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title: Kommunikation und Computer by Keibinger, Edith |
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Text:
Kommunikation und Computer
EDITH KEIBLINGER
Ein ganz "modernes" Motto verlangt von uns:
MIT ALLEN SINNEN LERNEN.
Wo bleiben beim Computer die Sinne?
Hat der Computer Sinne?
Wo gibt es bei der Kommunikation durch den Computer die Sinne?
Ich kommuniziere mit Hans aus "Übersee". Ich schreibe irgendetwas.
Mein Gegenüber sieht meine Mimik nicht. Er riecht mich nicht, hört nicht meine mir so eigene Stimme, sieht nicht meine Körpersprache, spürt mich nicht - und umgekehrt.
Schlagworte:
atsch-h9
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ID: 2709 | hinzugefügt von user unknown an 16:48 - 15.12.2005 |
title: Über die bunte Vielfalt der Jaus'n by Keibinger, Edith |
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Text:
Über die bunte Vielfalt der Jaus'n
EDITH KEIBLINGER :-)
Selbstorganisation am Herbsttreffen.
25 Wünsche, 25 Vorstellungen...... Wir haben es geschafft und alle (wahrscheinlich fast alle) Ansprüche unter ein Wochenende gebracht.
Und nun, drängt es mich in den Speisesaal.
Welche Lust, welche Freude! Der, bzw. die, Tische biegen sich unter der Last.
Bedeutet diese Last nicht Lust?
Schlagworte:
atsch-h10
kein Summary verfügbar
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ID: 2724 | hinzugefügt von Jürgen an 20:52 - 15.12.2005 |
title: Volksschule Steyerling by Keibinger, Edith |
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Text:
VOLKSSCHULE STEYERLING
EDITH KEIBLINGER
2 Klassen: insgesamt 33 SchülerInnen
1. - 2. Schulstufe: 18 Kinder
3. - 4. Schulstufe: 15 Kinder
Wir wollen die 1.Klasse näher vorstellen.
Werner Pölz und Edith Keiblinger teilen sich die Lehrverpflichtung.
Werner Pölz: Mathematik, Leibesübungen, Musikerziehung, Englisch, Flöte
Edith Keiblinger: Deutsch, Sachunterricht, Bildnerische Erziehung
Schlagworte:
atsch-h11
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ID: 2730 | hinzugefügt von Jürgen an 21:08 - 15.12.2005 |
title: Neue Medien in der Freinet-Pädagogik by Kellner, Michael |
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Text:
Neue Medien in der Freinet-Pädagogik
Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
Freinet im modernen elektronischen Zeitalter
Gefahren und Potentiale des Computers in der Freinet-Pädagogik
"Frei-NET-P@dagogik": Das Internet und seine Auswirkungen auf die "moderne Schule"
Konkrete Möglichkeiten für den freinet-pädagogischen Unterricht
Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
Einleitung
Es ist noch nicht lange her, dass Politiker Deutsche Elite-Universitäten gefordert haben. Der Drang nach Bildung ist groß. Dies ist vielleicht eine verzweifelte Reaktion auf den PISA-Schock, der uns durch Mark und Bein gefahren ist und uns immer noch verunsichert. Es muss sich etwas tun im Bildungswesen meinen viele Politiker. Forderungen nach radikalen Veränderungen des Schulwesens kommen von allen Seiten. Ist jedoch die Amerikanisierung der Deutschen Hochschulen hier der richtige Ansatz? Werden die Elite-Pädagogen von morgen Deutsche Schüler wieder auf die richtige Bahn leiten? Ist es nicht vielmehr das Schulsystem im Primarbereich, das effektives pädagogisches Handeln erschwert? Lehrer haben heutzutage nicht viele Freiräume für Erziehungsexperimente und somit kaum Potential für eine pädagogische Effizienzsteigerung. Vor allem in Regelschulen stehen die Chancen schlecht für innovative Lernkonzepte wie zum Beispiel die Freinet-Pädagogik. Die Schulstruktur fesselt die Lehrer eng an sich und will sie nicht freigeben für neue, kreative Ideen. Zeit- und Stundenplanstaffelung lässt kaum Platz für intensives Arbeiten. Klassenkonstellationen von weit über 20 Schülern pro Lehrkraft überfordern diese Tag für Tag. Vielleicht sollte man die Probleme bei der Wurzel packen und vor Allem Grundschulen einer radikalen Neustrukturierung unterziehen. Vielleicht kann man die Gesellschaft so vor einer nächsten PISA-Krise und vor weiteren fehlgeleiteten Verzweiflungsentscheidungen der Bildungspolitiker bewahren und vielleicht kann die Freinet-Pädagogik hiefür eine Schlüsselfunktion übernehmen. Noch vor gar nicht langer Zeit veröffentlichte die Zeitschrift „Spiegel“ den Artikel: „Besser lernen mit Multikulti?“ (Spiegel 25/04). „Multikulti? - Da gab es doch einen Begriff, der so ähnlich klingt und alle Kulturen der Welt miteinander verbindet: Ach ja, Multimedia!“ Somit ergibt sich auch die Fragestellung: „Besser lernen mit Multimedia?“ - Also mit Computer Internet & Co. Den Neuen Medien wird nachgesagt, sie würden in sich neue Lernchancen beherbergen. Wenn die Gesellschaft nach moderner Erziehung für unsere Kinder verlangt, ist die Forderung nach Integration neuer Technologien oftmals nicht weit. Allein schon die Lebensumwelt der Kinder fordert den Einbezug Neuer Medien in den Unterricht.
Stellen wir also fest: Wir haben eine Bildungsmisere auf der einen Seite und schulische Neustrukturierungsgedanken, sowie Neue Medien auf der anderen Seite. Da lässt sich doch eins und eins zusammenzählen: Eine reformpädagogische Medienar-
beit muss her! Sieht man in der Reformpädagogik die Ideen Célestin Freinets, so ist die Mischung komplett: Freinet-Pädagogische Bildungsarbeit gepaart mit dem Einsatz Neuer Medien. Ist dies vielleicht das Geheimrezept für eine optimale Erziehung? Gefragt werden muss, inwiefern eine freinet’ische Medienpädagogik überhaupt realisierbar ist. Augenscheinlich bietet die Pädagogik Freinets mit ihren technischen Veranlagungen und Eigenschaften wie z.B. Korrespondenz, freier Text oder Druckerei einen idealen Nährboden für den Einsatz Neuer Medien. Noch mehr scheint sie mit ihrer didaktischen Grundlegung und Struktur erst einen sinnvollen Einsatz moderner Technologien zu ermöglichen. Vielleicht hat die Regelschule Neue Medien gar nicht richtig einsetzen können und deswegen versagt. Möglicherweise verlangt Medienpädagogik nach einem gänzlich anderen Schulsystem. Hier gilt es mögliche Zugänge oder Hindernisse aufzuspüren. Was kann die Medienpädagogik für die Freinet-Pädagogik tun bzw. nicht tun und umgekehrt?
Um diese Fragestellungen zu beantworten, sollen zunächst theoretische Aspekte der Freinet-Pädagogik verschiedenen Erkenntnissen der Medienpädagogik gegenübergestellt werden. Im weiteren Verlauf werden Einstellungen und Ideale Freinets in Bezug auf Technologie und Innovation betrachtet und Neue Medien intensiv beleuchtet. Mögliche Potentiale und Gefahren von Neuen Medien für die Freinet-Pädagogik spielen durchgängig eine bedeutende Rolle zur Meinungsfindung, bis abschließend praxisnahe Beispiele für eine mögliche Freinet-Medienpädagogik erörtert werden sollen.
1. Die historische Idee Freinets und moderne Ansätze der Medienpä-dagogik
Im Wandel der Zeit unterzieht sich Pädagogik vielen Veränderungen und Neuerungen. Neue Erkenntnisse kommen hinzu und ergänzen die bisherige Wissenssammlung oder befördern manch ältere Auffassung in die Schublade „Alt und pädagogisch nicht mehr tragbar“. Ein moderner und relativ junger Ansatz ist die Idee Neue Medientechnik aktiv in den Unterricht einzubeziehen. Hier passt man sich neuen technischen Gegebenheiten unter pädagogischen Gesichtspunkten an, um so mit dem Wandel der Gesellschaftstechniken Schritt zu halten und die pädagogische Wirklichkeit auf dem neusten Stand zu halten. Doch zeigt sich auch, dass ältere Erkenntnisse heute noch eine erstaunliche Aktualität aufweisen können. So sieht man es in der Freinet Pädagogik, welche nach wie vor in nahezu unveränderter Form die heutige Erziehungswissenschaft beeinflusst. Nachfolgend sollen nun ältere Ideen Freinets und moderne Ansätze der Medienpädagogik dargestellt werden, um im weiteren Verlauf dieser Arbeit Parallelen, Überschneidungen, Differenzen und Möglichkeiten zur Verbindung dieser zwei Bereiche darstellen zu können.
1.1 Zum Grundverständnis der Freinet-Pädagogik
1.1.1 Kerngedanken der Freinet-Pädagogik
Verfolgt man die Wurzeln der Freinet Pädagogik zurück bis hin zu den Anfängen, so gelangt man in das französische Dorf Bar-sur-Loup, um Mitte der zwanziger Jahre. Hier hat die Entwicklung einer einflussreichen pädagogischen Konzeption und die Idee einer grundlegenden Schulreform ihren Ursprung (Zehrfeld 1977, S. 16). Die Intention alt eingesessene Unterrichtsmethoden abzuschaffen und die Schule grundlegend zu verändern, rührte aus den Kindheitserinnerungen Célestin Freinets. Er berichtete, sich noch sehr gut an seine frühen Schuljahre erinnern zu können. Bei pädagogischen Fragestellungen versetzte er sich in seine eigene Kindheit zurück und erkannte für sich die Fehler einer alt eingesessenen Form der Schulpädagogik. Diese betitelte er aufgrund seiner meist negativen Schulerfahrung als „Kasernenschule“ (Eichelberger, Filice 2003, S. 13). Freinet bemängelte das unangemessene Eingehen auf kindliche Interessen beruhend auf der zu sehr rationalen und kapitalistischen
Sichtweise der Verantwortlichen, die nicht die Kindesentwicklung selbst, sondern die notwendigen Lerninhalte zum Bestehen der Examina in den Vordergrund stellten (Freinet 1979, S. 14f.).
Erste Inspiration für neue Unterrichtskonzeptionen erhielt er durch Erfahrungen mit den „classes promenades“, die eine Art Lebensweltpädagogik darstellten (Zehrfeld 1977, S.16). Es entwickelte sich die Vision einer modernen Schule, die eigene und gesellschaftliche Bedürfnisse der Kinder in den erzieherischen Mittelpunkt stellt, es ihnen ermöglichte ihre Persönlichkeit optimal zu entfalten und ein gefestigtes Individuum in der Gesellschaft zu werden. Über diese Bedürfnisse sollten Lerninhalte und die Art der Erziehung abgeleitet werden (Freinet 1979, S. 15.). Nach Célestin Freinet stellte das Erfassen der gesellschaftlichen Bedürfnisse von Kindern kein besonders großes Problem dar, weil diese mehr oder weniger deutlich im Lehrplan festgelegt waren. Eine größere Herausforderung war für Freinet, das Individuum Kind differenziert in seiner physischen und psychischen Natur mit all seinen Neigungen und Fähigkeiten zu erkennen, um hieraus eine angemessene pädagogische Konzeption zu entwickeln. Es war jedoch nicht möglich jedem einzelnen Kind einen individuellen Erziehungsplan zu bieten. Zumindest wollte man ihm eine interessenfördernde Umgebung schaffen, kindgemäße Techniken zur Unterstützung der intellektuellen Entwicklung finden und entsprechende Arbeitsmaterialien zur Verfügung stellen. So war es möglich dem Kind verschiedene Perspektiven für die Zukunft zu bieten, welche es je nach Veranlagung, Neigung und Bedürfnis nutzen konnte (Freinet 1979, S. 15f.).
Im Sinn des „Lebendigseins“ betonte Freinet immer wieder, dass die Schule nicht nur eine Lernwelt, sondern auch eine Lebenswelt der Kinder sein sollte. Die Akzente setzte Freinet nicht mehr auf eine einseitige Überlieferung von Wissen. Er wollte sich vielmehr den natürlichen Lerntrieb und die schöpferischen Kräfte von Kindern für den Unterricht zu nutze machen. Hierbei kann die Freinet-Pädagogik die breite Palette an Bildungsmöglichkeiten nutzen, die die Erziehungswirklichkeit zur Verfügung stellt und mit seinen Arbeitsmaterialien und Techniken eine natürliche, lebendige und in seinen Augen vollkommene Erziehung ermöglichen. Dazu soll die Arbeit Motor und Philosophie sein (Freinet 1979, S. 16).
In einer Arbeitergesellschaft sah Freinet die Arbeitsschule, die sich in den Prozess der Lebenswirklichkeit integriert. Bildungserwerb sollte vor allem durch Selbsttätigkeit zustande kommen, was nach heutiger Sicht der Kerngedanke aller reformpäda-
gogischen Bereiche ist (Eichelberger, Laner 2003, S. 7). Um den Gedanken der „Arbeitsschule“ realisieren zu können forderte er, der passiven und formellen Pädagogik den Rücken zu kehren. Er kritisierte das gesamte System dieser Pädagogik mit all seinen Ausleseverfahren, Klassenarbeiten und Examina. Weiterhin verurteilte er das Bestreben Kinder heranzuziehen, deren Hirne mit Wissen vollgestopft wurden und diese dann als „optimales Endprodukt“ anzusehen, während Kinder mit einem „wachen Kopf“ und „geschickten Händen“ ins Abseits gerieten (Freinet 1979, S. 17). Freinet war oftmals der Kritik ausgesetzt, seinem Konzept würde es an nötigen Or-ganisationsformen mangeln und eine Schule nach seiner Beschreibung würde im Chaos versinken, da keine ausreichende Disziplin der Schüler zu erwarten sei. Er widerspricht jedoch diesen Aussagen und beschreibt eine schulische Harmonie, welche in seiner pädagogischen und sozialen Reform enthalten sei. Aus dieser Harmonie solle sich die Disziplin der Schüler entwickeln, die auf natürliche Art und Weise, nämlich durch die Ordnung der organisierten Schüleraktivität, zustande käme. Er beschreibt diesen Vorgang als eine Kraft, die durch die rationelle menschliche Gestaltung des Schullebens geweckt werde. Damit sei die Disziplin eine andere, als die zu seiner Zeit an Schulen vorherrschende. Nach seiner Auffassung solle es keine oberflächliche und förmliche Disziplin mehr geben. Vielmehr sieht er in ihr den natürlichen Ausdruck und die Folge einer funktionierenden Organisation der Schüleraktivität und des schulischen Gemeinschaftslebens. Seine Konzeption aus materieller, technischer und pädagogischer Arbeitsorganisation solle entscheidendes Kriterium eines ausgeglichenen Schullebens sein (Freinet 1979, S. 17f.). Freinet spricht in diesem Zusammenhang von einem neuen Arbeitsklima in den Schulklassen. Er beschreibt dies als ein „Klima des Vertrauens“, in dem Kinder sowohl Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit, als auch in die Mitschüler haben. Kinder sollen in einer Gruppe zusammenhalten und sich akzeptierend und weiterhelfend gegenübertreten und nicht etwa kontrahierend oder gehässig. Dieses Klima darf jedoch nicht dadurch zustande kommen, dass der Lehrer sämtliche Konflikte unterbindet, sondern soll vielmehr durch seine eigene funktionelle pädagogische Planung herbeigeführt werden (Zehrfeld 1977, S. 20f.).
Nach Freinet erfordert ein solch umfangreicher Paradigmenwechsel radikale Veränderungen. Er beschreibt, dass nicht nur Unterrichtsräume, Lehrpläne und Stundenpläne an das neue Schulmodell angepasst werden müssten, sondern auch Arbeitsmittel und Unterrichtstechniken. Er verurteilt vor allem den Frontalunterricht, der zum
größten Teil aus verbaler Aktivität des Lehrers besteht, den Unterricht nach Handbüchern, die schriftlichen Arbeiten, das sture Auswendiglernen und das streng an die Vorschriften gebundene Schönschreiben. Seine Reform- und Modernisierungsideen sollen jedoch nicht in radikaler Form die alte Schule ablösen. Freinet will die Anpassungen harmonisch und ausgeglichen in der Form vollzogen sehen, dass weder soziale Notwendigkeiten der Schule, noch finanzielle Aspekte der Lehrerumschulung ig-noriert werden (Freinet 1979, S. 18f.).
Freinet hat erkannt, dass nicht nur neue Lehr-, Lernmethoden im Mittelpunkt einer Reform stehen soll, sondern auch die individuelle Entwicklung des Kindes in der Gesellschaft. Er setzt bereits hier ein deutliches Zeichen für die Notwendigkeit grundlegender Veränderungen am Schulsystem. Diesbezüglich erstellt er kein Förder- und Lernkonzept, sondern eher ein Entwicklungskonzept für Kinder. Es soll den Kindern genau das gegeben werden, was sie in gegenwärtigen Entwicklungsstufen benötigen (Eichelberger, Filice 2003, S. 16). Hierfür hält Freinet eine umfangreiche Planung bereit, bei dem vom Aufbau der Klassenräume über Arbeits- und Erziehungstechniken bis hin zur finanziellen Durchsetzbarkeit der Reform alles bedacht wird.
Im nächsten Abschnitt soll nun die Entstehung praxisnaher Ideen Freinets genauer beschrieben werden.
1.1.2 Zur Entwicklung der Freinet-Unterrichtspraxis
Wie schon erwähnt, entwickelten sich erste Ideen für neue konkrete Unterrichtspraktiken durch Freinets Kontakt mit den so genannten „classes promenades“, einer Art Lebensweltpädagogik. Er nutzte diesen Ansatz für seine Zwecke und entwickelte ihn Schritt für Schritt weiter.
Einen motivierenden und lebensnahen Unterricht erhielt Célestin Freinet nicht nur durch die typischen Erkundungsgänge der „classes promenades“, sondern auch durch die schriftliche Nachbereitung des Erlebten und Gelernten, direkt nach Rückkehr in den Klassenraum. Als Mittel zur Vergegenwärtigung nutzte er anfangs die Wandtafel, an der jeder seinen eigenen Text einfügen konnte, um nachher einen Gesamttext aller Schüler zu erhalten. Es tauchten jedoch Konflikte zwischen dieser Unterrichtsidee und den Richtlinien der Lehrpläne auf, welche das Arbeiten mit Lehrbüchern nahezu unumgänglich machten. Um diesen Konflikt zu lösen, nutzte er die Möglichkeit, eigene Berichte, Aufsätze und Gedichte der Kinder zu drucken und mit anderen
Schulen auszutauschen, um diese dann als eine neue Generation von Schulbuchliteratur zu verwenden. Es entstand die Idee der Klassendruckerei, welche in Form von Druckstock und Setzkasten in einer Ecke der Klasse aufgebaut wurde (Zehrfeld 1977, S. 17f.).
Auf diesen grundlegenden Gedanken baute Freinet weiter auf und es entwickelten sich spezielle Unterrichtstechniken, welche die Freinet Pädagogik heute auszeichnen. Schüler erstellten freie Texte, welche in dem so genannten „Klassenjournal“ zusammengestellt wurden und dann im Sinn einer zwischenschulischen Korrespondenz untereinander verschickt wurden. Insbesondere bildete der „freie Text“ den Ausgangspunkt zur Weiterentwicklung der pädagogischen Konzeption und der Unter-richtsorganisation. Freinet war es wichtig, den Kindern die Möglichkeit zu geben, zu jeder Zeit, zu jedem Anlass und in beliebiger Form Texte schreiben zu können, sei es mit der Schreibmaschine (heute wäre es wohl der Computer) oder mit Bleistift auf ein Papierfetzen - Die Form war Freinet hierbei egal. Wichtig war ihm, dass das Schriftstück zum Gegenstand eines Arbeitsprozesses wurde. Das Vorlesen bzw. Präsentieren des eigenen Textes in der Klasse war erster Teil des Arbeitsprozesses. Hierdurch sollten Kinder sehr viel motivierter lesen und schreiben lernen. In einem weiteren Arbeitsschritt sollte der Text in mühevoller Handarbeit gedruckt werden, wodurch die Kinder, neben sozialen Kompetenzen, sehr viel über Buchstaben, Schrift und Rechtschreibung lernen sollten. Um demotivierende Frustrationen hierbei so gering wie möglich zu halten, hielt es Freinet für wichtig, eine Lehrerkorrektur der Texte anfangs auszulassen. Eine Korrektur erfolgte erfahrungsgemäß vielmehr durch die Mitschüler, welche Probleme beim Weiterarbeiten mit den fehlerdurchsetzten Texten hatten. Hieraus und durch später wohldosiert einzusetzende Korrekturhilfen des Lehrers, sollte sich die Motivation zum gemeinsamen Überarbeiten der Texte entwickeln (Zehrfeld 1977, S. 18f.).
Freinet legte viel Wert darauf, Kinder in ihrem Neugierverhalten zu ermutigen und das Erfahrungslernen zu unterstützen. Hierzu entwickelte er verschiedene weitere Arbeitsmittel und Organisationsformen, die es jedem Kind erlaubten, gemäß eigener Interessen und Talente, einen individuellen Lernrhythmus zu erhalten. Er kam zu der Auffassung, dass es hierfür nötig war, den Aufbau des Klassenraumes grundlegend umzugestalten, um aus ihm einen Erlebnisraum zu schaffen, in dem entdeckendes und forschendes Lernen möglich war und eine freundliche und angenehme Atmosphäre herrschte (Eichelberger, Filice 2003, S. 18).
Auf die beschriebene Art und Weise entwickelten sich die Gedanken Freinets Schritt für Schritt weiter zu einer fein ausdifferenzierten und durchdachten Konzeption für einen neuen Unterricht.
Es ist jedoch erwähnenswert, dass Freinet nicht in allen Punkten als Pionier anzusehen ist. Er setzte sich intensiv mit anderen reformpädagogischen Bereichen ausein-ander, besonders mit der Arbeitschulbewegung 1 , und bediente sich hier und dort an dem, was ihm für seine Zwecke von Nutzen erschien. Im Laufe der Jahre reiste er viel herum, sammelte Erfahrungen mit verschiedensten Unterrichtspraktiken und Methoden und ließ sich dabei für seine eigenen Ideen inspirieren. Pädagogen, die Freinet besonders beeinflussten waren unter Anderem Georg Kerschensteiner, Hugo Gandig, Pawel Petrowitsch Blonskij, John Dewey, Ovide Decroly und Maria Mon-tessori. Auch seine Frau, Elise Freinet, übte Einfluss auf die sich entwickelnde Pädagogik aus, besonders im Bezug auf Aspekte wie „freier Ausdruck“, Kunst und Ästhetik (Hering, Hövel 1996, S. 233). Stück für Stück ergab sich am Ende schließlich das daraus, was wir heute als Freinet-Pädagogik bezeichnen, mit all ihren grundlegenden Techniken und Methoden.
Im Folgenden sollen nun fundamentale Prinzipien und Techniken, welche Freinet im Laufe der Jahre erarbeitete oder in sein Konzept integrierte, genauer dargestellt werden.
1.1.3 Wesentliche Unterrichtsprinzipien und Techniken der Freinet-Pädagogik
Fragt man heute danach, worum es in der Freinet-Pädagogik geht, stößt man häufig auf Begriffe wie „Korrespondenz“, „Druckerei“ oder „Freie Arbeit“. Dies sind nur einige der Eigenschaften, welche die Pädagogik Freinets heute besonders kennzeichnen. Er stellt spezifische Arbeitsprinzipien und Techniken sehr deutlich und übersichtlich dar und ermöglicht es so, eine Vorstellung davon zu erhalten, wie die Freinet-Pädagogik in der Praxis funktionieren kann. Im folgendem soll nun ein Überblick über die wichtigsten Unterrichtsprinzipien, Freinet-Techniken und Mittel geschaffen werden, um abschließend ein möglichst genaues Bild von der tatsächlichen Form dieser Pädagogik in der Unterrichtswirklichkeit zu erhalten. Die Freinet-Schule soll stets einen Bezug zum Leben der Kinder herstellen. Das alltägliche Leben soll in der Schule weitergehen und mit in den Unterricht hineinflie-
1 DieArbeitschulbewegung nach Kerschensteiner
ßen. Dazu gehört auch, eigene Erfahrungen zu machen, aktiv zu handeln und Dinge dieser Welt zu erproben. Nach Freinet ist das Lebenspotential des Menschen die positive Kraft, die die eigene Entwicklung vorantreibt (Laun 1938, S. 38). Um diesem Prinzip gerecht zu werden, schlägt Freinet verschiedene Mittel und Techniken vor. Hierbei ist zu erwähnen, dass Célestin Freinet nicht Erfinder, sondern Sammler dieser Techniken war. Er hat Vorschläge der Reformpädagogen seiner Zeit übernommen und für seine pädagogischen Zwecke verwendet. Ein Bezug zum Leben kann unter anderem durch Berichte, Untersuchungen oder Arbeitsateliers hergestellt werden (Eichelberger, Filice 2003, S. 18f.) 2 .
Auch in der Freinet-Schule ist man auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Es ist nicht nur wichtig, dass die in der Schule gelernten Inhalte sinnvoll sind, sondern auch, dass das Lernen und Leben in der Schule dazu beiträgt einen Lebenssinn finden zu können. Ein Lernen, bei dem man Erfahrungen mit dem eigenen Lebenssinn macht, kann nur ein selbst bestimmtes Lernen sein, bei dem Freiheit und Selbsttätigkeit eine große Rolle spielen (Eichelberger, Filice 2003, S. 19f.). Ein sinnvolles Lernen kann nach Freinet nur ein Lernen in Freiheit sein. In diesem Zusammenhang spielen vor Allem die freie Wahl der Arbeitsschwerpunkte, der freie Ausdruck und der freie Text eine wichtige Rolle. Kinder haben die Freiheit ihren Gefühlen, Träumen, Wünschen und Meinungen Ausdruck zu verleihen. Auch freie Untersuchungen oder freies Experimentieren sind für das Prinzip der Freiheit von Nutzen (Eichelberger, Filice 2003, S. 20). Die Schüler sind jedoch dazu angehalten, selbst ausgewählte Tätigkeiten auch zu Ende zu bringen. Freiheit ist also nicht gleichzusetzen mit Zügellosigkeit (Baillet 1983, S. 15). Um einer Arbeiterschule gerecht zu werden darf es nicht an der nötigen Arbeit und Selbsttätigkeit fehlen. Das selbstständige Arbeiten findet vorwiegend in den Arbeitsateliers statt. Als Mittel und Techniken empfiehlt Freinet unter Anderem Feldarbeit, Kochen, Mechanik, Dokumentensammeln oder künstlerisches Schaffen, wie zum Beispiel graphische Gestaltung. Einen Großteil der selbsttätigen Arbeiten übernehmen die Schüler eigenverantwortlich. Das Übernehmen von Verantwortung ist in einer Freinet-Klasse nicht wegzudenken. Gerade das Mitspracherecht bei der Gestaltung des Schulalltags setzt verantwortliches Handeln und Denken voraus. Damit das Prinzip der Verantwortung funktioniert, ist es wichtig den Kindern Aufgaben in aller Deutlichkeit zu übergeben. Sie können „Ämter“ übernehmen, Arbeitspläne erstellen
2 Siehe 1.1.2, Seite 12
oder im Rahmen einer Klassenversammlung zusammen mit allen Anderen die Ver-antwortlichkeit über das Schulleben tragen (Eichelberger, Filice 2003, S. 19 f.). Dabei entstehen im Laufe der Zeit wahrscheinlich Regeln der Zusammenarbeit auf natürliche Weise. Es sollte darauf geachtet werden das keine Regeln zum Selbstzweck entstehen und nicht vom Lehrer auferlegt werden, ohne dass die Kinder deren Notwendigkeit akzeptiert haben (Paulhiès, Barré 1977, S. 66). Ein weiteres grundlegendes Prinzip der Freinet-Pädagogik ist die Kooperation der Kinder untereinander und miteinander. Dieses Prinzip steht dem oft beobachteten Konkurrenzverhalten der Kinder gegenüber und soll diesem durch seine sozialen Förderungseigenschaften entgegenwirken. Die Kinder erleben die Kooperation ganz besonders bei Tätigkeiten wie z.B. dem Schuldrucken, der Korrespondenz unterein-ander, dem Abhalten des Klassenrates, das Arbeiten in Gruppen oder dem Experimentieren (Eichelberger, Filice 2003, S. 20).
Mit diesen Prinzipien zielt Freinet vor Allem auf eine offene und befreiende Erziehung ab, die sich im Unterricht manifestieren soll. Kinder sitzen also nicht mehr passiv auf den Bänken und warten auf Instruktionen des Lehrers, sondern gehen selbständig in Gruppen zusammen (zu zweit oder mehr) und Arbeiten an Aufgaben, welche sie selbst gewählt haben. Diese Arbeiten können verschiedenartig sein, vom Textdrucken über Mathematiklehrgängen bis hin zu Experimenten oder technischem Handwerk. Durch die freie Arbeitswahl ist die herkömmliche Fächertrennung meist aufgehoben. Die Unterrichtsplanung geht von den Interessen und Bedürfnissen der Kinder aus, was jedoch nicht die Vorgaben des Lehrplans entkräften darf. Die Rolle des Lehrers ist vorwiegend helfend, koordinierend und beratend. Sicherlich kommt man aber auch in der Freinet-Pädagogik nicht immer um das Korrigieren herum. Die Kinder sollen das Gefühl haben, dass der Lehrer stets für sie präsent ist und für jede einzelne Tätigkeit reges Interesse zeigt. Diese Form von Wertschätzung und Anteilnahme des Lehrers ist grundlegend für das Gelingen des Prinzips der selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Arbeit, welche ein zentrales Element der Freinet Pädagogik bildet. Die Arbeitsmittel, die im Unterricht verwendet werden, gehen über Schulbücher hinaus. Schüler arbeiten mit der Druckerpresse, dem Schreibcomputer, der Bibliothek, verschiedenartigen Werkzeugen etc. Sie lernen mit Kopf, Herz und Hand. Der Wahl der Arbeitsmittel ist kaum eine Grenze gesetzt, solange es für die Kinder sinnvoll ist. Zur Strukturierung des Unterrichts dienen Rituale wie die Wochenplanung, Tagesplanung, der Morgenkreis und der Klassenrat. Neben allgemein-
gültigen Prinzipien bietet Freinet eine Fülle von solchen Mitteln, Techniken und Unterrichtselementen, die er in genauer Form darstellt, womit er seine Pädagogik einfach zugänglich, verständlich und durchführbar macht (Eichelberger, Filice 2003, S. 21f.).
Der Klassenrat ist ein wichtiges demokratisches Element in der Freinet-Klasse. Hier lernen die Kinder durch Kommunikation und Kooperation, besonders in Bezug auf ihre sozialen Kompetenzen. Der Klassenrat hat die Aufgabe, die Verantwortung der einzelnen Kinder für die unterschiedlichen Bereiche der Gemeinschaft festzulegen. Aufgaben werden definiert und verteilt und auf deren Durchführung geachtet. Berichte über gelungene oder vernachlässigte Dienste werden zur Sprache gebracht. Aber auch für Probleme anderer Art findet man hier Rat. Für das gemeinschaftliche Zusammenleben werden im Klassenrat Regeln festgelegt und für Konflikte werden gemeinschaftlich Lösungen gesucht. Von den Schülern geleitet, findet er in der Regel ein Mal in der Woche statt. Man hat jedoch die Möglichkeit in besonderen Fällen weitere Sitzungen einzuberufen (Rohrwasser, Vesper 1976, S. 149). Weitere wichtige Funktionen des Klassenrates sind das Beschließen der Unterrichtsplanung, das Erstellen des Wochenplans, die Diskussion der „Klassenratspräsidenten“ und die Festlegung derer Amtszeit (z.B. einen Monat). Der Klassenrat hat einen großen erzieherischen Einfluss auf die Kinder. Sie erfahren, dass Zuhören ein wichtiger Teil des Dialogs ist, dass es nötig ist sich auf das Thema zu beziehen, dass man der Reihe nach zum Wort kommt, dass Fehler einen qualitativen Wert haben, dass die eigene Meinung behutsam vertreten werden kann und dass man auf Minderheiten Rücksicht nehmen soll. Der Lehrer ist im Klassenrat ebenfalls ein Teilnehmer, hilft bei der Organisation und Moderation, hat aber genau wie die Kinder auch nur eine Stimme bei den Abstimmungen. Beschlüsse des Klassenrates sind auch für ihn verbindlich (Eichelberger, Filice 2003, S. 25f.).
Im Gegensatz zum Klassenrat wird der Morgenkreis täglich durchgeführt. Er ist ebenfalls ein fester Bestandteil in den meisten Freinet-Klassen. Hier führen die Schüler freie Gespräche unter der Anleitung eines Kindes, welches vorher bestimmt wird. Hier hat auch der Lehrer die Möglichkeit mehr über das Leben und die Interessen der Kinder zu erfahren, was er sich später wiederum für den Unterricht zu Nutze machen kann. Die freien Gespräche im Morgenkreis sind eine notwendige Grundlage für das Zusammenleben und letztendlich auch für das Erlernen von Regeln. Es können Gefühle, Emotionen und private Angelegenheiten mitgeteilt werden, wofür eine vertrau-
te Atmosphäre zwingend notwendig ist, in welcher sich die Kinder geborgen fühlen. Der Morgenkreis bietet den Kindern die Möglichkeit der emotionalen und intellektuellen Teilnahme am Leben der Mitschüler. Die Schüler bekommen das Gefühl nicht alleine mit ihren Problemen dazustehen. Diese sozial-erzieherischen Effekte können sowohl das schulische als auch das private Gemeinschaftsleben stark beeinflussen (Eichelberger, Filice 2003, S. 26f.).
Viele Aktivitäten in der Freinet-Pädagogik wie z.B. das Schreiben, Malen, Tanzen oder Singen stehen unter dem Prinzip des freien Ausdrucks. Dies schafft Freiheit für individuelle Lerninteressen. Sämtliche Aktivitäten, wie z.B. das Tanzen sind nicht Fächergebunden, sondern können jederzeit in den Unterricht einbezogen werden. Der freie Ausdruck verhilft den Kindern zu wichtigen Selbsterfahrungen. Im gleichen Zusammenhang steht der freie Text. Er beginnt bereits mit dem Malen und Zeichnen, welches die erste schriftliche Ausdrucksform der Kinder ist, in denen sie sich ihrer Umwelt mitteilen. Sie stellen wahrgenommenes dar, drücken Empfindungen in Schrift oder Schriftähnlichem aus und können somit ihren Mitteilungsdrang ausleben. Das Verlangen nach einer kommunikativen Ausdrucksform findet also ein Ventil im freien Text. Diesem kann man eine therapeutische und politische Funktion zuordnen. Hinsichtlich der therapeutischen Funktion lässt sich sagen, dass der freie Text den Kindern durch das Ausdrücken von Erfahrungen oder Problemen helfen kann, Schwierigkeiten zu überwinden und/oder davon Abstand zu nehmen. Wenn Kinder frei von Sorgen sind, können sie sich besser auf ihr eigentliches Leben und die Schule konzentrieren. Der politische Sinn ist, dass die Schüler das Wort haben und frei bestimmen können was sie ausdrücken möchten. (Rohrwasser, Vesper 1976, S. 15). Die freien Texte benötigen keinerlei Korrektur, da die Texte nur ohne jegliche Einengung als frei empfunden werden. Die Aufgabe des Lehrers besteht darin, den Lernprozess zu unterstützen und gegebenenfalls Impulse für Gestaltungsmöglichkeiten und Hilfestellungen zu geben, um so die Vielfalt des schriftlichen Ausdrucks zu fördern. Eine gute Anwendungsmöglichkeit findet man in der Korrespondenz mit Partnerklassen per Brief oder E-Mail, im Gestalten einer Klassenzeitung oder einer Homepage (Eichelberger, Filice 2003, S. 30ff.). Oft wird mit der Freinet-Pädagogik das Schuldrucken in einem Atemzug erwähnt. Sie hat einen besonders hohen Stellenwert in der „modernen Schule“ 3 , was Freinet 1935 dazu veranlasste ein ganzes Buch zu diesem Thema zu veröffentlichen. Er be-
3 DieFreinet Bewegung wurde oftmals als die Bewegung der modernen Schule bezeichnet.
tont, dass durch die Einführung der Klassendruckerei in der Schulklasse ein neues Klima einkehre, welches das Schulleben intensiver mache (Freinet 1995, S.16). Die Druckerei dient der Vervielfältigung von freien Texten, aber auch als Kommunikationsmittel und Hilfe zur Orthographie. Die verfassten Texte werden nach vereinbarter Korrektur gedruckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Von eigenen Texten bis hin zu politischen Flugblättern zur freien Meinungsäußerung kann alles gedruckt werden. Die Kinder lernen so, dass ihr Leben durch eigene Initiative gestaltbar ist und sie hierfür selbst die Verantwortung tragen. So präsentiert die Druckerei die Dimension des politischen Handelns und der Eigenverantwortung, wodurch sie unter Anderem zum Symbol der Freinet Bewegung geworden ist. Sie hat jedoch auch einen großen didaktisch-methodischen Wert beim Erlernen der Schriftsprache und des Lesens. Sie ermöglicht es Buchstaben zu greifen und zu begreifen, sie zu ordnen und zusammenzustellen. So befassen sich die Schüler intensiv mit dem ABC in einem aufwendigen Arbeitsverfahren, in dem die Eigenerfahrung des Kindes eine große Rolle spielt. Das Gefühl, etwas aus eigener Kraft geleistet zu haben, stärkt das Selbstbewusstsein der Kinder. Aber durch das gemeinsame Arbeiten werden auch soziale Kompetenzen geschult. Sie lernen sich untereinander zu arrangieren und erfahren Rücksichtnahme sowie Toleranz. Oftmals wird aus verschiedenen Artikeln zuletzt eine Klassenzeitung erstellt und veröffentlicht. Die Schuldruckerei und das freie Schreiben sind eine gute didaktische Gelegenheit, um den „Kindern das Wort zu geben“ (Eichelberger, Filice 2003, S. 33f.).
Die Klassenzeitung bringt viele Vorteile mit sich. Sie steigert den Wert der selbst verfassten Texte, bietet Sozialisierungsmöglichkeiten und ist ein Mittel des Austausches. Darüber hinaus dient sie der Entmystifizierung von Printmedien und ist letztendlich eine respektable Geldquelle. Die Klassenzeitung spiegelt das Geschehen in der Klasse und in der Umwelt der Kinder wieder. Die Kinder sollen die Verantwortung über veröffentlichte Texte übernehmen. Aber auch ganz wie bei einer „echten“ Zeitung sollte die Qualität des Produktes einwandfrei und die Inhalte für die Leser von Interesse sein (Barré, Beaugrand, 1977, S. 59ff.).
Es sollte ein Anliegen von jeder Freinet-Klasse sein, eine Korrespondenzklasse zu finden, mit der sie Erfahrungen aus ihrer Unterrichts- und Lebenswelt austauschen können. Ideen für gemeinsame Projekte, wie zum Beispiel einer gemeinsamen Zeitung, sind keine Grenzen gesetzt. Ein internationaler und interkultureller Austausch ist von besonders hohem Wert. Kinder können voneinander lernen und sich weiträu-
mig orientieren, was eine weltoffene Sichtweise fördert (Eichelberger, Filice 2003, S. 33f.). Jeder Schüler hat einen eigenen Korrespondenten in der jeweiligen Klasse. Es besteht also die Möglichkeit individuelle oder kollektive Briefe mit der Korrespondenzklasse auszutauschen. Dies hat den Vorteil, dass auch ungenutzte Texte noch eine sinnvolle Verwendung finden (Henning 1976, S. 16). Wenn Kinder die Möglichkeit haben Lerninteressen persönlich zu gestalten, ist es ratsam eine Dokumentation über durchgeführte Schülerarbeiten zu führen, was in der Freinet-Pädagogik häufig in Form von Klassentagebüchern geschieht. Diese verschaffen einen Überblick über vergangene Lerninhalte und fördern die Selbstorganisation und das kontinuierliche Lerngeschehen in der Klasse (Eichelberger, Filice 2003, S. 33f.).
Für Freinet ist nicht das Wissen an sich wichtig, sondern vielmehr der Weg der zum Wissen führt. Er spricht oftmals vom forschenden und entdeckenden Lernen, welches direkt aus dem Prinzip der eigenständigen Unterrichtsplanung und des freien Ausdrucks entsprießt. Um ein solches Lernen zu ermöglichen, ist es notwendig den Unterricht in die Natur oder außerschulische Einrichtungen zu verlegen. Hier können Erkundungen durchgeführt und später deren Ergebnisse dokumentiert und verwendet werden, zum Beispiel in der Klassenzeitung. Des Weiteren bedarf es für das entdeckende Lernen einer Anpassung in der Klasse. Freinet hat aus diesem Grund die Klasse in Ateliers, in Arbeitsräume, eingeteilt (Eichelberger, Filice 2003, S. 35). Die praktische Arbeit in den erwähnten Ateliers hat in der Freinet-Pädagogik einen hohen Stellenwert. Sie dienen den verschiedensten individuelle Tätigkeiten, Rollenspiele, aber auch dem Experimentieren und dem Umgang mit technischen Medien. Ein festes Atelier in der Freinet-Klasse ist häufig ein Lesebereich, bestehend aus einer Dokumentensammlung und einer Bibliothek (Jörg 1995, S. 25f.). Nachdem ein grober Einblick in die Entstehungsgeschichte und methodischdidaktische Konzeption der Freinet-Pädagogik gegeben wurde, gilt es nun den zweiten Teilbereich des Themas in den Mittelpunkt der Betrachtungen zu stellen. Im Folgenden sollen grundlegende Ideen, Inhalte und Ziele der Mediendidaktik in allgemeiner Form dargestellt werden.
1.2 „Moderne Mediendidaktik“ und „Moderne Medienerziehung“ als medienpädagogische Disziplinen
1.2.1 Begriffsbestimmung
„Mediendidaktik“ ist ein in der Literatur häufig verwendeter Begriff. Das Anliegen der Mediendidaktik ist die geplante, gezielte und reflektierte Verwendung von nichtpersonalen Medien (z.B. die Tafel, Lehrbücher oder Computer) zu pädagogischen Zielen und Zwecken (Hoffmann 2003, S. 346). Das Feld der nicht-personalen Medien ist groß und soll im Rahmen dieser Arbeit eingegrenzt werden. Im weiteren Verlauf der Betrachtungen sollen lediglich die Neuen Medien im engeren Blickfeld stehen. Aber auch diese gilt es genau einzukreisen. Den Begriff “Neue Medien“ verwendet man bereits seit dem Beginn der 70er Jahre für Kommunikationsmittel und Verfahren der Informationsübertragung und -speicherung, die durch die Entwicklung neuer Technologien entstanden sind. Von daher werden auch in die Jahre gekommenen Medien, welche schon längst in den Unterrichtsalltag integriert sind, in der Literatur zu den „neuen“ Medien gezählt, wie z.B. der Fernseher und der Videorekorder. Es ist fragwürdig, ob die Bezeichnung „neu“ hier noch gerechtfertigt ist. Gerade der Videorekorder ist inzwischen fast ganz vom Markt verdrängt und im Begriff von moderner DVD-Technologie ersetzt zu werden. Medien des „mittleren Alters“ sollen hier nicht weiter thematisiert werden, da es hierzu bereits einen reichhaltigen literarischen Fundus gibt. Als Neue Medien 4 sollen im Verlauf dieser Arbeit nur jene bezeichnet werden, die tatsächlich eine gewisse Aktualität in ihrem Lebensalter, technischen Standards und/oder gesellschaftlicher Verwendung aufweisen. Mit den Begriffen Computer, Internet, Webserver, CD/DVD, MP3-Player, Lern- und Kreativsoftware, Digitalkamera/Digitale Camcorder, Beamer und interaktive Präsentationssoftware (z.B. PowerPoint) sind die wichtigsten davon genannt. Auch sämtliche multimediale Angebote sollen dazu gezählt werden. Um Missverständnisse zu vermeiden, soll die Bezeichnung des zugehörigen wissenschaftlichen Bereiches dieser Definition von Neuen Medien angepasst werden. Es bietet sich in diesem Sinn an „Mediendidaktik“ fortan als „Moderne Mediendidaktik“ zu bezeichnen, da sie sich ausschließlich auf Medien mit einer gewissen Modernität fokussiert. Im Gegensatz zur Freinet-Pädagogik hat die „Moderne Mediendidaktik“ als eine pädagogische Form keinen revolutionären Kerngedanken oder einschlägige Reform-
4 Sieheauch S. 43 „Alte Medien versus Neue Medien“
absichten des Bildungswesens. Natürlich geht es auch hier um Veränderung und Neuerung, doch wird dies vielmehr in einem ergänzendem Rahmen gesehen. „Moderne Mediendidaktik“ ist als eine Teildisziplin der Medienpädagogik anzusehen, die sich wiederum der allgemeinen pädagogischen Wissenschaft unterordnet. Sie ist ein Teil eines Ganzen, da sie von allgemeindidaktischen Theorien, gesellschaftlichen/bildungspolitischen Vorgaben und Erkenntnissen aus anderen Wissenschaften bzw. Nachbardisziplinen (z.B. Medienkunde, Medienforschung) beeinflusst wird. Die Funktionen und Wirkungen von Neuen Medien in Lehr- und Lernprozessen sind der zentrale Ausgangspunkt dieses wissenschaftlichen Bereiches. Ihre Intention als Frage formuliert könnte lauten: „Wie kann sich Pädagogik Neue Medien zunutze machen?“ und nicht etwa „Wie können Neue Medien die Allgemeinpädagogik grundlegend verändern?“ (Kron, Sofos 2003 S. 47f.).
Während es die Aufgabe der „Modernen Mediendidaktik“ ist, Neue Medien für eigene pädagogische Ziele zu benutzen, sind in der „Medienerziehung“ Neue Medien an sich das angestrebte Ziel. Der Blick ist darauf gerichtet Heranwachsende zu einem bewussten, kritischen und reflektierten Umgang mit Neuen Medien zu erziehen. Medienerziehung ist daher auch ein sehr praxisbezogenes Gebiet. Deshalb ist es sinnvoll, die beschriebene Definition der Medienerziehung der Begrifflichkeit der Neuen Medien anzupassen, indem man sie als „Moderne Medienerziehung“ bezeichnet. In dieser medienpädagogischen Disziplin kommen sowohl Erkenntnisse aus Forschung und Theorie, als auch gesellschaftliche, politische und Organisatorische Faktoren zum tragen. Diese werden dann im Blickwinkel von Handlungsnormen, beispielsweise in der Form von Zielen, Methoden, Medienauswahl oder Medienkontrolle gesehen. Im Vergleich beider Bereiche kann man feststellen, dass „Moderne Mediendidaktik“ versucht Lernziele durch Neue Medien zu erreichen, während „Moderne Medienerziehung“ nach Lernzielen für Neue Medien sucht (Kron, Sofos 2003 S. 47f., Tulodziecki 1997a, S.30). Oft wird das tatsächliche praktische Handeln mit Medien im Unterricht weiteren Begriffen, der „medienpädagogischen Arbeit“ oder der „Medienpraxis“ zugeordnet. Somit wären beide Bereiche als reine Theoriedisziplinen deklariert. Da in der Fragestellung dieser Arbeit Theorie und Praxis eng mit-einander verbunden sind, soll praxisbezogenes Medienhandeln im weitern Verlauf als ein Bestandteil der „Modernen Mediendidaktik/Medienerziehung“ gesehen und nicht weiter unterschieden werden (Sacher 2000, S. 14, Tulodziecki 1997b, S. 45).
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lit_2006-buch, Examensarbeit_allgemeine_Pädagogik
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title: Der aktuelle Bildungsdiskurs im Spiegel der Reggio-Pädagogik by Kempmann, Ann-Kathrin |
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Titel: | Der aktuelle Bildungsdiskurs im Spiegel der Reggio-Pädagogik |
Autor: | Kempmann, Ann-Kathrin | Sprache: | deutsch |
Quelle: | München, Grin | Quellentyp: | Monographie |
veröffentlicht am: | DD.MM.2017 | | |
url: | https://www.grin.com/document/432691 |
Text:
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Frühkindliche Bildung
2.1 Das Trias Erziehung – Bildung – Betreuung
2.2 Der Bildungsauftrag in der Frühpädagogik
2.3 Frühe Kindheit
2.4 Frühkindliche Bildungsforschung in Deutschland
2.5 Bildungspläne der Bundesländer
3. Die Kindertagesbetreuung in Deutschland
3.1 Die Kindertagesstätte als institutionelle Betreuungsform
3.2 Die Kindertagespflege als private Betreuungsform
4. Reggio-Pädagogik
4.1 Die konzeptionelle Entwicklung der Reggio-Pädagogik
4.2 Die Biografie von Loris Malaguzzi
4.3 Das Menschenbild der Reggio-Pädagogik
4.3.1 Das Bild vom Kind
4.3.2 Die Rolle Erwachsener: Eltern und Erzieher
4.4 Besonderheiten und Grundsätze der Reggio-Pädagogik
4.4.1 Die Bedeutung von Identität und Gemeinschaft
4.4.2 Die Vorstellung von Bildung und Lernen
4.4.3 Die Bedeutung von Projekten
4.4.4 Beobachtung und Dokumentation
4.4.5 Der Raum als dritter Erzieher
4.5 Kritik an der Reggio-Pädagogik
5. Vergleich des Bildungsverständnisses des frühkindlichen Bildungs-diskurses mit dem Bildungsverständnis im Konzept der Reggio- Pädagogik
6. Resümee
7. Anhang
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Das Thema Bildung hat seit der Aufklärung in allen historischen Epochen zu kontroversen Diskussionen geführt. Immer wieder wurden Bildungsreformen gefordert und Änderungen eingeleitet (...) Die aktuelle Bildungsdebatte in Deutschland wird von den Ergebnissen der PISA-Studie angestoßen“ (Thesing 2004, S. 13).
Die Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse 2001 hat bis heute erheblichen Einfluss auf den frühkindlichen Bildungsdiskurs, der in der vorliegenden Arbeit thematisiert wird. Die Ursache für das schlechte Abschneiden in der PISA-Studie wurde nicht ausschließlich in der Schule gesucht, sondern ebenso im vorschulischen Bereich. Es wurden vielfältige Vorschläge zur Reform der Kindertageseinrichtungen unterbreitet. Unter anderem wurde ein früherer Schuleintritt, eine stärkere schulische Ausrichtung des Kindergartens[1], der Ausbau der Angebote für unter 3-Jährige, eine gesonderte Sprachförderung für Kinder mit Migrationshintergrund und der Ausbau der Ganztagesbetreuung gefordert (vgl. Otto / Rauschenbach 2008, S. 14; Fthenakis 2003, S. 13). Die PISA-Studie war einer der zentralen Auslöser dafür, dass die frühkindliche Bildungsdebatte so intensiv in Medien, Wissenschaft und Politik diskutiert wurde. Es ist darauf hinzuweisen, dass die PISA-Studie zwar die Defizite der 15-jährigen Schüler[2] feststellt, jedoch gibt es keinen Beleg dafür, dass diese in irgendeinem Zusammenhang mit der frühen Kindheit stehen (vgl. ebd., S. 14; ebd., S. 13). Umso erstaunlicher ist es, dass die damals vorgebrachten politischen Forderungen genau auf diesen Bereich abzielen. 2004 reagierten die Bundesländer mit der Veröffentlichung ihrer Bildungspläne auf die frühkindliche Bildungsdebatte[3] (vgl. Textor 2016). Diese werden unter anderem in dieser Abschlussarbeit hinsichtlich der Bildungsverständnisse sowie der Vorstellung vom Kind thematisiert.
Die vorliegende Arbeit thematisiert den frühkindlichen Bildungsdiskurs in der institutionellen Kindertagesbetreuung. Die an diesen Diskurs herangetragenen Forderungen und Vorstellungen von Bildung werden mit dem Bildungsverständnis des pädagogischen Konzeptes der Reggio-Pädagogik verglichen. Schaut man sich die pädagogischen Konzepte der institutionellen Kindertagesbetreuung in Luxemburg an, dann wird deutlich, dass die großen Maison Relais-Trägerorganisationen Arcus, Elisabeth und Caritas Jeunes & Familles mit ihrer Konzeption auf die inhaltlichen Bestandteile der Reggio-Pädagogik zurückgreifen. Das pädagogische Welt-Atelier-Konzept wurde aus der Reggio-Pädagogik abgeleitet und beinhaltet das Bild vom kompetenten Kind sowie das Bildungsverständnis der Reggio-Pädagogik. Maison Relais existieren seit dem Jahr 2005 und ergänzen als außerschulisches Betreuungsangebot das Bildungssystem in Luxemburg[4] (vgl. Horn et al. 2011, S. 5 ff.). Durch meine Arbeit als Educatrice graduée an einer Maison Relais in Luxemburg hat sich das Interesse an der frühkindlichen Bildung sowie an der Reggio-Pädagogik intensiviert. Die vorliegende rein literaturgestützte Masterarbeit vereint beide Themen, behandelt jedoch gezielt die frühkindliche Bildungsdebatte in Deutschland. Die an diesen Diskurs herangetragenen Forderungen sowie Vorstellungen vom Bildungsverständnis werden mit der Vorstellung von Bildung in der Reggio-Pädagogik in Kapitel 5 bezugnehmend auf die Forschungsfrage: „Welche wichtigen Bildungsaspekte werden in der Reggio-Pädagogik benannt, die im aktuellen Bildungsdiskurs nicht oder nur am Rande auftauchen?“ verglichen.
Dazu wird im ersten thematischen Kapitel der frühkindliche Bildungsdiskurs thematisiert. Es wird unter anderem auf das Trias Erziehung, Bildung und Betreuung sowie auf den Bildungsauftrag in der Frühpädagogik eingegangen. Danach wird die frühe Kindheit thematisch behandelt. Anschließend wird der derzeitige Stand der frühkindlichen Bildungsforschung aufgezeigt, um sodann mit den Bildungsplänen der Bundesländer fortzufahren. Kapitel 3 legt die Rahmenbedingungen der Kindertagesbetreuung in Deutschland dar, die neben der Kindertagesstätte als institutionelle Betreuungsform, auch die Kindertagespflege beinhaltet. Im Anschluss daran thematisiert Kapitel 4 ausführlich die Reggio-Pädagogik. Es wird die konzeptionelle Entwicklung beschrieben sowie die Besonderheiten der Reggio-Pädagogik aufgeführt. Des Weiteren werden wichtige Grundsätze, das Bild vom Kind und die Vorstellung von Bildung und Lernen dargelegt. Darüber hinaus werden die Rollen der Erzieher und die der Eltern in Bezug zum Kind untersucht. Kapitel 5 vergleicht die Bildungsverständnisse des frühkindlichen Bildungsdiskurses mit dem Bildungsverständnis im Konzept der Reggio-Pädagogik. Die Arbeit wird durch ein Resümee abgerundet.
2. Frühkindliche Bildung
Die länderübergreifenden Schulleistungsstudien wie TIMMS (Trends in International Mathematics and Science Study) und PISA (Programme for International Student Assessment) haben dazu geführt, dass viele Länder ihre Bildungssysteme neu überprüft und reguliert haben. In diesem Zusammenhang und im Zuge von neuen Forschungserkenntnissen aus den Neurowissenschaften sowie Bereichen der Psychologie wird die frühe Kindheit als bedeutsame Phase der individuellen Bildung begriffen und als erster Schritt im lebenslangen Lernen angesehen (vgl. Stamm 2010, S. 11). Die Autorin Stamm betont, dass diese Entwicklung die Pädagogik unvorbereitet trifft und dass die frühe Kindheit ein vernachlässigtes Thema darstelle. Es gibt ihrer Meinung nach nur wenige Antworten darauf, was frühkindliche Bildung ist, in welchem Zusammenhang sie mit der Betreuung und Erziehung stehe und was sie beinhalte bzw. wozu sie dient (vgl. ebd.). Schäfer kritisiert, dass „(...) in der gegenwärtigen Debatte um frühkindliche Bildung wahllos alles als Bildung bezeichnet wird – gleichgültig ob es sich um eine spezifische Förderung (zum Beispiel der Muttersprache) handelt, um eine Technik, die Kinder beherrschen sollten (vielleicht den Umgang mit Computern), um soziales Einfühlungsvermögen oder ‚Kompetenzen’ in einem Lernbereich“ (Schäfer 2011a, S. 29).
Die Bedeutung der frühkindlichen Bildung lässt sich zudem nur indirekt aus der PISA-Studie ableiten, dadurch, dass diese sich auf den Leistungsstand von Schülern bezieht. Weigl geht auf den Aspekt ein, dass die PISA-Studie zwar zu der Ansicht führe, dass Bildungsprozesse bei Kindern bereits vor Schuleintritt gefördert werden sollten, dennoch fehle der konkrete Zusammenhang zur frühkindlichen Bildung (vgl. Weigl 2010, S. 1). Die Autoren Otto und Rauschenbach bestätigen ebenso, dass bei der PISA-Studie hinsichtlich der schulischen Leistung kein Zusammenhang zum vorschulischen Bereich festgestellt wurde (vgl. Otto / Rauschenbach 2008, S. 14). Fthenakis betont, dass die PISA-Studie eine Reflexion der Pädagogik der frühen Kindheit erforderlich mache. Dennoch kritisiert er vorschnelle bildungspolitische Maßnahmen, die zum Beispiel eine frühe Einschulung sowie den verstärkten Deutschunterricht vor dem Übergang in die Grundschule als Reaktion auf die PISA-Studie fordern (vgl. Fthenakis 2003, S. 13). Der Autor Weigl kritisiert, dass in bildungspolitischer Hinsicht der Eindruck entstehe, die Schuld für das Versagen des Schulbetriebs bei der Frühpädagogik zu suchen (vgl. Weigl 2010, S. 2). Das ist insofern problematisch, weil sich als Konsequenz hieraus ergeben würde, dass schulisches Lernen bereits im Kindergarten, in Kindertagesstätten und ähnlichen Betreuungssettings durchgeführt werden müsse. Der Autor Schäfer positioniert sich für eine frühkindliche Pädagogik, die eine Kultur des Lernens gestaltet. Er führt aus: „(...) Bildungsprozesse können nur da dauerhaft initiiert und gesichert werden, wo die Aktivität des Kindes durch soziale Bedingungen getragen und unterstützt, durch sachliche Anregungen herausgefordert und durch strukturelle Bedingungen dauerhaft gesichert wird“ (Schäfer 2011b, S. 11). Die Grundlage dieser Kultur besteht nach Schäfer in der Beteiligung des Kindes an den dargebotenen Möglichkeiten, die von der Pädagogik aus geschaffen werden sollten (vgl. ebd.).
In der Fachliteratur stehen sich laut Gisbert grundsätzlich zwei unterschiedliche Anschauungen frühkindlicher Bildung gegenüber:
1. „Bildung richtet sich (...) auf Aspekte wie Motivation und Interesse oder ganz allgemein auf eine positive Lerndisposition.“
2. Bildung richtet sich auf die „(...) gezielte Vorbereitung auf die Schule (...) der Erwerb schulbezogener Kompetenzen (ist) das erklärte Ziel“ (Gisbert 2003, S. 87).
Carle und Wenzel nennen ebenfalls die zwei Anschauungen, die den frühkindlichen Bildungsdiskurs kennzeichnen. Die vorschulische Bildung, in anderen Worten frühkindliche Bildung, beinhaltet zum Einen das Verständnis der schulvorbereitenden Funktion der Kindertageseinrichtungen. Andererseits betonen gerade die Kindertagesstätten als Ort frühkindlicher Bildung in ihrem Selbstverständnis den eigenen Bildungsbeitrag unabhängig von schulischen Kriterien (vgl. Carle / Wenzel 2007, S. 186). Die Autoren Sieber und Wittmann unterscheiden zwischen Bildung als Selbstbildung und Bildung als instrumentellen Kompetenzerwerb. Die instrumentelle Bildung ist ihrer Meinung nach ein Prozess „(...) durch den Menschen personale (Schlüssel-)Qualifikationen und eine deutliche Orientierung an der Arbeits- und Berufswelt erhalten“ (Siebel / Wittmann 2014, S. 39). Die Lerninhalte sind bei diesem Bildungsverständnis in Lehrplänen festgeschrieben und werden mittels didaktischer Methoden vom Lehrpersonal gestaltet und dokumentiert, in anderen Worten benotet (vgl. ebd.). Unter selbstreferentieller Bildung verstehen die Autoren die Bildung als „(...) Prozess der Entwicklung von Fähigkeiten, die es einem Menschen erlauben zu lernen, sein eigenes Leistungspotenzial zu entwickeln, eigenständig und –verantwortlich zu handeln, Probleme zu lösen und Beziehungen einzugehen“ (ebd.). Hierbei geht es nicht darum festgelegtes Wissen vermittelt zu bekommen, sondern vielfältige Kompetenzen zu entwickeln. Als Kompetenzen nennen die Autoren:
- Personale Kompetenz: Entwicklung der Identität
- Soziale Kompetenz: Entwicklung der Beziehungsfähigkeit
- Lernmethodische Kompetenz: das Lernen lernen
- Inhaltliche Kompetenz: Aufnahme von Basiswissen, damit sind grundlegende Zusammenhänge gemeint
- Orientierungskompetenz: Unterscheiden, bewerten und entscheiden können (vgl. ebd., S. 38 f.).
Der Autor Weigl spricht sich dafür aus, das bisherige Bildungsverständnis zu erweitern. Es geht darum alle Lern- und Bildungsprozesse in den Vordergrund zu rücken unabhängig von Bildungsinstanzen und vorgegebenen Lehrplänen. Er kritisiert, dass es immer wieder zu Vermischungen von schulischer Problematik und frühpädagogischen Ansätzen in der Bildungsdebatte kommt. Es ist somit durchaus ratsam, die frühkindliche Bildung und die schulische Bildung voneinander zu differenzieren und sich die Unterschiede bewusst zu machen (vgl. Weigl 2010, S. 3 f.).
Bisher wurde die Entwicklung des frühkindlichen Bildungsdiskurses ausgehend von der Veröffentlichung schulischer Bildungsstudien beschrieben. Es handelt sich hierbei um den Ausgangspunkt dieser Arbeit. Obwohl es sich um schulische Bildungsstudien handelt, wirkte sich die Veröffentlichung der Studie auch auf den vorschulischen Bereich aus und ihre Institutionen aus. Dies führte unter anderem zu unterschiedlichen Auffassungen von Bildung. In der nachfolgenden Darstellung des frühkindlichen Bildungsdiskurses werden bestimmte, für die Ausarbeitung relevante thematische Schwerpunkte gewählt, da die Tragweite des Diskurses zu groß ist und infolgedessen im Rahmen dieser Masterarbeit nicht umzusetzen wäre. Der frühkindliche Bildungsdiskurs wird dabei hinsichtlich seiner Auffassungen von Bildung untersucht. Das erste Unterkapitel beschäftigt sich zunächst mit dem Trias Erziehung, Bildung und Betreuung, welches insbesondere den rechtlichen Förderungsauftrag widerspiegelt. Verschiedene Positionen werden zu dem Trias dargelegt, um aufzuzeigen, wie die drei Begriffe zueinanderstehen und was darunter verstanden werden kann. Danach werden die Entwicklungen in Deutschland aufgezeigt, die zu dem offiziellen Bildungsauftrag in der Frühpädagogik geführt haben. Schließlich wird die frühe Kindheit dargelegt, die Vorstellung des Kindes, die in direkter Verbindung zu der pädagogischen Haltung des Erziehers steht und dementsprechend Einfluss auf die Bildungsprozesse des Kindes nimmt, hinsichtlich selbstinitiierter bzw. fremdinitiierter Lernprozesse. Im Anschluss daran wird die frühkindliche Bildungsforschung und ihre Entwicklung in Deutschland prägnant wiedergegeben, da die Forschungsergebnisse zu dem „neuen“ Bild vom Kind beigetragen haben und dementsprechend relevant für die vorliegende Masterarbeit sind. Der Zusammenhang zwischen den Forschungsergebnissen und diesem Diskurs wird aufgezeigt. Daran anschließend werden die Bildungspläne der Bundesländer thematisiert bezugnehmend auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Hierzu wird in erster Linie Sekundärliteratur herangezogen, die sich auf verschiedene Analysen unterschiedlicher Autoren bezieht.
2.1 Das Trias Erziehung – Bildung - Betreuung
„Kindertagesstätten hatten schon immer einen offiziellen Bildungsauftrag, allerdings verbunden mit Erziehung und Betreuung, wobei in der Diskussion der vergangenen Jahre vielfach die Betreuung und speziell die erweiterten und flexiblen Öffnungszeiten mehr Gewicht hatten als die Intention Bildung“ (Thesing 2004, S. 45).
Thesing geht in seinem Zitat auf den festgeschriebenen Förderauftrag der Kindertagesbetreuung in Deutschland ein und kritisiert zugleich, dass die Betreuung bisher im Vordergrund stand. Der § 22 SGB VIII beinhaltet für Tageseinrichtungen und Kindertagespflege in gleichermaßen einen Förderungsauftrag:
„(3) Der Förderungsauftrag umfasst Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes. Er schließt die Vermittlung orientierender Werte und Regeln ein. Die Förderung soll sich am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethnische Herkunft berücksichtigen“ (§ 22 SGB VIII Absatz 3).
Es gibt eine große Anzahl verschiedener Sichtweisen über den Bedeutungsgehalt des Bildungsbegriffs. Der Autor Fichtner empfiehlt, „(...) dass der Begriff nur aus gesellschaftlichen Zusammenhängen der jeweiligen Zeit heraus zu verstehen ist und seine Deutung darüber hinaus vom subjektiven Standpunkt des Benutzers abhängt“ (Fichtner 2007, S. 23). Allgemein wird unter dem Bildungsbegriff der Erwerb von Wissen und Kenntnissen verstanden. Fichtner betont allerdings, dass Bildung vielmehr ein umfassender Prozess der Selbstbildung jedes einzelnen Menschen sei. Der Begriff dürfe nicht ausschließlich auf schulisches Wissen und gesellschaftliche Verwertung reduziert werden (vgl. ebd., S. 24 f.). Der zwölfte Kinder- und Jugendbericht unterstützt diese Auffassung: „Bildung ist mehr als das, was Institutionen bei jenen hervorbringen, die sie besuchen, ist mehr als ein messbares Ergebnis an abfragbaren Wissensbeständen. Bildung ist ein offener und unabschließbarer Prozess, der von den Menschen selbst gestaltet wird[5] “ (BMFSFJ 2005, S. 103). Betreuung und Erziehung werden hierbei als Bedingungen von Bildung angesehen. Der Bericht geht darauf ein, dass eine eindeutige Abgrenzung der Begriffe schlichtweg nicht möglich ist. Bei den Begriffen Erziehung und Bildung handelt es sich um Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft, hingegen wird Betreuung als abgeleiteter Begriff gesehen. Betreuung beinhaltet jedoch Funktionen, die für Erziehungs- und Bildungsprozesse unabdingbar sind (vgl. ebd., S. 105 f.). Berg-Winkels differenziert das Trias wie folgt, unter Bildung versteht sie die „(...) aktive Aneignung der Welt, der Kultur und der Natur von Geburt an. Erziehung beschreibt die Gesamtheit der Verhaltensweisen und Aktivitäten von Erwachsenen im verantwortlichen Umgang mit Kindern. Unter Betreuung versteht man die umfassende Sorge für das leibliche und seelische Wohlbefinden der Kinder“ (Berg-Winkels 2010, S. 25).
Schäfer unterscheidet den Erziehungs- von dem Bildungsbegriff folgendermaßen: „Während unter Erziehung die Reaktionen einer Gesellschaft auf die Entwicklungstatsache verstanden wird, rückt der Bildungsbegriff eher das eigenwillige und selbständige Handeln des Individuums bei seinen Lernprozessen in den Mittelpunkt sowie deren Beziehungen zu einem übergreifenden soziokulturellen Zusammenhang“ (vgl. Schäfer 2014, S. 13). Fichtner sieht in der Erziehung ein „(...) absichtsvolles Einwirken des Erwachsenen auf den Entwicklungsprozess und damit eben auch auf Bildungsprozesse des Kindes“ (Fichtner 2007, S. 29). Bildung als Aneignung betont hingegen die eigenständige Tätigkeit des Kindes. Die Erziehung hat das Ziel, diese Aneignungsprozesse zu unterstützen bzw. zu ermöglichen (vgl. ebd.). Thesing beschreibt Erziehung und Selbstbildung des Kindes ebenfalls als Dialog: „Erziehung vermittelt zwischen dem kulturellen Anliegen und den Selbstbildungsaktivitäten des Kindes. Sie kann nicht verstanden werden als ein einseitiges Durchsetzen von erzieherischen Intentionen. Somit sind Erziehung und Selbstbildung kein Widerspruch, sondern bedingen sich gegenseitig“ (Thesing 2004, S. 54). Liegles Bildungsverständnis kommt dem von Thesing sehr nah. Liegle definiert die Erziehung als Aufforderung zur Bildung: „Bildung als Aneignungstätigkeit hätte keinen Gegenstand und keine Entfaltungschancen ohne die unterstützende und stimulierende Vermittlung von Seiten der Umwelt; Erziehung als vermittelnde Tätigkeit müsste ins Leere laufen, könnte sie nicht auf die Aneignungsfähigkeit und Aneignungsbereitschaft der Kinder setzen“ (Liegle 2008, S. 99). Erziehung und Bildung sind seiner Meinung nach komplementär und beinhalten eine Relation von vermittelnder und aneignender Tätigkeit (vgl. ebd., S. 99 f.).
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass es bis heute keine einheitliche Definition des Bildungsbegriffs gibt. Graichen konstatiert:
„Der Bildungsbegriff ist der Begriff in der deutschen Pädagogik, dem im Laufe der Zeit häufig mehr unterschiedliche Bedeutungen und Inhalte zugeschrieben wurden als irgend einem anderen Fachausdruck. Das heißt, es existiert keine einheitliche Definition darüber, was Bildung ist, und dies macht den Bildungsbegriff zu einem der ungenauesten Termini in der Pädagogik“ (Graichen 2002, S. 16).
Bildung ist und bleibt ein unklarer Begriff, der seit dem Erscheinen der PISA-Studie zu einem öffentlichen Begriff geworden ist, „(...) mit dem unterschiedliche Deutungen, Forderungen und Hoffnungen verbunden werden“ (Fichtner 2007, S. 26). Bevor der Bildungsauftrag der frühen Kindheit im nachfolgenden Kapitel thematisiert wird, sollen vorab noch einige Perspektiven der Bildung dargelegt werden. Harring et al. beschreiben die Entwicklung, dass „(...) im Mainstream der Bildungsdiskussion ein Einvernehmen darin zu erkennen [ist], dass Bildung keineswegs nur etwas darstellt, das ausschließlich in der Schule stattfindet. Dies ist dahingehend als eine neue Perspektive zu verstehen, da die bisherige auf Kinder und Jugendliche bezogene empirische Bildungsforschung vornehmlich von der Schulforschung geprägt war“ (Harring et al. 2007, S. 8). In der heutigen Bildungsdebatte hat die Institution Schule nach wie vor eine dominierende Stellung, dennoch widmet sich die Bildungsforschung nun zunehmend den Lernprozessen in außerschulischen Kontexten (vgl. ebd.). Verschiedene Arbeiten haben zur Diskussion von verschiedenen Bildungsorten geführt und darüber hinaus zu einer Ausweitung des Bildungsbegriffs (vgl. Furtner-Kallmünzer et al. 2002, Dohmen 2001, BMFSFJ 2005, Otto / Rauschenbach 2004, Rauschenbach / Düx / Sass 2006, Tully 2006). Die Orte, an denen Bildungsprozesse stattfinden, gliedern sich nun in drei Bereiche:
- Formelle Bildung
- Nicht-formelle Bildung
- Informelle Bildung (Harring et al. 2007, S. 8).
Unter formaler Bildung versteht man Lernprozesse, die in eigens dafür errichteten Institutionen erfolgen, d.h. Schule, Ausbildung und Hochschule sind Orte formalen Lernens (vgl. BMFSFJ 2005, S. 127). Formales Lernen ist zielgerichtet und mit einer bestimmten formalen Qualifizierung bzw. Zertifizierung verbunden (vgl Overwien 2006, S. 46). Die Schule als Ort formaler Bildung weist aufgrund ihres streng reglementierten Organisationscharakters und hinsichtlich der Selektionsgewalt einen hohen Grad an Formalisierung auf (vgl. BMFSFJ 2005, S. 128). Nicht-formelle Bildungsorte sind zwar durch eine klare institutionelle Strukturiertheit und Rechtslage gekennzeichnet, sie stellen jedoch eine andere Form von Lerngelegenheiten bereit. Die Lernprozesse zeichnen sich durch eine offene Angebotslage und freiwillige Nutzung bzw. Inanspruchnahme aus. Im Fokus stehen hier die Vermittlung von sozialen und personalen Kompetenzen sowie die Förderung und Beteiligung an politischen und gesellschaftlichen Prozessen. Die Bildungsziele dieser Einrichtungen sind nicht streng festgeschrieben und die erworbenen Kompetenzen werden auch nicht zertifiziert (vgl. Rauschenbach et al. 2004, S. 32 f.; Harring et al. 2007, S. 9). Harring et al. erläutert: „Vor allem die Kinder- und Jugendhilfe sowie die Institutionen der vorschulischen Bildung können nach diesem Verständnis als Orte der nicht-formalen Bildung gesehen werden“ (Harring et al. 2007, S. 9). Unter informeller Bildung versteht Dohmen alle bewussten als auch unbewussten Lernprozesse, die abseits von organisierten, strukturierten und kontrollierten Lernarrangements fernab von öffentlichen Bildungsinstitutionen stattfinden (vgl. Dohmen 2001, S. 18 ff.). Das situative Lernen, welches ungeplant stattfindet und beiläufig, vielleicht auch unbemerkt geschieht, steht hier im Vordergrund. Familie, Peer Group sowie die Medien sind klassische informelle Bildungsorte (vgl. ebd., Harring et al. 2007 S. 9; Rauschenbach et al. 2006, S. 7). Rauschenbach et al. sieht die Orte des informellen Lernens als Voraussetzung und zugleich Fortsetzung formeller und nicht-formeller Bildungsprozesse (vgl. Rauschenbach et al. 2006, S. 7).
Das nächste Kapitel widmet sich nun dem Bildungsauftrag der frühen Kindheit. Es werden unter anderem die Entwicklungen in Deutschland aufgezeigt, die zu dem Bildungsauftrag in der Frühpädagogik geführt haben.
2.2 Der Bildungsauftrag in der Frühpädagogik
Es wird fortwährend darüber diskutiert, inwieweit Kindertageseinrichtungen als erste Stufe des Bildungswesens gesehen werden können. Laut Liegle kann die Geschichte der Frühpädagogik in Deutschland als „(...) eine Geschichte der Trennung zwischen (‚sozialpädagogisch’ orientiertem) Kindergarten und Schule“ aufgefasst werden (Liegle 2008, S. 86). Was hat sich in der Zwischenzeit getan? Wie hat sich diese Auffassung geändert? Die damalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan erläutert: „Lange Zeit herrschte die Auffassung vor, Bildung beginne in der Schule, der Kindergarten sei zum Spielen da. Das hat sich geändert. Heute verstehen wir den Kindergarten als Lernort, alle Bundesländer haben entsprechende Bildungspläne erlassen. Deshalb ist es sinnvoll, dass beide Einrichtungen sich stärker abstimmen“ (Schavan 2007, S. 35). Die Perspektive auf die institutionelle Kindertagesbetreuung hat sich somit geändert. Die Kindertagesstätte wird nun als Ort der Bildung aufgefasst. Liegle geht des Weiteren auf den Aspekt ein, dass Spielen und Lernen gar kein Widerspruch in sich ist (vgl. Liegle 2008, S. 87). Der Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für die baden-württembergischen Kindergärten enthält sogar ein eigenes Kapitel zum Thema Spielen und Lernen. Es wird dargelegt, dass Spielen und Lernen für Kinder ein und dasselbe ist und trotzdem viele Erwachsene hierin einen Widerspruch sehen:
„Im Spiel verwirklichen sich sowohl die allgemein menschlichen Lerngrundsätze wie auch die spezifischen Bedingungen des kindlichen Lernens auf ideale Weise (...) Ist es wirklich so, dass im Kindergarten nicht gelernt wird, dass das Spielen mit der Kindergartenzeit aufhört, dass in der Schule kein Platz fürs Spielen ist, dass Spielen und Lernen Gegensätze sind? Spielen ist die dem Kind eigene Art, sich mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen, sie zu erforschen, zu begreifen, zu ‚erobern’ (...) Spiel, Lernen und Entwicklung sind also untrennbar verbunden[6] “ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport 2011).
Nach dem Verständnis des Orientierungsplans kann es keine strikte Trennung von Spielen und Lernen bei Kindern geben. Sie bedingen sich gegenseitig. Ebenso kritisch wird die räumliche Trennung gesehen, in der das Spielen dem Kindergarten und der Schule das Lernen zugeschrieben wird. Bereits in den sechziger Jahren erfuhr die Kindertagesstätte eine deutliche Aufwertung, dadurch, dass Sozialisationsforscher einen Zusammenhang zwischen vorschulischer Förderung und späterem Schulerfolg feststellten. Infolgedessen wurden mehr Kindergartenplätze gefordert (vgl. Aden-Grossmann 2002, S. 164). Der Blick auf die Kindertagesstätte als Einrichtung änderte sich: „Er galt nicht mehr primär als eine soziale Einrichtung für Kinder, deren Mütter berufstätig sein mußten, sondern als eine familienergänzende Bildungseinrichtung, durch deren Besuch auch Kinder aus dem Bildungsbürgertum profitieren konnten“ (ebd.).
Die Kindertagesstätte hat sich von einer sozialfürsorgerischen Notfalleinrichtung für Kinder berufstätiger Mütter zu einer anerkannten Bildungsstätte entwickelt. Bereits 1970 erkannte der Bildungsrat die Kindertagesstätte als Teil des Bildungswesens an. Aden-Grossmann merkt an, dass diese Entscheidung jedoch keine politischen Konsequenzen nach sich zog (vgl. ebd., S. 316). Das Bestreben lag ausschließlich in den kompensatorischen Angeboten für Kinder aus bildungsfernen Schichten. Schließlich wurde dieses Bestreben in den darauffolgenden Jahren durch die Ausweitung des Betreuungsangebots überlagert. Seit 1996 haben alle Kinder vom dritten Lebensjahr an einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergartenplatz (vgl. ebd., S. 317). Dies hat unter anderem zu „(...) einer Erhöhung der Versorgungsquote für drei- bis sechsjährige Kinder geführt“ (Fthenakis 2004, S. 388). Als Nebeneffekte führt Fthenakis des Weiteren die teilweise verschlechterten Rahmenbedingungen und Vernachlässigung der Weiterentwicklung des Betreuungssystems dieser Altersgruppe an (vgl. ebd.). 2001 wurde schließlich die von der OECD durchgeführte internationale Vergleichsstudie veröffentlicht und löste einen nachhaltig wirkenden Schock über den Bildungsstand deutscher Schüler aus. Die Studie ergab, dass in Deutschland nach wie vor die soziale Herkunft ausschlaggebend für den Bildungserfolg ist[7] (OECD 2001). Die Studie führte dazu, das Schulsystem kritisch zu hinterfragen und darüber hinaus wurde die vorschulische Erziehung in den Blick genommen. Laut Fthenakis haben die Berichte der Delphi-Befragungen 1998, die Resultate der PISA-Studie sowie die Empfehlungen des Forum Bildung im Jahr 2001 zu einer anhaltenden politischen Debatte hinsichtlich der Bildungsqualität in Tageseinrichtungen geführt (vgl. Fthenakis 2004, S. 389). Er führt weiter aus: „Ausgehend von einer Neubewertung der Bedeutung früher Lernprozesse begann man in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre international den Bildungsauftrag der Tageseinrichtungen neu zu konzeptualisieren (...) In Deutschland begann Mitte der neunziger Jahre eine Auseinandersetzung bezüglich der Konzeptualisierung von frühkindlicher Bildung und der Bedeutung, die frühen Bildungsprozessen in der kindlichen Entwicklung zukommt“ (ebd., S. 389 f.). Während in anderen europäischen wie zum Beispiel England, Norwegen und Schweden viele Fragen zur Bildung in den frühen Kindheitsjahren bereits seit Jahren diskutiert und Ansätze erfolgreich umgesetzt werden, fängt die Diskussion hierzulande jetzt erst richtig an (vgl. Oberhuemer 2003, S. 38 ff.). Das dritte Kapitel dieser Arbeit ergänzt dieses Unterkapitel, indem es den gesetzlich verankerten Bildungsauftrag der Frühpädagogik thematisiert. Im nachfolgenden Kapitel wird nun der Perspektivenwechsel der frühen Kindheit behandelt, indem das bisherige Verständnis von Kindheit dem aktuellen gegenüber gestellt wird.
2.3 Frühe Kindheit
„Der Lebensabschnitt ab der Geburt bis zum Eintritt in die Schule wird als Frühe Kindheit (Early Childhood) bezeichnet. Diese in etwa ersten sechs Lebensjahre unterteilen sich in die Phasen des Säuglingsalters (1. Lebensjahr), des Kleinkindalters (2. und 3. Lebensjahr) und des Kindergarten- bzw. Vorschulalters (4. bis 6. Lebensjahr)“[8] (Wagner o.A.).
Durch die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen hat sich heutzutage die Erkenntnis durchgesetzt, dass Kinder schon von Geburt an eigenständige Subjekte mit spezifischen Kompetenzen sind (vgl. Maywald 2002, S. 39). Die Erkenntnisse der Säuglings- und Kleinkindforschung, der Hirn- und Sprachforschung und der Entwicklungspsychologie haben schließlich zu diesem Perspektivenwechsel der frühen Kindheit geführt. Die neuen Erkenntnisse führen „(...) zu einem Kind, das zunehmend eigenständiger die Welt erforscht, zu einem Kind also, das Fragen stellt und sich Hypothesen ausdenkt, die sich aus seinen vergangenen Erfahrungen herleiten; zu einem Kind, das Antworten sucht und dafür die sozialen und kulturellen Instrumentarien zu nutzen lernt, die ihm sein Umfeld zur Verfügung stellt“ (Schäfer 2012, S. 157). Fthenakis führt aus, dass das Kind nicht länger als Objekt der Bildungsbemühungen anderer gesehen wird, sondern als „(...) Subjekt im Bildungsprozess behandelt, als kompetent handelndes Wesen, das seine Entwicklung, sein Lernen und seine Bildung ko-konstruiert“ (Fthenakis 2003, S. 26). Darüber hinaus ändert sich auch die Rolle der Erwachsenen, sowohl der Erziehungsberechtigten als auch der Erzieher im kindlichen Bildungsprozess. Schäfer formuliert ihre Aufgabe wie folgt: „Sie werden heute weniger dazu gebraucht, den Kindern das Wissen vorzuordnen, das sie für die Bewältigung ihrer Zukunft zu benötigen scheinen, als dafür, dass sie ihnen den Rahmen vorstrukturieren, innerhalb dessen sie selbständig handeln und denken können“ (Schäfer 2012, S. 157).
Laut der Autorin Oberhuemer verschiebt sich das Bild des Kindes „(...) von einem unreifen, hilfsbedürftigen und erwachsenenabhängigen Wesen hin zu einer Sichtweise von Kindern als eigenständige Individuen mit großem Entwicklungspotenzial und als Träger eigener Rechte“ (Oberhuemer 2004, S. 370). Oberhuemer und Dahlberg geben einige Beispiele der früheren Verständnisse von Kindern wieder:
- Das Kind als „tabula rasa“, insofern als Rezipient und Reproduzent von Wissen und Kultur nach John Locke
- Das „unschuldige“ Kind nach Jean Jacques Rousseau
- Das biologische, „sich entwickelnde“ Kind, ohne Bezug zum jeweiligen sozialen und kulturellen Kontext nach Jean Piaget
- Das „objektivierte“ Kind der Entwicklungsdiagnostik
- Das „sozialisierungsbedürftige“ Kind der Sozialwissenschaften (vgl. ebd., S. 371; Dahlberg 2004, S. 18 ff.).
All diese Vorstellungen spiegeln das Kind als Objekt von Bildungsbemühungen seitens der Erwachsenen wieder. Dahlberg fasst zusammen: „Die bisherigen Bilder über Kinder (...) beschreiben ein sehr ‚armes’ Kind, schwach und passiv, unfähig und unterentwickelt, abhängig und isoliert“ (Dahlberg 2004, S. 27). Die Autorin sieht die Kinder und Pädagogen als „(...) aktive Co-Konstrukteure von Wissen und Kultur und als Bürger mit Rechten, Pflichten und Möglichkeiten“ (ebd.). Laut Oberhuemer besteht die Rolle des Pädagogen nun mehr „(...) in einer partnerschaftlichen Haltung, in der Erwachsene und Kinder mit Hilfe von relevanten Situationen, Ereignissen und Dingen gemeinsam Verständnis und Wissen konstruieren“ (Oberhuemer 2004., S. 373). Die Autorin Smith vertritt das Verständnis der Kindheitssoziologie: „Die Kindheitssoziologie betrachtet Kinder als unabhängige soziale Akteure, nicht als Noch-nicht-Erwachsene, die erst durch einen Prozess von Sozialisierung und Erziehung zum Erwachsenen werden (...) Der Blick richtet sich darauf, wie das individuelle Kind die Welt erlebt und versteht. Als Folge werden nun Kinder eher als Menschen verstanden, man begegnet ihnen mit Achtung und Anerkennung ihrer Fähigkeiten“ (Smith 2004, S. 76). Vertreter der Kindheitssoziologie hinterfragen normative Modelle, die darlegen, was Kinder wann können sollen und was nicht (vgl. ebd.). Kindheitssoziologen sowie Befürworter der Kinderrechte sehen die Kinder als eigentliche Akteure. Kinder sollen ihre eigene soziale Welt konstruieren und darüber hinaus als Personen geachtet werden, als Subjekte und nicht passiv von außen geprägte Objekte sozialer Überlegung bzw. Kontrolle. Die Kinder sind als Teilnehmer der sozialen Prozesse zu sehen (vgl. Freeman 1998, S. 436). Sowohl die Kindheitssoziologen als auch die Befürworter der Kinderrechte behandeln Kinder als Individuen und nicht als kollektive undifferenzierte Gruppe. Faktoren wie Geschlecht, Rasse und Ethnizität sowie die sexuelle Orientierung, Behinderung und weitere Faktoren sind somit von großer Bedeutung (vgl. Smith 2004, S. 77).
Abschließend bleibt festzuhalten, dass Kindheit weltweit sehr verschieden gesehen und bewertet wird und somit eine kulturelle und gesellschaftliche Konstruktion darstellt. Laut Nutbrown gibt es „(...) eine ganze Reihe von Perspektiven über Kindheiten, Kinder und die Rechte der Kinder in unterschiedlichen sozialen Kontexten. Diese haben ihren Ursprung in individuellen Erfahrungen, Glaubens- und Wertesystemen. Weltweit wird Kindheit je nach Gesellschaft anders konstruiert“ (Nutbrown 2004, S. 121). Die Perspektive der frühen Kindheit bzw. das Bild des Kindes findet Beachtung in den Bildungsplänen der Bundesrepublik Deutschland und wird in Kapitel 2.5 erneut aufgegriffen und hinsichtlich des Bildungsverständnisses dargelegt. Das folgende Kapitel widmet sich dem Zusammenhang zwischen der frühkindlichen Bildungsforschung und der derzeitigen Bildungsdebatte.
2.4 Frühkindliche Bildungsforschung in Deutschland
„Durch die Erkenntnisse der Säuglings- und Kleinkindforschung, Entwicklungspsychologie, Hirnforschung und Sprachforschung hat die Idee vom Kind, das etwas kann und das seine Entwicklung, eingebettet in soziale und kulturelle Bezüge, in hohem Maße mitbestimmt, seit den 1990er Jahren neue Unterstützung bekommen“ (Schäfer 2014, S. 20).
Verschiedene Forschungsdisziplinen haben somit erheblich zu dem in Kapitel 2.3 behandelten Perspektivenwechsel der frühen Kindheit beigetragen. Im Folgenden sollen nun einige Erkenntnisse der Bildungsforschung in Deutschland erwähnt werden. Die Autorinnen Biedinger und Becker untersuchen in ihrer Studie den Einfluss des Vorschulbesuchs auf die Entwicklung und den langfristigen Bildungserfolg von Kindern. Dabei ließen sich mehrheitlich positive Einflüsse auf die Entwicklung feststellen, die teilweise mit langfristigen Bildungserfolgen einhergingen. Sie betonen allerdings den Aspekt, dass die Wirkung nicht unerheblich von der Qualität der vorschulischen Einrichtungen abhängig zu sein scheint[9] (vgl. Biedinger / Becker 2006). Es existieren laut Biedinger und Becker kaum Studien über den deutschen Vorschulbereich und dessen Wirkung, deswegen wurden hierzu Sekundärdaten herangezogen (vgl. ebd.). Laut den Autoren Fried und Voss besteht allgemein Einigkeit darüber, dass sowohl die Entwicklung als auch die Bildung von Kindern erheblich durch die Quantität und Qualität vorschulischer Erziehung geprägt ist (vgl. Fried / Voss 2010, S. 199 ff.). Internationale Wirkungsstudien belegen zudem empirisch konsistent die positive Wirkung der institutionellen Vorschulerziehung (vgl. Bergs-Winkels 2010, S. 18)[10]. Der Autor Nagel konstatiert: „Es gilt inzwischen als gesichert, dass eine längere institutionelle Kindbetreuung die Entwicklungschancen der Kinder und damit ihre Bildungsbiografie positiv beeinflusst“ (Nagel 2009, S. 12).
An dieser Stelle sollte man jedoch hinterfragen, an welchen Kriterien die Autoren die positive Wirkung festmachen. Wie wird Bildungserfolg in den vorliegenden Studien definiert bzw. woran wird dieser gewertet? Welches Bildungsverständnis vertreten die Studien? Diese und viele weitere Fragen können in Hinblick auf den Bildungsdiskurs gestellt werden. Der Bildungsdiskurs hat eine unglaubliche Tragweite in viele Richtungen. Zur Beantwortung dieser Fragen müssen die Studien näher betrachtet und daraufhin untersucht werden. Dies ist jedoch nicht Bestandteil dieser Abschlussarbeit. Dieses Kapitel soll lediglich den Zusammenhang zwischen Bildungsforschung und der derzeitigen Bildungsdebatte aufzeigen. Es soll die Reaktionen betrachten, die durch die Bildungsforschung ausgelöst wurden.
Die Autorin Berg-Winkels führt aus, dass die Bildungspläne der Bundesländer als Reaktion auf die eben genannten Forschungsergebnisse zu deuten sind: „Als Reaktion auf diese Forschungsergebnisse werden mittlerweile in allen Bundesländern Deutschlands Bildungsvereinbarungen getroffen, die auf die Verbesserung von Bildungsinstitutionen oder –programmen zielen und Inhalte der Förderungen im Elementarbereich festschreiben. Der Bildungsauftrag von vorschulischen Bildungsinstitutionen umfasst dabei die gesamte frühkindliche Phase, also die Bildung von Geburt an“ (Berg-Winkels 2010, S. 18). Die Bildungspläne der Bundesländer werden im nachfolgenden Kapitel 2.5 thematisiert. Als weitere Reaktion auf die vorliegenden Forschungsergebnisse, insbesondere von den internationalen Vergleichsstudien TIMSS, PISA und IGLU (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung), wurden 2003 die Bildungsberichte in Auftrag gegeben[11] (vgl. KMK 2003).
„Die Ergebnisse von PISA wirkten wie ein Schock: Fünfzehnjährige in Deutschland schneiden im internationalen Leistungsvergleich beim Lesen, in mathematischer und naturwissenschaftlicher Grundbildung schlecht ab, Deutschland liegt im internationalen Vergleich im unteren Mittelfeld (...) Diese wenig schmeichelhaften Ergebnisse der PISA-Studie haben eine intensive Bildungsdebatte ausgelöst, die längst überfällig war. Sie bezieht sich in einem umfassenden Sinne sowohl auf Bildung als auch auf die Institutionen der Bildung – das ist das Neue an dieser Debatte und darin liegt ein wichtiger Fortschritt im Vergleich zu früheren bildungspolitischen Debatten. Schule hat dabei einen prominenten, doch keineswegs exklusiven Stellenwert. Andere Orte der Bildung von Kindern und Jugendlichen sind längst genauso zu einem Thema und Gegenstand dieser Debatte geworden“[12] (Rauschenbach et al. 2004).
Die Institutionen von Bildung, zu denen auch mittlerweile die Kindertagesstätte durch ihren offiziellen Bildungsauftrag gezählt wird, wurden durch die Forschungsergebnisse zunehmend in den Fokus gerückt. Bei der Kindertagesstätte handelt es sich zwar um nicht-formelle Bildungsprozesse, dennoch sind die Institutionen der vorschulischen Bildung als Orte von Bildung anzusehen. Der rechtlich festgeschriebene Förderungsauftrag § 22 SGB VIII bestätigt dies (siehe Kapitel 2.1, 2.2, 3.1). Laut Fröhlich-Gildhoff gibt es in der Bildungsforschung „(...) einen Widerspruch zwischen innovativer, engagierter Praxis- und Programmimplementierung einerseits und einer fehlenden empirischen Absicherung der Wirkungen in der Praxis andererseits“ (Fröhlich-Gildhoff 2012, S. 39). Das Problem liegt zum Einen in der großen Komplexität des Gegenstandes, welches ein Grundproblem der Wirkungsforschung im sozialen Bereich ist. Zum Anderen bestand die frühpädagogische Bildungsforschung aus drei klassischen Forschungstraditionen:
- die entwicklungspsychologische Grundlagenforschung,
- die soziologische Kindheitsforschung
- und die elementarpädagogische Forschung, die sich jedoch vermehrt mit der Weiterentwicklung von pädagogischen Grundlagenkonzepten beschäftigte (vgl. ebd.).
Die Problematik lag darin, dass die drei Forschungstraditionen unverbunden nebeneinander standen. Es gab keine systematische empirische Bildungsforschung für den Bereich der Kinder unter sechs Jahren (vgl. ebd., S. 39 f). Mittlerweile hat sich in diesem Bereich etwas getan. Drei große large-scale-Studien, NEPS[13], NUBBEK[14] und BIKS[15] wurden in Deutschland realisiert, um diese Wissenslücke zu schließen. Nachfolgend sollen nun die Bildungspläne der Bundesländer hinsichtlich ihrer Bildungsverständnisse thematisiert werden, um sich anschließend den Rahmenbedingungen der Kindertagesbetreuung in Deutschland zu widmen.
2.5 Bildungspläne der Bundesländer
„Die bundesweite Einführung von Bildungs- und Erziehungsplänen im Elementarbereich stellt eine fundamentale Neuerung im Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland dar und ist der Bildungs- und Leistungsdebatte nach PISA geschuldet“ (Röhner 2014, S. 601). Der Beschluss der Kultus- und Jugendministerkonferenz zum „Gemeinsamen Rahmen für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen“ schaffte 2004 die Voraussetzungen für die Bildungs- und Erziehungspläne auf Bundesebene (vgl. JMK 2004, S. 39 ff.). Laut der Autorin Röhner wurde mit diesem Beschluss der maßgebliche politische Impuls gesetzt, der die Entwicklung von Kindertagesstätten zu Bildungseinrichtungen ermöglichte. Darüber hinaus wurde laut Röhner durch die Einführung der Erziehungs- und Bildungspläne die Bedeutung des Elementarbereichs als erste Bildungsstufe anerkannt (vgl. Röhner 2014, S, 601). Die Autorin führt aus: „Erstmals wurde in der Bundesrepublik Deutschland damit zwischen allen Bundesländern sowie zwischen dem Jugendhilfe- und Schulbereich eine verbindliche Vereinbarung über die Aufgaben der vorschulischen Bildung und Förderung getroffen“ (ebd.). Der gemeinsame Rahmen der Kultus- und Jugendministerkonferenz beinhaltet die Grundsätze der Bildungsarbeit in den vorschulischen Kindertageseinrichtungen, „(...) der durch Bildungspläne auf Länderebene konkretisiert, ausgefüllt und erweitert wird. Innerhalb des gemeinsamen Rahmens gehen die Länder eigene, den jeweiligen Situationen angemessene Wege der Ausdifferenzierung und Umsetzung“ (JMK 2004, S. 39).
Grundsätzlich lassen sich unterscheiden:
- Bildungspläne der ersten Generation, bei denen es um die Konkretisierung des Bildungs- und Erziehungsauftrages von Kindertageseinrichtungen ging - mit dem Ziel, eine höhere Bildungsqualität zu erreichen und bisher vernachlässigte Bildungsbereiche (z.B. mathematisch-naturwissenschaftliche und technische Bildung, Sprachförderung) zu beleben.
- Bildungspläne der zweiten Generation, bei denen eine größere Altersspanne (z.B. 0 bis 10 Jahre) und die in diesem Zeitraum bedeutsamen Übergänge beachtet werden und in denen nicht mehr auf die Kindertageseinrichtungen fokussiert wird, sondern alle Lernorte (Familie, Kindertagespflege, Schule, Medien, Peergroup usw.) Berücksichtigung finden[16] (Textor 2016).
Die Bildungspläne der ersten Generation konzentrieren sich darauf den Erziehungs- und Bildungsauftrag der Kindertageseinrichtungen für unter sechs Jahren zu konkretisieren und verbindlich festzulegen (vgl. Fthenakis 2007, S. 63 f.). Nach dem Beschluss der deutschen Jugendministerkonferenz sollten 2004 folgende sechs Bildungsbereiche einem vorschulischen Bildungsplan zugrunde gelegt werden:
a) Sprache, Schrift, Kommunikation
b) Personale und soziale Entwicklung
c) Mathematik, Naturwissenschaft, (Informations-)Technik
d) Musische Bildung – Umgang mit Medien
e) Körper, Bewegung, Gesundheit
f) Natur und kulturelle Umwelten (Nagel 2009a, S.15).
Ein Nachteil der Bildungspläne der ersten Generation besteht darin, dass diese sich zu sehr an der Struktur des Bildungssystems orientieren. Sie stellen die Kinder zwar in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen, jedoch bleibt eine Individualisierung ihrer Lernprozesse nahezu ausgeschlossen. Die Forderung der meisten deutschen Bildungspläne liegt weiterhin im Programmatischen. Es wird nicht zwischen Lernfeldern und den zu stärkenden Kompetenzen des Kindes unterschieden, dementsprechend bleiben informelle Bildungsprozesse unberücksichtigt (vgl. ebd., S. 15 f.). Es finden sich auch in der Namensgebung der Bildungspläne Unterschiede. An dieser Stelle sollen nur einige genannt werden. Es gibt den Bayerischen Erziehungs- und Bildungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung, die Bildungs- und Erziehungsempfehlungen für Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz, das Berliner Bildungsprogram für Kitas und Kindertagespflege sowie den Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in baden-württembergischen Kindergärten und weiteren Kindertageseinrichtungen etc.[17] (vgl. Bildungsserver 2017). Der Autor Nagel erklärt dies wie folgt: „Hinter diesen Bezeichnungen liegen unterschiedliche Vorstellungen bezüglich der Art der Steuerung dieses Bildungsbereichs“ (Nagel 2009a, S. 16). Nach Nagel dienen die Bildungspläne „(...) einmal als Instrument zur Sicherung von Bildungsqualität und/oder als Innovationsansatz, zum anderen als Instrument zur Steuerung des Bildungssystems und des Bildungsverlaufs“ (ebd.). Bodenburg und Kollmann begründen die verschiedenen Bezeichnungen der Bildungspläne wie folgt:
„Jedes Bundesland wählte für seine Richtlinien eine andere Bezeichnung, die auch auf seine besondere Charakteristik hinweist. So gibt es beispielsweise einen verbindlichen ‚Bildungs- und Erziehungsplan’ in Bayern, einen ‚Orientierungsplan für Bildung und Erziehung’ als Vereinbarung der Landesregierung mit Kommunalen Landesverbänden in Baden-Württemberg und Grundsätze zur verbindlichen Umsetzung mit einer ‚Qualitätsentwicklungsvereinbarung’ im Berliner Bildungsprogramm (...) Fünf Bundesländer erklären ihre Leitlinien mit der Einführung für verbindlich; in den anderen Bundesländern gibt es Angaben zur Selbstverpflichtung auf der Grundlage des jeweils gültigen Kindertagesgesetzes“ (Bodenburg / Kollmann 2009, S. 22).
Alle Bildungspläne der ersten Generation beschränken sich auf den institutionellen Rahmen hinsichtlich ihres Geltungsbereiches.
Die Bildungspläne der zweiten Generation stellen nicht die Bildungsinstitution, sondern das Kind in den Vordergrund. Darüber hinaus sind die Bildungspläne institutionenübergreifend, lernortorientiert und die Bildungsprozesse werden individuell auf das Kind hin ausgerichtet (vgl. Nagel 2009a, S. 17). Nagel betont, dass die Prinzipien der Pläne der zweiten Generation am konsequentesten in Hessen und Thüringen umgesetzt werden: „Sie sind institutionenübergreifend und für den vorschulischen und schulischen Bereich gültig (von 0 bis 10 Jahren), in Thüringen explizit auch für die Kindertagespflege“ (ebd., S. 17 f.). Die Pläne der zweiten Generation akzentuieren folgende Basiskompetenzen:
- Stärkung lernmethodischer Kompetenz: Kompetenzen, die den Erwerb von Wissen fördern. Hierzu werden Formen von Metakognition und Selbststeuerung eingesetzt sowie Reflexion.
- Stärkung der Widerstandsfähigkeit (Resilienz), in anderen Worten, die Stärkung der Kompetenz im Umgang mit Veränderung und Belastung.
- Positiver Umgang mit Diversität: beinhaltet das Verständnis von und den Umgang mit Differenz. Vielfalt wird als Chance und Gewinn betrachtet. Unterschiede, die sich aus einer erweiterten Altersmischung, Geschlecht, kulturellen bzw. sozialen Hintergründen sowie aus besonderen Bedürfnissen (Kinder mit Entwicklungsdefiziten sowie hochbegabte Kinder etc.) ergeben, werden für gemeinsame Lernerfahrungen genutzt.
- Stärken des Kindes betonen: bisher ging es um die Identifizierung und Beseitigung bzw. Kompensation kindlicher Schwächen. Im Gegensatz hierzu sollen nun in erster Linie die Stärken des Kindes hervorgehoben werden. Sie sollen erkannt und weiterführend gestärkt werden, damit das Kind ein positives Selbstbild entwickeln kann und in schwierigen Situationen weiß, seine Stärken gezielt einzusetzen (vgl. ebd., S. 18 ff.).
Bei den vorgetragenen Punkten handelt es sich um thematische Schwerpunkte der neuen Bildungspläne. Bodenburg und Kollmann äußern bezugnehmend auf die thematische Ausarbeitung der Bildungspläne folgende Kritik: „Obwohl es inzwischen selbstverständliches Wissen ist, dass die Grundlagen für das Lernen in der Zeit vor und in den ersten drei Jahren nach der Geburt entstehen, fehlt in allen Bildungsplänen ein differenziertes Eingehen auf den speziellen Arbeitsbereich der unter Dreijährigen und deren primäres soziales Umfeld“ (Bodenburg / Kollmann 2009, S. 23). Ein weiterer Kritikpunkt kann laut Nagel darin gesehen werden, dass die Bundesländer es nicht geschafft haben „(...) sich bundeseinheitlich bei der Umsetzung auf gemeinsame Grundlinien zu verständigen“ (Nagel 2009b, S. 195). Das führt zu verschiedenen Auffassungen darüber, wie Bildung und Bildungsprozesse stattfinden sowie zu Differenzen, was die Formulierung der Bildungsziele und der zugehörigen Altersspanne angeht. Gemeinsamkeiten finden sich im allgemeinen Verständnis von Kind bzw. Kindheit und in den gewählten Lern- und Erfahrungsbereichen. Allen Plänen liegt das Verständnis zugrunde, dass Entwicklungsfortschritte nicht im Vergleich mit anderen Kindern gesehen werden, sondern individuell betrachtet und bewertet werden (vgl. ebd.). Die Autorin Röhner betont die verschiedenen Ausrichtungen der Bildungspläne:
„Ein Teil der Bildungspläne richtet sich an einem modifizierten Situationsansatz aus (z.B. Berlin, Hamburg, Saarland) und betont das Lernen in sozialen Kontexten und Bezügen. Ein konkurrierendes Konzept, das die Bedeutung frühen Lernens in zentralen fachlichen Domänen akzentuiert, ist im Bayrischen Bildungs- und Erziehungsplan verwirklicht, der erstmals ein ko-konstruktives Verständnis frühkindlicher Bildung in Anlehnung an den internationalen frühpädagogischen Diskurs entwickelte (...) Neben dem modifizierten Situationsansatz und dem neuen ko-konstruktivistischen Ansatz frühkindlicher Bildung ist der Selbstbildungsansatz weiterhin in der curricularen Konzeption einzelner Bildungs- und Erziehungspläne repräsentiert“ (Röhner 2014, S. 603).
Die Autorin verweist darauf, dass je nach Autorengruppe unterschiedliche frühpädagogische Konzeptionen erkennbar und vielfach auch Mischformen vorhanden sind (vgl. ebd.). Der Autor Nagel erläutert zum Bildungsverständnis der Bildungspläne Folgendes: „Allen Bildungsplänen liegt ein Bildungsverständnis zugrunde, dass der Bildungsprozess des Kindes ein Selbstbildungsprozess ist, in dem das Kind sich seine Welt selbständig konstruiert. Kinder erwerben ihr Wissen von der Welt und ihre Fähigkeiten, indem sie die Welt neugierig erforschen“ (Nagel 2009b, S. 195). Unterschiede gibt es lediglich in der Ausrichtung und Gestaltung der Lern- und Bildungsprozesse. Der Autor führt aus: „Der kleinere Teil der Pläne betont das Eigenständige des selbständigen, konstruktiven Lernprozesses, der auf Beobachten, Erkunden und Erprobung beruht, der selbstgesteuert, aus eigener Sicht und Motivation geschieht, mit der freien Entscheidung, ob andere Personen einbezogen werden sollen oder nicht“ (ebd.). Andere Personen sollen so wenig wie möglich in den Bildungsprozess eingreifen. Diesem Ansatz steht der ko-konstruktivistische gegenüber, der laut Nagel in der Mehrzahl der Pläne vorhanden ist. Der ko-konstruktivistische Ansatz betont, „(...) dass kindliche Lernprozesse in den meisten Fällen im sozialen Kontext stattfinden und die Konstruktion der kindlichen Welt auch mit der Unterstützung von bzw. der Auseinandersetzung mit anderen Personen geschieht. Dem pädagogischen Personal bzw. den Erwachsenen kommt hier explizit eine pädagogische Verantwortung zu“ (ebd.). Der zentrale Unterschied zwischen dem Selbstbildungs- und dem ko-konstruktivistischem Ansatz liegt in der Haltung des pädagogischen Fachpersonal bzw. der Erziehungsberechtigten zum Kind. Der ko-konstruktivistische Ansatz spricht dem Erwachsenen Verantwortung zu.
Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, wie die Lern- und Bildungsprozesse aussehen bzw. vonstattengehen in Hinblick darauf, wie sie insbesondere von außen gestaltet werden sollen. Inwieweit sollen die Bildungsprozesse sich durch selbstinitiierte Aktivitäten des Kindes auszeichnen und fremd-initiierte Anregungen zugelassen bzw. bewusst genutzt werden, um den Bildungsprozess zu gestalten? Die zwei Ansätze präferieren jeweils eine unterschiedliche Vorstellung davon, wie die Bildungsprozesse gestaltet werden sollen. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei vielen Bildungsplänen um Mischformen der verschiedenen pädagogischen Ansätze. Einige Aspekte werden erneut in Kapitel 5 aufgegriffen und thematisiert.
Das dritte Kapitel wird nun die Rahmenbedingungen frühkindlicher Bildung darlegen, die neben der Kindertagesstätte als institutionelle Betreuungsform auch die Kindertagespflege als private Form beinhaltet. Es werden somit verschiedene Formen und Institutionen vorschulischer Erziehung, Bildung und Betreuung vorgestellt.
3. Die Kindertagesbetreuung in Deutschland
Eltern haben grundsätzlich das Recht, zwischen den verschiedenen Leistungen der Kinderbetreuung zu wählen, insofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist (vgl. § 5 SGB VIII). Das bedeutet, dass sie grundsätzlich zwischen Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege wählen dürfen. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) formuliert in § 22 die Grundsätze der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege und definiert beide Formen wie folgt:
„(1) Tageseinrichtungen sind Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden. Kindertagespflege wird von einer geeigneten Tagespflegeperson in ihrem Haushalt oder im Haushalt des Personensorgeberechtigten geleistet. Das Nähere über die Abgrenzung von Tageseinrichtungen und Kindertagespflege regelt das Landesrecht (...)“ (§ 22 SGB VIII Absatz 1).
Bereits durch den § 1 Absatz 1 SGB VIII hat jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und zudem auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (vgl. § 1 SGB VIII Ansatz 1). Dieser Leitsatz zieht sich durch das gesamte SGB VIII und formuliert demnach auch den Rechtsanspruch für die Kinder einer Kindertageseinrichtung. Die Förderung und Erziehung werden somit nicht nur von den Eltern übernommen, sondern auch von den jeweiligen Fachkräften der Einrichtung.
In den letzten Jahren wurden einige Änderungen im achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII) vorgenommen, bewirkt wurden diese durch die Verabschiedung vom Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG), dem Kinder- und Jugendhilfeerweiterungsgesetz (KICK) im Jahre 2005 sowie durch die Einführung des Kinderförderungsgesetzes (KiföG) im Dezember 2008. Der daraufhin neu formulierte § 22 SGB VIII beinhaltet für Tageseinrichtungen und Kindertagespflege in gleichermaßen einen Förderungsauftrag:
„(3) Der Förderungsauftrag umfasst Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes. Er schließt die Vermittlung orientierender Werte und Regeln ein. Die Förderung soll sich am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethnische Herkunft berücksichtigen“ (§ 22 SGB VIII Absatz 3).
Zudem ist der § 24 SGB VIII ab dem 1. August 2013 neu in Kraft getreten. Dieser regelt, wann ein Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege besteht. Aufgrund dieser Änderung besteht nun ein Rechtsanspruch auf frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung bereits ab dem vollendeten ersten Lebensjahr (vgl. § 24 SGB VIII Absatz 2). Zuvor richtete sich der Förderanspruch nach dem Bedarf des Kindes bzw. der Erziehungsberechtigten, wenn dieser für die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit erforderlich war und die Erziehungsberechtigten einer Erwerbstätigkeit nachgingen, diese aufnahmen bzw. arbeitssuchend waren (vgl. § 24 SGB VIII Absatz 3 bis zum 31.07.2013). Darüber hinaus gibt es den gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen. Der Beschluss der Kultus- und Jugendministerkonferenz am 03. und 04.06.2004 beinhaltet die Grundsätze der Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen und wird durch die Bildungspläne auf Landesebene konkretisiert, ausgefüllt und erweitert[18] (vgl. KMK 2004). Nachfolgend wird die Kindertagesstätte als institutionelle Form der Kindertagesbetreuung vorgestellt.
3.1 Die Kindertagesstätte als institutionelle Betreuungsform
Kindertageseinrichtungen sind Einrichtungen der freien und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe und gewährleisten ebenso wie die Kindertagespflege die Kindertagesbetreuung nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz. Die Kinder verbringen einen Teil des Tages oder den ganzen Tag in einer Kindertageseinrichtung und werden dort in Gruppen gefördert. Die in einer Kindertageseinrichtung tätigen Erzieherinnen und Erzieher arbeiten anhand von pädagogischen Konzepten und stehen bezüglich der Erziehung, Bildung und Betreuung in Austausch mit den Erziehungsberechtigten (vgl. Frühe Chancen 2016)[19].
Es gibt verschiedene Träger von Kindertageseinrichtungen. Dazu zählen öffentliche Träger, freie Träger mit gemeinnützigem Hintergrund, privatgewerbliche Träger und sogenannte Betriebs- bzw. Unternehmenskindertageseinrichtungen. Träger öffentlicher Kindertageseinrichtungen sind die jeweilige Kommune, also die Landkreise und kreisfreien Städte. Kindertageseinrichtungen freier Träger unterteilen sich hingegen in kirchliche Träger und Träger der freien Wohlfahrt (vgl. Textor o.A)[20]. Tageseinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft sind an eine Kirchengemeinde angebunden und arbeiten nach Erziehungskonzepten, die christliche Werte und Normen beinhalten. Zu den freien großen Wohlfahrtsverbänden zählen:
[...]
[1] Der vorliegende Begriff beinhaltet alle vorliegenden Formen der institutionellen Kindertagesbetreuung in Deutschland. Siehe hierzu auch Kapitel 3.
[2] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beide Geschlechter.
[3] vgl. http://www.kindergartenpaedagogik.de/1951.html, Stand: 2016, abgerufen am 31.01.17.
[4] https://issuu.com/caritas.luxembourg/docs/konzept_welt-atelier, Stand: 2011, abgerufen am 06.02.17.
[5] http://www.jugend.rlp.de/fileadmin/downloads/bildung/zwoelfter-kjb.pdf, Stand: 2005, abgerufen am 10.02.17.
[6] http://www.kindergaerten-bw.de/site/pbs-bw-new/get/documents/KULTUS.Dachmandant/KULTUS/Projekte/kindergaerten-bw/Oplan/Material/KM-KIGA_Orientierungsplan_2011.pdf, Stand: 2011, abgerufen am 27.02.17.
[7] https://www.oecd.org/germany/33684930.pdf, Stand: 2001, abgerufen am 02.03.17.
[8] http://www.kindergartenpaedagogik.de/2071.html, Stand: o.A., abgerufen am 03.04.17.
[9] http://www.mzes.uni-mannheim.de/publications/wp/wp-97.pdf, Stand: 2006, abgerufen am 23.03.17.
[10] Die Autorin bezieht sich hierbei auf folgende Studien: British Cohort Studies, Carolina Abecederian Study, Early Childhood Longitudinal Study, Effective Provition of Pre-School Education Project, European Child Care and Education Study, Head Start Family and Child Experiences Survey, High/ Scope Perry Preschool Project, National Longitudinal Survey of Children and Youth, NICHD Study of Early Child Care, Study of Cost, Quality and Child Outcomes in Child Care Centers.
[11] http://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2003/2003_01_01-Bildungsbericht-erste-Befunde.pdf, Stand: 2003, abgerufen am 10.04.17.
[12] http://www.akjstat.tu-dortmund.de/fileadmin/Weiterfuehrende_Links/nonformale_und_informelle_bildung_kindes_u_jugendalter.pdf, Stand: 2004, abgerufen am 07.04.17.
[13] https://www.neps-data.de/de-de/projektübersicht.aspx, Stand: o.A., abgerufen am 11.04.17.
[14] http://www.nubbek.de, Stand: o.A., abgerufen am 11.04.17.
[15] https://www.uni-bamberg.de/biks/, Stand: 2017, abgerufen am 11.04.17.
[16] http://www.kindergartenpaedagogik.de/1951.html, Stand: 2016, abgerufen am 06.04.17.
[17] http://www.bildungsserver.de/Bildungsplaene-der-Bundeslaender-fuer-die-fruehe-Bildung-in-Kindertageseinrichtungen-2027.html, Stand: 2017, abgerufen am 15.04.17.
[18] http://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_06_03-Fruehe-Bildung-Kindertageseinrichtungen.pdf, Stand: 2004, abgerufen am 01.12.16.
[19] vgl.http://www.fruehe-chancen.de/themen/kinderbetreuung-international/bildungs-und-betreuungssysteme/das-bundesdeutsche-system/das-bundesdeutsche-system/, Stand: 2016, abgerufen am: 01.12.16.
[20] vgl. http://www.kindertagesbetreuung.de/formen.html, Stand: o. A., abgerufen am 01.12.16.
Schlagworte:
lit-2017_buch, Masterarbeit,
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ID: 5332 | hinzugefügt von Jürgen an 14:54 - 18.4.2020 |
title: Vom Punkt zum Gedanken by Kinder der VS Viktring |
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Text:
Vom Punkt zum Gedanken
KINDER DER VS VIKTRING
Ich beschreibe Euch jetzt unsere Kunstwerke, die wir vor einiger Zeit herstellten. Beim ersten Mal arbeiteten wir mit unserer Lehrerin Pia-Maria. Ihr könnt es aber jetzt auch selbst so machen.
Es setzen sich drei bis sechs Kinder an einen Tisch. Jedes Kind bekommt ein Blatt Papier und schreibt seinen Namen auf die Rückseite des Blattes. Jetzt macht jeder auf seinem Blatt mit einem Bleistift viele kleine Punkte. Nach ungefähr einer halben Minute sagt einer: "Stop!" Dann wird das Blatt nach rechts weitergegeben. Nun macht der Sitznachbar abermals Punkte auf das Blatt und gibt es nach rechts weiter. Das geht so oft, bis das eigene Blatt wieder vor sich liegt.
Schlagworte:
atsch-h9
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ID: 2706 | hinzugefügt von Jürgen an 08:38 - 15.12.2005 |
title: Anwendungsmöglichkeiten der Freinet-Pädagogik ... by Klausner, Wolfgang |
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Text:
Anwendungsmöglichkeiten der Freinet-Pädagogik in der Arbeitswelt<p>
Die Geschichte<p>
Es ist nun drei Jahre her, da entwickelten sich zwei Ereignisse parallel.<p>
Das erste, unser Sohn Bernhard wechselte von einer Regelklasse in eine Freinet-Klasse. <p>
Das zweite, in unserer Firma wird ein Projekt gestartet, das anders sein wird als all das, was wir vorher kannten. <p>
Im Laufe der Schuljahre lernten wir die Arbeit in einer Freinet-Klasse immer besser kennen und verstehen. Bei Elternabenden und Gesprächen mit Martin Merz (dem Lehrer von Bernhard) wurde uns verständlich,wie wichtig es ist, daß Kinder Lernen lernen, daß Leistung Spaß machen kann, daß sich Kinder selbst beurteilen können und vieles mehr.
In der Entwicklung von Bernhard verschwand allmählich die Angst vor der Schule und sein Selbstwertgefühl stärkte sich zusehends. <p>
....
Schlagworte:
atsch-h01, lit-1997_art,
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ID: 2558 | hinzugefügt von Jürgen an 01:17 - 25.9.2005 |
title: Produkt. das;-(e)s, -e <lat.> by Klausner, Wolfgang |
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Text:
Produkt, das;-(e)s, -e <lat.>
Erzeugnis; Ertrag; Folge, Ergebnis
WOLFGANG KLAUSNER
Wenn das Produkt eine Summe von Leistung ist, was ist dann Leistung?
Wenn Leistung das Erbringen von Arbeit ist, was ist dann Arbeit?
Wenn Arbeit das geistige oder körperliche Tun ist, was ist dann Tun?
Wenn Tun Denken ist, was ist dann Denken?
Wenn Tun manuelle Betätigung ist, was ist dann Betätigung?
Mit anderen Worten, das Produkt Ergebnis aus vielen Möglichkeiten ist nie hundertprozentig greifbar. Für den, der das Produkt entstehen ließ oder der Außenstehende, der es auf sich wirken läßt, stellt sich immer wieder die Frage:
War die Entstehung oder das Resultat das Wesentliche?
Wenden wir uns dem Produkt aus Arbeit in der Schule zu. Betrachten wir die Arbeit, die unsere Kinder in der Schule leisten. Es fällt uns allen schwer, eine Übersicht zu ihrem Tun zu bekommen.
Schlagworte:
atsch-h4,
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ID: 2618 | hinzugefügt von Jürgen an 06:39 - 30.11.2005 |
title: Dieser Text ... by Kleibinger, Edith |
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Text:
Dieser Text ...<p>
Dieser Text berührt meine innere Trauer. Beim Lesen verkrampft sich mein Herz. Ich war eine gute Schülerin, ich bin gerne zur Schule gegangen.<p>
....
Schlagworte:
atsch-h3
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ID: 2587 | hinzugefügt von Jürgen an 19:56 - 28.9.2005 |
title: Das Leben kreieren by Kleibinger, Edith |
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Text:
DAS LEBEN KREIEREN
EDITH KEIBLINGER
Etwas kreieren - Spuren hinterlassen - sich ausdrücken - einen Eindruck machen - etwas schaffen - sich in dem Geschaffenen wiederfinden.....
Diesen Drang nach "Selber! Ich kann`s eh!" können wir besonders bei kleinen Kindern beobachten. Ich sehe viele Situationen meiner Kinder, die unbeirrbar "selber" machen. Ich sehe die Konzentration in ihren Augen, der ganze Körper ist erfasst von der Tätigkeit, das Zungenspitzerl zwischen den Zähnen. Wenn es nicht gleich gelingt, wird sofort noch einmal angefangen - geschafft, oder auch nicht.(noch nicht zu diesem Zeitpunkt)
Das ist für mich Sinn, das ist leben!
Ich möchte dieses Schaffen in zwei ineinandergreifende Ebenen teilen:
Schlagworte:
atsch-h7
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ID: 2695 | hinzugefügt von Jürgen an 07:59 - 15.12.2005 |
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