienst verknüpft wurden.“ (Kemper, Brenner, 2003, 24) Die Diskussionen über den an Gymnasien vorherrschenden Leistungszwang verliefen sehr widersprüchlich. Die Gymnasien wurden auf der einen Seite wegen der Weltfremdheit und Lebensferne kritisiert und auf der andern Seite wurde eine stärkere Berücksichtigung der Naturwissenschaften und Fremdsprachen gefordert. Es wurde festgestellt, dass sehr viele Schüler überfordert waren und die schlechten Schulleistungen wurden beklagt. Zunächst blieb die beruflich- soziale Auslesefunktion für höhere Positionen im Staatsdienst am humanistischen Gymnasium unangefochten. Das humanistische Gymnasium (einzige Einrichtung das die Zulassung zum Studium ermöglichte) verlor seine Monopolstellung, durch die Entwicklung der Natur- und
Technikwissenschaften. Ab 1859 gab es ein altsprachliches Gymnasium und die “Realschule I. Ordnung“ und ab 1882 kam die Schulform der Oberrealschule dazu. An den neu geschaffenen Hochschulen und Akademien hatte man die Möglichkeit, mit Abgangszeugnissen der beiden neuen Schulform zu studieren (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 24) Das altsprachliche Gymnasium behielt seine Monopolstellung dadurch, dass man mit dem dort erworbene Abitur eine allgemeine Studienberechtigung hatte. Diese Sonderstellung des Gymnasiums sicherte dem Staat das Fortbestehen des alten Sozialsystems mit seinen unterschiedlichen Bildungsprivilegien. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. gab das Gymnasium seinen gesamtschulartigen Charakter auf und entwickelte sich zu einer Eliteschule für den akademischen Berufsnachwuchs. Die Frühabgänger wechselten auf Real- oder Bürgerschulen. Im weiteren Laufe des 19. Jh. führte die Ausdifferenzierung der Allgemeinbildung nach weiterführenden Schultypen dazu, dass die horizontale Stufung des öffentlichen Schulwesens (die von Humboldt eingeführt wurde), in eine vertikale Schulstruktur wechselte (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 25). „In den gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen der siebziger und achtziger Jahre wurde die sozialselektive Schulpolitik des Obrigkeitsstaates mit der von der Arbeiterbewegung erhobenen Forderung nach gleichen Bildungs-, Berufs- und Lebenschancen konfrontiert.“ (Brenner, Kemper, 2003, 25)
1878 scheiterten die Sozialgesetze, mit denen der Staat versuchte, die Ausbreitung der Sozialdemokratie zu verhindern. Das öffentliche Schulwesen wurde, wie schon zur Zeit der Preußischen Reformen, eingesetzt, um als ideologisches Instrument zur Sicherung der bestehenden Ordnung zu dienen. Im Sinne des Staates wurde mehr Deutsch und Geschichtsunterricht gelehrt, um die vaterländischen Vorstellungen zu verbreiten. Es gab die „... Forderung nach einer für alle Heranwachsenden verbindlichen Untertanenbildung im Dienste des wilhelmischen Obrigkeitsstaates.“ (Brenner/Kemper, 2003, 26) Die pädagogische Bewegung im 19. Jh. wandte sich gegen das entstandene Schulsystem und dessen Pädagogik des sogenannten Herbartianismus (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 28). 5 Die Reformpädagogen kritisierten, dass der Herbartianismus aus dem Unterricht eine Form der Belehrung gemacht, „....in der die Stufen des Unterrichts, statt Stufen der Lerntätigkeit von Schülern zu sein, zu Stufen der Tätigkeit von Lehren pervertierten.“ (Brenner, Kemper, 2003, 29). Den alten Schulen warfen die Pädagogen
5 Pädagogik ging auf Herbart zurück, er entwickelte eine Stufentheorie des Unterrichtes
es ist eine lehrerzentrierte Pädagogik
(vgl. Brenner, Kemper, 2003, 28 ff.)
vor, dass sie eine Erziehung propagiert haben, in der die Erwachsenen das Wollen, Denken und Fühlen der Schüler beeinflussten. 1900 veröffentlichte Ellen Key das Buch “Das Jahrhundert des Kindes“, damit ist der Anfang der Reformpädagogik zu sehen (vgl. Hedderich, 2001, 19). Ellen Key propagiert, dass das neue Jh. eine Pädagogik vom Kinde aus absichern könnte (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 57). „Trotz der weitverbreiteten Ideologien einer Lebensgemeinschaftserziehung “vom Kinde aus“ lässt sich die zweite pädagogische Bewegung als ein Versuch würdigen, einen Teil der Experimentierfreiheit, welche die erste pädagogische Bewegung hervorgebracht hatte, für die Arbeit in privaten Schulen sowie im staatlichen Schulwesen wiederzugewinnen und fruchtbar zu machen.“ (Brenner, Kemper, 2005, 20) Die Probleme dieser zweiten pädagogischen Bewegung in Deutschland konnten auch nicht gelöst werden. In einigen Strömungen kündigte sich dies so an, dass Einrichtungen auf Grund geringer Schülerzahlen geschlossen wurden z. B. in den Hamburger Lebensgemeinschaftsschulen. Andere reformpädagogische Ideen wie z. B. die Jenaplan - Pädagogik fand Anschluss an die nationalsozialistische Bewegung und wieder andere wurden auf Grund ihrer Distanz zur nationalistischen Bewegung geschlossen (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 20 ff.).
1.4 Die staatliche Schulreform und Schulversuche der DDR
In der Zeit von 1933 -1945 gab es in Deutschland keine Demokratie, die den Bestand ihrer Verfassung sicherte, es herrschte eine Führer- und Parteidiktatur. Im Dritten Reich wurden die Schulen und der Unterricht unter eine nationalsozialistische Weltanschauung gestellt (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 35).
„Nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur traten im Bereich der Reform des Erziehungs- und Bildungswesens Aufgaben und Probleme in den Vordergrund, die unter der Maxime einer Pädagogik “vom Kinde aus“ bzw. im geschlossenen Horizont einer Gemeinschaftserziehung nicht angemessen thematisiert werden konnten und daher nach anderen erziehungs-, bildungs-, und schultheoretischen Konzepten verlangten.“ (Brenner, Kemper, 2005, 21) Dazu kamen Reformaufgaben in Politik, Recht und Wirtschaft. Die nach 1945 einsetzende und noch anhaltende dritte Phase der reformpädagogischen Bewegung war von Anfang an mit Problemen aus der ersten und
zweiten Phase der reformpädagogischen Bewegung konfrontiert (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 19 ff.). Da nach Ende des zweiten Weltkrieges in Deutschland Besatzungszonen eingerichtet wurden, aus denen 1949 zwei deutsche Staaten hervorgingen, wurden auch die Aufgaben der Reformpädagogik und die der staatlichen Schulreform unterschiedlich interpretiert. Es finden sich aber auch übergreifende Problemstellungen, mit denen sich die dritte pädagogische Bewegung in ganz Deutschland auseinandersetzte. Diese sind Abstimmungsprobleme zwischen dem neuen Bildungs- und Politiksystems „... die Beziehungen der pädagogischen Praxis zu den anderen sich institutionell weiter ausdifferenzierten und voneinander abgrenzenden gesellschaftlichen Handlungsfelder und ... auf Veränderungen im Übergang von der Erziehung in der Familie zur schulischen Erziehung und Unterweisung, von allgemeinbildenden in berufliche Bildungsprozesse sowie auf den Eintritt der Heranwachsenden in die gesellschaftlichen Handlungsfelder.“ (Brenner, Kemper, 2005, 35)
Am 23.05.1949 wurde aus der westlichen Besatzungszone, durch Verkündung des Grundgesetzes die BRD gegründet und am 07.10.1949 wurde aus der sowjetischen Besatzungszone die DDR mit Verabschiedung der Verfassung gegründet. In der Verfassung der DDR sind Aussagen zum Erziehungssystem in den Artikeln 34 -40 zu finden (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 100). „Die bedeutendste Veränderung zwischen dem Schulgesetz von 1946 und der Verfassung von 1949 liegt in der Festschreibung einer Schulpflicht bis zum “vollendeten 18. Lebensjahr“. (Brenner, Kemper, 2005, 101
f.) 1950 trat eine “Verordnung über die Neuregelung der Unterrichtsstunde“ in Kraft, in der weiter Neukonzeptionierungen von Schule und Unterricht zu entnehmen sind. Als Normalform schulischer Lehr- und Lernprozesse führte diese Verordnung ein, dass die Unterrichtsstunde 45 Minuten dauert und eine regelmäßige Aufeinanderfolge von Phasen der Arbeit und der Erholung sein soll. Weiterhin verlangte der Erlass, dass der Lehrer auch außerhalb des Unterrichtes zeitweise zusätzlich Lernarbeit für die Schüler seiner Klasse anbietet.
Vom Lehrer wird in diesem Erlass verlangt, das er
„... ein politisch bewusste [r] wissenschaftlich gebildete [r] Lehrer ist;
über eine “gute Allgemeinbildung“ und “objektive Kenntnisse des
Marxismus- Leninismus“ verfügt.....;
die “Freundschaft der friedliebenden Völker“ pflegt und ein “wahrhafter
Freund der Sowjetunion“ ist.“
um nur einige Beispiele zu nennen. (Brenner, Kemper, 2005, 102 f.) Die Verordnung ist häufig als Verabschiedung von reformpädagogischen Methoden aus der Schulpraxis der DDR gesehen worden. „Die weiteren Schritte in der Reform des Bildungssystems der DDR waren durch Abstimmungsprobleme zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung sowie Experimente mit der polytechnischen Erziehung als einer sozialistischen Variante reformpädagogischer Arbeitserziehung und nicht zuletzt durch Versuche bestimmt, in den Unterricht im geschlossenen Klassenverband Formen der inneren Differenzierung einzuführen.“ (Brenner, Kemper, 2005, 104) Es wurde Ende 1959 versucht durch ein Gesetz 6 diese Vielfalt zu vereinheitlichen. Dieses Gesetz führte die “zehnklassige bzw. zwölfklassige allgemeinbildende Oberschule“ ein. Zu einer Kontroverse über Abstimmungsprobleme zwischen Einheitlichkeit und Differenzierung des Schulsystems kam es im ersten Jahrzehnt der DDR. Ausgelöst wurde dies durch einen Schulreformversuch von Hans Herbert Becker 7 , den er in der Zeitschrift für Pädagogik publizierte (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 106). Aus den Schulversuchen der SBZ gingen diese Entwicklungsprobleme der Einheitsschule im ersten Jahrzehnt der DDR hervor. In der Literatur ist häufig die These zu finden, dass das erste Jahrzehnt der DDR das Ende der Reformpädagogik war. Das stimmt so nicht. Es gab 1959 eine Vielfalt von Reformpädagogischen Konzepten, die sich auch später in der DDR durchsetzten (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 118 ff.). Von 1960-1970 fand eine weitere Phase von Entwicklung von Schulreformen und Reformpädagogik in der DDR statt. In dieser Phase entfaltete das Bildungssystem der DDR seine größte Effektivität, die in bestimmten Bereichen auch später erhalten blieb (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 155). „Die Lösung der für die SBZ und das erste Jahrzehnt der DDR aufgezeigten Entwicklungsprobleme in der Schule wurde nicht durch das Bildungsgesetz von 1965 und auch nicht durch die neue Verfassung von 1968 eingeleitet, sondern vollzog sich im
6 Gesetz über die sozialistische Entwicklung im Schulwesen
7 vgl. Brenner, Kemper, 205, 116/117
Schatten des Baues der zwischen den beiden deutschen Staaten 1961 errichteten “Mauer“,... .“ (Brenner, Kemper, 2005, 172) Der Mauerbau führte im Bildungs-, Wissenschafts-, und Beschäftigungssystem dazu, dass die in der DDR ausgebildeten Menschen dem Staat erhalten blieben (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 172). Von 1960 - 1970 hatte das Bildungssystem der DDR seine Systemgestalt in der horizontal gegliederten Einheitsschule gefunden. Diese Struktur wurde in den 70er und 80er Jahren beibehalten. Es gab nur Veränderungen auf der unterrichtsdidaktischen Ebene. Ende der 80er Jahre stand das Erziehungssystem in der DDR an einem Scheideweg. Zu einer Verabschiedung der kommunistischen Erziehung führten Entwicklungen in der Wissenschaft und im Erziehungssystem (vgl. Brenner/Kemper, 2005, 196 ff.). „Das in Wissenschaft, Politik und pädagogischer Praxis vertretene Monopol sozialistischer Erziehung wurden schließlich sogar offiziell verabschiedet.“ (Brenner, Kemper, 2005, 244) Der deutsche Einigungsprozess der durch den Beitritt der DDR zur BRD vollzogen wurde, führte zu einer Anpassung der Bildungssysteme der neuen Bundesländer an die alten (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 244).
1.5 Ausgewählte reformpädagogische Konzepte
1.5.1 Peter Petersen - biografischer Abriss
Peter Petersen wurde am 26. Juni 1884 in Großenwiehe bei Flensburg als erster Sohn eines Kleinbauern geboren. Sein Lebensweg schien vorbestimmt zu sein: „…Erbe des Hofes zu werden und eine seit 1666 bestehende bäuerliche Familientradition fortzuführen.“ (zit. n. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 16). Ab 1890 besuchte er sechs Jahre lang die einklassige Landschule und im Anschluss daran das Gymnasium in Flensburg. „In dieser Zeit bildeten sich bei Petersen erste Sensibilitäten für soziale Ungerechtigkeiten aus, und über die Folgen von Unterdrückung ... .“ (zit. n. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 23) Während seiner Schulzeit auf dem Gymnasium entwickelte Peter Petersen den Berufswunsch, Gymnasiallehrer zu werden. Rückblickend waren Petersen durch die Erfahrung, die er insbesondere auf dem Land sammelte, z. B. angewiesen sein auf die Gemeinschaft, Verantwortung tragen und eigenständig Aufgaben übernehmen, geprägt. Sie sind Grundpfeiler seines späteren reformpädagogischen Konzeptes, dem Jenaplan
(vgl. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 17 ff.). Petersen entschied sich bewusst für ein Studium in Leipzig, da Leipzig bis vor dem ersten Weltkrieg die Hochburg für Gegenwartsfragen war. Damit waren die Weichen für den späteren Reformpädagogen Petersen gestellt. Nach Abschluss seines Studiums promovierte er bei Rudolf Eucken 8 in Jena. Die Jahre 1909 bis 1923 waren für Petersen sehr wichtig. Er ging nach Hamburg und war dort anfangs Lehrer und später Oberlehrer am Johanneum. Pädagogische und bildungspolitische Reformversuche gab es in Hamburg schon, diese Versuche gingen von Volksschullehrern aus. Gegen solche Bemühungen gab es harte Widerstände am Johanneum und auf anderen höheren Schulen. Die Front aufzubrechen, dafür schien Petersen geeignet (vgl. Kluge in Schaberg, Schonig, 2002, 28 ff.). Unterbrochen wurden die ersten Reformversuche durch den 1. Weltkrieg. 1920 wurde Petersen in die Schulleitung der neugegründeten Lichtwarkschule berufen. Sie war eine sogenannte Versuchsschule des höheren Schulwesens. Ganzheitliches Lernen, Lernen in Zusammenhängen, Gemeinschaftspflege, bewusste Schaffung vielfältiger Unterrichtsformen waren nur einige Punkte im Programm der Lichtwarkschule. Zusätzlich unterstütze er die Forderung nach einem Aufbau einer Universität, an der Gymnasial- und Volksschullehrer ausgebildet werden sollten und an einem eigens geschaffenen Lehrstuhl für Erziehungswissenschaften. Zu der damaligen Zeit war das Vorhaben revolutionär. 1920 habilitierte Petersen in Hamburg, arbeitete als Privatdozent und entwarf seine eigene Wissenschaft von der Erziehung. 1923 wurde dann an der Universität ein eigener Lehrstuhl für Pädagogik eingerichtet. Petersens Kandidatur für diesen Lehrstuhl wurde abgelehnt, obwohl er alle Anforderungen erfüllte. Nach dieser Niederlage erhielt Petersen, eine Berufung von Greil 9 an die Universität Jena. Greil wollte in ganz Thüringen eine grundlegende, radikale Bildungsreform umsetzen, angefangen von der Kindertagesstätte bis hin zur Universität. Diese Reform sollte nach Möglichkeit gesamtgesellschaftlich wirken. Aus diesem Grund betraute Greil Petersen (vgl. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 34 ff.) „...mit zwei Aufgaben: der Etablierung der Volksschullehrerausbildung an der Universität und des Einheitsschulgedanken in Schulpraxis und öffentlicher Akzeptanz.“ (zit. n. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 36)
Die Anfangszeit in Jena war für Petersen nicht leicht, zum einen trat er die Nachfolge vom renommierten Professor Wilhelm Reins an und zum anderen gab es in Jena starke
8 Doktorvater von Petersen
9 Volksbildungsminister (vgl. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 35)
Widerstände an der Universität durch den sog. “Jenaer Hochschulkonflikt“. Bis Petersen 1923 seine Stelle in Jena antreten konnte, änderte sich sehr vieles auf politischer Ebene in Thüringen. Dadurch ging die finanzielle Unterstützung vom Ministerium für die bildungs- und schulreformerischen Pläne von Petersen verloren. Petersen ließ sich davon nicht entmutigen und baute mit viel Ehrgeiz eine neue „Erziehungswissenschaftliche Anstalt“ (Universität) auf, an die eine Versuchsschule angeschlossen war (vgl. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 37). Petersen war Leiter dieser Versuchsschule und konnte seine reformpädagogischen Ideen in die Praxis umsetzen. Bis zu seinem Tode 1952 stand Petersen im Kreuzfeuer unterschiedlicher Anfeindungen von Anhängern der Tradition von Reins.
1.5.1.1 Die pädagogische Konzeption Jenaplan
Der Name für Petersens pädagogische Konzeption wurde 1927 auf einem Kongress des „Weltverbandes für Erziehung“ geprägt. (vgl. Kluge in Schaberg, Schonig 2002 ,46). Petersen war gegen die „Alte Schule“, er verstand seine Schule als Lebens- und Arbeitsgemeinschaftsschule. Es gibt in seiner Schule keine Jahrgangsklassen, sondern sogenannte Stammgruppen. Die Stammgruppe ist jahrgangsübergreifend - 3 Jahrgänge werden zusammen unterrichtet. Somit gibt es für das Kind kein „sitzenbleiben“, und das Kind hat die Möglichkeit, sich individuell zu entwickeln. Im Vordergrund steht das Zusammenleben und das gegenseitige Helfen der Schüler. Alle 3 Jahre wechselt das Kind dann in die nächste Jahrgangsstufe. Ist das Kind noch nicht in der Lage, in die nächsthöhere Gruppe zu wechseln, kann es noch weiter in der Stammgruppe bleiben (vgl. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 40).
Die folgende Tabelle ist ein Beispiel für die Einteilung der Stammgruppen in einer Jenaplanschule.
Abb. 1 Struktur Jenaplanschule
(http://www.jenaplanschule.jena.de/idex.php?option=com_conten&task=view&id=12& Itemid=32 20.4.07)
In der Jenaplanschule wird nach dem Wochenarbeitsplan gelernt. Das heißt, es gibt keinen Stundenplan, somit werden die Unterrichtsfächer nicht isoliert. Jeder Schüler arbeitet nach einem rhythmisierten Wochenarbeitsplan, in dem die folgenden Bildungsgrundformen, die Petersen bestimmt hat, nicht zu kurz kommen dürfen: Gespräch: das kann ein Kreisgespräch, Berichtskreis, Vortrag, Aussprache usw. sein; Spiel:das kann ein freies Spiel, Lernspiel, Turnspiel, Schauspiel usw. sein; Arbeit: das können Gruppenarbeiten, Kurse, Einschulungskurse usw. sein; Feier: das kann eine Morgenfeier, Wochenschlussfeier, Geburtstagsfeier usw. sein (vgl. Kluge in Schaberg/Schonig 2002, 42). Neben dem Gruppenunterricht in den Stammgruppen gibt es an Jenaplanschulen den Kernunterricht und den Kursunterricht. Der Kernunterricht bestimmt die Schulwoche, in diesem Unterricht wird an Projekten gearbeitet, die fächerübergreifend sind. Die Schüler bringen für diese Projekte in der Regel die Themen mit und arbeiten an diesen Themen über einen längeren Zeitraum mit Hilfe des Lehrers
Die Stammgruppe ist im Kursunterricht aufgelöst, hier arbeiten Kinder zusammen, die das gleiche Leistungsniveau haben. In diesen Unterrichtseinheiten werden Arbeitstechniken und Basiswissen wie Schreiben und Rechnen vermittelt(vgl.
http://www.br-online.de/wissen-bildung/thema/reformpaedagogik/idee-jenaplan.xml 31.01.2007). In den Jenaplanschulen gibt es keine Zeugnisse. Es werden neue Formen der Leistungsbeurteilungen angewendet z..B. Entwicklungs- oder Lernbeurteilungen. Das Kind steht im Mittelpunkt der Pädagogik von Petersen. Es hat verschiedene Grundkräfte, die berücksichtigt werden sollen. Diese Grundkräfte sind: Bewegungsdrang Tätigkeitsdrang Gesellschaftstrieb Lerntrieb Es steht die Förderung und Forderung der Interessen und Begabungen des Kindes im Vordergrund, somit kann man Kindern mit Behinderungen und Kindern mit einer besonders hohen Begabung gerecht werden.
Der Lehrer steht den Kindern helfend zur Seite und ist als Partner des Kindes zu verstehen. Die Kinder sollen sich in der Schule wohlfühlen, der Gruppenraum dient als Schulwohnstube. In allen Angelegenheiten der Schule wird den Eltern eine zentrale Rolle eingeräumt. Beispielsweise haben die Eltern jederzeit die Möglichkeit, unangemeldet im Unterricht zu hospitieren (vgl. http://www.br-online.de/wissenbildung/thema/reformpaedagogik/gruppe.xml 31.01.2007). 1.5.2 Rudolf Steiner - Biografischer Abriss Im Jahre 1861 wird Rudolf Steiner in Kraljevec geboren und wuchs in verschiedenen Dörfern Niederösterreichs auf. Die Familie Steiner musste sehr häufig umziehen, da der Vater, ein Bahntelegrafist, mehrfach versetzt wurde (vgl. Lippert, 2001, 11). Nach seiner Schulzeit und bestandener Reifeprüfung studierte Rudolf Steiner ab 1879 Naturwissenschaftliche Fächer und Mathematik an der Technischen Hochschule in Wien (vgl. Wehr 2005, 13). „Ergänzend beschäftigte er sich mit Literaturwissenschaften, vornehmlich mit Goethe und Schiller.“(Wehr, 2005, 13) Diese Fächerkombination erwies sich bald als erfolgreich, denn Steiner wurde bei der Herausgabe und Kommentierung der naturwissenschaftlichen Schriften von Goethe um Hilfe gebeten. Als Steiner sein Studium 1883 abschloss, lag bereits der erste Band vor, welcher von Steiner kommentiert wurde (vgl. Wehr, 2005, 13). „Damit ist ein wichtiges Stadium seiner Entwicklung erreicht.“ (Wehr, 2005, ebd.) Die Geburtsstunde der
Waldorfpädagogik kann man ab dem Zeitpunkt nennen, als Steiner Hauslehrer bei der jüdischen Familie Specht in Wien war. Steiner lebte ab seinem 23. Lebensjahr sechs Jahre lang als Familienmitglied in dieser Familie (vgl. Hardorf in Schaberg, Schonig 2002, 30). „Er unterrichtete insbesondere den Jüngsten, Otto, der mit seinem Wasserkopf ein schwerer heilpädagogischer Fall war. Dank Steiners Einsatz konnte die Missbildung fast vollständig überwunden werden. Das als bildungsunfähig eingeschätzte Kind holte seine Entwicklung auf und wurde später Arzt.“ (zit. n. Hardorf in Schaberg, Schonig, 2002, 30) Steiner lebte in dieser Familie nicht als distanzierter Angestellter, sondern als vollwertiges Familienmitglied. „Die Familie Specht schenkte ihm ein Lebensklima, in dem er neben angespannten medizinisch - pädagogischen Studien auch völlig loslassen konnte... .“ (zit. n. Hardorf in Schaberg, Schonig, 2002, 32) Steiner fand in Pauline Specht eine wichtige Gesprächspartnerin, da sie seinen wissenschaftlichen Arbeiten größte Aufmerksamkeit entgegen brachte (vgl. Hardorf in Schaberg, Schonig, 2002, 33). „Im Wechselspiel von inniger Mutterliebe bzw. spielendem Einssein mit den Kindern und andererseits medizinisch - diagnostischer Analyse bildete sich hier Steiners Pädagogik.“ (zit. n. Hardorf in Schaberg, Schonig 2002, 33) Ab 1899 unterrichtete Steiner im Rahmen der Erwachsenenbildung in Berlin an der Arbeitsbildungsschule die von Wilhelm Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründet wurde (vgl. Hardorf in Schaberg, Schonig, 2002, 38). Wichtig für Steiner war die Begegnung mit Marie von Sivers, einer jungen Schauspielerin. Sie wurde Steiners zweite Frau und führte ihn in die Theosophische Gesellschaft ein. Er gründete 1902 die “Deutsche Sektion der Theosophischen Gesellschaft“ und ernannte sich selbst zum Generalsekretär (vgl. Lippert, 2001, 23). 1913 kam es zu einer Krise innerhalb dieser Gesellschaft und zum Ausschluss der “Deutschen Sektion“. Die schon formlos gegründete “Anthroposophische Gesellschaft“ konstituierte sich 1913 in einer Generalversammlung in Berlin offiziell (vgl. Lippert 2001, 26). „Steiners Bestrebungen gingen von Anfang an dahin, Anthroposophie nicht als bloße Lehre zu verstehen oder sie gar zu einer weltanschaulichen Sekte verkommen zu lassen.“ (Wehr, 2005, 34) Von Steiner gingen sehr viele Impulse kultureller Art aus, insbesondere auf den künstlerischen Bereich. Dazu gehören die von Steiner geschaffenen Mysteriendramen und die Bewegungskunst der Eurythmie als Beispiele dazu (vgl. Wehr, 2005, 35).
Für all diese Dinge wurde eine Bühne benötigt und 1913 wurde in der Schweiz oberhalb von Dronach das “Goetheneum“ gebaut (vgl. Wehr, 2005, 37).
„Wir schreiben das Jahr 1919. In Deutschland herrscht Revolution. Das Kaiserreich mit seinen autoritären Strukturen ist zusammen gebrochen:.. .“ (Hellmich, 1995, 50) Die aus dem ersten Weltkrieg zurückgekommen Soldaten waren meist arbeitslos, es herrschte soziale Not und große Unzufriedenheit in der Bevölkerung. „Die alte Ständeschule, in der für Gott, Kaisertreue und Vaterland die Jungen und Mädchen getrennt und für die jeweils spezifischen „Tugenden“ gedrillt und gezüchtigt wurden, hat „ausgedient.“ (Hellmich, 1995, ebd.) Die gesellschaftlichen Zeichen stehen auf Sturm. In der Reichsschulkonferenz von 1920 wird sich mit neuen Strukturen und Inhalten für die Schulen beschäftigt und ganz besonders mit der Frage nach einer Einheitsschule. Die Einheitsschule scheitert, da sich verschiedene Parteien und Gesellschaften nicht einigen können (vgl. Hellmich, 1995, 50). „Der Gründung der ersten Waldorfschule im Jahre 1919 gingen wieder Vorträge vor Arbeitern voraus.“ (zit. n. Hardorf in Schaberg, Schonig, 2002 ,40) Steiner hielt Vorträge im Rahmen der “Dreigliederungsbewegung“ vor Belegschaften von verschiedenen Württemberger Werken u.a. in Ludwigsburg, Feuerbach und in Stuttgart (vgl. Hardorf in Schaberg, Schonig 2002, 40). Die Arbeiter in der Firma Waldorf-Astoria Zigaretten fühlten sich von Steiners Ideen sehr angesprochen, so dass beschlossen wurde, die Pädagogik von Steiner umzusetzen. 1919 wurde mit der Hilfe von Firmenchef Erich Molt in Stuttgart die erste Waldorfschule gegründet. Am 30.03.1925 verstarb Steiner in der Schweiz. Nach dem Tod geht die Waldorfbewegung weiter und Caroline von Heydebrandt konzipiert die ersten Waldorfkindergärten (vgl. http://www.br-online.de/wissen-bildung/thema/reformpaedagogik/bio-steiner.xml 07.02.07).
1.5.1.2 Die pädagogische Konzeption Waldorfpädagogik
Die Anthroposophie bildet die Grundlage der Waldorfpädagogik. „Unter Anthroposophie versteht Rudolf Steiner eine Erkenntnismethode zur wissenschaftlichen Erforschung der real- geistigen Welt und zur Entwicklung der dazu notwendigen Erkenntnisfähigkeiten.“ (Schneider, 1987, 18) Es gibt sehr viele verschiedene Definitionen, was unter Anthroposophie zu verstehen ist (vgl. Lippert, 2001, 40). „Einig
sind sich alle anthroposophischen Autoren darin, das sie einen Erkenntnisweg darstellt und nicht - nur - eine geschlossene Weltanschauung beinhaltet... .“ (Lippert, 2001, ebd.) Mit der Gründung der ersten Waldorfschule 1919 in Stuttgart, wurde zum ersten Mal das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit 10 verwirklicht. In der Regel sind Waldorfschulen Gesamtschulen, damit wird das Prinzip der Auslese durch ein Prinzip der Förderung ersetzt. In den Waldorfschulen wird in reinen Jahrgangsklassen unterrichtet, ein Sitzenbleiben gibt es auch hier nicht. In den Zeugnissen der Schüler sind keine Zensuren zu finden, sondern Beurteilungen die den Leistungsfortschritt, die Begabung und das Bemühen der Schüler in den einzelnen Fächern beschreibt. Waldorfschüler habe die Möglichkeit, die Schule mit folgenden Abschlüssen zu beenden: Mittlere Reife, Abitur oder Fachhochschulreife
(vgl. http://www.waldorfschule.info/index.5.0.1.html 07.02.2007). In den Waldorfschulen wird nicht nach dem offiziellen Lehrplan des jeweiligen Bundeslandes gearbeitet, sondern nach einem die Vorstellungen von Steiner aus den Jahren 1919 bis 1925 wiedergebenden Curriculum. Steiner arbeitete keinen eigenen Lehrplan aus, er hielt Vorträge, aus denen zu entnehmen war, wie er die Unterrichtsinhalte verteilt und ausgestaltet haben wollte (vgl. Lippert, 2001, 168). Steiner setzte sich sehr kritisch mit den Stundenplänen an staatlichen Schulen auseinander und er fand es als sehr nachteilig, dass „...Schüler Stunde für Stunde und Tag für Tag einer Fülle verschiedener Themen und Fächer ausgesetzt sind. Kaum entwickelt sich wirkliches Interesse am Lerninhalt, ist die Zeit auch schon verstrichen.“ (Lippert, 2001, 187) Der ständige Wechsel von Themen im Verlauf einer Schulewoche verhindert die Konzentration und das effektive Arbeiten (vgl. Lippert, 2001, ebd.). „Für Steiner konnte sich so kein gesunder Rhythmus im Kind einstellen.“ (Lippert, 2001, ebd.) Daher wird in den Waldorfschulen ein Großteil der Unterrichtsfächer als “Epochenunterricht“ erteilt. Das heißt, Unterrichtseinheiten zu einem bestimmten Stoffgebiet werden in einem Block zusammengefasst. In der Regel dauert die Epoche 3- 4 Wochen oder auch länger und umfasst die ersten beiden Unterrichtsstunden am Tag (vgl. Lippert, 2001, 188). Viele Pädagogen sind sich einig, dass es in den staatlichen Schulen zu wenig Freiräume für künstlerisches Tun und Kreativität gibt. Die Waldorfpädagogik stellt ein Unterrichtskonzept zur Verfügung, welches ein hohes Maß an künstlerischen und praktisch - handwerklichen Tätigkeiten ermöglicht. Es wird den
10 jedes Kind egal welcher Herkunft und welche Begabung es hat, hat die Möglichkeit für eine
gemeinsam Bildung
Kindern bewusst sehr viel Platz für diese Dinge gelassen, da die Schüler lernen sollen, ihr eigenes Tun zu kontrollieren. Die Eurythmie spielt in Steiners Waldorfpädagogik ebenfalls eine große Rolle und ist das Herzstück der Pädagogik (vgl. Lippert, 2001, 192 ff.) „Sie fehlt in keinem Kindergarten und ist Pflichtfach in allen Waldorfschulen... .“ (Lippert, 2001, 198) In dieser Ausdruckform wird die Seele der Kinder angesprochen und die Bewegungen sollen ausgleichend und harmonisierend wirken. Durch die Bewegungsform der Eurythmie haben die Kinder die Möglichkeit, ihren Gefühlen und Empfindungen auf der künstlerischen Ebene Ausdruck zu verleihen. Die künstlerische Ausdrucksform zieht sich durch den ganzen Unterricht. Es soll nach Steiner mit den ganzen Sinnen gelernt werden. Als Beispiel ist zu nennen, dass Zahlenreihen rhythmisch nachgesprochen und dazu geklatscht wird. Lehrbücher wird man vergeblich in einer Waldorfschule suchen, da für Steiner der ganze Kosmos und der Mensch Lernstoff ist. Es werden keine Schwerpunkte für den Erwerb von fachspezifischen Kenntnissen gelegt. Wichtig ist für Steiner, dass die Schüler ein ganzheitliches und in die Tiefe gehendes Welt- und Menschverständnis entwickeln. Der Lehrer in der Waldorfschule soll dem Kind als Helfer für seine geistige Entwicklung zur Seite stehen. In der Regel begleitet der Lehrer die Schüler acht Jahre lang, danach wechseln die Schüler in die Oberstufe und werden von Fachlehrern betreut (vgl. http://www.bronline.de/wissen-bildung/thema/reformpaedagogik/
idee=waldorf.xml 07.02.2007). In den Waldorfschulen gibt es keine Zensuren (nur zur Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen) und sitzenbleiben gibt es nicht, da das Prinzip der Koedukation 11 gilt. Statt Zeugnisse erhalten Schüler, die in eine Waldorfschule gehen, einmal im Jahr eine verbale Beurteilung (vgl. Lippert, 2001, 214).
1.5.2 Celestin Freinet - Biografischer Abriss
Freinet wird am 15.10.1896 als Kind einer Bauernfamilie in der Provence in Frankreich geboren. „Das öffentliche französische Volksschulwesen ist in den 20er Jahren besonders auf dem Lande in einem sehr desolaten Zustand (mit 40 Schülern überfüllte Klassen, schlechter baulicher Zustand usw.).“ (zit. n. Schlemminger in Schaberg, Schonig, 2002, 13) 1900 wurde Freinet in die einklassige Dorfschule eingeschult (vgl.
11 Koedukation bedeutet alle gleichaltrigen Schüler werden trotz verschiedenem Leistungsniveau
gemeinsam unterrichtet
Schlemminger, in Schaberg/Schonig, 2002, 35). 1908 macht Freinet den Volksschulabschluss und tritt in eine weiterführende Schule in Grasse ein. Drei Jahre zunächst im “Collège Carnot“ und dann ein Jahr auf dem “Lycèe Amiral de Grasse“, was auf die Aufnahmeprüfung zum Lehrerseminar vorbereitet. Freinet macht 1912 seinen Sekundarschulabschluss und wird am Lehrerseminar aufgenommen. 1914 macht Freinet seine Schulabschlussprüfung und beginnt mit dem schulpraktischen Jahr Celestin Freinet wird 1915 zum Kriegsdienst eingezogen (vgl. Schlemminger in Schaberg, Schonig, 2002, 35 f.). 1916 erlitt er einen Lungensteckschuss und brachte 4 Jahre in Lazaretten und Sanatorien zu (vgl. Teigeler 1995, 46). „Aus den Bedingungen dieser Schwäche hat Freinet seine Pädagogik entwickelt.“ (Teigeler, 1995, ebd.) Einige Autoren, die über Freinet schreiben, sind der Ansicht, dass er seine Pädagogik so entwickelt hat, um einen langen Schultag durchstehen zu können (vgl. Dietrich, 1995, 14). 1920 wird Freinet stellvertretender Volksschullehrer an einer Jungenschule in Frankreich und im selben Jahr holt er die Prüfung zur Lehrerbefähigung nach. (vgl. Schlemminger in Schaberg, Schonig 2002, 36). 1922 wird er pädagogischer Sekretär der Gewerkschaftssektion Alpes Maritimes, trifft mit Peter Petersen in Deutschland zusammen und besucht dort die Schulversuche in Hamburg. Anschließend schreibt Celestin Freinet in seiner Zeitung Clartè über die Schulversuche in Deutschland. 1924 führt er die Druckpresse in den Unterricht ein und lässt seine Schüler freie Texte schreiben und drucken. Daraus entstanden dann langsam Klassenzeitungen. Durch diese wurden Schulbücher ersetzt. Erste Korrespondenzen zwischen verschiedenen Schulklassen begannen. Die freie Druckerei ist das Kennzeichen der Freinet - Pädagogik (vgl. Schlemminger in Schaberg, Schonig, 2002, 37). Im selben Jahr gründet er eine “Kooperative“ mit gleichgesinnten Kollegen, welche die pädagogische Zusammenarbeit organisiert und Arbeitsmaterialien herausgibt. Aus dieser “Kooperative“ geht die französische Lehrerbewegung “Ecole Moderne 12 “ hervor. Ziel dieser Lehrerbewegung ist es, die „Alte Schule“ von innen heraus umzugestalten (vgl. http://www.freinte-kooperative.de/start/index.php?idcat=295&idside=284&lang=2 10.02.2007).
1926 heiratet er Elise und tritt der kommunistischen Partei Frankreichs bei. Auf dem Lehrergewerkschaftskongress 1927 werden die “Bewegung der Schuldrucker“ und von der Gewerkschaft heraus die “Kino Kooperative“ gegründet. Ein Jahr später schließen
12 Ecole Moderne heißt Moderne Schule
sich diese beiden Bewegungen zusammen zur Lehrer -Kooperative “Cooperative de I` Enseignement Lai`(CEL)“. 1935 eröffnen Celestin und seine Ehefrau Elise Freinet ihre erste Internatsschule. Ein Jahr später werden die ersten Arbeiterkinder aus Pariser Vororten eingeschult (vgl. Schlemminger in Schaberg, Schonig, 2002, 40). „Im Zentrum der Schule steht die praktische, sinnvolle, schöpferische und das Kind entfaltende Arbeit. Mit dem Sieg der französischen Volksfront erfährt die Freinet-Bewegung einen weiteren Aufschwung, bevor ihr durch die faschistischen Regierungen und den 2. Weltkrieg ein Ende gesetzt wird.“ (Hecker, http://www.freinetkooperative.de/start/index.php?idcat=295&idside=284&lang=2 10.02.2007) Freinet wird 1940 wegen kommunistischer Propaganda festgenommen und in ein Internierungslager gebracht. Die Internatsschule wird auf Anordnung des Präfekten geschlossen. Von 1942 -1944 verfasst Freinet seine Hauptschriften, die nach dem Krieg veröffentlicht werden 1946 wird die Internatsschule wiedereröffnet. Freinet unterrichtete nicht selbst, sondern widmete sich dem Aufbau seiner Kooperative (vgl. Schlemminger in Schaberg, Schonig, 2002, 41). „1961 wird die "Féderation Internationale des Mouvements de l'Ecole Moderne" (FIMEM) ins Leben gerufen, die zur Koordinierung der Freinet-Bewegungen in verschiedenen Länden dienen soll: Aus der Kooperation weniger französischer Volksschullehrer ist eine internationale pädagogische Reformbewegung geworden.“ (Hecker, http://www.freinetkooperative.de/start/index.php?idcat=295&idside=284&lang=2 10.02.2007) Am 08. Oktober 1966 stirbt Freinet (vgl. Schlemminger in Schaberg, Schonig, 2002, 42).
1.5.2.1 Freinet Pädagogik
Die Freinet Pädagogik wehrt sich gegen die Regelschulen, da die Bedürfnisse, Gefühle und die persönliche Identität der Kinder zu wenig berücksichtigt werden. Eines der wichtigsten Grundprinzipien der Freinet- Pädagogik ist es, die Verschiedenheit der Kinder zu akzeptieren. Die Schule soll den Kindern die Möglichkeit geben, sich entfalten und ausdrücken zu können (vgl. Baillet, 1995, 16). „Wie alle Reformpädagogen will auch Freinet durch eine zum Lernen anregende Gestaltung des Lernfeldes seine Schüler motivieren... .“(zit. n. Jörg in Hellmich, Teigeler, 1995, 101) Freinet richtet in den Klassenräumen sogenannte Arbeitsecken (Ateliers) ein, die unterschiedlich gruppiert und zweckorientiert ausgestattet sind. „Er selbst schlägt
folgende Aufteilung vor, die in der Praxis jedoch nach den jeweiligen Bedürfnissen abgeändert oder ergänzt werden kann: 1. eine Arbeitsecke für die Arbeitsplanung und den Wissenserwerb mit Quellen-und Dokumentensammlung, 2. eine Arbeitsecke für naturwissenschaftliche Experimente, 3. eine Arbeitsecke für graphisches Gestalten, schriftlichen Ausdruck und Schülerkorrespondenz, 4. eine Arbeitsecke für technische Medien im Unterricht, 5. eine Arbeitsecke für Versuche und Beobachtung von Pflanzen und Tieren, 6. eine Arbeitsecke für das künstlerische und musische Schaffen, für Holz, Metall-und Keramikarbeiten, 7. eine Arbeitsecke für hauswirtschaftliches Tun, 8. eine Arbeitsecke für Konstruktion, Mechanik, Handel, mit Geräten zum Wiegen und Messen sowie für räumliches Gestalten.“ (zit. n. Jörg in Hellmich, Teigeler 1995, 102) Die Schuldruckerei ist die Arbeitstechnik, die Freinet neu in die Schule eingeführt hat und durch die er bekannt wurde. Freinet erlitt im ersten Weltkrieg eine Lungenverletzung. Daher fiel im langes Sprechen im Unterricht sehr schwer, er suchte nach einer Möglichkeit, mit dem er die Schüler sinnvoll in Spracharbeit beschäftigen konnte. Er fand ein Druckpresse und ließ seine Schüler frei geschriebene Texte setzten und drucken (vgl. Jörg in Hellmich, Teigeler, 1995, 105). „Das Drucken in der Schule und der Austausch des Gedruckten wird schnell zur wichtigsten Arbeitstechnik der Freinet Bewegung.“ (zit. n. Jörg in Hellmich. Teigeler 1995, ebd.) Die Arbeit mit der Druckerei ist für die Schüler sehr wertvoll, da sie schneller die Orthografie lernen und Interesse entwickeln für das kritische Lesen von Werken aus der Literatur oder von Texten, die andere Schüler geschrieben haben (vgl. Jörg in Hellmich, Teigeler, 1995, 105). Die Klassenkorrespondenz ist ein weiteres Merkmal der Freinet Pädagogik. Die Schüler tauschen sich über geschriebene Texte innerhalb der Klasse oder mit der sogenannten Korrespondenzklasse, die auch in einer anderen Stadt sein kann, aus. Der Schülerkorrespondenzaustausch findet nicht selten auch über die Grenzen des eigenen Landes hinaus statt. Es ist ein gutes Mittel, die Schüler mit andern Ländern, Menschen und Sitten vertraut zu machen und der Lerneffekt hat einen sehr hohen erzieherischen Wert (vgl. Jörg in Hellmich, Teigeler, 1995, 106).
Dem Spiel wird in der Freinet Pädagogik große Bedeutung geschenkt, es werden deshalb dem Kind vielfältige Möglichkeiten und Materialien geboten, die zu Aktivitäten anregen. Zum Beispiel gibt es die Arbeitskartei, sie enthält Anregungen für das gemeinsame Spielen oder den Bau von z. B. Puppenbühnen und Marionetten für das szenische Gestalten. Besondere Bedeutung haben alle Formen des freien Sichausdrücken- Könnens und der musikalischen Erziehung (vgl. Jörg in Hellmich, Teigeler, 1995, 107). In den Schulen, die nach der Freinet Pädagogik arbeiten, gibt es keinen Stundenplan im herkömmlichen Sinn. Die Schüler gestalten ihren Wochenarbeitsplan ausgehend vom offiziellen Lehr- und Stundenplan selbst (vgl. Jörg in Hellmich Teigeler, 1995, 103). „Mit dem Wochenarbeitsplan ist in der Freinet Schule eine individuelle Leistungskurve verbunden, in die im Laufe der Woche alle erzielten Beurteilungen eingetragen werden.“ (zit. n. Jörg in Hellmich, Teigeler, 1995, 104) Die Schüler wirken bei den meisten Leistungsbeurteilungen mit und bekommen so ein schnelles und untrügliches Urteil ihrer Leistungen. Dies geschieht z. B. beim Vorlesen der freien Texte und bei der Entscheidung, welche Texte, Briefe o. ä. an die Korrespondenzklasse geschickt werden.
1.6 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Pädagogischen Konzeptionen
von Petersen, Steiner und Freinet
Das Kind steht im Mittelpunkt der Pädagogik, dies ist die wichtigste Gemeinsamkeit der Reformpädagogischen Konzeption von Petersen, Steiner und Freinet. Unterschiede gibt es in folgenden Punkten: dem Bild vom Kind, der Gruppenform, der Gestaltung des Klassenraumes, des Lehrplans, und der Lehrerrolle, um nur einige zu nennen. Petersen hat ein humanistisches Bild vom einzelnen Kind in der Gesellschaft, Gemeinschaft, Erziehung und Bildung. Bei ihm ist die Selbstverantwortung und die Teamfähigkeit wichtig. Hingegen hat Steiner eine anthroposophische Weltanschauung und dem entsprechend auch ein anders Bild vom Kind. Er sieht das Kind als ein sich entwickelndes Geisteswesen. Die Verschiedenheit der Kinder in ihrer Persönlichkeit und Identität zu verstehen und zu akzeptieren ist für Freinet wichtig. Bei der Gruppenform gibt es Gemeinsamkeiten bei den pädagogischen Konzeptionen von
Freinet und Steiner. Die Schüler werden in Jahrgangsklassen unterrichtet. In der Jenaplan - Pädagogik findet das sogenannte Stammgruppenmodell Anwendung (vgl. 2.5.1.1). Unterschiedlich ist die Ausgestaltung der Klassenräume, bei Steiner ist der Raum sehr karg, dies ist anthroposophisch begründet. Petersens Klassenraum soll eine “Schulwohnstube“ sein. Diese Schulwohnstube soll den Kindern als Arbeits-, und Lebensraum dienen. In Klassenräumen von Freinet Schulen befinden sich Arbeitsecken, die sogenannten Ateliers. Ausgehend vom offiziellen Lehrplan gestalten Schüler, die in eine Freinet Schule gehen, ihren Wochenarbeitsplan selbst. In der Waldorfpädagogik ist das ähnlich, dort wird sich auch am offiziellen Lehrplan orientiert. Der Großteil des Unterrichts findet in Epochen statt. Bei Petersen sind die Inhalte des Lehrplans sehr flexibel, es gibt einen groben Lehr- und Arbeitsplan. Die Rolle des Lehrers ist bei Petersen und Freinet gleich. Der Lehrer soll dem Kind helfend zur Seite stehen. In der Waldorfpädagogik ist der Lehrer eine Autorität, er ist acht Jahre lang der Klassenlehrer der Schüler. Allen drei Konzeptionen ist gemeinsam, das es ein “traditionelles“ Zeugnis mit Zensuren nicht gibt. Man findet in den Zeugnissen der Kinder auf diesen reformpädagogischen Schulen Beurteilungen vor. Dies begründet sich dadurch, dass Kinder nicht sitzen bleiben können. (vgl. 1.5.1.1 , 1.5.2.1 , 1.5.3.1 )
2 Maria Montessori: Biografie und Erziehungskonzeption
2.1 Biografie
Maria Montessori wird am 31.08. 1870 in Chiaravall (Italien) geboren (vgl. Bergeest in Buchka, Grimm, Klein, 2002, 240). Im selben Jahr wird Italien von der Fremdherrschaft befreit und wieder ein einheitlicher Staat. In wirtschaftlicher Hinsicht sind die Hoffnungen groß, Anschluss an andere europäische Staaten zu finden (vgl. Hebenstreit, 1999, 16). „Doch gleichzeitig verläuft dieser Einigungsprozeß in politisch überholten, monarchistischen, antidemokratischen Strukturen. Die sozialen Probleme bis hin zu massiver Kinderarbeit sind gewaltig.“(Hebenstreit, 1999, 16) Hebenstreit erläutert, dass die Pädagogik häufig in solchen geschichtlichen Momenten eine wichtige Rolle spielten. Das Schulwesen ist zu dieser Zeit rückständig (vgl. Hebenstreit, 1999, 16). „Es ist diese Phase der Polarisierung von politischer, sozialer und ökonomischer Reformhoffnung einerseits und stark restaurativen Beharrungstendenzen andererseits, in der Maria Montessori ihre Kindheit verbringt.“ (Hebenstreit, 1999, 16) Im Elternhaus von Montessori findet sich diese Spannung wieder. Ihr Vater ist eher konservativ eingestellt und ihre Mutter mehr fortschrittlich. Für Montessori ergeben sich daraus wichtige Lehren. Sie wird sich für soziale Reformen einsetzen und sie lernt, dass es auf Selbstbestimmung des Einzelnen ankommt, sich gegen bestehende Verhältnisse zu wehren. In diese Verhältnisbemühungen ist ihre Pädagogik eingebettet. Als Maria Montessori fünf Jahre alt war, zog die Familie durch die berufliche Situation des Vaters nach Rom um. Davor hatte Montessori schon zwei Umzüge hinter sich. Hebenstreit schreibt dazu, dass dies typisch sei für die kommende Heimatlosigkeit von Maria Montessori (vgl. Hebenstreit, 1999, 16). Alessandro Montessori (Vater von Maria Montessori) versuchte die traditionelle Rollenaufteilung in der Familie aufrecht zu erhalten. Seine einzige Tochter Maria sollte Bildung erhalten und auf eine “normale“
Schlagworte:
lit_2007-buch, e-book,
kein Summary verfügbar
Notiz:
Uni Magdeburg
Titel: Die Reformpädagogische Bewegung; im Focus Maria Montessori
Veranstaltung: Keine
Autor:Katy VoigtJahr: 2007
Seiten: 93
Archivnummer: V110979
ISBN (eBook): 978-3-640-09093-8
ISBN (Buch): 978-3-640-11459-7
DOI: 10.3239/9783640090938
Dateigröße: 632 KB
Sprache: Deutsch
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ID: 4358 | hinzugefügt von Jürgen an 02:23 - 8.8.2012 |
title: Ankündigungen: Freinet-DV 22.10.11; 30 Jahre Freinetgruppe Deutschschweiz 3./4.12.11 by Vorstand FGS/GSEM |
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Titel: | Ankündigungen: Freinet-DV 22.10.11; 30 Jahre Freinetgruppe Deutschschweiz 3./4.12.11 |
Autor: | Vorstand FGS/GSEM | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Bindestrich 71, p. 44 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | 00.08.2011 | | |
url: | |
Text:
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Schlagworte:
lit_2011-art, Bindestrich-71,
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 4125 | hinzugefügt von Jürgen an 16:14 - 17.2.2012 |
title: Freinet-Pädagogik: Eine Möglichkeit, gewerkschaftliche Erziehungsziele in die Schule zu bringen by Wagner, Rolf |
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Titel: | Freinet-Pädagogik: Eine Möglichkeit, gewerkschaftliche Erziehungsziele in die Schule zu bringen |
Autor: | Wagner, Rolf | Sprache: | deutsch |
Quelle: | neue deutsche schule, GEW-NRW, Heft 1, S. 28-11; wieder: Berliner Lehrerzeitung, H.9 | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1984 | | |
url: | |
Text:
-
Schlagworte:
lit_1984-art, NDS_GEW-NRW, Berliner Lehrerzeitung
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 3419 | hinzugefügt von Jürgen an 20:11 - 24.7.2009 |
title: Titel: Wie lässt sich eine gelingende Inklusion didaktisch gestalten? Inklusionsdidaktik und konstruktivistische Perspektiven des Lernens by Wanke, Mareike |
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Titel: | Titel: Wie lässt sich eine gelingende Inklusion didaktisch gestalten? Inklusionsdidaktik und konstruktivistische Perspektiven des Lernens |
Autor: | Wanke, Mareike | Sprache: | deutsch |
Quelle: | München, Grin | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | DD.MM.2011 | | |
url: | https://www.grin.com/document/379768 |
Text:
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Inklusion
2.1 Begrifflichkeit
2.1.2 Exkurs: „Die Schule für alle“ – eine neue Idee?
2.2 Integration versus oder gleich Inklusion?
2.3 Macht die Verwendung der Begrifflichkeit Inklusion Sinn?
2.3.1 Exkurs: Ist Inklusion zu exklusiv?!
2.4 Forderungen der Inklusionsbewegung
2.4.1 Exkurs: Inklusive Schule = Inklusive Gesellschaft?
2.5 Welchen Handlungsbedarf gibt es speziell in Deutschland?
3. „Inklusionsdidaktik“
3.1 Was ist Didaktik?
3.2 Konstruktivistische Perspektive auf das Lernen
3.2.1 Lernen ist aktiv
3.2.2 Lernen ist selbstgesteuert
3.2.3 Lernen ist nicht Vermittlung
3.2.4 Lernen ist ein konstruktiver Prozess
3.2.5 Lernen ist ein situativer Prozess.
3.2.6 Lernen ist ein sozialer Prozess
3.2.7 Welche Lehrerrolle „braucht“ das konstruktivistische Lernen?
3.3 Didaktik der Perspektivenvielfalt bzw. Mehrperspektivität
3.3.1 Welche Möglichkeiten bietet die Didaktik der Perspektivenvielfalt?
3.4 Didaktik des Offenen Unterrichts
3.4.1 Welche Möglichkeiten bietet die Didaktik des Offenen Unterrichts?
3.5 Exkurs: Was ist das Ziel des Gesellschaftsauftrages der Schule?
4. Die "richtige“ Didaktik für Inklusion ?!
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Schlagworte:
lit-2011_art, Bachelorarbeit,
kein Summary verfügbar
Notiz:
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
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ID: 5339 | hinzugefügt von Jürgen an 18:12 - 18.4.2020 |
title: Pädagogische Klugheit. Dresdner Vorlesungen 2010/11 und 2013 by Waterkamp, Dietmar |
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Titel: | Pädagogische Klugheit. Dresdner Vorlesungen 2010/11 und 2013 |
Autor: | Waterkamp, Dietmar | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Dresden: TUDpress, 185 S | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | DD.MM.2013 | | |
url: | |
Text:
-
Schlagworte:
lit_2013_buch,Historische Pädagogik; Pädagogik; Pädagogisches Denken; Pädagogisches Handeln; Bildungsgeschichte; Leitbild; Ethik; Theorie; Decroly, Ovide; Dolci, Danilo; Freinet, Célestin; Freire, Paolo; Hahn, Kurt; Korczak, Janusz; Makarenko, Anton Semjonowitsch; Pestalozzi, Johann Heinrich; Wichern, Johann Hinrich; Deutschland,
summary:
In diesem Buch werden schon Studierende, die am Anfang eines Studiums für einen pädagogischen Beruf stehen, mit der Leitidee klugen pädagogischen Handelns konfrontiert. Sie soll ein zentrales Thema ihrer Vorbereitung auf einen pädagogischen Beruf werden und sich in ihrer späteren Berufsausübung entfalten. Die gedanklichen Grundlagen, die in diesem Buch gelegt werden, sind für Anfänger wie Fortgeschrittene gleichermaßen von Nutzen. In den 14 Vorlesungen, die in dieses Buch eingegangen sind, werden 12 Handlungsmaximen klugen pädagogischen Handelns ausgewählt. Jede Vorlesung steht unter einer Handlungsmaxime, die am Ende der Vorlesung in weiteren Maximen ausdifferenziert wird. Die erste Vorlesung führt in die Thematik ein, die letzte Vorlesung bietet eine abschließende Reflexion. Die Konzentration auf Handlungsmaximen dient der praxisrelevanten Verdichtung der einzelnen Themen. Die Ausführungen gewinnen ihre Anschaulichkeit und den narrativen Ton aus der Anlehnung an Berichte und Reflexionen bedeutender Pädagogen der letzten zweihundert Jahre, denn bei ihnen wird die Suche nach pädagogischer Klugheit am ehesten fündig. Unter anderen wird an Anne Sullivan, Johann Heinrich Pestalozzi, Johann Hinrich Wichern, Karl König, Janusz Korczak, Paulo Freire, Danilo Dolci, Thomas Barnardo, Kurt Hahn, Anton S. Makarenko, Célestin Freinet, Jean Ovide Décroly angeknüpft. Das Buch entstammt der Lehre des Autors an der Technischen Universität Dresden, die sich an ein studentisches Publikum aus den Lehramtsstudiengängen und dem Studiengang der Sozialpädagogik wendete. (Orig.).
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ID: 4634 | hinzugefügt von Jürgen an 05:04 - 19.4.2014 |
title: Freier Text - Baustein 2 der freinetpädagogische Entwicklungsreihe by Watzke, Michaela |
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Titel: | Freier Text - Baustein 2 der freinetpädagogische Entwicklungsreihe |
Autor: | Watzke, Michaela | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Klagenfurt | Quellentyp: | Artikel aus Zeitschrift |
veröffentlicht am: | DD.MM.1999 | | |
url: | |
Text:
Freier Text (17. Juni 1999 – 19. Juni 1999)
Am Donnerstag, den 17.6.1999 trafen sich wieder über 30 Lehrerinnen und Lehrer aus verschiedenen Schultypen, wie auch aus dem Kindergartenbereich, um am 2. Baustein der freinetpädagogischen Entwicklungsreihe teilzunehmen. Die zweieinhalb Tage standen unter dem Schwerpunktthema "Der freie Text". Als Referenten konnten die erfahrenen Freinetpädagogen Uschi Resch und Walter Hövel aus Deutschland gewonnen werden.
Schon in der Vorstellungsrunde, wo jeder sein Verständnis von freiem Text mitteilte, wurde uns klar, dass eine einheitliche Betrachtungsweise dieser Thematik kaum gefunden werden kann. Dies lag auch nie in der Absicht Celestin Freinets, der immer für die Vielfalt in seiner Pädagogik eintrat. Der Freiheitsbegriff zu Zeiten Freinets bezog sich auf eine "Befreiung von verschultem Lernen". Für ihn stand das Zulassen der Organisation des eigenen Lernprozesses im Vordergrund. Der Lehrer und die Lehrerin helfen bei dieser Organisation des eigenen Lernprozesses, indem sie Anregungen und Impulse geben und über ein Repertoire an Techniken verfügen, die es Kindern ermöglicht eigene Texte zu erstellen und darin Sinn zu erkennen. Texte werden für Kinder sinnvoll, wenn sie dazu dienen eigene Erfahrungen anderen mitzuteilen. Dies geschieht durch regelmäßigen Briefkontakt innerhalb der Klasse, mit Partnerklassen in anderen Ländern, durch Beiträge in eigenen Zeitschriften, durch Theateraufführungen, über das Internet usw..
So waren wir schon gespannt auf neue Techniken, die wir an uns selbst erfahren sollten. In vielen von uns keimten Ängste auf, ob uns das freie Schreiben gelingen würde. Erinnerungen an die eigenen Schulzeit stiegen auf, wo Aufsätze oft "konstruiert" und unpassende Umschreibungen gewählt wurden, um nur ja nicht zu viele Rechtschreibfehler zu machen. Andere waren wieder voll Schreiblust und freuten sich sehr auf das konkrete Handeln. Hier sollen nun einige der Techniken vorgestellt werden.
Alle Möglichkeiten (ABC, AB, AC, BC)
Jeder schrieb 3 Begriffe auf, die einem wichtig sind. Sie sollten in all ihren Kombinationen aufgeschrieben werden und zuletzt sollte ein eigener Schluss dazu gefunden werden.
Natur – Zufriedenheit – Lachen Leben – lieben - lachen
Natur und Zufriedenheit, Leben und lieben
Zufriedenheit und Lachen, Leben und lachen
Lachen und Natur, lieben und lachen
.......... was will ich mehr?
Die Texte wurden vorgelesen und siehe da, lauter kleine Kunstwerke waren entstanden und kein Text glich dem anderen.
Diese Texte könnten nun mit Bildern kombiniert werden, ja kleine Bücher könnten daraus entstehen. Die Darstellung der Begriffe in Pantomime ergab ein lustiges Rollenspiel. Und das alles mit nur 3 Begriffen! Wir staunten und waren überhaupt nicht sprachlos.
Lichterklangtext
Der Raum wurde verdunkelt, kleine Teelichter wurden angezündet und jeder betrachtete den Kerzenschein, während mit verschiedensten Materialien Klänge erzeugt wurden. Zu Licht und Klang sollte der Gedanke dazu aufgeschrieben werden. Anschließend erfolgte die Dichterlesung.
Wolkenscheinwörter
Wir setzten aus zwei Substantiven Wörter mit neuem Sinn zusammen.
Z.B.: Steinschauer, Wasserblitz, Augensturz, Zauberzapfen,.....
Aus dieser Wörtersammlung können einige Wörter ausgesucht und Geschichten damit geschrieben werden. Es entstanden Texte, Gedichte, Wetterberichte, Liebesbriefe.
Ich-Texte
Ich bin wie eine Lampe, nur nicht so hell.
Ich bin wie eine Nadel, nur nicht so spitz.
Ich bin wie mein Vater, nur nicht ......
Variationen:
Solche Ideen können im Sitzkreis gemeinsam entwickelt werden.
z.B. 2 Adjektive, dazu ein Bild, eine Tätigkeit, ein Aber-Satz.
Ich bin rund und groß,
ich bin ein Ball.
Ich kann ......,
aber ....... .
Der nächste Tag begann für alle von uns mit einer faszinierenden Farberfahrung. Wir hatten uns je nach Vorliebe für die Farbe Rot oder Blau in zwei Gruppen aufgeteilt und verschiedenste Gegenstände in diesen Farben mitgebracht. Der Morgen begann mit dem Tischdecken, wobei in getrennten Räumen auf rotem bzw. blauem Seidenpapier die Dinge nach Farbe getrennt aufgestellt wurden. Jede Gruppe setzte sich nun um ihren Tisch und jeder konnte seine Eindrücke, Gefühle und Wünsche mitteilen. Der gedeckte Tisch war Sprachanlass und auch Schreibanlass genug! Trotzdem einige Impulse:
Wir wirkt die Farbe auf jeden?
Welche Gefühle werden mit der Farbe verbunden?
Dialog der Dinge: Die blaue Vase unterhält sich mit dem blauen Handtuch
Blau unterhält sich mit Rot
Gespräch mit der anderen Gruppe
Freier Text
Es war uns ein Bedürfnis die zweite Farbe auch auf uns wirken zu lassen und jeder hatte so starke Eindrücke und Empfindungen, dass noch lange darüber gesprochen und geschrieben wurde. Solche Eigenerfahrungen sind in der Freinetpädagogik sehr wichtig. Über unsere eigenen Eindrücke und Erfahrungen können wir auch die Reaktionen anderer, besonders unserer Schüler besser verstehen und akzeptieren.
Uschi Resch stellte uns ein Walprojekt vor, das sie mit ihrer Klasse durchgeführt hatte. Ein Schüler schrieb eine Walgeschichte, die solchen Anklang bei seinen Mitschülern fand, dass sie beschlossen daraus ein Theaterstück entstehen zu lassen. Eltern fertigten die Kostüme an und nach einigen Proben wurde die Walgeschichte den Eltern vorgeführt. Wir konnten die Geschichte durch ein Video miterleben und anschließend entspann sich eine rege Diskussion über besondere Begabungen der Kinder und über die Korrektur von freien Texten.
Danach bestand die Möglichkeit in angebotenen Ateliers eigene Texte zu verfassen oder die Druckerei zu benützen. Ebenso standen einige Computer zur Verfügung, um auch auf diesem Weg Texte zu schreiben und zu gestalten. Die Pausen dienten nicht nur der Erfrischung, viele Erfahrungen wurden ausgetauscht und so manche fühlten sich in der Art und Weise ihres Unterrichts bestärkt.
Am Nachmittag lernten wir die Rasterlyrik kennen. Dabei sollte ein Text zu drei recht anspruchsvollen Begriffen (Freiheit, Ich, Sprache) geschrieben werden. Wir konnten einen beliebigen Platz wählen, die Atmosphäre sollte stimmig sein. Wieder zusammengekommen, setzten wir uns in kleinen Gruppen zusammen und lasen still die anderen vier Texte. Dabei suchten wir aus jedem Text eine Stelle, die uns besonders ansprach heraus und schrieben sie auf ein kleines Blatt. In der Zwischenzeit entstand an einer Wandtafel ein Rasterfeld wo Spalten und Zeilen mit unseren Namen versehen waren. Das jeweilige Zitat wurde nun in das richtige Feld geklebt. Bald war unser Raster voll. Nun schrieb jeder Teilnehmer der Gruppe einen neuen Text, wobei nur diese Zitate verwendet werden sollten. In der anschließenden Dichterlesung waren wir stolz auf unsere lyrischen Werke.
das ich war auf der suche nach der freiheit doch es lief gegen mauern
das ich war auf der suche nach seiner sprache doch es blieb stumm
das ich war auf der suche nach dir doch es fand dich nicht
die sprache war auf der suche der freiheit doch sie ging fehl
die sprache war auf der suche nach dem ich doch sie verirrte sich
die sprache war auf der suche nach dir doch du warst weg
die freiheit war auf der suche nach der sprache doch sie war unauffindbar
die freiheit war auf der suche nach dem ich doch es war verschollen
die freiheit war auf der suche nach dir und endlich warst du da
Da wir an diesem Tag sehr stark gefordert wurden, gingen viele von uns recht müde aber voll mit neuen Eindrücken und Erfahrungen nach Hause. Am letzten Seminartag lernten wir weitere Techniken des freien Textes kennen. Besonders ansprechend waren die Kettengeschichte, der Schementext und das Papierschnipselbild. Alle drei Techniken verbinden künstlerisch-kreative Elemente mit dem freien Text.
Der Schementext
Auf ein Blatt Papier soll nach Anleitung mit schräg gehaltenem Bleistift nur schemenhaft gezeichnet werden. Zuerst sucht man in Gedanken einen Ort in der Natur, an dem man sich sehr wohl gefühlt hat. Nun beginnt man schemenhaft zu zeichnen:
zuerst die Bodenlinie in die Mitte des Blattes
die Horizontlinie
den Himmel (mit Wolken,.....)
alles was sich unter der Erde befindet
alles was sich auf der Bodenlinie befindet
den Hintergrund
alles was tief unter der Erde sein könnte
sich selbst oder eine Kleinigkeit oder etwas Unsinniges, was nicht hineinpasst
Nachdem nun ein Bild entstanden ist, beginnt man in der gleichen Reihenfolge seine Gedanken dazu zu schreiben.
auf die Bodenlinie
auf die Horizontlinie
in den Himmel
......
In der Dichterlesung trägt jeder seine Gedanken in der Reihenfolge vom oberen bis zum unteren Rand des Bildes vor. Bild und Text sind zu einer Einheit geworden. Zu dieser Art von Text gibt es viele Variationsmöglichkeiten. Z.B. In der Großstadt, Phantasiewelt, eine Märchenszene, in Afrika...
Am letzten Nachmittag wurden wir in die Geheimnisse der Buchbinderei eingeweiht und stellten eigenhändig wunderschöne Mappen und Bücher her.
Wir alle waren beeindruckt, wie frei wir unsere Gedanken durch diese phantasievollen Techniken zu Papier bringen konnten. Uschi und Walter hatten uns auf einen neuen Weg geführt und uns Impulse und Anleitungen zum eigenen Beschreiten gegeben. Wir waren nicht nur gekommen um Techniken abzuholen, wir hatten sie durchlebt, erlebt und ihre Ergebnisse in unseren Händen und Köpfen. Kein Papier ist nötig um etwas nachzulesen, wir haben sie verinnerlicht. Das ist Lernen im Sinne von Celestin Freinet!
Vielen Dank an unsere Referenten Uschi Resch und Walter Hövel!
Michaela Watzke
Schlagworte:
fr_koop_5
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ID: 3102 | hinzugefügt von Jürgen an 20:45 - 22.11.2007 |
title: FP - Grundlage für integrativen Unterricht by Weikl, Markus |
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Text:
Freinet Pädagogik - Grundlage für
integrativen Unterricht
MARKUS WEIKL
Was ich unter Integration verstehe
Unter dem Begriff Integration verstehe ich nicht nur in erster Linie eine Zusammenführung von nichtbehinderten und behinderten Kindern. Ich möchte den Begriff Integration noch viel weiter fassen:
Eine integrative Schule ist für mich eine SCHULE FÜR ALLE KINDER ! Eine Schule für nichtbehinderte Kinder, für behinderte Kinder, für Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache, sogenannten "Ausländerkindern", für hochbegabte Kinder und wenigerbegabte.
Eine integrative Schule oder integrativer Unterricht soll Platz und Raum haben für alle Kinder. Jedes Kind soll die Möglichkeit haben nach dem individuellen Lernniveau, nach dem eigenen Lerntempo und auch nach den eigenen Interessen zu lernen. Der Unterricht soll die Möglichkeit bieten nebeneinander, miteinander und von einander zu lernen. Verschiedenheiten der Kinder sollen nicht als unüberwindbare Hindernisse gesehen werden, sondern als Ausgangspunkt einer gemeinsamen und abenteuerlichen Reise, als Bereicherung für jede am Lernprozess beteiligte Person, einschließlich der Lehrperson.
Mittelpunkt integrativer Pädagogik ist das KIND!
Schlagworte:
atsch-h6
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 2679 | hinzugefügt von Jürgen an 07:28 - 15.12.2005 |
title: Die Augsburger Lernwerkstatt stellt sich vor by Werner Wiater |
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Text:
Die Augsburger Lernwerkstatt stellt sich vor - Eine Produktion des Lehrstuhls für Schulpädagogik in Zusammenarbeit mit dem Videolabor 12 min. VHS © 1999
S. 21
Begleittext zum Video "Die Augsburger Lernwerkstatt"
Eine der Schulreforminitiativen Ende der 70er Jahre in Deutschland war die sogenannte Lernwerkstattbewegung. Deren Verfechter betrachten das Lernen nicht als Produkt eines Lehrvorgangs, sondern als Prozess aktiver Erfahrungsgewinnung der Lernenden. Und so schufen sie - zuerst an Universitäten, später auch an Schulen und Lehrerfortbildungsinstitutionen - pädagogische Laboratorien, "Lernwerkstätten", als Orte, an denen Studierende, im Beruf tätige Lehrerinnen/Lehrer und auch Schülerinnen/Schüler Erfahrungen mit ihrem eigenen Lernen machen können. Mittlerweile gibt es in Deutschland über 100 Lernwerkstätten mit unterschiedlichen Grundkonzeptionen, Forschungsanliegen und Organisationsformen.
Was ist eine Lernwerkstatt?
Die Bezeichnung "Lernwerkstatt" für diese Reforminstitutionen ist nicht schlecht gewählt. Spricht man nämlich von einer "Werkstatt", dann kommen einem Assoziationen an den Arbeitsplatz eines Handwerkers oder eines Künstlers. Beide stellen etwas her, nach Auftragserteilung oder aus eigenem inneren Schaffensdrang heraus, nach einem Plan oder nach einer phantasievollen Idee, mit Werkzeugen oder aus dem Gefühl oder Intellekt heraus, und beide brauchen dazu Materialien und Utensilien. Auch in der Lernwerkstatt geht es um das Arbeiten
an einer Sache oder das Produzieren von Ideen und Gedanken zu einer vorgegebenen Aufgabe oder Problematik.
Wird in der Autowerkstatt aber am Auto gearbeitet und wird in der Bildhauerwerkstatt Holz oder Metall kreativ bearbeitet, so ist in der Lernwerkstatt "das Lernen selbst" Gegenstand der Arbeit. Am Lernen arbeiten heißt, sich selbst in der Rolle des Lernenden erleben, sich einem Thema, Sachverhalt oder Problem zu stellen und Erfahrungen mit sich selbst und mit dem eigenen Lernen zu machen.
Die Augsburger Lernwerkstatt ist ein Kooperationsprojekt des Lehrstuhls für Schulpädagogik der Universität Augsburg und des Staatlichen Schulamts bei der Stadt Augsburg. Sie besteht aus 2 klassenzimmergroßen Räumen mit Flur
und ist in einer Augsburger Grundschule untergebracht. In Regalen und auf Tischen befindet sich das "Werkzeug", nämlich anregend gestaltete Lern- und Arbeitsmaterialien vielfältiger und höchst unterschiedlicher Art. Zu ihnen zählen sowohl Bücher, Modelle, Experimentierkästen, Karten, CDs, Kassetten oder Gegenstände als auch didaktische Spiele, Karteien, Puzzles, Spielpläne, Karten-
S. 22
spiele, Arbeitsmappen/ -blätter oder Lernmemorys, schließlich aber auch Malkästen, Kleber, Papier/Pappe, Zeitungen/ Zeitschriften, Holz, Metall, Hammer, Nägel, Draht usw. - Lern- und Arbeitsmaterialien also, die zum aktiven Tun einladen. Den "Arbeitsplätzen" einer Werkstatt entsprechen in der Lernwerkstatt
Arbeitsecken und Nischen, die durch offene Regale oder Stellwände abgeteilt sind. Da gibt es beispielsweise die Leseecke, die Computerecke, die Ecke mit Sinnesmaterialien, die für Malen und Gestalten sowie die für Musik und Darstellendes Spiel, eine Ecke für Mathematik und eine für die Sprachen, schließlich noch die Ecke fürs Konstruieren und Basteln und für naturwissenschaftliche Experimente.
Diese Organisationsstruktur der Lernwerkstatt greift - wie leicht zu erkennen ist - auf Gedanken der Reformpädagogischen Bewegung (1890 - 1933) zurück, ins- besondere auf den Arbeitsunterricht und den Gesamtunterricht, auf John Deweys learning-by-doing-Konzept, Maria Montessoris Freiarbeitsmaterialien und
die Lernateliers von Célestin Freinet.
Die Lernwerkstatt als Lernort für Lehramtsstudierende und praktizierende Lehrerinnen/Lehrer
Um bei angehenden und bei praktizierenden Lehrerinnen/Lehrern die Professionalität zu vergrößern, eignet sich die Lernwerkstatt in besonderer Weise. Denn hier können sie sich selbst in der Rolle der Lernenden und Mitlernenden
erleben, während sie an Themen und Inhalten des Schulunterrichts arbeiten. Zu selbstgewählten oder in Gruppen vereinbarten Unterrichtsthemen sollen sie kreativ und einfallsreich Unterrichtsplanungen betreiben, statt vorgefertigte und von Verlagen herausgegebene Unterrichtsmodelle heranzuziehen. Anders als bei der herkömmlichen Unterrichtsvorbereitung geht es bei der Arbeit in der Lernwerkstatt nicht nur um das Produkt, die fertige Stundenvorbereitung, sondern auch um Selbsterfahrungen beim Planen, darum, dass man sich mit all seinen
Sinnen und praktischen Fähigkeiten einbringt, dass man feststellt, welche Schwierigkeiten eine Lernaufgabe machen kann, wieviel Zeit und Konzentration dafür erforderlich sind, um didaktische Materialien zu konzipieren, dass Lernen
anstrengend ist und auch nicht immer nur Spaß macht.
Das Verständnis für die Wege und Irrwege des Lernens wächst in dem Maße, wie man selbst wieder in die Lernerrolle versetzt ist. Gerade für Lehrerinnen und Lehrer (und alle die, die diesen Beruf ergreifen wollen), die es gewohnt
sind, anderen "etwas beizubringen", Sachverhalte "besser und richtiger zu wissen", sind Erfahrungen mit der Lernerrolle nicht nur wichtig, sondern berufs- notwendig, wollen sie der drohenden "déformation professionelle" gegensteuern.
Das Video vermittelt einen Einblick in die Arbeitsweise der Augsburger Lernwerkstatt. Es zeigt Studierende, Lehrerinnen/Lehrer und Schülerinnen/Schüler beim Erarbeiten und Erstellen von Lernstationen und entwirft ein buntes Meinungsbild zur didaktischen Bedeutung und Wirkung dieser Institution. Zugleich will es die Zuschauer dazu anregen, über die Lernwerkstattidee zu diskutieren und nach Möglichkeiten zu suchen, an der eigenen Arbeitsstätte eine Lernwerkstatt zu organisieren.
Prof. Dr. Dr. Werner Wiater
Schlagworte:
LWS
summary:
In dem ca. 12-minütigen Film werden nicht nur die Bereiche der Lernwerkstatt erklärt, sondern auch Lehrer als Lernende beim kreativen Arbeiten in offenen Unterrichtsformen beobachtet. Darüber hinaus wird in diesem Video deutlich, dass es sich bei der Lernwerkstatt sowohl um ein Kommunikationszentrum für neue Lehr- und Lernformen, als auch um einen Ort der pädagogischen Forschung handelt. Abschließend werden Möglichkeiten dargestellt, wie im konkreten Schulunterricht die Erfahrungen aus der Lernwerkstatt umgesetzt werden können.
Dieses Video richtet sich an Lehrerinnen und Lehrer aller Schularten und Schulstufen, sowie an Dozentinnen und Dozenten der Universitäten, aber auch an interessierte Studentinnen und Studenten. Kopien dieses Informationsfilmes wurden inzwischen allen öffentlichen Schulen sowie Bildstellen des Regierungsbezirkes Schwaben zum Erwerb (Unkostenbeitrag DM 25,- ) angeboten. Bis Ende September 1999 hatten annähernd 100 Institutionen davon Gebrauch gemacht und sich eine Kassette zuschicken lassen.
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ID: 3171 | hinzugefügt von Jürgen an 23:07 - 5.10.2008 |
title: Der Einsatz des Druckens in der Schule bei Freinet by Wiegand, Stephanie |
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Text:
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung... 1
2 Freinet und die Technik des freien Ausdrucks... 1
2.1 Die Biographie von Celestin Freinet... 1
2.2 Freinets Prinzipien... 4
2.2.1 Lernen vom Leben für das Leben, Lernen durch Handeln und Ganzheitlichkeit... 4
2.2.2 Lernen durch tastende Versuche und Umgang mit Fehlern... 5
2.2.3 Lernen durch Kommunikation und Austausch... 5
2.2.4 Selbstbestimmtes und Selbstorganisiertes Lernen... 6
2.2.5 Lernen durch Nutzung von Heterogenität und Verhinderung von Selektion... 6
2.3 Freinet als „Vater“ der Schuldruckerei... 7
3 Der Einsatz des Druckens in der Schule... 8
3.1 Die pädagogischen Vorteile der Schuldruckerei... 8
3.2 Einsatzmöglichkeiten... 9
3.2.1 Das Lesen- und Schreibenlernen... 9
3.2.2 Rechtschreib- und Aufsatzschulung... 11
3.2.3 Drucken im Kunstunterricht... 14
3.3 Die Arbeitsmaterialien und Arbeitsschritte... 14
3.3.1 Das Setzen der Lettern... 14
3.3.2 Das Einfärben des Druckstocks... 16
3.3.3 Das Drucken... 17
3.3.4 Die Korrektur... 17
3.3.5 Das Reinigen und Ablegen der Lettern... 17
4 Reflexion... 18
5 Verknüpfung mit den anderen Lehrveranstaltungen... 19
5.1 Einführung in die Montessori Pädagogik (Fr. Segmehl, WS 2005/06)... 19
5.2 Familie und Schule (Fr. Schlemmer, SS 2006)... 20
6 Literaturverzeichnis... 22
6.1 Literaturquellen... 22
6.2 Internetquellen... 22
6.3 Abbildungsverzeichnis... 22
1 Einleitung
Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich zunächst auf die Biographie Celestin Freinets eingehen, da seine Erlebnisse und Erfahrungen auch ausschlaggebend und prägend für seine pädagogischen Ansichten waren. Anschließend werde ich einige Unterrichtsprinzipien Freinets erläutern und wo es möglich ist auch schon Bezüge zu Techniken und Methoden der praktischen Umsetzung schaffen. In der Überleitung soll die Entwicklung der Schuldruckerei durch Freinet aufgezeigt werden, um dann zu dem eigentlichen Thema des Schuldruckens im Unterricht zu kommen.
Als erstes werde ich pädagogische Vorteile ansprechen, bevor ich die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten des Druckens aufzeigen werde. Hierbei werde ich auf das Drucken im Erstlese- und Schreibunterricht und im Aufsatzunterricht eingehen. In dieses Kapitel werden jeweils Theorien von Freinet und der aktuellen Deutschdidaktik einfließen. Auch die Nutung der Druckerei im Kunstunterricht soll in dieser Arbeit nicht vernachlässigt werden. Abschließend werden die benötigten Arbeitsmaterialien und Arbeitsschritte erklärt. In der nachfolgenden Reflexion werde ich auf die Kapitel zuvor eingehen und zusammenfassen wie die Deutschdidaktik und die Theorien Freinets über den Anfangsunterricht und die Aufsatzschulung zusammenpassen und wie sich die Freinettechniken in den Deutschunterricht integrieren lässt. Anschließend werde ich Anknüpfungspunkte zu den beiden besuchten Vorlesungen suchen. Die Theorie von Maria Montessori wird in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu der von Freinet dargestellt. Abschließend werde ich überlegen, wie man mit der Arbeit nach Freinet auf die aktuellen Probleme der Individualisierung von Kindern und deren Auswirkungen auf Schule eingehen kann.
2 Freinet und die Technik des freien Ausdrucks
2.1 Die Biographie von Celestin Freinet
Freinet wird 1896 in einer ländlichen Umgebung der Provence geboren. Seine Eltern waren nicht sehr wohlhabende Bauern und hatten neben ihm noch sieben weitere Kinder zu versorgen. Wie damals üblich half auch Freinet bei der Arbeit auf dem Feld mit. Die Vermutung liegt nahe, dass diese prägenden Erfahrungen grundlegend für seine spätere Verbundenheit mit der Natur und seine pädagogischen Ansichten sind. Zu dieser Zeit konnten Kinder aus ärmeren Elternhäusern, zu denen gerade die Bauern gehörten, nicht studieren. Freinet aber wurde, ich nehme an wegen sehr guter Schulleistungen, besonderer Eignung oder Engagement, von seinem Lehrer für ein Studium vorgeschlagen. Mit 16 Jahren begann Freinet ein Jahr vor Beginn des Ersten Weltkrieges sein Lehramtsstudium. Nach zwei Jahren Ausbildung wurde Freinet zum Kriegsdienst verpflichtet. Wie viele Soldaten wird Freinet im Krieg verwundet. Er erleidete 1916 einen Lungenschuss. Die nächsten Jahre verbrachte er in Lazaretten und Sanatorien. Durch Naturheilmethoden gelang es ihm nach vier Jahren, sich soweit zu regenerieren, dass er 1920 eine erste Anstellung als Lehrer in dem Dorf Bar-sur-Loup erhielt. In manchen Biographien steht geschrieben, dass Freinet wegen seiner Lungenverletzung nicht viel sprechen konnte und deshalb nach anderen Unterrichtsmöglichkeiten suchte. Andere wiederum schreiben, dass er diese neuen Wege aus reiner Überzeugung beschritten hätte.1 Ich denke, dass auch eine Mischung aus beidem möglich ist. Dass vielleicht die Verletzung den Anstoß gegeben hat, er aber trotzdem unter anderem wegen seiner eigenen Erlebnisse überzeugt war von seinem Handeln.
Während dieser Zeit bildete er sich weiter und las die Werke von Rosseau, Pestalozzi, Montaigne, Decroly, Marx und Lenin.2 Freinet war Kommunist und erhoffte sich durch das Leben nach den Lehren von Marx, Engels und Lenin eine gerechtere Welt. Er gründete eine eigene pädagogische Gewerkschaft und wurde Mitglied in der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF), aus der er aber 1948 wieder austrat.3 Hans Jörg schreibt über Freinet: Obwohl Freinet “in seiner Weltanschauung und in seinen pädagogischen Grundanschauungen stark mit marxistischen und sogar kommunistischen Grundmaximen sympathisiere, so unterscheidet er sich doch in seiner pädagogische Konzeption wesentlich von der kommunistischer Pädagogen und Ideologen.“4 Für die Kommunisten war die Gemeinschaft wichtiger als das Individuum. Für Freinet spielten jedoch Selbsttätigkeit, Freiheit und Verantwortung eine große Rolle, die eher vom Individuum ausgehen.
„Freinet hat ein sehr starkes Individualitätsverständnis, gleichzeitig betont er aber auch die Kooperation, die gegenseitige Verantwortlichkeit und die Diskussions- und Kritikfähigkeit der Personen mit- und untereinander und legt damit auch auf die sozialen und kollektiven Fähigkeiten des Individuums Wert.“5
Dieses Verhalten hatte Freinet selbst durch Engagement in der Gewerkschaft, Gründung von Kooperativen und Vereinigungen und Austausch mit anderen Lehrern verinnerlicht. Solche Fähigkeiten möchte Freinet auch bei seinen Schülern durch Erziehung zur Demokratie, beispielsweise durch den Klassenrat, fördern. Freinet lebte in einer Zeit des pädagogischen Umschwungs, denn die erste Phase der reformpädagogischen Bewegung setzte um die Jahrhundertwende mit einer Kritik am Bildungswesen und an der aktuellen Schulpraxis ein.1 Ab 1924 begann man die Reformversuche im eigenen Land mit denen anderer Länder zu vergleichen.
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Schlagworte:
Seminararbeit, lit-2006_buch
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Notiz:
6,99 €
PH Weingarten
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ID: 3110 | hinzugefügt von Jürgen an 04:39 - 1.4.2008 |
title: Schüler drucken Texte by Wieneke, Ruth |
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Titel: | Schüler drucken Texte |
Autor: | Wieneke, Ruth | Sprache: | deutsch |
Quelle: | o.O. | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | 1975 | | |
url: | |
Text:
Schüler drucken Texte - die Darstellung einer methodischen Variante des Deutschunterrichts in einer 6. Klasse der Schule für Lernbehinderte
Schlagworte:
Examensarbeit_Sonderschulpädagogik
kein Summary verfügbar
keine Notizen verfügbar
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ID: 1177 | hinzugefügt von Hagstedt an 12:12 - 28.10.2002 |
title: Die Rezeption by Wirth, Annette |
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Titel: | Die Rezeption |
Autor: | Wirth, Annette | Sprache: | deutsch |
Quelle: | Duisburg | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | 1983 | | |
url: | |
Text:
Die Rezeption der Freinet-Pädagogik in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Bedeutung für die Reform der Grundschule
Schlagworte:
Examensarbeit_Grundschulpädagogik
summary:
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keine Notizen verfügbar
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ID: 1118 | hinzugefügt von Hagstedt an 12:12 - 28.10.2002 |
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